Arbeitsrecht

Krankenrückkehrgespräch

Aktenzeichen  11 BV 1/19

Datum:
26.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55174
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 5 Abs. 3,§ 87 Abs. 1
ArbGG  § 2 a Abs. 1 Nr. 1, § 61 Abs. 1, § 82 Abs.2
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Ein Globalantrag liegt vor, wenn damit für alle künftig denkbaren Fallkonstellationen (hier: von sämtlichen Gesprächen mit irgendwann einmal arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeitern, die die vorgenannten Kriterien erfüllen) eine konkrete Unterlassung (nämlich dieser Gespräche) verlangt wird. Umfasst der Globalantrag nur eine Fallkonstellation, in der der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, ist er hinsichtlich seiner Bestimmtheit zwar zulässig, dafür aber in der Sache unbegründet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

A.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechts des antragstellenden Betriebsrates im Hinblick auf die Durchführung von Fürsorge- /Krankengesprächen.
Der Beteiligte zu 2) ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein mit Hauptverwaltung in Neu-Isenburg. Er ist ein bundesweit tätiger Anbieter der ambulanten Dialyse. Nierenkranke Patienten erhalten in den ambulanten Einrichtungen (sogenannte Nierenzentren) eine überlebenswichtige Dialyse (Blutwäsche). Der Beteiligte zu 2) betreibt u.a. in Aschaffenburg ein solches Nierenzentrum. Der Beteiligte zu 1) ist der im Nierenzentrum Aschaffenburg gebildete dreiköpfige Betriebsrat. Es gibt noch weitere Nierenzentren an über 200 Standorten in Deutschland mit eigenen Betriebsräten. Beim Beteiligten zu 2) existiert daher auch ein Gesamtbetriebsrat sowie ein Konzernbetriebsrat. Im Nierenzentrum in Aschaffenburg arbeiten derzeit 44 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Am 6. Februar 2019 führten die Verwaltungsleiterin des Betriebes in Aschaffenburg, Frau S. und ein Mitarbeiter der Personalabteilung, Herr W. im Zeitraum von 9.30 Uhr bis 13.20 Uhr mit sechs Arbeitnehmer(inne) n sogenannte „Fürsorgegespräche“. Die hierzu erstellten Einladungen waren weitgehend gleichen Inhalts. Die Vorsitzende des Antragstellers, Frau K., nahm an vier dieser Gespräche teil. Am 11. März 2019 führte Frau S. erneut ein Fürsorgegespräch mit einer Arbeitnehmerin aus dem Bereich Hauswirtschaft. Mit Emails vom 4. und 5. Februar 2019 rügte der Antragsteller eine fehlende Beteiligung nach § 87 Abs. 1 BetrVG. Insgesamt handelte es sich um sieben Gespräche. Es ist unstreitig, dass grundsätzlich das Vorliegen von Krankheitstagen der Grund für die geführten Gespräche war.
Der Antragsteller ist der Auffassung, ihm stehe ein Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu. Danach habe der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Mitarbeiter im Betrieb mitzubestimmen. Bei der Durchführung von Krankenrückkehrgesprächen stehe dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu, da es sich bei den Gesprächen um Fragen der Ordnung des Betriebes handele. Bei den durchgeführten sogenannten Fürsorgegesprächen handele es sich in Wirklichkeit um Krankenrückkehrgespräche. Die Gespräche seien in formalisierter Art und Weise durchgeführt und die Teilnehmer der Gespräche nach abstrakten Kriterien ermittelt worden. Ziel der Gespräche sei es gewesen, dass der Beteiligte zu 2) Informationen über Krankheitsursachen erhalte, die sowohl zur Beseitigung arbeitsplatzspezifischer Einflüsse wie auch zur Vorbereitung von Kündigungen dienen könnten. Es handele sich bei der Aktion vom 06. Februar 2019 um eine betriebliche Aufklärungsaktion zur Klärung der Ursachen längerer Fehlzeiten. Mit Einladung zu den Fürsorgegesprächen wurden die Arbeitnehmer aufgefordert, an der Aufklärung mitzuwirken. Dabei erfüllten sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Dieser Bereich sei dem Ordnungsverhalten zuzurechnen. Insbesondere zeige die generalisierende Art und Weise der Durchführung der Gespräche, dass keine mitbestimmungsfreie Individualmaßnahme vorliege. Es bestehe auch eine Wiederholungsgefahr, da der Beteiligte zu 2) Fürsorgespräche durchgeführt habe, obwohl die Antragstellerin ausdrücklich ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG reklamiert habe. Eine vorsätzliche Wiederholung der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme zeige die Wiederholungsgefahr.
