Arbeitsrecht

Kostenübernahme für adipositas-chirurgische Operation

Aktenzeichen  S 2 KR 562/15

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 5, § 28 Abs. 1, § 39

 

Leitsatz

Da die adipositas-chirurgischen Maßnahmen eine mittelbare Therapie der Adipositas darstellen, sind Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2015 wird die Beklagte verurteilt, die Kosten für eine minimalinvasive adipositas-chirurgische Operation zu übernehmen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Regensburg (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenübernahme für eine adiopsitas-chirurgische Operation.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Krankenbehandlung umfasst auch die Krankenhausbehandlung (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 39 SGB V). Unter Krankheit ist der regelwidrige vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichende Körper- und Geisteszustand zu verstehen, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit bedingt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 3, ständige Rechtsprechung). Bei der Klägerin liegt eine Adipositas vor. Darunter ist die über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes zu verstehen (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl., S. 29). Zur Messung wird unter anderem der sog. Body-Mass-Index (BMI) herangezogen, bei dessen Ermittlung das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße herangezogen wird (vgl. Pschyrembel, a.a.O., S. 305). Es wird zwischen drei Graden der Adipositas unterschieden. Der Adipositas Grad I reicht von einem BMI von >30 und /gleich 35 und /gleich 40 kg/m². Erfordert die Adipositas eine ärztliche Behandlung, belegt dies zugleich die Regelwidrigkeit des bestehendes Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn (vgl. BSGE 90, 289 ff., 290). Bei der Klägerin liegt präoperativ bei einem BMI von ca. 60 kg/m² unstreitig Krankheitswert vor, mit der Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen.
Die Prüfung und Entscheidung darüber, ob eine im Krankenhaus angewandte Behandlungsmethode nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als wirksam und zweckmäßig einzuschätzen ist und damit dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, obliegt nicht den Krankenkassen oder den Gerichten, sondern gem. § 137c SGB den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA).
Der Gesetzgeber hat hierbei – anders als im ambulanten Bereich – auf einen Erlaubnisvorbehalt für neue Behandlungsmethoden verzichtet. Dies hat wiederum zur Folge, dass im Krankenhaus grundsätzlich auch neuartige Verfahren keiner vorherigen Zulassung bedürfen, sondern zu Lasten der Krankenversicherung angewendet werden können, solange sie nicht vom zuständigen Ausschuss ausgeschlossen sind (vgl. BSGE 90, 289 ff., 294). Dies ist bei der beantragten Maßnahme nicht der Fall.
Davon abgesehen müssen auch Behandlungen im Krankenhaus den in §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V für die gesamte Krankenversicherung festgelegten Qualitätskriterien genügen. Da die adipositas-chirurgischen Maßnahmen eine mittelbare Therapie der Adipositas darstellen, gelten die hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sind gegeneinander abzuwägen (vgl. BSGE 85, 56 ff., 60).
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob diese Voraussetzungen im Falle der Klägerin erfüllt sind. Die therapeutischen Bemühungen der Klägerin, ihr Gewicht zu reduzieren, blieben ohne Erfolg. Zu den Bausteinen der multimodalen Therapie zählen die Komponenten Ernährungs- Bewegungs- und Verhaltenstherapie. In der interdisziplinären S3-Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas (Stand 2014) werden diese Elemente der sog. konservativen Therapie ausführlich beschrieben. Die multimodale Therapie sollte eine wenigstens 6 bis 12-monatige konservative Therapie umfassen, deren Elemente von Frau Dr. E. in ihrem Gutachten auf den Seiten 83 ff. auch aufgeführt werden. Dabei hat sich die Therapie nach den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin, wie etwa dem Vorhandensein von Komorbiditäten, auszurichten. Diese konservativen Therapiemaßnahmen hat die Klägerin nach den überzeugenden Darlegungen von Frau Dr. E. bereits ausgeschöpft, ohne dass eine anhaltende Gewichtsabnahme bei der Klägerin resultierte. Dabei verweist die ärztliche Sachverständige auf das seit März 2015 durchgeführte multimodale Adipositasprogramm unter ärztlicher Betreuung von Frau Dr. M.. Es ist Frau Dr. E. zuzustimmen, wenn sie bezüglich der Bewegungstherapie die Alltagsaktivitäten der Klägerin in ihre Beurteilung einbezieht.
Unabhängig von dieser durchgeführten präoperativen konservativen Therapie, liegt bei der Klägerin zudem eine primäre Indikation für eine adipositas-chirurgische Maßnahme vor.
Frau Dr. E. verweist zutreffend auf die S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“, welche für die primäre Indikation einen BMI von >50 kg/m² voraussetzt. Die Maßnahme stellt bei der Klägerin eine Ultima Ratio dar, wie bereits Herr Dr. D. vom Krankenhaus in A-Stadt dargelegt hat.
Es liegen auch keine Kontraindikationen vor. Von psychischer Seite ist insbesondere auf die Beurteilung der Frau Dipl.-Psych. W. vom Krankenhaus in A-Stadt zu verweisen. Zudem wird das Operationsrisiko von der ärztlichen Sachverständigen Frau Dr. E. für tolerabel eingeschätzt. Die Klägerin ist – nicht zuletzt durch die behandelnden Ärzte, insbes. Frau Dr. M. – umfassend informiert. Die notwendige ärztliche postoperative Begleitung der Klägerin ist sichergestellt. Somit sind die Voraussetzungen für die beantragte Maßnahme erfüllt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

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