Aktenzeichen 2 AZR 508/19
§ 111 BetrVG
§ 112 BetrVG
§ 113 BetrVG
§ 1 TVG
§ 554 ZPO
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Berlin, 10. Oktober 2018, Az: 24 Ca 2332/18, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 14. Mai 2019, Az: 11 Sa 2212/18, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird – unter Verwerfung der Anschlussrevision der klagenden Partei als unzulässig – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2019 – 11 Sa 2212/18 – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung der klagenden Partei stattgegeben hat.
2. Die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Oktober 2018 – 24 Ca 2332/18 – wird insgesamt zurückgewiesen.
3. Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über einen Nachteilsausgleich, hilfsweise über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
2
Die klagende Partei war als Mitglied des Kabinenpersonals bei der A PLC & Co. Luftverkehrs KG (Schuldnerin) beschäftigt. Am 1. November 2017 wurde über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Am selben Tag zeigte der Beklagte, der zunächst zum Sachwalter und ab Mitte Januar 2018 zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, dem Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit an.
3
Bei der Schuldnerin war für das im Cockpit tätige Personal auf der Grundlage eines Tarifvertrags eine Personalvertretung Cockpit gebildet. Das in der Kabine tätige Personal wurde durch die Personalvertretung Kabine repräsentiert. Diese war auf der Grundlage des von der Schuldnerin mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) geschlossenen „Tarifvertrags Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der A PLC & Co. Luftverkehrs KG“ vom 7. Juni 2016 errichtet. § 80 Satz 1 TVPV sieht vor, dass die Personalvertretung Kabine über geplante Änderungen des Flugbetriebs rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist; diese sind mit ihr zu beraten. § 83 Abs. 3 iVm. Abs. 1 TVPV regelt die Zahlung eines Nachteilsausgleichs, wenn die Schuldnerin eine geplante Betriebsänderung nach § 80 TVPV durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit der Personalvertretung versucht zu haben (zum weiteren Inhalt des TVPV
sh. BAG 21. Januar 2020 – 1 AZR 149/19 – Rn. 3, BAGE 169, 243).
4
Die Schuldnerin unterrichtete Anfang Oktober 2017 die Personalvertretung Kabine über die geplante Stilllegung ihres Geschäftsbetriebs zum 31. Januar 2018 und bat um Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Ende Oktober 2017 führte die Schuldnerin ihren letzten eigenwirtschaftlichen Flug durch. Vorübergehend erbrachte sie noch im sog. „Wetlease“ Flugleistungen für andere Luftfahrtunternehmen. Ihre – ausnahmslos geleasten – Flugzeuge gab sie sukzessive zurück. Ende November 2017 – nach Abschluss von Interessenausgleichen mit der Personalvertretung Cockpit und dem bei der Schuldnerin gebildeten Gesamtbetriebsrat Boden – kündigte sie den bei ihr beschäftigten Piloten sowie dem Bodenpersonal. Ausgenommen hiervon waren lediglich die Mitarbeiter, zu deren Kündigungen noch Zustimmungen einzuholen waren.
5
Das Arbeitsgericht Berlin wies mit Beschluss vom 21. Dezember 2017 (- 41 BV 13752/17 -) einen Antrag der Schuldnerin nach § 122 Abs. 1 InsO mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es ua. aus, die Schuldnerin habe mit der Durchführung der Betriebsänderung bereits begonnen.
6
Nachdem die Schuldnerin Ende November 2017 die Verhandlungen mit der Personalvertretung Kabine über einen Interessenausgleich nach § 81 TVPV für gescheitert erklärt hatte, leitete sie Anfang Dezember ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein. Die aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs der Verfahrensbeteiligten zu den Regelungsgegenständen „Versuch eines Interessenausgleichs und Abschluss eines Sozialplans“ gebildete Einigungsstelle erklärte sich am 10. Januar 2018 für unzuständig.
7
Der Beklagte kündigte Ende Januar 2018 die Arbeitsverhältnisse der in der Kabine beschäftigten Arbeitnehmer, darunter auch das der klagenden Partei. Mit Ablauf des 31. Januar 2018 endete die Betriebsgenehmigung der Schuldnerin.
8
Der Beklagte zeigte am 30. April 2019 beim Insolvenzgericht Neumasseunzulänglichkeit an. Dieses erließ mit Beschluss vom selben Tag ein Zwangsvollstreckungsverbot für bis zum 30. April 2019 begründete Neumasseverbindlichkeiten.
9
Die klagende Partei hat die Ansicht vertreten, die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses sei unwirksam. Jedenfalls stehe ihr ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu. Sie hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – sinngemäß beantragt
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Januar 2018 nicht aufgelöst worden ist;
2.
hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr einen Nachteilsausgleich als Neumasseverbindlichkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der klagenden Partei dem Feststellungsantrag wegen des Nachteilsausgleichs stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte auch insoweit die Zurückweisung der Berufung. Die klagende Partei verfolgt mit einer Anschlussrevision den Kündigungsschutzantrag als echten Hilfsantrag weiter.
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