Nach Auffassung der Antragstellerin wurden diejenigen Arbeitnehmer(innen) eingeladen, die im Jahr 2018 Fehlzeiten von 9 bis 53 Krankheitstagen aufwiesen. Nach Angaben der Antragstellerseite stellten Frau S. und Herr W. allen Arbeitnehmern nach einem einheitlichen Schema folgende Fragen: sie sprachen sie zunächst auf die Anzahl der Fehl- und Krankheitstage an, fragten dann die drei Lagerkräfte, ob ihre Tätigkeit zu anstrengend sei oder ob sie Nebentätigkeiten nachgingen und ob eine arbeitgeberseitige Unterstützung nötig sei. Die so durchgeführten Gespräche seien mitbestimmungspflichtig.
Der Antragsteller stellte zuletzt folgende Anträge:
1. der Beteiligten zu 2) aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Antragstellers oder ohne, dass die Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde, formalisierte Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern zu führen, in denen sie Fehl- und Krankheitstage benennt und nach den jeweiligen Erkrankungen, eventueller Überlastung bei der Arbeit und Unterstützungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber fragt;
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.) wird der Beteiligten zu 2) aufgegeben, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Antragstellers oder ohne, dass die Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde, aus eigenem Anlass Gespräche mit systematisch organisierten Fragen mit Arbeitnehmern, die krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen, zu führen, in denen die Beteiligte zu 2) jeweils die Anzahl der Krankheitstage benennt, nach den jeweiligen Symptomen oder Diagnosen fragt und fragt, ob die Arbeit anstrengend sei, nach eventueller Überlastung bei der Arbeit und/oder Unterstützung durch die Beteiligte zu 2) fragt;
2. der Beteiligten zu 2) zu untersagen, die anlässlich ihrer am 6. Februar 2019 und 11. März 2019 stattgefundenen Befragung in Form der sorgenannten Fürsorgegespräche über den Gesundheitszustand von Arbeitnehmern gewonnenen Erkenntnisse individualrechtlich zu verwenden;
3. der Beteiligten zu 2) für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung gemäß Ziffer 1 und 2 ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 EUR anzudrohen.
Der Beteiligte zu 2) beantragte
die Anträge abzuweisen.
Der Beteiligte zu 2) bestreitet, dass es formalisierte Fürsorgegespräche gegeben habe. Die durchgeführten Gespräche seien nicht formalisiert gewesen, dem Antrag fehle die Rechtsgrundlage.
Unstreitig fand am 06.02.2019 mit sechs Arbeitnehmer(inne) n ein Gespräch statt. Es handele sich dabei aber um Gespräche mit vereinzelten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, wie sie im üblichen Arbeitsleben vorkämen. Ein allgemein abstraktes Kriterium, das zu einer Einladung zum Fürsorgegespräch geführt habe, gebe es nicht. Bereits der von der Antragstellerin aufgezeigte Korridor von neun bis 53 Krankheitstagen zeige, dass es sich um kein konkret abstraktes Kriterium handeln könne. Der Korridor sei zu weit gefasst, im Übrigen nicht richtig. Konkret wiesen die angeschriebenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen folgende Krankheitstage auf:
– A. B., 19 Krankheitstage im Jahr 2019 sowie 46 Krankheitstage im Jahr 2018 sowie 7 Krankheitstage im Jahr 2017,
– M. F., 53 Krankheitstage im Jahr 2018 und 4 Krankheitstage im Jahr 2017,
– G. K., 102 Krankheitstage im Jahr 2018 sowie 135 Krankheitstage im Jahr 2017,
– C. O., 18 Krankheitstage im Jahr 2018 und 15 Krankheitstage im Jahr 2017,
– M. R., 20 Krankheitstage im Jahr 2018 und 6 Krankheitstage im Jahr 2017 und
– S. S., 14 Krankheitstage im Jahr 2018 sowie 15 Krankheitstage im Jahr 2017.
