Aktenzeichen S 10 AS 5/17
SGB III § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Leitsatz
1 Eine zu einer Saktion führende Pflichtverletzung liegt bereits vor, wenn ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund aufgibt. Ein weiter fortbestehendes Arbeitsverhältnis ist insoweit irrelevant. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine fehlende Förderung einer Beschäftigung durch den Leistungsträger ist kein wichtiger Grund für die Aufgabe dieser Beschäftigung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Leistungsempfänger hat alles zu unternehmen, um seinen Arbeitsplatz erreichen zu können, insbesondere auch Gehaltsvorschüsse in Anspruch zu nehmen, um die Fahrtkosten zur Arbeit abdecken zu können. (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Sanktionen in Höhe von 30% des maßgeblichen Regelbedarfs sind nicht verfassungswidrig. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Bescheid vom 19.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2016 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht auf Grund einer Pflichtverletzung den Eintritt einer Minderung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II festgestellt.
a) Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II begehen erwerbsfähige Hilfebedürftige eine Pflichtverletzung, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern. Weigern in diesem Sinne bedeutet regelmäßig die vorsätzliche, ausdrückliche oder stillschweigende, schriftlich, mündlich oder in anderer Weise dem Leistungsträger oder dem Arbeitgeber zum Ausdruck gebrachte fehlende Bereitschaft, sich an die durch das Gesetz auferlegte Pflicht zu halten (BSG, Urteil vom 15.12.2010, Az.: B 14 AS 92/09 R, Rn. 21 m.w.N.).
Eine Pflichtverletzung ist gem. § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II darüber hinaus auch dann anzunehmen, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.
Dadurch, dass der Kläger ab dem 24.08.2016 nicht mehr zur Arbeit erschienen ist, hat er das seit dem 08.08.2016 bestehende Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber gelöst, d.h. er hat sich nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstellt. Der Sperrzeittatbestand des § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III, der keine vorherige Rechtsfolgenbelehrung voraussetzt, ist damit erfüllt.
Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber vor der von ihm ausgesprochenen Kündigung noch eine Abmahnung hätte aussprechen müssen oder ob der Kläger bereits zuvor eine Kündigung erklärt hat.
Entscheidend ist hier vielmehr allein, dass der Kläger bereits durch sein bloßes Verhalten das Beschäftigungsverhältnis selbst gelöst hat. Wer in einer E-Mail am 24.08.2016 zu verstehen gibt, dass er nicht mehr zur Arbeit erscheinen wird und ab dann auch tatsächlich nicht mehr zur Arbeit erscheint, hat sein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III gelöst (einen Lösungstatbestand bei dauerhaftem Fernbleiben von der Arbeit bejahend auch Hess. LSG, Urteil vom 11.10.2006, Az.: L 6 AL 24/05, Rn. 25 sowie Bayer. LSG, Urteil vom 11.06.2015, Az.: L 10 AL 43/14, Rn. 18). Darauf, ob nach arbeitsrechtlichen Kriterien das eingegangene Arbeitsverhältnis gegebenenfalls noch über den 23.08.2016 hinaus – etwa im Hinblick auf eine fehlende schriftliche Kündigung des Klägers – fortbestanden haben könnte, kommt es vorliegend nicht an, weil das von § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III genannte Beschäftigungsverhältnis als faktisches Verhältnis nicht begriffsidentisch ist mit dem Arbeitsverhältnis als rechtlicher Beziehung.
b) Die Einwände des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19.10.2016 sind auch im Übrigen nicht begründet.
(1) Was das vom Kläger bemängelte Fehlen einer Förderung der aufgenommenen Tätigkeit des Klägers durch den Beklagten angeht, sieht das Gericht darin keinen wichtigen Grund i.S.d. § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II für die Aufgabe der Tätigkeit durch den Kläger. Der Kläger verkennt, dass er nach dem SGB II keinen verbindlichen Anspruch auf eine solche Förderung hat, sondern lediglich ermessensabhängige Fördermöglichkeiten nach §§ 16 bis 16f SGB II bestehen. Warum die Ausübung der Tätigkeit ohne eine Förderung jedoch per se unzumutbar sein sollte, erschließt sich dem Gericht nicht und wurde auch vom Kläger nicht näher ausgeführt. Dass es sich um eine Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma handelte, bewirkt jedenfalls keine Unzumutbarkeit, nachdem § 10 Abs. 1 S. 1 SGB II gerade festhält, dass einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist. Die vom Kläger benannte Quelle für seine womöglich gegenteilige Rechtsauffassung (SG Hamburg, Beschluss vom 07.12.2006, Az.: S 62 AS 2226/06 ER) enthält jedenfalls keine solche Aussage. Stattdessen ist Bezug zu nehmen auf die Rechtsprechung des BSG zum Rechtskreis des SGB III, wonach die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis, das den Vorgaben des AÜG entspricht, einem Arbeitslosen nicht generell unzumutbar ist (Urteil vom 08.11.2001, Az.: B 11 AL 31/01 R, Rn. 18). Für die Fortführung einer entsprechenden Tätigkeit kann nichts anderes gelten. Soweit sich der Kläger sinngemäß daran stört, dass durch den Änderungsbescheid vom 23.08.2016 das bewilligte Arbeitslosengeld II für den Monat September 2016 verringert worden ist, sich die Auszahlung des Arbeitgeberlohns für den Monat August jedoch bis zur Mitte des Monats September hinziehen kann (vgl. § 7 Abs. 8 des Arbeitsvertrages vom 28.07.2016), hätte es dem Kläger oblegen, entweder einen Vorschuss beim Arbeitgeber zu erbitten oder alternativ mit dem Beklagten abzuklären, ob zu Beginn des Monats September auf der Grundlage von § 24 Abs. 4 SGB II eine zusätzliche darlehensweise Leistung von Arbeitslosengeld II erfolgen kann.
