Arbeitsrecht

Mitbestimmungspflichtige Einstellung

Aktenzeichen  5 BV 248/19

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45961
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 99

 

Leitsatz

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vor, wenn Personen in dem Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Deshalb ist auch die ein- oder mehrmalige Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder dessen Umwandlung in ein unbefristetes als mitbestimmungspflichtige Einstellung anzusehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders liegt es dagegen, wenn ein zunächst unbefristetes in ein befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wird. Hier kann nicht von einer Eingliederung in den Betrieb gesprochen werden, sondern – als actus contrarius – eher von einer Ausgliederung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verlängerung eines Arbeitsvertrages über die Regelaltersgrenze hinaus durch Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes stellt keine Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG dar. Ein solches Arbeitsverhältnis ist als ein auf unbestimmte Zeit geschlossenes Arbeitsverhältnis anzusehen. Daran ändert das Bestehen einer kollektivrechtlichen Regelung, die eine an ein fortgeschrittenes Lebensalter anknüpfende Altersgrenze enthält, nichts.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht bei der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die tariflich festgelegte Altersgrenze hinaus.
Der antragstellende Betriebsrat besteht im gemeinsamen Betrieb der beteiligten Arbeitgeberinnen zu 2) und 3).
Mit Schreiben vom 08.04.2019 (Ast1 = Bl. 9 d.A.) wurde dem Betriebsrat mitgeteilt, dass der Arbeitsvertrag des im Antrag näher bezeichneten Arbeitnehmers wegen Vorliegens der Voraussetzung für den Bezug der gesetzlichen Regelaltersrente mit Ablauf des 31.05.2019 ende. Auf Wunsch des Arbeitnehmers werde das Arbeitsverhältnis gemäß § 41 Satz 3 SGB VI aktuell bis zum 31.05.2020 hinausgeschoben. Rein vorsorglich werde der Betriebsrat über diese Maßnahme in Kenntnis gesetzt.
Mit Schreiben vom 15.04.2019 (Ast2 = Bl. 10 d.A.) teilte der Betriebsrat mit, dass er seine Zustimmung zur befristeten Einstellung des im Antrag näher bezeichneten Arbeitnehmers verweigere.
Die beteiligten Arbeitgeberinnen leiteten kein Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ein.
Mit seiner am 24.06.2019 beim erkennenden Gericht eingegangenen Antragsschrift verlangt der Betriebsrat, die Beschäftigung des im Antrag näher bezeichneten Arbeitnehmers als Trambahnfahrer aufzuheben. Der Betriebsrat vertritt im Wesentlichen die Auffassung, im Betriebsverfassungsrecht sei unter Einstellung die ein- oder mehrmalige Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder dessen Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu verstehen. Eine mitbestimmungspflichtige Einstellung liege auch im Fall einer Beschäftigung über die vertraglich vereinbarte oder tarifliche Altersgrenze hinaus vor.
Der Betriebsrat beantragt,
I. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die Beschäftigung des Arbeitnehmers Herrn K., als Trambahnfahrer aufzuheben.
II. Für jeden Tag der Zuwiderhandlung nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nach Ziffer I wird die Beteiligte zu 2) mit einem Zwangsgeld von bis zu € 250,00 belegt.
Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,
die Zurückweisung der Anträge.
Ihrer Auffassung nach handelt es sich bei dem Arbeitsverhältnis des seit 39 Jahren im Unternehmen beschäftigten und im Antrag näher bezeichneten Arbeitnehmers nicht um einen klassischen befristeten Arbeitsvertrag, sondern um einen von Beginn an auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrag, dessen Beendigungszeitpunkt nach § 41 Satz 3 SGB VI hinausgeschoben werden könne. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG bestehe nicht. Darüber hinaus sind die Beteiligten zu 2) und 3) der Auffassung, dass für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Der antragstellende Betriebsrat verfolge mit dem Verfahren lediglich sozial- und tarifpolitische Zwecke. In einem Parallelverfahren habe der Vorsitzende des Betriebsrates in der Güteverhandlung ausgeführt, der Betriebsrat sei mit dem Zweiklassensystem, also der Geltung mehrerer Tarifverträge im gemeinsamen Betrieb Verkehr nicht einverstanden. Im Übrigen sei der Betriebsrat auch mit der Personalplanung und dem Personaleinsatz der Beteiligten zu 2) und 3) nicht zufrieden.