Dies zeige, dass sich ein wie auch immer geartetes Schema nicht erkennen lasse. Hinzu komme, dass auch andere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Krankheitstage in ähnlicher Höhe aufweisen, gleichwohl nicht zu derartigen Gesprächen eingeladen wurden, so beispielsweise
– Herr H.-J.M., 2018 insgesamt 43 Krankheitstage,
– S. S., im Jahr 2019 durchgehend arbeitsunfähig,
– B. W., 177 Krankheitstage in 2018,
– M. S., 212 Krankheitstage in 2018 – T. W., 190 Krankheitstage in 2018,
– A. L.-R., 106 Krankheitstage in 2018.
Die Einladungen zu den Gesprächen datierten vom 24.01.19 und 19.01.19. Dass es sich um keine Krankenrückgespräche handele, zeige sich bereits daran, dass an diesen Daten Frau A. B. beispielsweise noch krankgeschrieben war und eine Rückkehr nicht absehbar war. Frau M. F. sei zuletzt am 01.12.18 arbeitsunfähig erkrankt, so dass bei der Einladung Ende Januar 2019 nicht von einem Rückkehrgespräch die Rede sein könne. Frau G. K. sei zuletzt am 04.08.2018 erkrankt, Herr C. O. nur einen Tag am 09.11.18 und zuvor zuletzt am 15.07.18, Frau M. R. zuletzt am 25.11.18 und Frau S. S. zuletzt am 23.09.18. Daher könne inhaltlich von einem Rückkehrgespräch nicht die Rede sein. Die Gespräche fanden Monate später, teilweise ein halbes Jahr später statt. Auch seien die Gespräche nicht formalisiert gewesen. Die gleichlautenden Einladungsschreiben resultierten aus Gründen der Effizienz. Frau S. und Herr W., die die Gespräche gemeinsam führen wollten, hätten sich terminlich abgestimmt. Herr A. S. habe die Erstellung der Einladungsschreiben übernommen und, da es sich um eine einfache Schreibangelegenheit gehandelt habe, ein einheitliches Einladungsschreiben entworfen.
Der Beteiligte zu 2) rügt die Zulässigkeit des Unterlassungsantrages. Der Arbeitgeber könne hier nicht klar erkennen, was von ihm verlangt werde. Insbesondere sei nicht klar, was konkret formalisierte Fürsorgegespräche sein sollten. Etwaige Streitigkeiten des Erkenntnisverfahrens dürften nicht in das Vollstreckungsverfahren unzulässiger Weise verlagert werden. Im Übrigen bestreitet der Beteiligte zu 2) den ordnungsgemäßen Beschluss des Beteiligten zu 1) für die Einleitung des Verfahrens und die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten.
Der Antragsteller erwidert hierauf, dass das allgemein abstrakte Kriterium bei der Auswahl der Arbeitnehmer deren krankheitsbedingte Fehlzeiten sei. Dass es sich dabei um unterschiedlich lange Fehlzeiten handele, sei nicht relevant. Allein die Tatsache, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten zu einem Gespräch führten, stelle ein abstraktes Kriterium dar, nach dem der Beteiligte zu 2) die Arbeitnehmer(innen) auswähle. Die vom Beteiligten zu 2) aufgeführten Arbeitnehmer(innen), die nicht zum Fürsorgegespräch eingeladen worden seien, hätten im Wesentlichen entweder ein BEM-Verfahren bereits durchgeführt, oder ein solches abgelehnt.
– Frau L.-H. hätte bereits 2018 ein BEM durchgeführt,
– Herr W. im Jahr 2019.
– Herr W. und Frau S. lehnten ein Angebot zum BEM-Verfahren ab.
