Arbeitsrecht

Kündigungsschutzklage – Kurierfahrer

Aktenzeichen  14 Ca 146/20

Datum:
23.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45193
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 389, § 626 Abs. 1
BUrlG § 7 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Ein wichtiger Grund für die ausserordentliche Kündigung des Arbeitnehmers ist gegeben.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser ist bereits in dem offboarding des Arbeitnehmers durch das Unternehmen zu, für welches ausschließlich der aktuelle Arbeitgeber Paketlieferdienste übernimmt. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Parteien war dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 1.422,66 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

I.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a und b ArbGG) und das Arbeitsgericht Nürnberg örtlich zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in A-Stadt hat (§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12, 17 ZPO).
Die Klage ist teilweise bereits unzulässig. So fehlt für den Zusatz im Klageantrag zu 1 betreffend den Zugangszeitpunkt der Kündigung vom 16.12.2019 sowie für den Klageantrag zu 2 betreffend den Zeitpunkt der Beendigung durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 in der Probezeit bereits das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, insbesondere war der Zugangszeitpunkt der Kündigung vom 16.12.2019 zuletzt zwischen den Parteien unstreitig der 20.12.2019.
Im Übrigen ist die Klage zulässig. Das für den Klageantrag zu 1 nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits aus der drohenden Präklusionswirkung des § 4 KSchG.
II.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet. Dem Kläger stehen keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu. Ein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen ist nicht gegeben.
1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Zugang beim Kläger am 20.12.2019 beendet.
a) Der Kläger hat innerhalb der Dreiwochenfrist der §§ 4, 7, 13 KSchG Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Nürnberg erhoben.
b) Von der Kündigungsberechtigung des CFO … ist nach dem Vortrag der Beklagten, welcher durch den Kläger nicht substantiiert bestritten wurde (§ 138 Abs. 3 ZPO) auszugehen.
c) Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung ist gegeben.
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung erfolgt in zwei Stufen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Grund an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. BAG vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16, juris). Die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die eine außerordentliche Kündigung begründen, trägt im Kündigungsschutzprozess der Arbeitgeber.
An das Vorliegen eines wichtigen Grundes sind strenge Anforderungen zu stellen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie das letzte Mittel ist, um das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. Sie greift bei besonders schwerwiegenden Gründen durch und kommt dann in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen Mittel erschöpft sind. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Vertragsverletzungen, etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und der wirtschaftlichen Folgen, der Grad des Arbeitnehmerverschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf und die Sozialdaten des Arbeitnehmers (BAG vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09, juris).
Ein wichtiger Grund setzt dabei nicht voraus, dass dem Gekündigten ein Verschulden vorzuwerfen ist. Auch in der Person des Gekündigten liegende unverschuldete und von ihm nicht zu vertretende Umstände können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. In Betracht kommt eine außerordentliche Kündigung je nach den Umständen des Einzelfalles hier insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer für die Durchführung erforderliche Genehmigungen oder Erlaubnisse entzogen werden, wie Arbeitsgenehmigungen oder Fahrerlaubnisse (vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 136 ff. m.w.N.).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB vorliegend gegeben.
Dabei kann dahinstehen, ob tatsächlich Empfangsquittungen durch den Kläger unterschrieben und die entsprechenden Pakete nicht beim jeweiligen Kunden abgegeben wurden. Es genügt bereits das sog. Offboarding des Klägers durch Firma … mit E-Mail vom 16.12.2019 bzw. Bestätigung vom 21.12.2019 als wichtiger Grund an sich, um die außerordentliche Kündigung der Beklagten zu rechtfertigen. Mit E-Mail vom 16.12.2019 (Bl. 54 d.A.) erklärte Firma … gegenüber der Beklagten das Offboarding des Klägers. Das Offboarding hat nach dem Vortrag der Beklagten, welcher durch den Kläger nicht bestritten wurde und somit als unstreitig gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO) zur Folge, dass der Kläger für sämtliche Fahrten für Firma … gesperrt ist und hierfür von der Beklagten nicht mehr eingesetzt werden kann. Ob die auf der E-Mail vom 16.12.2019 angegebene Fahrernummer („ID“) dem Kläger zuzuordnen ist kann dabei dahinstehen, da die E-Mail jedenfalls auch den Klarnamen des Klägers enthält. Die Beklagte übernimmt unstreitig ausschließlich Aufträge für Firma …. Infolge der Sperrung durch Firma … kann der Kläger seine arbeitsvertragliche Verpflichtung als Kurierfahrer für die Beklagte nicht mehr erbringen, die Beklagte kann den Kläger nicht mehr beschäftigen. Der Vortrag des Klägers, er könne ausschließlich zu Be- und Entladetätigkeiten bzw. zur Fahrzeugpflege eingesetzt werden, trägt nicht. Denn nach dem Vortrag der Beklagten, welcher klägerseits nicht substantiiert bestritten wurde, werden diese Tätigkeiten in einem eng getakteten System von den jeweiligen Fahrern selbst durchgeführt, so dass ein wie vom Kläger geschilderter Arbeitsplatz gerade nicht bei der Beklagten vorhanden ist. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile war der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger sich noch in der Probezeit befand, mit der Folge, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einen relativ kurzen Zeitraum bis zum 3.1.2020 betraf. Allerdings ist dies gerade auch zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, da insofern auch nur eine sehr kurze Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwa einem Monat vorlag. Auch die sonstigen Sozialdaten des Klägers lassen keine erhöhte Schutzbedürftigkeit des Klägers erkennen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Einsatz des Klägers aufgrund des Offboardings vollständig unmöglich wurde, war der Beklagten selbst das Einhalten der kurzen Probezeitkündigungsfrist nicht zumutbar. Eine Abmahnung war vorliegend nicht erforderlich, da sich die Kündigung unabhängig von einem Verschulden des Klägers bereits aufgrund der Sperre durch A und der hieraus resultierenden fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers durch die Beklagte ergibt.
