Aktenzeichen L 6 R 685/15
GG GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz
1. Soweit § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind pauschal von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt abhängig macht, liegt in der insoweit bestehenden Benachteiligung gegenüber Versicherten, welche am 30.06.2014 noch keine Rente bezogen haben, kein Verstoß gegen Art. 3 GG. (amtlicher Leitsatz)
2. Die Zuschlagsentgeltpunkte für Kindererziehung nach dem Rentenpaket 2014 durften für Bestandsrentner ohne Verstoß gegen das Gleichheitsgebot von der Anrechnung des zwölften Kalendermonats nach der Geburt des Kindes abhängig gemacht werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23. April 2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
III.
Revision wird nicht zugelassen
Gründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte für ihre Tochter A..
Nach der Vorschrift des § 307d SGB VI in der der zum 01.07.2014 durch das RV- Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014 (BGBl. I, S. 787) geänderten Fassung wird für am 30.06.2014 gezahlte Renten ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind unter anderem nur dann berücksichtigt, wenn in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde, § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Die Anrechnung einer Kindererziehungszeit kommt hierbei nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nur dann in Betracht, wenn die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht. Nach § 56 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB VI ist eine Erziehung im Gebiet der BRD erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht es gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten (in der deutschen Rentenversicherung) hat.
Diese Voraussetzung erfüllt die Kläger für ihre Tochter A. nicht. Zutreffend enthält der Versicherungsverlauf der Klägerin für den zwölften Monat nach der Geburt ihrer Tochter A. keine Kindererziehungszeit. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Tochter im Monat Februar 1977 nicht in Deutschland erzogen wurde. A. wurde 1976 geboren. Der hier maßgebliche zwölfte Monat nach dem Monat ihrer Geburt ist mithin – anders als von der Beklagten im Widerspruchsbescheid angegeben – nicht der Monat März sondern der Monat Februar 1977. In diesem Monat hatte A. ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Gebiet der BRD. Ausweislich der amtlichen Mitteilung des Einwohner- und Standesamts der Stadt A-Stadt vom 09.09.2014 wurde A. am 04.01.1977 von Ihrem Wohnort in der A-Straße in A-Stadt mit der Zielgemeinde K. in der Türkei abgemeldet. Der Auszug aus der elterlichen Wohnung wurde mit amtlicher Berichtigung des Einwohnermeldeamtes vom 05.11.2014 für den gleichen Tag bestätigt. Eine Wiederanmeldung an dem L. Wohnsitz erfolgte erst wieder zum 02.05.1977. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass die so dokumentierte Abmeldung und Wiederanmeldung unzutreffend oder irrtümlich dokumentiert worden sein könnte. Die Klägerin selbst hatte sich über mehrere Jahrzehnte damit abgefunden, dass für den 12. Lebensmonat ihrer Tochter eine Erziehungszeit in Deutschland nicht vorgemerkt worden war. Anhaltspunkte für einen Aufenthalt im Übrigen Gebiet der BRD in der fraglichen Zeit sind nicht ersichtlich. Es obliegt im Weiteren nicht der Beklagten oder dem Senat, Gründe für den viermonatigen Auslandsaufenthalt der Tochter zu eruieren, sondern alleine der Klägerin, stichhaltige und substantiierte Einwendungen gegen die bisherigen Feststellungen der Beklagten wie auch gegen die amtliche Meldebestätigung der Stadt A-Stadt vorzubringen.
Dies ist der Klägerin nicht gelungen. Die Beweiskraft der Meldebestätigung leidet hierbei zunächst nicht unter dem Umstand, dass im Versicherungsverlauf der Klägerin während der fraglichen Zeit weiterhin Pflichtbeitragszeiten aufgrund abhängiger Beschäftigung (von 01.03.1976 durchgehend bis 31.07.1977) ausgewiesen sind. Die Tochter kann sich beispielsweise mit dem Kindesvater oder auch mit sonstigen Verwandten in der Türkei aufgehalten haben. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den genannten Pflichtbeitragszeiten der Klägerin um Zeiten aufgrund einer Auslandstätigkeit in der Türkei mit Entsendung durch einen deutschen Arbeitgeber im Sinne von § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI (oder auch um eine der nach der Rechtsprechung des BSG zu berücksichtigenden weiteren Fallgruppen z. B. einer Auslandstätigkeit bei Weiterbestehen eines inländischen „Rumpfarbeitsverhältnisses“) gehandelt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Eine solche Entsendung wurde von der Klägerin auch nicht vorgetragen.
