Aktenzeichen 7 Sa 454/16
BGB § 242, § 305, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Enthält ein formularmäßig vom Arbeitgeber gestellter Personalbogen die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses, ist diese wegen unangemessener Benachteiligung im Sinne des § 307 Absatz 2 BGB unwirksam, wenn die Voraussetzungen des § 30 a Absatz 1 BZRG nicht gegeben sind. (Rn. 53 – 67)
Verfahrensgang
1 Ca 1321/15 2016-09-07 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg
Tenor
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 07.09.2016 wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen des Beklagten vom 08.10.2015 und vom 23.10.2015 nicht beendet worden ist.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1, Absatz 2 c) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Absatz 1, 64 Absatz 6 ArbGG iVm § 520 ZPO.
Die Berufung ist begründet.
Gegenstand der Berufung ist (nur) noch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentlichen Kündigungen des Beklagten vor dem 30.06.2016 beendet worden ist.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die Kündigung vom 08.10.2015 zum 31.10.2015 noch durch die Kündigung vom 23.10.2015 zum 30.11.2015 beendet worden, §§ 620 Absatz 1 und 2, 133, 157, 305, 305 c Absatz 2 BGB, § 15 Absatz 3 TzBfG, §§ 4, 7 KSchG.
Das Recht des Klägers, die Wirksamkeit der Kündigungen gerichtlich überprüfen zu lassen, ist nicht entfallen, §§ 4, 7 KSchG. Dies gilt insbesondere auch für die Kündigung vom 23.10.2015.
Der Kläger hat die Kündigung vom 23.10.2015 zwar nach Ablauf der Dreiwochenfrist, nämlich frühestens in der Sitzung vor dem Arbeitsgericht am 02.12.2015 zum Gegenstand seiner Klage gemacht. Er hat indes bereits am 14.10.2015 mit Ziffer 3 seiner Klage beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2016 bestehe. Die darin liegende allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) wahrt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Dreiwochenfrist auch für später ausgesprochene Kündigungen (Bundesarbeitsgericht ‒ Urteil vom 13.03.1997 ‒ 2 AZR 512/96; juris). Das erkennende Gericht wendet diese Rechtsprechung an.
Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses war ausgeschlossen, § 15 Absatz 3 TzBfG. Die Parteien haben ein auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen, das mit Ablauf des 30.06.2016 beendet sein sollte. Dies ist unstreitig und ergibt sich im Übrigen aus § 1 des Anstellungsvertrags vom 31.03.2014.
Die Parteien haben ein Kündigungsrecht im Sinne des § 15 Absatz 3 TzBfG einzelvertraglich nicht vereinbart. Insbesondere kann in § 6 des Anstellungsvertrags eine solche Vereinbarung nicht zweifelsfrei gesehen werden.
§ 6 des Arbeitsvertrags stellt eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne der §§ 305 ff BGB dar. Es handelt sich um einen vom Beklagten vorformulierten Vertrag, der offensichtlich für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen verwendet wird.
Die Regelung ist auslegungsbedürftig. Der Wortlaut ist nicht eindeutig.
Das Erstgericht hat § 6 des Arbeitsvertrags dahin ausgelegt, dass die Parteien vereinbart haben, das Arbeitsverhältnis sei ordentlich kündbar. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts beinhaltet die Klausel indes mehrere Auslegungsmöglichkeiten.
Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, §§ 133, 157 BGB, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Absatz 2 BGB zulasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Absatz 2 BGB setzt voraus, dass die Auslegung der einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt, von denen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht. Der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber muss bei Unklarheiten die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen (Bundesarbeitsgericht ‒ Urteil vom 14.11.2012 ‒ 10 AZR 783/11; juris).
Die Auslegung des § 6 des Arbeitsvertrags ergibt mindestens zwei Ergebnisse.
Die Regelung kann zunächst so ausgelegt werden, dass das befristet abgeschlossene Arbeitsverhältnis automatisch verlängert werde, wenn nicht mindestens drei Monate zuvor eine Kündigung zum Zeitpunkt des Ende der Befristung erfolgte, d.h., das Arbeitsverhältnis sollte nicht automatisch durch den Ablauf des Befristungszeitraums enden, sondern um das Arbeitsverhältnis zu beenden, war eine Kündigung erforderlich, die mindestens drei Monate vor dem Befristungsende auszusprechen war. Wird die Regelung in dieser Weise ausgelegt, ist die ordentliche Kündigung nicht vorbehaltslos zugelassen worden, sondern lediglich eine Kündigung zum Ende der Befristung.
Für diese Auslegung spricht zum einen, dass es im Fußballsport üblich ist, die Position eines Trainers für eine Saison, also einem Jahr, festzulegen, zum anderen wäre die Kündigungsregelung im Personalbogen sonst überflüssig.
Aus dem Umstand, dass die Parteien in § 6 des Arbeitsvertrags überhaupt von der Möglichkeit einer Kündigung ausgegangen sind, kann auch gefolgert werden, die ordentliche Kündigung solle insgesamt zu jedem Zeitpunkt erklärt werden können.
Das erkennende Gericht neigt der Auffassung zu, dass § 6 des Anstellungsvertrags in der erstgenannten Weise auszulegen ist.
Letztlich kann dies dahinstehen.
Auch wenn nicht der erstgenannten Auslegungsmöglichkeit, sondern keiner der dargestellten Auslegungen der Vorzug gegeben wird, ergibt sich daraus nicht, dass dem Beklagten ein vertragliches Kündigungsrecht eingeräumt wurde. Vielmehr greift zu Lasten des Beklagten § 305c Absatz 2 BGB mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ordentlich nicht kündbar war.
Ein Kündigungsrecht ergibt sich auch nicht aus 3.) des Personalbogens vom 31.03.2015.
Darin ist zwar für den Fall, dass der Kläger ein erweitertes Führungszeugnis nicht vorlegt, eine Kündigungsmöglichkeit vorbehalten worden. Der Kläger hat ein erweitertes Führungszeugnis unstreitig nicht vorgelegt.
Gleichwohl war der Beklagte nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.
Es ist bereits fraglich, ob der Kläger sich im Personalbogen zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verpflichtet hat. Keines der in Ziffer 3 vorgesehenen Kästchen ist angekreuzt, wie dies bei den vom Beklagten vorgelegten Personalbögen der anderen Übungsleiter der Fall ist.
Selbst wenn man davon ausgeht, der Kläger habe sich entsprechend dem Personalbogen verpflichtet, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, berechtigte der Umstand, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, den Beklagten nicht zur Kündigung.
Die Verpflichtung des Klägers, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, stellt eine unangemessene Benachteiligung des Klägers dar, §§ 305, 307 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Ziffer 1 BGB.
Beim Personalbogen handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen.
Ziffer 3 des Personalbogens begründet die Verpflichtung des Klägers, zum Schutz der ihm anvertrauten Jugendlichen und Erwachsenen ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen.
Dadurch wurde der Kläger unangemessen benachteiligt.
Die Regelung steht im Widerspruch zu § 30 a BZRG in der bis 28.07.2017 geltenden Fassung. Danach wird ein erweitertes Führungszeugnis nur in bestimmten Fällen erteilt. Einschlägig sind hier die Regelungen unter § 30 a Absatz 1 Nr. 2. b) und c) BZRG („. . . wenn dieses Führungszeugnis benötigt wird für b) eine berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger oder c) eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen“). Demgegenüber verlangt der Beklagte zum einen ein erweitertes Führungszeugnis zum Schutz der Erwachsenen, was gesetzlich nicht vorgesehen ist. Soweit der Schutz von Jugendlichen betroffen ist, wird das erweiterte Führungszeugnis verlangt, ohne dass darauf abgestellt wird, ob der Kläger überhaupt mit Jugendlichen in Kontakt kommt.
Wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 30 a BZRG ergibt, ist Hintergrund dieser Regelung der Umstand, dass es in bestimmten beruflichen oder ehrenamtlichen jugend- und kindernahen Tätigkeiten ein Bedürfnis für ein erweitertes Führungszeugnis gibt. Die Erfahrung zeige, dass sich Menschen mit pädophilen Neigungen bewusst Betätigungsfelder mit einer Nähe zu Kindern und Jugendlichen suchten. Damit es nicht zu Lücken beim Schutz von Kindern und Jugendlichen komme, sei ein Führungszeugnis auch für Personen vorgesehen, die in einer der Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung vergleichbaren Weise die Möglichkeit hätten, Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Hierunter könnten beispielsweise Hausmeister an Schulen oder Bademeister in einem öffentlichen Schwimmbad fallen (Bundestagsdrucksache 16/12427).
Das erkennende Gericht schließt sich der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm an, wonach die Auslegung und Anwendung des § 30 a BRZG nicht zu einer uferlosen Verpflichtung zur Vorlage von Führungszeugnissen führen darf. Denn stets sind auch die grundgesetzlich geschützten Interessen des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Erforderlich ist stets die Bedingung, dass die jeweilige Berufsgruppe bestimmungs- oder arbeitsplatzgemäß Kontakt mit Kindern und Jugendlichen hat, der zu einer besonderen Gefahrensituation werden kann. Andererseits ist dem Arbeitgeber bei der Frage, ob eine besondere Gefahrensituation entstehen kann, ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Die bloße Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer zukünftig mit Minderjährigen in Kontakt treten könnte, rechtfertigt die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses regelmäßig nicht (Landesarbeitsgericht Hamm ‒ Urteil vom 04.07.2014 ‒ 10 Sa 171/14; juris).
Gemessen an diesen Vorgaben beeinträchtigt die Verpflichtung im Personalbogen den Kläger unangemessen. Die dem Kläger von dem Beklagten auferlegte Verpflichtung geht über das geschützte Interesse des Beklagten hinaus.
Allerdings entspricht es regelmäßig dem Interesse des Arbeitgebers, ein erweitertes Führungszeugnis zu verlangen, wenn die Voraussetzungen des § 30 a Absatz 1 BZRG vorliegen.
Dies ist indes nicht der Fall.
Nach seinem Anstellungsvertrag wurde der Kläger als Übungsleiter für die 1. und die 2. Herrenmannschaft eingestellt.
Da die Spieler in den Herrenmannschaften alle volljährig sind, fallen sie nicht in den Schutz des § 30 a Absatz 1 BZRG. Erwachsene Spieler sind gesetzlich nicht geschützt. Es obliegt nicht dem Arbeitgeber, den gesetzlichen Schutz auszudehnen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass es dem Kläger aufgrund seiner Tätigkeit möglich war, Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Hierzu reicht es angesichts des Gesetzeswortlauts („in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise“) nicht aus, dass der Kläger überhaupt mit Minderjährigen in Berührung kommt. Es muss zumindest eine gewisse Verantwortlichkeit hinzukommen.
Hierzu gibt der Sachvortrag des Beklagten nichts her.
Der Beklagte hat insoweit ausgeführt, es könne sein, dass ein jugendlicher Spieler aushilfsweise in einer der Herrenmannschaften eingesetzt werde. Der Beklagte hat zum einen nicht dargetan, ob und wann dies konkret erfolgt. Darüber hinaus wäre dies aufgrund der ab der Saison 2014/2015 geltenden Neuregelung des Einsatzes jugendlicher Spieler in Herrenmannschaften nicht zulässig. Danach dürfen jugendliche Spieler auch dann nicht in einer Herrenmannschaft eingesetzt werden, wenn sie während der laufenden Saison das 18. Lebensjahr vollenden.
Ein Interesse des Beklagten an der uneingeschränkten Vorlagepflicht ist daher nicht erkennbar.
Da der Kläger demnach nicht verpflichtet war, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, kann daran keine Kündigung geknüpft werden.
Darauf, dass sich der Beklagte auch nach Treu und Glauben nicht auf das fehlende erweitertes Führungszeugnis berufen kann, weil er dem Kläger die nach § 30 a Absatz 2 BZRG erforderliche Bestätigung nicht (von sich aus) erteilt hat, § 242 BGB, kommt es nicht mehr an.
Vielmehr sind die Kündigungen vom 08.10. und 23.10.2015 unwirksam und haben das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
Das Ersturteil war daher entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlicher Grund, § 72 Absatz 2 ArbGG.