Aktenzeichen B 5 K 18.229
BayBhV § 15 S. 2
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der kieferorthopädischen Rechnung vom 28.09.2017, folglich kann ihn deren Ablehnung durch Bescheid vom 12.10.2017 und Widerspruchsbescheid vom 12.02.2018 auch nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte hat die kieferorthopädischen Maßnahmen vielmehr zu Recht als nicht beihilfefähig eingeordnet.
1. Die Einzelheiten der Beihilfegewährung gemäß Art. 96 des Bayerischen Beamtengesetzes – BayBG – sind in der Bayerischen Beihilfeverordnung geregelt. Maßgeblich ist hier die Fassung vom 02.01.2007 (GVBl S. 15; BayRS 2030-2-27-F), zuletzt geändert durch die Verordnungen zur Änderung der Bayerischen Beihilfeverordnung vom 11.03.2011 (GVBl S. 130) und vom 12.10.2018 (GVBl. S. 794). Beihilferechtliche Streitigkeiten sind grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird, zu beurteilen (BVerwG, U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12), wobei sich durch die Änderungsverordnung vom 12.10.2018 für das vorliegende Verfahren keine abweichende rechtliche Bewertung ergibt.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), der Höhe nach angemessen (Nr. 2) sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
Hinsichtlich der Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen bestimmt § 15 Satz 2 BayBhV, dass diese, wenn die behandelte Person das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat (§ 15 Satz 1 Nr. 2 BayBhV), beihilfefähig sind bei schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordern (§ 15 Satz 2 Nr. 1 BayBhV), sowie in besonderen Ausnahmefällen, wenn nach einem zahnärztlichen Gutachten (§ 48 Abs. 7 BayBhV) eine alleinige kieferorthopädische Behandlung medizinisch ausreichend ist (§ 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV).
Die Stellungnahmen des Beraterarztes besagen eindeutig, dass eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung beim Kläger nicht erforderlich war. Hierunter wäre eine interdisziplinäre kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung im Sinne einer basalen Harmonisierung durch Umstellung eines oder beider Kiefer zu verstehen. Nach den Ausführungen des Beraterarztes handele es sich bei den am Kläger geplanten bzw. inzwischen durchgeführten Maßnahmen um eine präprothetische Behandlung. Die kieferorthopädischen Maßnahmen seien nicht nachvollziehbar und versprächen keinen Erfolg. Da die stark abradierten Unterkiefer-Eckzähne und – Schneidezähne in Adhäsiv-Technik aufgebaut werden sollten, diese Rekonstruktion auch im ursprünglichen Zustand möglich gewesen wäre, erschließe sich die medizinische Notwendigkeit für die „präprothetische“ kieferorthopädische Ausrundung nicht, zumal die Nivellierung im Unterkiefer und die vorgesehene Bisshebung – wie der Modellbefund zeige – auf prothetischem Wege erreicht worden seien.
Ein besonderer Ausnahmefall i.S.v. § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV lag beim Kläger nicht vor. Dieser setzt nach der Systematik der Norm eine schwere Kieferanomalie voraus, die aber gerade nicht gegeben war.
§ 15 Satz 2 BayBhV ist so strukturiert, dass beide Alternativen einer Ausnahme von der Altersbegrenzung nach § 15 Satz 1 Nr. 2 BayBhV nur bei Vorliegen einer schweren Kieferanomalie einschlägig sind. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist nämlich nicht nur in Nr. 1 genannt, sondern wurde in Satz 2 „vor die Klammer gezogen“, so dass § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV nur schwere Ausnahmefälle einer schweren Kieferanomalie, aber keine sonstigen kieferorthopädischen Krankheitsbilder unterhalb dieser Schwelle erfasst.
Eine schwere Kieferanomalie ist beim Kläger nicht feststellbar.
Der Begriff der schweren Kieferanomalie ist in den Beihilfevorschriften selbst nicht näher definiert. Es kann aber auf die Krankheitsbilder zurückgegriffen werden, bei denen auch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausdrücklich eine Ausnahme vorgesehen ist. (s. Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 4., A III, § 6 (5)). Darunter fallen zum einen angeborene Missbildungen des Gesichts und der Kiefer und angeborene oder durch Unfall verursachte skelettale Kieferfehlstellungen, wie Progenie, Mikrogenie, Formen des skelettal offenen Bisses bzw. tiefen Bisses oder ausgeprägte skelettal bedingte Unterschiede der Zahnbogen- oder Kieferbreite. Schwere Kieferanomalien sind nach obergerichtlicher Rechtsprechung nicht schon bei jeder fehlerhaften Stellung oder Lagebeziehung der Zähne im Kiefer gegeben. Hierunter versteht man vielmehr angeborene Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, schwere skelettale Dysgnathien und verletzungsbedingte Kieferfehlstellungen (OVG NRW, B.v. 1.2.2010 – 3 A 2979/07 – juris Rn. 12).
Der Kläger litt unstreitig nicht an einer durch Unfall verursachten Kieferfehlstellung. Auch eine angeborene oder sonst erworbene schwere Anomalie des Kiefers bestand beim Kläger nach den Stellungnahmen des Beraterarztes nicht. Die Ausführungen des Beraterarztes sind für die erkennende Kammer schlüssig und nachvollziehbar. Sie werden von der Klägerseite auch nicht substantiiert in Frage gestellt. Vielmehr erschöpft sich der klägerische Vortrag im gerichtlichen Verfahren in einem Verweis auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorliegenden Ausführungen des … Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den umfangreichen beratungsärztlichen Stellungnahmen erfolgte nicht, obgleich der Beraterarzt bei der Abfassung seiner Stellungnahmen die von Klägerseite eingereichten ärztlichen Ausführungen seiner Behandler bereits berücksichtigt und gewürdigt hat. Damit ist mit dem Beraterarzt davon auszugehen, dass eine Kieferfehlstellung im oben genannten Sinne beim Kläger nicht vorliegt bzw. vorlag. Vielmehr handelt(e) es sich um ein stark reduziertes und umfangreich versorgtes Abrasionsgebiss. Die begehrten Maßnahmen stellen eine präprothetische Behandlung dar. Kieferorthopädische Maßnahmen sind beim Kläger entsprechend der widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des Beraterarztes medizinisch nicht indiziert.
