Arbeitsrecht

Mindestentgelt in der Pflegebranche

Aktenzeichen  5 AZR 761/13

Datum:
18.11.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2015:181115.U.5AZR761.13.0
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 2 Abs 1 PflegeArbbV
§ 1 Abs 3 S 1 PflegeArbbV
VermBG 2
§ 14 Abs 4 SGB 11
§ 6 Abs 5 ArbZG
§ 3 Abs 1 EntgFG
§ 4 Abs 1 EntgFG
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

Bei der ambulanten Pflege Rund-um-die-Uhr wird das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV geschuldet, wenn die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI (juris: SGB 11) die hauswirtschaftliche Versorgung in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI (juris: SGB 11) überwiegt und die Pflegekraft sich im Übrigen beim Pflegebedürftigen bereit halten muss, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Frankfurt, 17. Juli 2012, Az: 18 Ca 8391/11, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 8. Mai 2013, Az: 6 Sa 1274/12, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2013 – 6 Sa 1274/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Vergütung in der durch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 (BAnz.
2010 Nr. 110 S. 2571) bestimmten Höhe.
2
Die Beklagte betreibt einen privaten Pflegedienst mit häuslicher Kranken-, Alten- und Familienpflege. Sie bietet auch eine Rund-um-die-Uhr-Pflege an, bei der eine Pflegekraft bei den „Pflegeklienten“ wohnt und ihnen täglich bis zu 24 Stunden zur Pflege und Betreuung zur Verfügung steht.
3
Die 1952 geborene Klägerin war bei der Beklagten vom 26. August 2009 bis zum 31. Oktober 2011 als Pflegehelferin in der häuslichen Pflege beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 21./26. August 2009 (im Folgenden Arbeitsvertrag 2009) war zunächst eine Jahresarbeitszeit vereinbart (§ 2 Nr. 3). Dafür erhielt die Klägerin ein Monatsentgelt von 1.300,00 Euro brutto. Ferner waren die Zahlung einer Prämie iHv. 300,00 Euro brutto nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit vorgesehen (§ 5 Nr. 3 und Nr. 6 Arbeitsvertrag 2009). In einer Änderungsvereinbarung vom 9. Dezember 2010 (im Folgenden Änderungsvertrag 2010) vereinbarten die Parteien eine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit von 182 Stunden monatlich. Dafür erhielt die Klägerin ein – verstetigtes – Bruttomonatsgehalt von 1.547,00 Euro. Für den Einsatz in der „Rund-um-Pflege vor Ort“ bestimmt § 4 Nr. 1 Änderungsvertrag 2010 in Verbindung mit der Anlage 2 ua.:
        
„Regeln für das Arbeitszeitkonto:
        
1.    
Das für den Arbeitnehmer bei H quartalsweise (= für jedes Kalendervierteljahr) geführte Arbeitszeitkonto wird in dieser Zeit mit der geleisteten Arbeit entlastet. Die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt – ausschließlich der Pausen – 182 Stunden. Die je Quartal zu leistende Arbeitszeit beträgt also 546 Arbeitsstunden.
        
2.    
Sofern dem Arbeitnehmer bei einem Pflegebedürftigen eine „Rund-um-Pflege“ vor Ort obliegt, wird diese Tätigkeit auf dem Arbeitszeitkonto je Arbeitstag mit acht Stunden zzgl. einer „Pauschale Ruf-/ Bereitschaft“ mit einem zusätzlichen Betrag von 3,25 Stunden entlastet. Mit dieser Entlastung um weitere 3,25 Stunden je Arbeitstag werden Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit – abgegolten.
        
3.    
Außerdem erhält der Arbeitnehmer bei einer „Rund-um-Pflege“ vor Ort einen (Nacht-)Zuschlag in Höhe von pauschal Euro 6,40 (brutto). Mit diesem weiteren zusätzlichen Entgelt werden geleisteter Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit – vergütet.“
4
In dieser „Rund-um-Pflege vor Ort“ war die Klägerin vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 an insgesamt 232 Tagen (einschließlich Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) eingesetzt. Bei den in diesem Zeitraum zuhause zu Pflegenden überwog jeweils die für die Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erforderliche Zeit diejenige, die für die hauswirtschaftliche Versorgung in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI erforderlich war.
5
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit der am 19. Dezember 2011 eingereichten und der Beklagten am 27. Dezember 2011 zugestellten Klage für die Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 unter Berufung auf § 2 Abs. 1 PflegeArbbV Differenzvergütung unter Einschluss von Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 24 Stunden pro Einsatztag in der Rund-um-die-Uhr-Pflege verlangt. Darauf lässt sie sich die erhaltene monatliche Grundvergütung von 1.300,00 Euro brutto bzw. 1.547,00 Euro brutto anrechnen, nicht jedoch sonstige in den Gehaltsabrechnungen unter „Überstundenpauschale“, „Überstundengrundvergütung“, „Nachtbereitschaft“, „Sonntagszuschlag“, „Feiertagszuschlag“ und „Fahrten Wohnung/Arbeit“ ausgewiesene Zahlungen. Die Klägerin hat geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei bereits dann eröffnet, wenn die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Pflege in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegen.
6
Die Klägerin hat beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.757,23 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2011 zu zahlen.
7
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei nicht eröffnet, weil die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Gesamttätigkeiten der Klägerin bei der Rund-um-die-Uhr-Pflege und -Betreuung nicht überwögen.
8
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen