Arbeitsrecht

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel – Tarifsukzession – Tarifpluralität – ergänzende Vertragsauslegung – Chefarztvergütung

Aktenzeichen  5 AZR 498/09

Datum:
9.6.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 242 BGB
§ 305 Abs 1 S 1 BGB
§ 1 Abs 1 TVG
Art 3 Abs 1 GG
§ 2 Abs 1 S 1 TVÜ-VKA
§ 4 Abs 1 S 1 TVÜ-VKA
§ 17 Abs 2 TVÜ-VKA
§ 19 Abs 2 TVÜ-VKA
Anl 1 Entgeltgr 15Ü TVÜ-VKA
§ 16 Buchst d TV-Ärzte/VKA
§ 1 Abs 2 TV-Ärzte/VKA
§ 51 Abs 1 S 1 TVöD BT-K
§ 51 Abs 3 TVöD BT-K
Anl 1a Teil I VergGr I BAT
§ 3 Buchst i BAT
§ 2 Abs 1 S 1 TVÜ-Ärzte/VKA
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Hannover, 18. Juni 2008, Az: 8 Ca 141/08, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 30. Juni 2009, Az: 13 Sa 1277/08 E, Urteil

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. Juni 2009 – 13 Sa 1277/08 E – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung nach dem zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) zuzüglich eines Aufschlags von 15 % beanspruchen kann.
2
Die Beklagte betreibt eine Klinik. Der 1953 geborene Kläger ist bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der Landeshauptstadt Hannover, seit 1. Januar 1995 als Chefarzt der Urologischen Klinik des Krankenhauses S beschäftigt.
3
Im Arbeitsvertrag vom 31. Dezember 1994 vereinbarten die Parteien ua.:
        
„§ 1   
        
Vertragsverhältnis
        
…     
        
        
(2)     
Soweit im Vertrag nichts anderes bestimmt ist, richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den ihn ergänzenden tariflichen Vorschriften, den Dienstanweisungen für die städtischen Krankenanstalten und den sonstigen für Angestellte der Stadtverwaltung bestehenden allgemeinverbindlichen Anordnungen; es gilt die jeweils gültige Fassung.
        
(3)     
Es gelten jedoch nicht die folgenden Bestimmungen des BAT:
        
        
        
        
1.    
§§ 1 bis 3
Geltungsbereich
        
        
2.    
§ 5     
Probezeit
        
        
3.    
§ 11   
Nebentätigkeit
        
        
4.    
§ 12   
Versetzung, Abordnung, Zuweisung
        
        
5.    
§§ 15 bis 17, 35
Arbeitszeit, Überstunden und Zeitzuschläge
        
        
6.    
§§ 22 bis 25
Eingruppierung
        
        
7.    
§§ 33, 33 a
Zulagen
        
        
8.    
§§ 47, 48
Erholungsurlaub
        
        
9.    
§§ 53, 55
Kündigung
        
        
10.     
§ 56   
Ausgleichszulage
        
        
11.     
§§ 65, 67 bis 69
Besondere Vorschriften
        
        
12.     
§§ 71 bis 74
Übergangs- und Schlußvor-schriften
        
        
13.     
Anlage 2 c
Sonderregelungen für Ärzte und Zahnärzte
        
…     
        
§ 8     
        
Bezüge im dienstlichen Aufgabenbereich undEinräumung des Liquidationsrechts
        
(1)     
Der Chefarzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich (§§ 3 und 4) zugleich als Abgeltung evtl. Mehrarbeit – auch von Samstags-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit jeder Art sowie von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – folgende monatliche Vergütung:
        
        
Grundvergütung
8.239,12 DM
        
        
        
Ortszuschlag
1.013,82 DM
        
        
        
zusammen
9.252,94 DM.
        
        
        
Dieser Betrag verringert sich um die gesetzlichen Abzüge.
        
        
Die Grundvergütung ändert sich im gleichen prozentualen Verhältnis und vom gleichen Zeitpunkt an wie die Endgrundvergütung der Vergütungsgruppe I BAT für den kommunalen Bereich.
        
…     
        
        
(4)     
Der Chefarzt erhält in jedem Kalenderjahr in analoger Anwendung der Bestimmungen
        
        
a)    
des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte eine Sonderzuwendung
        
        
b)    
des Tarifvertrages über ein Urlaubsgeld für Angestellte den danach zu zahlenden Betrag.
        