Eine Einladung zum Fürsorgegespräch sei daher überflüssig, weshalb man sie auch nicht zu einem Fürsorgegespräch/Krankenrückkehrgespräch einzuladen brauchte. Die Bezeichnung der Gespräche als Krankenrückkehrgespräche basiere auf der Formulierung von Frau S. im Rahmen der Betriebsversammlung vom 20. Dezember 2018. Es sei wenig glaubwürdig, wenn der Beteiligte zu 2) in der Betriebsversammlung die Gespräche als Krankenrückkehrgespräche bezeichne, auf der Einladung diese mit Fürsorgegespräche tituliere und im Gerichtsverfahren das ganze Personalgespräche nenne. Ein formalisiertes Verfahren läge vor, da alle Einladungen den gleichen Inhalt hätten, da alle Gespräche weitgehend an einem Tag geführt werden sollten und die Gespräche nach einem einheitlichen Schema durchgeführt worden seien. So seien systematisch Daten und Informationen im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Fehlzeiten abgefragt worden. Tatsache sei, dass Frau S. und Herr W. zunächst alle Teilnehmer auf ihre Krankheitstage angesprochen hätten und die Zahl der Tage genannte hätten. Frau K., Frau F. und Frau R., die als Lagerkräfte beschäftigt seien, seien nach deren Tätigkeit gefragt worden und ob sie Nebentätigkeiten ausübten, ob ihre Arbeit zu anstrengend sei und was die Beteiligte zu 2) zur Unterstützung tun könne. Frau S. und Herr W. hätten den Beteiligten weitere Fragen nach deren Erkrankung gestellt. Zwei Teilnehmer nannten daraufhin ihre Diagnosen. Zwei weitere Teilnehmer weigerten sich, ihre Diagnosen zu nennen und seien sodann von Frau S. kritisiert worden bezüglich ihrer mangelnden Mitarbeit.
Der Antragsteller habe am 12. Februar 2019 im Rahmen der Betriebsratssitzung folgenden Beschluss gefasst:
„Der Betriebsrat beschließt in seiner Sitzung am 12. Februar 2019, die Kanzlei Schütte, Lange und Kollegen (Rechtsanwälte …) zu beauftragen, dem Arbeitgeber außergerichtlich und gerichtlich aufzugeben, es zu unterlassen, weitere Fürsorgegespräche mit Arbeitnehmern des Betriebs zu führen und beauftragt die Kanzlei mit der rechtlichen Beratung des Betriebsrates zu einer Betriebsvereinbarung wegen Fürsorgegesprächen.
Die Kosten trägt der Arbeitgeber.“
Die Beschlussfassung sei mit drei Ja-Stimmen erfolgt. Der Antragsteller legt das Protokoll und den Beschluss zur Sitzung am 12. Februar 2019 in Kopie vor (Bl. 299 ff., 302 d.A.).
Der Auszug aus dem Einladungsschreiben für die Sitzung am 12.02.2019 nebst Tagesordnung laute: …“2.4 Beschlussfassung-Fürsorgegespräche.“ (Bl. 298 d.A.) Die Einladung zur Betriebsratssitzung sei am 06. Februar 2019 erfolgt (Bl. 80 f. d.A.).
