Arbeitsrecht

Keine Versicherungsfreiheit aufgrund Abschluss eines Versorgungsvertrages mit rückwirkender Versorgungszusage

Aktenzeichen  L 5 KR 443/15

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 136452
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 1 S. 1 Nr. 1, § 26
SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI § 5 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 S. 4 SGB VI besteht erst von Beginn des Monats an, in dem die Zusicherung der Anwartschaften vertraglich erfolgt, auch wenn die Versorgungszusage rückwirkend vereinbart wurde. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aufgrund der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 5 Abs. 1 S. 4 SGB VI entsteht die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung ebenso erst von Beginn des Monats an, in dem diese Zusicherung erfolgt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 18 KR 1208/13 2015-05-21 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist in der Sache nicht erfolgreich. Die streitgegenständliche Entscheidung der Beklagten verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, er hat folglich auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils der Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung in der Zeit vom 01.08.2011 bis zum 30.06.2012.
Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist § 26 SGB IV. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten. Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat (§ 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV).
Die Entrichtung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung erfolgte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu Unrecht, da der Kläger in dieser Zeit versicherungspflichtig war (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Er wäre versicherungsfrei gewesen, wenn ihm nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert gewesen wäre, § 5 Abs. 1 SGB VI. Für Personen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VI gilt dies u.a. nur, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Anspruch auf Vergütung und bei Krankheit auf Fortzahlung der Bezüge haben (Nr. 1) oder nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben (Nr. 2). Gem. § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI begründet die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit von Beginn des Monats an, in dem die Zusicherung der Anwartschaften vertraglich erfolgt.
Zutreffend hat die Beklagte entschieden, dass die Versicherungsfreiheit des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI zum 01.07.2012 eingetreten ist. Die Zusicherung der Anwartschaft des Klägers erfolgte erst im Juli 2012, als der Kläger das Angebot der Beigeladenen zu 1) vom 02.07.2012 auf Abschluss eines Versorgungsvertrages annahm. Darauf, dass die Versorgungszusage rückwirkend zum 01.08.2011 vereinbart wurde, kommt es nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI eindeutig nicht an.
Mit der Einführung des § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI sollte gerade sichergestellt werden, dass nicht beamtenähnliche Versorgungsanwartschaften rückwirkend für Zeiten verliehen werden, in denen die Rentenversicherung ein Versicherungsrisiko getragen und eine beamtenähnliche Versorgungsanwartschaft aus einer „ex ante“ Betrachtung heraus tatsächlich nicht bestanden hat (Fichte in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 4/2014, § 5 Rn. 162; Segebrecht in: Kreikebohm, SGB VI, 4. Auflage, 2013, § 5 Rn. 15; Gürtner in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2016, § 5 SGB VI Rn. 27a). Denn in der streitgegenständlichen Zeit hätte der Kläger aufgrund seiner entrichteten Beiträge hypothetisch Leistungen von der Beigeladenen zu 2) beispielsweise in Form von Arbeitslosengeld oder von der Beigeladenen zu 3) beispielsweise in Form einer Rehamaßnahme erhalten können. Dass dies tatsächlich nicht eingetreten ist, ist nicht maßgeblich, es kommt vielmehr darauf an, dass der Kläger in jenem Zeitraum tatsächlich diesen Versicherungsschutz innehatte.
Dass der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum noch keine beamtenähnliche Versorgungsanwartschaft besaß, ergibt sich auch aus den Urteilen des BAG vom 15.05.2012 (u.a. Az. 3 AZR 610/11). Das BAG stellte in diesen Fällen lediglich einen Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer gegen die Beigeladene zu 1) dahingehend fest, dass diese den Arbeitnehmern den Abschluss eines Versorgungsvertrages anbietet (3 AZR 610/11, Rn. 72, 95). Damit waren die entsprechenden Verträge aber noch nicht zustande gekommen. Hierfür bedurfte es erst eines Angebots durch die Beigeladene zu 1) und die Annahme des Angebots durch den Kläger. Das Angebot datiert vom 02.07.2012, die Annahme erfolgte im Laufe des Monats Juli 2012.
Ebenso wenig kann aus dem Gewährleistungsschreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Finanzen vom 11./24.03.1993 abgeleitet werden, dass der Kläger bereits zum 01.10.2010 eine beamtenähnliche Versorgungsanwartschaft besaß. Zum einen enthält dieses Schreiben keine Aussage zur Frage des Zeitpunkts des Eintritts der Versicherungsfreiheit im Fall einer vereinbarten rückwirkenden Versorgungszusage. Zum anderen besaß das Ministerium nach Einführung des § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI keine Zuständigkeit (mehr), den Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungsfreiheit zu bestimmen (vgl. Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 5 Rn. 158).
Dieses Ergebnis findet auch eine Stütze in § 230 Abs. 5 SGB VI. Danach ist § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI nur dann nicht anzuwenden, wenn vor dem 1. Februar 2002 aufgrund einer Entscheidung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 SGB VI bereits Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB VI vorlag. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Im Bereich der Arbeitslosenversicherung sind gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III Personen in einer Beschäftigung als Beamtin, Beamter, Richterin, Richter, Soldatin auf Zeit, Soldat auf Zeit, Berufssoldatin oder Berufssoldat der Bundeswehr sowie als sonstige Beschäftigte oder sonstiger Beschäftigter des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde, einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, Anstalt, Stiftung oder eines Verbandes öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder deren Spitzenverbänden versicherungsfrei, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Eine § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI vergleichbare Vorschrift kennt das SGB III nicht. Aufgrund der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI entsteht die Versicherungsfreiheit jedoch auch hier erst von Beginn des Monats an, in dem die Zusicherung der Ansprüche auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Unfallfürsorge im Krankheitsfall in entsprechender Anwendung der jeweils für die bayerischen Staatsbeamten geltenden Regelungen vertraglich erfolgt, hier also ab 01.07.2012.
Da die Versicherungsfreiheit des Klägers in der Renten- und Arbeitslosenversicherung erst zum 01.07.2012 eintrat, wurden die Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Recht abgeführt. Die Berufung ist deshalb vollumfänglich zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

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