Arbeitsrecht

Nichteinladung einer schwerbehinderten Bewerberin zum Vorstellungsgespräch

Aktenzeichen  AN 1 K 16.01045

Datum:
17.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AGG AGG § 15 Abs. 2
SGB IX SGB IX § 82
GG GG Art. 33 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine rechtsmissbräuchliche Klageerhebung auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist nicht bereits deshalb gegeben, wenn sich ein Bewerber parallel bei mehreren Dienstherren bewirbt und zudem im Falle der Erfolglosigkeit der Bewerbungen im Hinblick auf eine jeweils unterlassene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch mehrere Entschädigungsklagen gegen verschiedene öffentliche Arbeitgeber erhebt (ebenso BVerwG BeckRS 2011, 48976). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die sich aus § 82 S. 2 SGB IX ergebende Verpflichtung, einen Schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, besteht gemäß § 82 S. 3 SGB IX nicht, wenn die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehlt (Parallelentscheidung zu VG Ansbach BeckRS 2017, 102844). (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Einschränkung des Bewerberkreises durch die Vorgabe einer Mindestnote in den Staatsexamina ist gemessen am Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zulässig, weil die Prüfungsnote als ausschließlich sachliches Kriterium geeignet ist, die fachliche Eignung zu beurteilen. Der Dienstherr kann ein Anforderungsprofil festlegen, welches nicht alle Volljuristen, sondern nur solche ab einer bestimmten Examensnote erfasst (ebenso BVerwG BeckRS 2011, 48976). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
A. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig.
I.
Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Klägerin begehrt die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen im Rahmen ihrer Bewerbung für eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle in der 4. QE. Sachlicher Anknüpfungspunkt ist daher das Stellenbesetzungsverfahren, für das gemäß § 54 Abs. 1 BeamtStG der Verwaltungsrecht Weg eröffnet ist. Diese Rechtswegzuweisung gilt umfassend und erfasst daher auch Schadensersatzansprüche wegen unterbliebener Einstellung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 22.02.1996, Az. 2 C 12/94, BVerwGE 100, 280) sowie den vorliegend geltend gemachten Entschädigungsanspruch (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 22.06.2007, Az. 2 F 10596/07, NVwZ 2007, 1099; VGH Mannheim U.v. 4.08.2009, Az. 9 S 3330/08, BeckRS 2009, 37238, beck-online).
II.
Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist auch hinreichend bestimmt. Die Klägerin durfte die Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Damit wird dem Gericht über deren Höhe ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BR-Drs. 329/06, S. 40, BT-Drs. 16/1780, S. 38). Steht dem Gericht ein Beurteilungsspielraum zu oder hängt die Bestimmung eines Betrags vom billigen Ermessen des Gerichts ab, ist sogar ein unbezifferter Zahlungsantrag zulässig. Die Klägerin muss lediglich Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angeben (VG Karlsruhe, U.v. 08.02.2013, Az. 8 K 1153/12, m.w.N.; großzügiger: VG Sigmaringen U.v. 15.9.2015, Az. 7 K 4881/13, BeckRS 2016, 44005, beck-online: auch die Größenordnung muss nicht angegeben werden, dies wurde auch vom BAG im U.v. 15.2.2005, Az. 9 AZR 635/03 nicht beanstandet; ebenso: Fabricius in Schlegel/Voelke, jurisPK-SGB IX, § 81 Rn 55). Vorliegend wurde in der mündlichen Verhandlung der Antrag entsprechend konkretisiert.
III.
Der Klägerin fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere ist die Klage nicht rechtsmissbräuchlich. Dies könnte der Fall sein, wenn es der Klägerin offensichtlich nicht um eine Anstellung, sondern allein darum ginge, bei unkundigen öffentlichen Stellen Entschädigungen nach § 15 Abs. 2 AGG zu erlangen (auch als „AGG-Hopping“ bezeichnet). Davon kann aber nicht ausgegangen werden. Allein die Vielzahl der von der Klägerin angestrengten Verfahren (insgesamt 6 Klageverfahren) sind dafür kein hinreichendes Indiz (vgl. BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10; BAG, U.v. 21.07.2009, Az. 9 AZR 431/08, Rn. 52, juris; VG Freiburg U.v. 10.5.2011, Az. 5 K 989/10, BeckRS 2011, 50896, beck-online). Mit Rücksicht auf die Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung und Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger Maßstab anzulegen. Dass sich eine Bewerberin oder ein Bewerber nach Abschluss der juristischen Ausbildung – wie hier – parallel bei mehreren Dienstherren um die Einstellung in den höheren Dienst bewirbt und zudem im Falle der Erfolglosigkeit der Bewerbungen im Hinblick auf eine jeweils unterlassene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch mehrere Entschädigungsklagen gegen verschiedene öffentliche Arbeitgeber erhebt, reicht für sich allein insoweit nicht aus (BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10).