Ein Mitbestimmungsrecht bestehe entsprechend der Entscheidung des LAG München vom 13. Februar 2014 – 3 Ta BV 84/13. Es handele sich vorliegend auch um Krankenrückkehrgespräche, da die Mitarbeiter des Beteiligten zu 2) Fragen zur Krankheit stellten, auf die Zahl der Krankheitstage hinwiesen und die mangelnde Mitarbeit kritisierten, sofern die Arbeitnehmer ihre Diagnosen nicht nannten. Es handele sich um Maßnahmen, die geeignet seien, dass Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren. Die Frage nach Krankheiten beträfen das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer, was zu einer hohen Schutzwürdigkeit führe. Die Mitbestimmungspflichtigkeit der hier zu beurteilenden Gespräche ergebe sich aus der Art ihrer Durchführung. Wegen des formalisierten Ablaufs der Einladung, der Auswahl der Arbeitnehmer nach dem abstrakten Merkmal der krankheitsbedingten Fehlzeit, der einheitlichen Terminierung der Gespräche und des Inhalts, stelle sich für alle Arbeitnehmer des Beteiligten zu 2) die Frage, wie sie mit dieser Art Gespräche umgehen sollten. Es liege ein kollektiver Tatbestand vor, denn jeder Arbeitnehmer mit Krankheitszeiten hätte zu einem Gespräch über Krankheiten eingeladen werden können. Zudem habe Frau S. die Lagerarbeiter nach ihrer Arbeit befragt und ob Unterstützung durch den Arbeitgeber erforderlich sei. Ziel des Beteiligten zu 2) sei es gewesen, durch die Gespräche Informationen über Krankheitsursachen zu erhalten, die sowohl zur Beseitigung arbeitsplatzspezifischer Einflüsse als auch zur Vorbereitung individualrechtlicher Maßnahmen bis zur Kündigung dienen könnten. Auf eine tatsächliche Rückkehr zum Arbeitsplatz in zeitnahem Zusammenhang mit der Durchführung des Gespräches komme es nicht an.
Der Beteiligte zu 2) erwidert wie folgt: eine abstrakte Auswahl bei der Regelung, wer zum Fürsorgespräche eingeladen werde, gebe es nicht. Mangels eines kollektiven Tatbestandes könne es vorliegend auch kein Mitbestimmungsrecht geben, welches verletzt werden hätte können. Ziel des Beteiligten zu 1) sei es, zu verhindern, dass der Beteiligte zu 2) als Arbeitgeber sich um seine Beschäftigten kümmere, wenn er der Ansicht sei, ein Gespräch wäre als Hilfsangebot sinnvoll. Der Beteiligte zu 2) legt für jeden Arbeitnehmer anonymisierte Anwesenheitsübersichten für die Jahre 2016, 2017 und 2018 vor. Daraus sei zu ersehen, dass nahezu alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über Krankheitstage in unterschiedlicher Höhe verfügten. Der Inhalt der Gespräche unterscheide sich, je nachdem ob die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu Aussagen bereit wären oder nicht. Während die Gespräche mit Frau F. und Frau K. nur wenige Minuten dauerten, habe das Gespräch mit Herrn O. 25 Minuten, das Gespräch mit Frau R. wiederum nur 7 bis 10 Minuten und das Gespräch mit Frau S. ca. eine Viertelstunde gedauert. Das Gespräch mit Frau B. am 11.03. habe wiederum nur wenige Minuten gedauert.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
B.
Der Anträge sind teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig waren sind sie unbegründet.
I.
Der Antrag zu 1) ist – nach Auslegung – zulässig. Die Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrates und der Arbeitgeberin stehen außer Frage. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen und das Beschlussverfahren als zutreffende Verfahrensart ergeben sich aus § 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg folgt aus § 82 ArbGG.
Das vorliegende Beschlussverfahren ist jedoch nur teilweise ordnungsgemäß durch die Antragstellervertreter mit Antragsschrift vom 13.03.19 bei Gericht eingegangen am 14.03.19 eingeleitet worden.
So hat der Beteiligte zu 2) in der Antragserwiderung das Vorliegen eines wirksamen Beschlusses des Betriebsrates zur Beauftragung der Verfahrensbevollmächtigten sowie zur Einleitung des Beschlussverfahrens gerügt. Dem Sachvortrag des Antragstellervertreters ist er im letzten Schriftsatz nicht mehr entgegengetreten. Nach Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Einladung zur Sitzung am 12.02.2019 ordnungsgemäß mit Schreiben vom 06.02.2019 erfolgte. Das Protokoll lässt erkennen, dass eine einstimmige Beschlussfassung bezüglich der Beauftragung des Antragstellervertreters erfolgte, allerdings nur im Hinblick auf den Antrag Ziffer 1) und dessen Hilfsantrag. Ein dem Antrag Ziffer 2) entsprechendes Begehren wurde weder in der Tagesordnung formuliert, noch als Beschluss gefasst. Insofern ist im Blick auf Ziffer 2) der Anträge das Verfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden.