Der Betriebsrat instrumentalisiere das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren, um Unternehmens- und Sozialpolitik zu betreiben.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Anträge sind unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) und 3) fehlt den Anträgen nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine personelle Maßnahme im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufzuheben, wenn dieser sie ohne Zustimmung des Betriebsrates durchgeführt hat.
Diese Situation ist nach der Rechtsauffassung des Betriebsrates vorliegend eingetreten. Er darf daher zulässigerweise die ihm im Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten Rechte wahrnehmen. Dem Antrag möglicherweise zugrundeliegende weitere sozialpolitische Motivationen lassen das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.
2. Die unterlassene Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG führt entgegen der Rechtsansicht des antragstellenden Betriebsrates nicht zur Unwirksamkeit der Maßnahme.
a. Die Befristung eines zuvor unbefristeten Arbeitsverhältnisses stellt keine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vor, wenn Personen in dem Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen (vgl. BAG vom 23.06.2010 – 7 ABR 1/09, zit. nach Juris). Deshalb ist auch die ein- oder mehrmalige Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder dessen Umwandlung in ein unbefristetes als mitbestimmungspflichtige Einstellung anzusehen (BAG vom 27.10.2010 – 7 ABR 86/09, zit. nach Juris).
Anders liegt es dagegen, wenn ein zunächst unbefristetes in ein befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wird. Hier kann nicht von einer Eingliederung in den Betrieb gesprochen werden, sondern – als actus contrarius – eher von einer Ausgliederung (LAG Baden-Württemberg, 04.03.2015 – 2 Sa 31/14 = BeckRS 2015, 67399).
b. Die Verlängerung eines Arbeitsvertrages über die Regelaltersgrenze hinaus durch Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes stellt keine Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG dar.
Das Arbeitsverhältnis des im Antrag näher bezeichneten Arbeitnehmers ist als ein auf unbestimmte Zeit geschlossenes Arbeitsverhältnis anzusehen. Daran ändert das Bestehen einer kollektivrechtlichen Regelung, die eine an ein fortgeschrittenes Lebensalter anknüpfende Altersgrenze enthält, nichts. Solche Arbeitsverträge haben den Charakter von konsolidierten Normalarbeitsverhältnissen. Sie werden in den allermeisten Fällen als „auf unbestimmte Zeit geschlossen“ bezeichnet, ohne dass damit die kollektivrechtliche Altersgrenze abbedungen wäre. Dennoch sind sie als unbefristete Arbeitsverhältnisse anzusehen (vgl. BAG, 19.10.2011, 7 AZR 253/07 = NZA 2012, 1297).
Gegen die Bewertung als „Einstellung“ spricht auch, dass das bisherige Arbeitsverhältnis mit allen Haupt- und Nebenpflichten ohne Zäsur fortgesetzt und nicht neu begründet wird. Die Umstände der Beschäftigung ändern sich daher nicht. Die erneute Beteiligung des Betriebsrates ist daher nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts nicht zu verlangen, da aus der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Altersgrenze hinaus keine Zustimmungsgründe erwachsen, die bei der Ersteinstellung nicht voraussehbar gewesen sind und deshalb bei der ursprünglichen Zustimmungsentscheidung nicht berücksichtigt hätten werden können. Die Befristung auf das Erreichen der Regelaltersgrenze ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einen im Einstellungszeitpunkt in der Regel unüberblickbaren Zeitraum erfasst. Durch die am 01.07.2014 erfolgte Einführung von § 41 Satz 3 SGB VI wollte der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien eine rechtssichere Fortsetzungsmöglichkeit ihres Arbeitsverhältnisses über eine kollektivrechtliche Altersgrenze hinaus problemlos ermöglichen (vgl. BT-Drs. 18/1489, Seite 25 vom 21.05.2014). Das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes Arbeitsvertrages geschieht gerade nicht durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, sondern vielmehr durch vertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Es soll also gerade keine Einstellung erfolgen, sondern eine Fortführung des alten Arbeitsverhältnisses stattfinden. Eine Einstellung, verstanden als Eingliederung in den Betrieb, liegt daher nicht vor.
3. Da dem Aufhebungsantrag nicht stattzugeben war, war auch Antrag II. als unbegründet zurückzuweisen.
III.
Gegen diese Entscheidung ist für den antragstellenden Betriebsrat das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München statthaft. Auf anliegende Belehrung wird hingewiesen.

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