Zutreffend hat das SG im Übrigen festgestellt, dass der Beweisantritt der Klägerin nicht geeignet ist, die Feststellungen der Beklagten wie auch die melderechtliche Bestätigung der Stadt A-Stadt zu erschüttern. Zwar hat die Klägerin erstinstanzlich mit Schreiben vom 05.01.2015 schriftliche Erklärungen zweier Personen (S. K. und D. G.) vorgelegt. Diesen Angaben kommt jedoch kein entscheidender Beweiswert zu. Die Personen bestätigen lediglich pauschal, dass sich die Tochter A. „im ersten Lebensjahr“ am Geburtsort aufgehalten habe. Unbeschadet der Tatsache, dass nicht klar wird, ob hierdurch auch der Monat Februar 1977 erfasst wird, welcher rechnerisch bereits der 13. Lebensmonat wäre, ergibt sich aus den Bestätigungen nicht, in welchem Verhältnis die Personen zur Klägerin und ihrer Tochter stehen bzw. standen, ob sie z. B. Familien- oder Haushaltsangehörige der Klägerin und ihrer Tochter waren oder auf welche sonstigen Umstände sich derart präzise Erinnerungen nunmehr rund 39 Jahre nach dem streitgegenständlichen Zeitraum stützen könnten.
Auch der Senat sieht sich ohne entsprechende substantiierte Darlegungen weder zur Vernehmung dieser Personen noch zu der von der Klägerin im Rahmen der Berufungseinlegung pauschal angebotenen Vernehmung nicht näher benannter „weiterer Zeugen“ gehalten. Ohne konkreten Vortrag, aufgrund welcher besonderen Lebenssachverhalte mögliche Zeugen eine belastungsfähige Aussage über den Aufenthaltsort der Tochter A. im Februar 1977 machen könnten, stellen sich Zeugenvernehmungen als reine Ermittlungen ins Blaue hinein dar, zu welchen der der Senat nicht verpflichtet ist. Gerichtliche Nachforschungen aufgrund der Amtsermittlungspflicht sind nur insoweit erforderlich, als der Sachverhalt und der Vortrag der Beteiligten solche nahe legen (Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103, Rn. 7, m. w. N.).
Im Übrigen begegnet die Vorschrift des § 307d SGB VI auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar benachteiligt diese Regelung durch das pauschale Abstellen auf die Anrechnung einer Kindererziehungszeit im zwölften Kalendermonat nach dem Monat der Geburt als Anspruchsvoraussetzung für die Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte für das gesamte zweite Lebensjahr von Kindern Bestandsrentner gegenüber sonstigen Versicherten, soweit im Laufe des zweiten Lebensjahrs die Voraussetzungen für eine Feststellung von Kindererziehungszeiten gem. §§ 56, 249,149 Abs. 5 SGB VI wieder eingetreten sind. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Gesetzgeber den Bedürfnissen der Massenverwaltung durch generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen Rechnung tragen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.05.2005, Az.: 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2144/98, 1 BvR 2300/98 m. w. N.; Diel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/15, § 307d SGB VI, Rn. 9). Dies gilt umso mehr, als Kindererziehungszeiten einen sozialen Ausgleich ohne entsprechende Gegenleistung des Versicherten in Form von Versicherungsbeiträgen darstellen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11.01.2016, 1 BvR 1687/14 m. w. N.). Zu berücksichtigen ist weiter, dass § 307d SGB VI bereits selbst eine begünstigende Ausnahmeregelung von der gesetzlichen Grundregel des § 306 SGB VI darstellt, wonach grundsätzlich Gesetzesänderungen nicht zur Neuberechnung bereits laufender Renten führen. Es erscheint insofern auch im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber – welcher bei Schaffung der Regelung des § 307d SGB VI von rund 9,5 Millionen Bestandsrenten ausging – aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung umfangreicher Neuberechnungen eine pauschalierte Regelung getroffen hat. Die hierbei leitenden Überlegungen, mit einer Anknüpfung an bereits im Versicherungsverlauf enthaltene Daten die reibungslose Umsetzung der Einbeziehung auch des Rentenbestandes in die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 innerhalb der Rentensystematik ohne weitere Sonderregelungen zu gewährleisten und Schwierigkeiten bei der Ermittlung der tatsächlichen Erziehungsverhältnisse im regelmäßig weit zurückliegenden zweiten Lebensjahr des Kindes zu vermeiden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-DRS 18/909, S. 15, 24) stehen zur Überzeugung des Senats im Einklang mit dem vom Bundesverfassungsgericht (a. a. O.) eingeräumten Gestaltungsspielraum.
Die Entscheidung über die Kosten richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.