In Hinblick auf den Unterlassungsantrag zu 1) ist durch Auslegung zu ermitteln, welches Rechtschutzziel der Antragsteller verfolgt. Vor diesem Hintergrund sind die gestellten Anträge unter Ziffer 1) als zulässig anzusehen, da im Antrag selbst benannt ist, um welche Form von Gesprächen es geht. Grundsätzlich ist das Gericht gehalten, eine entsprechende Auslegung des Antrags vorzunehmen, wenn hierdurch eine vom Antragsteller erkennbar erstrebte Sachentscheidung ermöglicht wird. Gleichwohl ist dem Beteiligten zu 2) zuzugestehen, dass die Prüfung, welche Maßnahmen der Schuldner konkret zu unterlassen hat nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden darf. Vorliegend geht es um das Unterlassen von „formalisierten Fürsorgegesprächen mit Mitarbeitern“, die sich dadurch auszeichnen und somit konkretisiert werden als in ihnen
– Fehl- und Krankheitstage von Mitarbeitern benannt werden,
– nach den jeweiligen Erkrankungen,
– eventueller Überlastung bei der Arbeit und
– Unterstützungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber gefragt wird.
Der Antrag ist also dahingehend zu verstehen, dass der Antragsgegner alle einem einheitlichen Schema folgenden Gespräche des Arbeitgebers mit seinen Mitarbeitern zu unterlassen hat, die o.g. Kriterien kumulativ erfüllen, sofern er sie nicht mit dem Betriebsrat abgestimmt hat oder ein die Zustimmung ersetzender Einigungsstellenspruch vorliegt.
Damit ist der Antrag für die Kammer hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und somit zulässig. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Anträge zu weit gefasst sind, als sogenannte Globalanträge, wenn diese auch einen Sachverhalt umfassen, bei dem ein Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist. Dies ist aber eine Frage der Begründetheit.
II.
Die Anträge unter Ziffer 1) sind unbegründet.
Bei den unter Ziffer 1) formulierten Anträgen handelt es sich um sog. Globalanträge.
Hierunter ist ein Antrag zu verstehen, mit dem für alle künftig denkbaren Fallkonstellationen (hier: von sämtlichen Gesprächen mit irgendwann einmal arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeitern, die die vorgenannten Kriterien erfüllen) eine konkrete Unterlassung (nämlich dieser Gespräche) verlangt wird. Umfasst der Globalantrag nur eine Fallkonstellation, in der der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, ist er hinsichtlich seiner Bestimmtheit zwar zulässig, dafür aber in der Sache unbegründet.
Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie keine leitenden Angestellten iSv § 5 Abs. 3 BetrVG erfassen. Wie im Urteilsverfahren ist für die Bestimmung des Antrags im Beschlussverfahren nicht nur dessen Wortlaut maßgebend. Sein Inhalt ist durch Auslegung zu ermitteln. Grundlage für die Auslegung ist das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers unter Berücksichtigung des Vorgangs, der Anlass für den Streit der Beteiligten gegeben hat. Wegen des Erfordernisses der Prozessklarheit darf sich die Auslegung andererseits aber nicht völlig vom Wortlaut entfernen und sich über einen eindeutigen Antrag hinwegsetzen (BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 17/92 m. w. N.).
Es fehlt vorliegend schon an verwertbarem Vortrag, ob beim Beteiligten zu 2) im Nierenzentrum in Aschaffenburg überhaupt leitende Angestellte tätig sind. Soweit man sich vorstellen kann, dass einzelne Beschäftigte dort zum Kreis der leitenden Angestellten gezählt werden könnten, wie etwa die Verwaltungsleiterin S., ist jedenfalls nicht ersichtlich, wer mit ihr am Standort in Aschaffenburg ein solches Fürsorgegespräch führen könnte, so dass diese Konstellation nach Auffassung der Kammer nicht von der vorliegenden Anordnung erfasst wäre.
Der Beteiligte zu 1.) macht in diesem Verfahren Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die von ihm vertretenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geltend. Es bestehen hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 1.) auch zugunsten der leitenden Angestellten, die von ihm nicht vertreten werden, tätig werden wollte. Dementsprechend wäre der Antrag auf das von dem Beteiligten zu 1.) verfolgte Rechtsschutzziel, nämlich die Wahrung der Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die von ihm vertretenen Arbeitnehmer – mit Ausnahme der leitenden Angestellten – zu beschränken gewesen.
