Aktenzeichen 5 AZR 252/16
Leitsatz
Betriebe, die nach ihren ausschließlichen oder überwiegenden betrieblichen Tätigkeiten den Fertigungsprozess eines Katalogbetriebs iSd. § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 1 TV BZ ME unterstützen, unterfallen nach § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie vom 22. Mai 2012.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Darmstadt, 16. Dezember 2014, Az: 9 Ca 274/14, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 19. Januar 2016, Az: 15 Sa 46/15, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Januar 2016 – 15 Sa 46/15 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 16. Dezember 2014 – 9 Ca 274/14 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.183,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.300,50 Euro seit dem 11. April 2014 und aus weiteren 883,10 Euro seit dem 4. Juli 2014 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Zahlung eines Branchenzuschlags nach dem Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie vom 22. Mai 2012 (TV BZ ME).
2
Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und seit dem 7. August 2012 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt und Mitglied im Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. ist, als Staplerfahrer beschäftigt. Seit Beginn des Leiharbeitsverhältnisses ist er der S GmbH (S), einer hundertprozentigen Tochter der F GmbH, zur Arbeitsleistung überlassen.
3
Diese unterhält in unmittelbarer räumlicher Nähe zum O-Werk in R einen Betrieb und hat mit der IG Metall Tarifverträge – ua. einen Entgeltrahmen- und einen Entgelttarifvertrag – geschlossen.
4
Für ihre Auftraggeberin, die O AG, die nach dem – von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen – Sachvortrag des Klägers ihr alleiniger Geschäftspartner ist, nimmt die S rd. 2.500 verschiedene, von den Produzenten angelieferte Bauteile für die Automobilproduktion entgegen. Anschließend bringt sie die Bauteile in eine vorgegebene Reihenfolge (sog. Sequenzierung) und liefert sie „just in sequence“ zur Weiterverarbeitung ins O-Werk. Nach Vorgabe der Auftraggeberin werden im Betrieb der S außerdem einzelne Bauteile – etwa für die Innenausstattung eines Automobils – zusammengefügt. Die nicht sofort für die Produktion benötigten Bauteile werden von der S zwischengelagert.
5
Am 22. Mai 2012 schlossen der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP) und der iGZ – Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ) einerseits und der Vorstand der IG Metall andererseits einen Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie (TV BZ ME), der ua. bestimmt:
„§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt:
1.
Räumlich: Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
2.
Fachlich: Für die tarifgebundenen Mitgliedsunternehmen des Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP) und des Interessenverbands deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ), die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigte in einem Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie einsetzen. Als Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie gelten die Betriebe folgender Wirtschaftszweige, soweit sie nicht dem Handwerk zuzuordnen sind:
…
–
Automobilindustrie und Fahrzeugbau
…
sowie die zu den erwähnten Wirtschaftszweigen gehörenden Reparatur-, Zubehör-, Montage-, Dienstleistungs- und sonstigen Hilfs- und Nebenbetriebe und Zweigniederlassungen sowie die Betriebe artverwandter Industrien.
Bei Zweifelsfällen hinsichtlich der Einordnung eines Kundenbetriebs gilt als maßgebliches Entscheidungskriterium der im Kundenbetrieb angewandte Tarifvertrag. …
3.
Persönlich: Für alle Beschäftigten, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an Kundenbetriebe überlassen werden.
§ 2 Branchenzuschlag
(1)
Arbeitnehmer erhalten bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Dauer ihres jeweiligen Einsatzes im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung in einem Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie einen Branchenzuschlag.
(2)
Der Branchenzuschlag wird für den ununterbrochenen Einsatz im jeweiligen Kundenbetrieb gezahlt. Unterbrechungszeiten einschließlich Feiertage, Urlaubs- und Arbeitsunfähigkeitstage, die die Dauer von drei Monaten unterschreiten, sind keine Unterbrechungen im vorgenannten Sinne.
(3)
Der Branchenzuschlag beträgt nach der Einsatzdauer in einem Kundenbetrieb folgende Prozentwerte:
…
– nach dem neunten vollendeten Monat 50%
des Stundentabellenentgelts des Entgelttarifvertrages Zeitarbeit, abgeschlossen zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. – BZA – und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (im Folgenden: ETV BZA) bzw. des Entgelttarifvertrages, abgeschlossen zwischen dem Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V.- iGZ und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (im Folgenden: ETV iGZ), je nach Einschlägigkeit.
…
(5)
Der Branchenzuschlag ist nicht verrechenbar mit sonstigen Leistungen jedweder Art. Der Branchenzuschlag ist jedoch anrechenbar auf gezahlte übertarifliche Leistungen. Bestehende einzelvertragliche Regelungen, aus denen sich für die Beschäftigten günstigere Arbeits- und Entgeltbedingungen ergeben als aus diesem Tarifvertrag und den Tarifverträgen der BZA und iGZ, werden durch diesen Tarifvertrag nicht berührt.
…
§ 3 Änderungen von tarifvertraglichen Bestimmungen
Erhält der Arbeitnehmer einen Branchenzuschlag nach diesem Tarifvertrag, entfallen Ansprüche auf Zuschläge nach § 4 ETV BZA bzw. § 5 ERTV iGZ.“
6
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am 7. Juli 2014 eingereichten Klage einen tariflichen Branchenzuschlag iHv. 50 % für die Monate Dezember 2013 bis April 2014 verlangt. Bei dem Betrieb der S handele es sich um einen solchen der Automobilindustrie. Ohne die dort verrichteten Tätigkeiten könne kein fertiges Fahrzeug entstehen. Zumindest sei der fachliche Geltungsbereich nach § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME eröffnet, weil der Betrieb der S jedenfalls ein zur Automobilindustrie gehörender Montage- und Dienstleistungsbetrieb sei.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.183,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.300,50 Euro seit dem 11. April 2014 und aus weiteren 883,10 Euro seit dem 4. Juli 2014 zu zahlen.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die S unterhalte einen Betrieb der Kontraktlogistik. Sie produziere nicht, sondern sorge lediglich dafür, dass beim Kunden die Materialkette nicht abreiße, also „just in sequence“ die richtigen Bauteile an der richtigen Stelle bereitlägen. Der Anteil der Montagetätigkeiten betrage nur 26,3 % der Arbeitsstunden, während auf den Bereich Logistik 46,3 % und den Bereich Sequenzierung 27,4 % entfielen. Die Eröffnung des fachlichen Geltungsbereichs nach § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME scheitere an der fehlenden Identität der Inhaber von Haupt- und Nebenbetrieb. Zudem sei die IG Metall für Logistik- und Dienstleistungsbetriebe nicht tarifzuständig.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.