B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht kein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zu, da dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Beklagte hat die Klägerin nicht im Sinne von §§ 7 i.V.m. 1 AGG wegen ihrer Behinderung benachteiligt.
Die Klägerin ist im Sinne von § 1 AGG behindert. Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG entspricht den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) und § 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Ausgehend hiervon liegt bei der Klägerin eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG vor, weil sie mit einem Grad von 50 schwerbehindert ist (§ 2 Abs. 2 SGB IX).
Die Klägerin wurde durch die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt. Zwar ergibt sich aus § 82 Satz 2 SGB IX die grundsätzliche Verpflichtung der Beklagten als öffentlichem Arbeitgeber, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese vorgesehene Einladung stellt eine gesetzliche Besserstellung dar, die einem Nachteilsausgleich dienen soll (BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10, Rn. 19, juris). Einer Einladung bedurfte es bei der Bewerbung der Klägerin jedoch wegen der Ausnahmeregelung des § 82 Satz 3 SGB IX nicht, weil ihr die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehlte.
I.
Die notwendige fachliche Eignung für die konkrete Stelle i.S.d. § 82 Satz 3 SGB IX richtet sich nach einem Vergleich zwischen dem Anforderungsprofil der Stelle und dem Leistungsprofil der Klägerin als Bewerberin (vgl. BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10, Rn. 20, juris). Mit der konkreten Stellenausschreibung wurde eine wirksame Beschränkung des Bewerberfeldes erreicht.
1. Mit der Anforderung „Prädikat“ hat die Beklagte hinreichend transparent eine bestimmte Examensnote vorausgesetzt. In Bayern ist von diesem Prädikat auch der Notenbereich „befriedigend“ umfasst, wie sich beispielsweise aus dem Bericht des Bayerischen Landesjustizprüfungsamtes für das Jahr 2015 (http: …www.justiz.bayern.de/media/pdf/ljpa/jahresberichte_mit_ statistiken/bericht_2015.pdf) ergibt (vgl. dort S. 4). Unter einer „befriedigenden“ Prüfungsleistung in der Zweiten Juristischen Prüfung ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 JAPO, § 2 Abs. 2 Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung, zuletzt geändert durch Art. 209 Abs. 4, G v. 19.4.2006 I 866, eine ohne Auf- und Abrundung auf zwei Dezimalstellen ermittelte Gesamtnote von 6,50 bis 8,99 Punkten zu verstehen.
Soweit im Ländervergleich die Bezeichnung „Prädikat“ uneinheitlich verwendet wird, ergibt sich hieraus nichts anderes, nachdem deutlich ist, dass es um die Einstellung kommunaler Beamter nach Bayerischem Beamtenrecht geht.
Ob und in welchem Umfang ein Anforderungsprofil eine wirksame Einengung des Bewerberfeldes bewirkt, muss grundsätzlich durch eine Auslegung entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bewerber ermittelt werden (BayVGH, B.v. 15.09.2016, Az. 6 ZB 15.2114 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 20.06.2013, Az. 2 VR 1/13). Nachdem die Ausschreibung des Beklagten an Absolventen der Zweiten Juristischen Prüfung gerichtet war, ist nach Auffassung der Kammer nicht von einem erhöhten Erläuterungsbedarf auszugehen: Jedem Absolventen dieser Prüfung ist demnach zumutbar, unter Zugrundelegung der üblichen Auslegungsmethoden zu ermitteln, inwieweit eine Beschränkung erfolgt ist. Durch die Aufführung eines Prädikats in der Zweiten Juristischen Prüfung wurde damit auch keine Missverständlichkeit bewirkt, weil sich nach Auffassung der Kammer für jeden Absolventen dieser Prüfung ergeben muss, dass mit einer Examensnote von 4,50 Punkten diese Anforderung keinesfalls erreicht wird.