Der Antrag zu 1) wie auch dessen Hilfsantrag sind dennoch unbegründet.
Der als Globalantrag formulierte Hauptwie auch Hilfsantrag beinhaltet vorliegend mindestens eine Konstellation, bei der das reklamierte Mitbestimmungsrecht unzweifelhaft nicht gegeben ist. Hinzu kommt eine fehlende Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die Frage nach der Krankheitsursache, da nach Überzeugung der Kammer diese Frage seitens der Beklagten nicht an die Mitarbeiter im Rahmen der Gespräche am 06.02. und 11.03.2019 gestellt wurde. Eine Wiederholungsgefahr setzt zumindest eine einmalige Verletzung eines Mitbestimmungsrechts in einem konkreten betrieblichen Anlassfall voraus. Schließlich fehlt es auch an einer generalisierten Form der Auswahl der Gesprächspartner und der Durchführung der Gespräche.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Dieses fordert ein aufeinander abgestimmtes Verhalten. Dazu dienen sämtliche verbindliche Verhaltensregeln sowie unterschiedliche Maßnahmen, die geeignet sind, dass Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, den Arbeitnehmern eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens zu gewähren. Von dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten ist das reine Arbeitsverhalten zu unterscheiden. Dieses betrifft alle Regeln und Weisungen, die bei der unmittelbaren Erbringung der Arbeitsleistung selbst zu beachten sind. Das Arbeitsverhalten wird berührt, wenn der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leitungsmacht näher bestimmt, welche Arbeiten in welcher Weise auszuführen sind. Nicht mitbestimmungspflichtig sind danach Anordnungen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird (BAG vom 8.11.1994, 1 ABR 22/94 in Juris). Nach herrschender Meinung (so BAG vom 8.11.1994, 1 ABR 22/94 mit Hinweis auf Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rn. 156 mit weiteren Nachweisen) sind Maßnahmen, die das sogenannte Krankheitsverhalten der Arbeitnehmer beeinflussen sollen, schon allein wegen dieses Ziels generell dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten zuzurechnen. Die Zielsetzung der Beteiligten zu 2) lag unwidersprochen zum einen darin, die Arbeitnehmer aufgrund ihrer Erkrankung im Hinblick auf die konkrete Situation an dem jeweiligen Arbeitsplatz durch etwaige Einzelmaßnahmen zu unterstützen (vorstellbar sind die Anschaffung von Hebehilfen, einem höhenverstellbaren Schreibtisch, Beschränkung der bisher ausgeführten Tätigkeiten auf solche mit weniger Belastung oder ähnlichem). Dies sind aber Maßnahmen, die der Ausgestaltung der konkreten Arbeitspflicht zuzuordnen sind. Ob die Gespräche auch das Ziel hatten, wie der Betriebsrat behauptet, gleichzeitig personenbedingte Kündigungen vorzubereiten, kann dahinstehen, da dies ebenfalls ein Ziel ist, das mitbestimmungsfrei wäre (Raab in NZA 1993, 193 mit Hinweis auf LAGE § 87 BetrVG 1972 – Betriebliche Ordnung – Nr. 8 S.7). Der Antrag ist bereits deshalb unbegründet, da er die Gespräche nicht ausnimmt, die das reine Arbeitsverhalten der Mitarbeiter betreffen. Dass es Gespräche mit kranken Arbeitnehmern gibt, die einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht unterliegen, stellt auch das BAG in seiner Entscheidung vom 08.11.1994 (aaO.) fest.
Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise der Durchführung der Gespräche nicht für einen kollektiven Regelungsgegenstand spricht. Die Gespräche wurden nach Überzeugung der Kammer nicht in einer generalisierenden Art und Weise durchgeführt. Handelt es sich aber schon um keine generelle Regelung, so kommt ein Mitbestimmungsrecht nicht in Frage. So erfolgte weder die Auswahl der Arbeitnehmer noch die Durchführung der Gespräche nach einer abstrakten Regelung. Die Tatsache, dass alle Arbeitnehmer in der Vergangenheit Krankheitszeiten aufweisen, stellt keine abstrakte Regel dar, da nach den vorgelegten Unterlagen nahezu alle Arbeitnehmer im Laufe der vergangenen Kalenderjahre Krankheitszeiten (in unterschiedlicher Höhe) aufweisen. Weshalb genau diese sieben Arbeitnehmer zum Gespräch gebeten wurden, vermag auch die Antragstellerseite nicht zu erklären. Zugegebenermaßen spricht die Bündelung der Gespräche auf zwei einzelne Tage für einen Aktionscharakter der Maßnahme. Auch die gleichgelagerte Einladung könnte auf eine Formalisierung des Verfahrens hindeuten. Allerdings zeichnet sich nach Auffassung der Kammer kein gleichförmiger Ablauf der Gespräche ab, wie von beiden Seiten in der Streitverhandlung geschildert wurde.
Anders als im schriftlichen Sachvortrag räumte die Vorsitzende des Betriebsrates gegenüber der Kammer ein, dass eine konkrete Frage nach der Krankheitsdiagnose nicht gestellt wurde. Auch die Verwaltungsleiterin versicherte glaubhaft, dass sie in keinem Gespräch nach der Ursache der Erkrankung gefragt habe. Ein Unterlassungsantrag, der Gespräche untersagt, die sich u.a. durch die Frage nach den Erkrankungen oder jeweiligen Symptomen oder Diagnosen auszeichnet ist bereits vor diesem Hintergrund unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob die Arbeitgeberin die einzelnen Fehltage zu Beginn des Gespräches berichtete. Unstreitig verliefen alle Gespräche unterschiedlich, mit einer unterschiedlichen Dauer und unterschiedlichem Inhalt. Ein gleichgelagerter Fragenkatalog wurde nicht abgearbeitet. Lediglich der Einleitungssatz war in allen Gesprächen gleich. Ein formalisierter Ablauf in gleicher Weise ist bei den Gesprächen aber gerade nicht erkennbar. Dass die Beklagte konkret nach Krankheiten gefragt hat, ist nicht erwiesen. Der überwiegende Gesprächsablauf bestand darin, den Arbeitnehmern Gelegenheit zu geben, über ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz zu reden. Unstreitig wurde das Angebot unterschiedlich angenommen. Auch bestreitet der Antragsteller nicht, dass manche Gespräche bereits nach wenigen Minuten zu Ende waren. Von einer strukturellen Abarbeitung eines Fragenkatalogs kann demnach nicht ausgegangen werden. So wurde auch nur ein Teil der Arbeitnehmer nach Nebentätigkeiten und möglichen Erleichterungen bei der täglichen Arbeit befragt, wie der Antragsteller selbst vorträgt. Bei den Arbeitnehmern, die mit dem Arbeitgeber über ihre Erkrankung reden wollten, wurde mit dem Arbeitnehmer gemeinsam erörtert, in welchen Bereichen eine Unterstützung zur Erhaltung des körperlichen Wohlbefindens der Arbeitnehmer in Frage käme. Das hier ein faktischer Zwang entstünde, wonach sich die betroffenen Arbeitnehmer gezwungen sähen, die Diagnosen zu benennen und Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, liegt hier gerade nicht vor. Nach unbestrittenen Angaben haben weniger als die Hälfe der Beschäftigten Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht, über eine Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht wurde erst gar nicht gesprochen.
Die Anträge waren aus vorgenannten Gründen abzuweisen.
Im Beschlussverfahren werden keine Gerichtskosten erhoben (§ 2 Absatz II GKG), eine Kostenentscheidung enthält der Beschlusstenor daher nicht. Mit der Gerichtskostenfreiheit entfällt zugleich das Bedürfnis, den zur Berechnung der Gerichtskosten erforderlichen Streitwert festzusetzen. Daher erfolgt im Beschluss – anders als nach § 61 Absatz I ArbGG im Urteilsverfahren – keine Festsetzung des Streitwerts.

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