Hinsichtlich der Fahrtstrecke nach D., für die dem Kläger augenscheinlich ein Pkw zur Verfügung gestanden hat (siehe Verbis-Vermerk vom 28.07.2016, Bl. 107 der Verwaltungsakte) und die einfach ca. 22 km beträgt (Bl. 70 der Gerichtsakte), kann bei Arbeitsaufnahme zum 08.08.2016 und somit noch 17 Arbeitstagen im August 2016 von einer zu bewältigenden Gesamtzahl von (22 km x 2 x 17 Tage =) 748 km und großzügig geschätzt einem tatsächlichen Kostenaufwand von maximal 100,- EUR ausgegangen werden. Für die verbleibenden sechs Arbeitstage vom 24.08.2016 bis zum Monatsende wäre der anteilige Betrag entsprechend zu kürzen auf 35,29 EUR.
In Anbetracht dieses geringen Teilbetrages für den Restmonat August 2016 und des Umstandes, dass dem Kläger seitens des Arbeitgebers die Möglichkeit eines Vorschusses in Aussicht gestellt worden war (E-Mail vom 24.08.2016), erscheint dem Gericht die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ohne weitere Versuche der Erhaltung des Beschäftigungsverhältnisses (insbesondere durch Inanspruchnahme eines Vorschusses des Arbeitgebers) nicht als verhältnismäßig. Dies gilt zumindest unter der zusätzlichen Erwägung, dass es an sich dem Kläger oblegen hätte, bereits vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages sicherzustellen, dass er für eine ausreichend lange Zeit (und zwar insbesondere bis zur Auszahlung des ersten Lohnes) in der Lage ist, den Arbeitsplatz auch tatsächlich zu erreichen.
Was den Monat September 2016 angeht, wäre bis zur Auszahlung des ersten Gehaltes in Betracht gekommen, dass seitens des Beklagten höhere Leistungen auf Darlehensbasis erbracht werden. Soweit der Kläger generell Darlehen ablehnt, liegt dies allein in seinem Verantwortungsbereich und vermag keinen wichtigen Grund für sein Verhalten zu begründen. Allein schon die ausdrücklich im Gesetz (§ 24 Abs. 4 SGB II) vorgesehene Möglichkeit einer Darlehensgewährung zeigt, dass die Inanspruchnahme eines solchen Darlehens nicht per se unzumutbar sein kann.
Allgemein ist noch zu erwähnen, dass die entsprechenden Fahrtkosten bei der Berechnung des Leistungsanspruches auf Arbeitslosengeld II gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB II vom Einkommen abgesetzt werden (bzw. gem. § 11b Abs. 2 SGB II durch eine Pauschale von 100,- EUR mit abgegolten werden).
(2) In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen vermag das Gericht keine Schikane (§ 226 BGB) o.ä. des Beklagten zu erkennen.
(3) Soweit der Kläger in seiner Klagebegründung zudem eine Verfassungswidrigkeit der Sanktionsvorschrift des § 31 SGB II geltend gemacht hat, greift auch dieser klägerische Hinweis auf eine solche vermeintliche Verfassungswidrigkeit und die entsprechende Richtervorlage des SG Gotha (Vorlagebeschluss vom 02.08.2016, Az.: S 15 AS 5157/14) nicht durch. Insbesondere sind vom BVerfG keine voraussetzungslosen steuerfinanzierten Staatsleistungen gefordert worden (Bayer. LSG, Beschluss vom 25.08.2015, Az.: L 11 AS 558/15 B ER, Rn. 13 a.E.). Auch nach Auffassung des BSG bestehen gegen eine Minderung des Arbeitslosengeld II-Anspruchs um 30% des maßgebenden Regelbedarfs auf Grund einer Pflichtverletzung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Urteil vom 29.04.2015, Az.: B 14 AS 19/14 R, Leitsatz 2).
c) Hinsichtlich der Höhe des Sanktionsumfangs hat der Beklagte in Anwendung von § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um eine erste Pflichtverletzung handelte, zu Recht eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II um 30% des für ihn maßgebenden Regelbedarfs festgestellt. Auch Beginn und Dauer des Minderungszeitraums wurden gem. § 31b Abs. 1 S. 1 und 3 SGB II zutreffend bestimmt.
2. Aus den genannten Gründen war die Klage daher abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
4. Die Berufung ist nicht bereits nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes in Anbetracht eines streitgegenständlichen Zeitraums von 3 Monaten und einer Minderung von 30% des für den Kläger maßgebenden Regelbedarfs weniger als 750,- EUR beträgt. Gründe für eine Zulassung nach § 144 Abs. 2 SGG bestehen nicht.