(5)     
Der Chefarzt ist berechtigt, für die von ihm oder unter seiner Verantwortung ausgeführte ärztliche Behandlung stationär kranker Patientinnen/Patienten zu liquidieren, die die ärztliche Leistung als Wahlleistung nach den Bestimmungen der Bundespflegesatzverordnung mit dem Krankenhaus vereinbart haben. Von den Einnahmen aus diesem Recht führt der Chefarzt Anteile nach § 10 des Vertrages ab. Die Vertragsparteien sind sich einig, daß das Liquidationsrecht des Chefarztes den jeweiligen Regelungen der Bundespflegesatzverordnung, der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und anderer gesetzlicher Vorschriften unterliegt.
        
…“   
        
4
Bei den in § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags aufgeführten Beträgen handelt es sich um die am 31. Dezember 1994 geltende tarifliche Grundvergütung nach Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT. Der Ortszuschlag entspricht in seiner Höhe dem damaligen tariflichen Anspruch nach Stufe 1,5. Die Beklagte hat während der Geltung des BAT im kommunalen öffentlichen Dienst Grundvergütung und Ortszuschlag entsprechend den tariflichen Entgelterhöhungen gewährt und familiäre Veränderungen im Ortszuschlag umgesetzt (zuletzt nach Stufe 2). Der Kläger wurde für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich faktisch bezahlt wie ein verheirateter Angestellter nach Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT und erhielt vom 1. August 2006 bis zum 30. Juni 2007 monatlich 5.700,30 Euro brutto.
5
Mit Schreiben vom 25. Januar 2007 machte der Kläger rückwirkend ab August 2006 Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA zuzüglich eines Aufschlags von 15 % geltend.
6
Mit seiner Klage hat der Kläger für den Zeitraum August 2006 bis Juni 2007 die Differenz zwischen der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA zuzüglich eines Aufschlags von 15 % iHv. insgesamt 7.475,00 Euro brutto monatlich und den erhaltenen 5.700,30 Euro brutto sowie die Feststellung begehrt, dass sich seine Vergütung nach der jeweiligen Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA zuzüglich 15 % berechnet. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, durch den Wegfall des BAT sei in seinem Arbeitsvertrag eine Regelungslücke entstanden. Maßgebender Nachfolgetarifvertrag sei der TV-Ärzte/VKA. Nach den Eingruppierungsregelungen des BAT seien Oberärzte in die Vergütungsgruppe Ia eingruppiert gewesen, so dass die Vereinbarung der Vergütungsgruppe I im Vergleich zum Gehalt der unterstellten Oberärzte eine um 15 % höhere Vergütung bedeutet habe. Diese Vergütungsdifferenz sei im Rahmen der Tarifumstellung fortzuschreiben. Da er an Tarifsteigerungen teilhaben sollte, stehe ihm zumindest die prozentuale Erhöhung der Vergütung nach Vergütungsgruppe Ia BAT zu Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA um 25,63 % und damit ein monatlicher Differenzbetrag iHv. 1.460,98 Euro brutto zu.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
1.    
festzustellen, dass sich die Vergütung des Klägers als Chefarzt der Urologischen Klinik des Krankenhauses S gemäß § 8 Abs. 1 des Dienstvertrags ab dem 1. Juli 2007 nach der jeweiligen Entgeltgruppe IV des Tarifvertrags für die Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) zzgl. 15 % berechnet;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19.521,70 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus jeweils 1.774,70 Euro nach bestimmter zeitlicher Staffelung zu zahlen;
        
3.    
hilfsweise,
        
        
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 16.070,78 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus jeweils 1.460,98 Euro nach bestimmter zeitlicher Staffelung zu zahlen.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Entgeltansprüche des Klägers seien einzelvertraglich geregelt, eine Eingruppierung nach dem TV-Ärzte/VKA komme nicht in Betracht. Nach der Ersetzung des BAT durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (im Folgenden: TVöD) könne die Anpassungsklausel allenfalls dahingehend ausgelegt werden, dass eine Anpassung entsprechend der Endgrundvergütung des TVöD für den kommunalen Bereich erfolge. Eine Anspruchsgrundlage für einen 15%igen Zuschlag sei im Übrigen nicht erkennbar.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

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