2. Eine Einschränkung des Bewerberkreises ist nicht unzulässig, die Beklagte durfte eine bestimmte Examensnote in Form eines Prädikatsexamens voraussetzen. Ein Anforderungsprofil muss jedenfalls diskriminierungsfrei und der zu besetzenden Stelle angemessen sein und eine an dem Prinzip der Bestenauslese entsprechende Auswahl- und Besetzungsentscheidung gewährleisten; bei einem rechtmäßigen Anforderungsprofil werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber an den aufgestellten Kriterien gemessen, um dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben gerecht zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10, Rn. 21, juris). Damit stellt sich nicht – wie von der Klägerin vorgetragen – die Frage, ob nur ein Prädikatsexamen in der Zweiten Juristischen Prüfung die Fähigkeiten aufzeigen würde, in verschiedenen Rechtsbereichen komplexe Aufgaben lösen zu können. Stattdessen kann ausschließlich entscheidend sein, ob die Beklagte sich dazu entschließen durfte, sich für eine solche Anforderung als Minimum zu entscheiden.
a. Die Vorgabe einer Mindestnote in der Zweiten Juristischen Prüfung ist gemessen am Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zulässig, weil die Prüfungsnote als ausschließlich sachliches Kriterium geeignet ist, die fachliche Eignung zu beurteilen. Insbesondere beim Fehlen vorheriger praktisch erbrachter fachlicher Leistungen bietet diese Note eine diskriminierungsfreie fachliche Eignungsvoraussetzung. Auch wenn mit dem Bestehen der Zweiten Juristischen Prüfung als Abschluss- und Qualifikationsprüfung (§ 57 Abs. 1 JAPO) die Befähigung zum Richteramt erworben wird (§ 5 Abs. 1 DRiG), kann der Dienstherr ein Anforderungsprofil festlegen, welches nicht alle Volljuristen, sondern nur solche ab einer bestimmten Examensnote erfasst (vgl. BVerwG, U.v. 3.3.2011, Az. 5 C 16/10, Rn. 21, juris, das erkennbar von der Möglichkeit der Festlegung von Mindestpunktzahlen oder erforderlichen Examensnoten ausgeht). Die Vorgabe eines Prädikatsexamens wird auch in der Rechtsprechung zum Arbeitsrecht für zulässig erachtet (vgl. Hessisches LAG, U.v. 29.04.2015, Az. 12 Sa 929/13, Rn. 29, juris; LAG Köln, U.v. 23.01.2013, Az. 3 Sa 686/12, Rn. 45, juris; wohl auch BAG, U.v. 13.10.2011, Az. 8 AZR 608/10, Rn. 28, juris; U.v. 21.07.2009, Az. 9 AZR 431/08, Rn. 26, juris; LAG Niedersachsen, U.v. 3.04.2014, Az. 5 Sa 1272/13, Rn. 33 f., juris).
b. Bei der Beurteilung der fachlichen Leistung ist eine Berücksichtigung weiterer Faktoren, insbesondere von positiven Arbeits- und Stationszeugnissen, nicht geboten. Nach Auffassung der Kammer spricht demgegenüber sogar vieles für eine Unvereinbarkeit einer solchen Berücksichtigung mit dem Wettbewerbscharakter der Juristischen Prüfungen (vgl. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 BV, §§ 16 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 2 JAPO). Gerade unter Berücksichtigung erheblicher Notenschwankungen im Bereich der Bewertung praktischer Stationsleistungen im juristischen Vorbereitungsdienst ist auch keine Vergleichbarkeit der erbrachten fachlichen Leistungen gegeben, da dieser Beurteilung bereits regelmäßig kein Leistungswettbewerb zugrunde liegt.
II.
Die Klägerin erfüllt die vom Beklagten aufgestellten Voraussetzungen offensichtlich nicht, weil ihr Examensergebnis offensichtlich und weit die im Anforderungsprofil genannte Grenze unterschritt.
Die Klägerin verfehlte die erforderliche fachliche Mindestanforderung des Prädikats in der Zweiten Juristischen Prüfung offensichtlich, nachdem ihr Ergebnis von 4,50 Punkten dieses Ergebnis um 2 Punkte – und damit erheblich – unterschreitet.
III.
Auch hinsichtlich der übrigen von der Klägerin gerügten und damit für das Gericht zu prüfenden Aspekte (zur Erforderlichkeit der Darlegung von Anknüpfungstatsachen: VG Trier, U.v. 21.07.2015, Az. 1 K 556/15.TR, Rn. 55, juris; vgl. auch Hessisches LSG, U.v. 17.08.2015, Az. L 9 AS 618/14, Rn. 49, juris) erkennt die Kammer keine Diskriminierung wegen einer Behinderung. So ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Klägerin wegen der aus ihrer Sicht „risikobehafteten Gesetzeslage“ nachträglich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Vorliegend bestand schon wegen des offensichtlichen Fehlens der fachlichen Eignung (s.o.) keine Einladungsverpflichtung. Die rein überobligatorische Ermöglichung eines Vorstellungsgesprächs, bei dem selbst keine Anhaltspunkte für eine eigenständige Diskriminierung erkennbar sind, ist somit bereits von vornherein nicht geeignet, eine Benachteiligung wegen der Behinderung der Klägerin anzunehmen.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.

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