Als Ergebnis der Einzelfallabwägung ist festzuhalten, dass unter Abwägung der wechselseitigen Parteiinteressen der Beklagten ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Probezeitkündigungsfrist nicht zumutbar war. Das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung überwiegt das Interesse des Klägers an einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 3.1.2020.
cc) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Unabhängig von etwaigen Beschwerden über den Kläger bereits im November 2019 hatte die Beklagte von der für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers maßgeblichen Sperre durch Firma … erst Kenntnis aufgrund der E-Mail vom 16.12.2019.
dd) Der Einwand des Klägers, Grund der Kündigung durch die Beklagte sei ein Streitgespräch im November 2019 gewesen, verfängt vor dem Hintergrund obiger Ausführungen nicht. Im Übrigen ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen einem etwaigen Streit im November 2019 und dem Ausspruch der Kündigung schon nicht ersichtlich.
2. Dem Kläger stehen keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu.
a) Der klägerseits geltend gemachte Vergütungsanspruch für den Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 3.1.2020 ist nicht gegeben, da zu diesem Zeitpunkt zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestand. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 zum 20.12.2019.
b) Zwar ist ein Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung i.H.v. 133,33 Euro brutto entstanden, jedoch aufgrund der durch die Beklagte erklärten Aufrechnung bereits erloschen.
Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von zwei Urlaubstagen folgt aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Der Kläger hatte einen jährlichen gesetzlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 20 Arbeitstagen, vgl. § 6 Abs. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages vom 24.10.2019. Der Kläger hat Anspruch auf Teilurlaub für einen vollen Monat, mithin 1,66 Tage, da er vor erfüllter Wartezeit (§ 4 BUrlG) zum 20.12.2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, § 5 Abs. 1 lit. b BUrlG. Dieser war gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG auf zwei Tage aufzurunden. Die Berechnung der Höhe des klägerischen Anspruchs auf Urlaubsabgeltung folgt den Regeln des § 11 BUrlG. Die Höhe entspricht dem Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer während einer urlaubsbedingten Freistellung im Falle des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses fortzuzahlen gewesen wäre. Der Arbeitsverdienst des Klägers betrug monatlich 2.000,00 Euro brutto. Dem Kläger steht damit für zwei Urlaubstage ein Abgeltungsanspruch in der geltend gemachten Höhe von 133,33 Euro brutto zu.
Der Anspruch des Klägers ist jedoch aufgrund Aufrechnung erloschen, § 389 BGB. Eine Aufrechnungserklärung der Beklagten i.S.d. § 388 BGB liegt vor. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 17.4.2020 im Hinblick auf ihren Zahlungsanspruch gegen den Kläger betreffend die Lohnüberzahlung für den Zeitraum vom 21.12.2019 bis zum 31.12.2019 i.H.v. 686,61 Euro brutto in Bezug auf den Anspruch des Klägers gegen sie auf Urlaubsabgeltung i.H.v. 133,33 Euro brutto die Aufrechnung erklärt. Eine Aufrechnungslage ist gegeben, § 387 BGB. Insbesondere kann bei der Rückforderung von Lohnbestandteilen die Bruttoüberzahlung gegen die Bruttoforderung auch aufgerechnet werden, da sich dann die sich gegenüberstehenden Forderungen im wirtschaftlichen Ergebnis gleich sind (EK/Preis, § 611 a BGB, Rn. 450).
c) Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Verpflegungszuschusses für Dezember 2019 ist nicht gegeben. Es fehlt bereits an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers, ihm sei ein Verpflegungszuschuss zugesagt worden, bestritten und vorgebracht, ein solcher sei nicht vereinbart worden. Der Kläger hat sich hierzu nicht näher erklärt, insbesondere nicht vorgetragen, vom wem wann auf welche Art und Weise eine solche Zusage erfolgt sein sollte, sodass das pauschale Bestreiten durch die Beklagte genügt. Auch dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 24.10.2019 ist eine Vereinbarung über einen Verpflegungszuschuss nicht zu entnehmen.
3. Der Klageantrag auf Abrechnungserteilung war ebenfalls abzuweisen. Der Kläger hat für den Monat Dezember 2019 bereits eine Abrechnung erhalten, welche er selbst im Verfahren vorgelegt hat (Anlage K4, Bl. 32 d.A.), sodass sein Anspruch aus § 108 Abs. 1 GewO diesbezüglich bereits erfüllt ist (§ 362 Abs. 1 BGB). Im Übrigen steht dem Kläger unabhängig von der fachlichen Zuständigkeit hierfür ein Anspruch auf inhaltliche Änderung jedenfalls mangels entsprechender Zahlungsansprüche nicht zu, vgl. obige Ausführungen. Für Januar 2020 bestehen keine Zahlungsansprüche des Klägers (vgl. oben), sodass ein Anspruch nach § 108 Abs. 1 GewO für Januar 2020 nicht gegeben ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und begründet sich mit dem Unterliegen des Klägers.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO.
Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist (§ 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG), war sie nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gegeben sind. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.

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