Die Ausnahmevorschrift des § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV ist naturgemäß streng zu handhaben und nicht auf sonstige Fälle einer kieferorthopädischen Erkrankung auszudehnen. Die Ansprüche der Beihilfeberechtigten in Bezug auf zahnärztliche Behandlungen sind in den Beihilfevorschriften umfassend und abschließend geregelt. Die Verwaltungsgerichte können sich nicht über die eindeutige Beschränkung hinwegsetzen und den Beihilfevorschriften gleichwohl Leistungsansprüche des Beihilfeberechtigten entnehmen (BayVGH, B.v. 5.10.2006 – 14 B 04.2997 – juris Rn. 17; a.A. VGH BW, U.v. 2.5.2012 – 2 S 2904/10 – juris Rn. 33 f.). Für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift entgegen deren eindeutigem Wortlaut besteht hier kein Anlass.
Soweit der Klägerbevollmächtigte im Rahmen seiner Klagebegründung im Hinblick auf die divergierenden Einschätzungen des Beraterarztes auf der einen und der behandelnden Ärzte des Klägers auf der anderen Seite, die Einholung eines Sachverständigengutachtens anregt, war dieser Beweiserhebung nicht nachzukommen. Der Beraterarzt hat sich in seinen Stellungnahmen dezidiert mit den Ausführungen der behandelnden Ärzte auseinandergesetzt. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wurden darüber hinaus keine weiteren Anhaltspunkte, die auf das Bestehen einer schweren Kieferanomalie beim Kläger hindeuten würden, vorgetragen. Vor diesem Hintergrund spricht für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Vielmehr erscheint die Beweisanregung „ins Blaue hinein“, d.h. erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage. Auch bestand vorliegend keine Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung über den Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO. Der Klägerbevollmächtigte selbst regte eine Beweiserhebung lediglich an. Darüber hinaus gilt die Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Zwar gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 6.9.2011 – 9 B 48.11 – NVwZ 2012, 376 Rn. 10; U.v. 28.11.1962 – 4 C 113.62 – BVerwGE 15, 176 [176]). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Beweisantrag – wie hier – vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 1 B 15.13 – juris Rn. 7; B.v. 29.3.1979 – 7 B 27.78).
2. Die beim Kläger bestehende Erkrankung mag durchaus behandlungsbedürftig gewesen sein. Da sie aber nicht unter einen der Ausnahmetatbestände des § 15 Satz 2 BayBhV fällt, ist sie von der Beihilfefähigkeit ausgenommen, vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BayBhV. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Mit der Altersbegrenzung ist in typisierender und generalisierender Weise eine angemessene Einschränkung der besonders kostenintensiven Aufwendungen für kieferorthopädische Behandlungen festgelegt worden. Mit der Beschränkung auf Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, trägt die Regelung der Tatsache Rechnung, dass eine rein kieferorthopädische Behandlung in der Regel deutlich mehr Aussicht auf Erfolg bietet, wenn mit ihr zu einem möglichst frühen Lebenszeitpunkt – jedenfalls vor Abschluss des Körperwachstums – begonnen wird, weil zu diesem Zeitpunkt der Kiefer noch besser formbar ist. Ein weiterer Grund für den grundsätzlichen Ausschluss der Übernahme der Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung Erwachsener liegt in der Erwägung, dass eine solche Behandlung bei Erwachsenen häufig nur aus ästhetischen Gründen oder wegen mangelnder zahnmedizinischer Vorsorge in früheren Jahren erfolgt. Die Beihilfevorschriften des Dienstherrn eines Beamten enthalten im Grundsatz eine abschließende Konkretisierung dessen, was der Dienstherr für diesen Rechtsbereich aufgrund seiner Fürsorgepflicht an – den diesbezüglichen Anteil in der Besoldung ergänzenden – Leistungen u. a. in Krankheitsfällen für geboten und angemessen ansieht. Sie sind eine den durchschnittlichen Verhältnissen angepasste Regelung, bei der in Kauf genommen werden muss, dass nicht in jedem Einzelfall eine volle Deckung der Aufwendungen erreicht wird (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 7.8.2013 – 5 LA 95/13 – juris Rn. 7 m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass die Beihilfe als alimentative Fürsorgeleistung lediglich ergänzend zu der zumutbaren Eigenfürsorge des Beamten hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise zu erleichtern. Die Beihilfe muss demnach nicht sicherstellen, dass sämtliche im Zusammenhang mit einer Krankheit auftretenden Kosten berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung der Beihilfe kommt dem Normgeber ein weites Ermessen zu. Er muss mithin nicht jeden Unterschied zum Ansatzpunkt für eine Differenzierung nehmen. Der Beamte muss wegen des ergänzenden Charakters der Beihilfe auch Härten und Nachteile hinnehmen, die sich aus der am Alimentationsgrundsatz orientierten pauschalisierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht ergeben und keine unzumutbare Belastung bedeuten (BVerwG, U.v. 31.1.2002 – 2 C 1/01 – juris Rn. 17; BayVGH B.v. 8.1.2007 – 14 ZB 06.2911 – juris Rn. 13).
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.