Arbeitsrecht

Personenbedingte Kündigung – mehrjährige Freiheitsstrafe

Aktenzeichen  2 AZR 790/09

Datum:
24.3.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 1 Abs 2 S 1 Alt 1 KSchG
§ 241 Abs 2 BGB
Spruchkörper:
2. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Braunschweig, 24. Juni 2008, Az: 5 Ca 105/08, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 27. Mai 2009, Az: 2 Sa 1261/08, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Mai 2009 – 2 Sa 1261/08 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24. Juni 2008 – 5 Ca 105/08 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
2
Der 1976 geborene ledige Kläger war seit 1992 bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.500,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Sie beschäftigt regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.
3
Im November 2006 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen. Am 8. Mai 2007 wurde er – bei fortbestehender Inhaftierung – wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem erfolgte der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, die ihm im Hinblick auf eine frühere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten gewährt worden war.
4
Die Beklagte erfuhr im Sommer 2007 von der – inzwischen rechtskräftigen – Verurteilung des Klägers. Die Parteien verhandelten daraufhin über den Abschluss und die Modalitäten eines Aufhebungsvertrags. Im November 2007 teilte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit, er strebe den offenen Vollzug an und rechne mit baldiger Arbeitsaufnahme.
5
Mitte Januar 2008 wurde für den Kläger ein Vollzugsplan erstellt. Darin sind der „2/3-Zeitpunkt“ für den 16. Februar 2011 und das Strafende für den 7. April 2013 notiert. Die Möglichkeit eines offenen Vollzugs wurde zunächst verneint. Eine Überprüfung dieser Entscheidung war gemäß dem Plan „im Rahmen einer langfristigen vollzuglichen Perspektivplanung“ und vor dem Hintergrund einer möglichen Beschäftigung bei der Beklagten – nach erfolgter Bewährung des Klägers in Vollzugslockerungen – für Dezember 2008 „angedacht“.
6
Noch im Januar 2008 lehnte der Kläger einen Aufhebungsvertrag endgültig ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis – nach Anhörung des Betriebsrats – mit Schreiben vom 8. Februar 2008 ordentlich zum 30. April 2008. Den Arbeitsplatz des Klägers besetzte sie aus ihrem Personalpool. Zu diesem gehören Mitarbeiter, deren Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist, die aber nicht aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei der Beklagten tarifvertraglich ausgeschlossen.
7
Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Betriebsablaufstörungen seien nicht eingetreten. Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, die Zeit seiner Inhaftierung bis zur Gewährung von Freigang zu überbrücken. Insbesondere sei ihr zumutbar gewesen, befristet Mitarbeiter einzustellen oder die Stelle intern nur vorübergehend zu besetzen. Sie sei zudem verpflichtet gewesen, ihn bei der Erlangung des Freigängerstatus zu unterstützen. Zumindest habe sie seine Aussicht hierauf nicht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereiteln dürfen. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Die Beklagte habe es versäumt, diesen von der für Dezember 2008 angedachten Prüfung seiner Eignung für den offenen Vollzug zu unterrichten.
8
Der Kläger hat beantragt
        
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 8. Februar 2008 nicht aufgelöst worden ist.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, durch den haftbedingten mehrjährigen Ausfall des Klägers sei das Arbeitsverhältnis inhaltsleer geworden. Die befristete Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des Klägers habe sie wegen der langen Haftdauer nicht in Betracht ziehen müssen, zumal eine sachgrundlose Befristung lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren möglich sei. Unabhängig davon benötige sie Planungssicherheit. Sie habe den Arbeitsplatz deshalb dauerhaft anderweitig besetzen dürfen. Ihre Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG habe sie nicht verletzt.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

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