Aktenzeichen L 15 SF 113/16 E
RVG § 3 Abs. 1 S. 1, § 14, § 33 Abs. 8 S. 1, § 60 Abs. 1
VV RVG Nr. 3106
Leitsatz
Wie aus den Gesetzgebungsmaterialien hervorgeht, soll die fiktive Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Rechtsanwalt eine mündliche Verhandlung durch sein Prozessverhalten erzwingen kann bzw. in denen die Berufung gegen den Gerichtsbescheid nicht möglich ist (vgl. BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 148 und 275). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 3 R 641/14 2016-03-08 Bes SGBAYREUTH SG Bayreuth
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. März 2016 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht. Streitig sind die Höhe der Verfahrensgebühr sowie die Frage, ob eine Terminsgebühr festzusetzen ist. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG), Az.: S 3 R 641/14 (vormals S 3 R 695/12), ging es um den Widerruf einer Klagerücknahme. Mit Beschluss vom 28.04.2015 wurde dem klägerischen Antrag auf Gewährung von PKH entsprochen; der Beschwerdeführer wurde beigeordnet. Das Verfahren vor dem SG wurde mit Gerichtsbescheid vom 21.12.2015 abgeschlossen. Gegen den Gerichtsbescheid wurde Berufung eingelegt; diese ist unter dem Az.: beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) anhängig.
Am 19.01.2016 beantragte der Beschwerdeführer, seine Vergütung für das Klageverfahren in Höhe von 1.141,09 EUR festzusetzen. Dabei setzte er u. a. eine Verfahrensgebühr in Höhe von 550,00 EUR und eine Terminsgebühr in Höhe von 510,00 EUR an.
Mit Beschluss vom 18.02.2016 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung auf 415,19 EUR fest und berücksichtigte dabei u. a. eine Verfahrensgebühr lediglich in Höhe von 450,00 EUR unter Verweis auf die konkreten Tätigkeiten des Beschwerdeführers im Verfahren sowie auf die überdurchschnittliche Schwierigkeit und den ebensolchen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sowie die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit und die unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei. Die Festsetzung einer (fiktiven) Terminsgebühr lehnte die Urkundsbeamtin ab, da die Voraussetzungen von Nr. 3106 Ziff. 2 VV RVG nicht erfüllt seien. Zwar sei das Verfahren durch Gerichtsbescheid entschieden worden, jedoch könne vorliegend keine mündliche Verhandlung beantragt werden, da der Gerichtsbescheid rechtsmittelfähig sei. Hierfür falle keine Terminsgebühr an.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 23.02.2016 Erinnerung eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, dass Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit extrem groß gewesen seien, was sich schon aus den 1991 beginnenden Akten ergebe. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sei ebenfalls sehr groß. Die Terminsgebühr sei angefallen, weil es sowohl nach Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck des Gebührentatbestands überhaupt nicht auf eine Rechtsmittelfähigkeit des Gerichtsbescheids ankomme.
Mit Beschluss vom 08.03.2016 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, dass hinsichtlich der Verfahrensgebühr zu Recht von einer insgesamt deutlich überdurchschnittlichen Angelegenheit ausgegangen worden sei. Dies gelte für Umfang und Schwierigkeit. Es handele sich jedoch nicht um eine der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu führenden Streitsachen, in der komplizierte rechtliche und komplizierte medizinische Fragen zu klären gewesen seien. Auch wenn man die Bedeutung der Angelegenheit für den betroffenen Kläger als durchschnittlich ansehe, seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des damaligen Klägers weit unterdurchschnittlich gewesen. Somit sei die Bestimmung der Verfahrensgebühr über dem Durchschnitt in Höhe von 450,00 EUR angemessen. Die fiktive Terminsgebühr sei nach dem unmissverständlichen Wortlaut von Nr. 3106 VV RVG dem Grunde nach nicht angefallen, da der das erstinstanzliche Verfahren abschließende Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) uneingeschränkt berufungsfähig und damit ein Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zulässig sei.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 18.03.2016 beim BayLSG Beschwerde erhoben, „insbesondere, was die Frage der Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr anlangt.“ Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf den Zweck des genannten Gebührentatbestands, nämlich die Entlastung der Sozialgerichte, verwiesen. Weiter hat er hervorgehoben, dass sich bei einer Entscheidung, wie vom SG getroffen, künftig Rechtsanwälte nicht mehr vergleichsweise mit einem Gerichtsbescheid zufrieden geben, sondern durchwegs auf einer mündlichen Verhandlung bestehen würden. Weiter verweise, so der Beschwerdeführer, der Gebührentatbestand nur auf § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, nicht aber auf die Normen des Berufungsverfahrens. Nr. 3106 Ziff. 2 VV RVG sei nach dem gesetzgeberischen Willen so zu lesen und zu verstehen, dass zwar eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne, gleichwohl aber darauf zur Entlastung der Gerichte „vergleichsweise“ verzichtet werde und schriftlich ein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt werde. Im Gebührentatbestand werde im Übrigen auch nicht auf eine mögliche mündliche Berufungsverhandlung verwiesen. In einem weiteren Schriftsatz hat der Beschwerdeführer „ganz und gar unaufgeregt“ mitgeteilt, dass er in Zukunft sein Prozessverhalten ändern werde, da es doch nicht in seinem Interesse liege, die Gerichte zu entlasten. Der vom Senat im Schreiben vom 29.08.2016 gezogene rechtliche Schluss sei keinesfalls zwingend. Der Beschwerdeführer hat u. a. auch auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 11.03.2015 (Az.: L 9 AL 277/14 B) hingewiesen.
Die Staatskasse hat auf die Rechtsprechung des Sächsischen LSG, Az.: L 8 AS 417/15 B KO, verwiesen.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens und des erstinstanzlichen Klageverfahrens des SG verwiesen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zuständig für die Entscheidung ist der Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in ab 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i. S. v. § 60 Abs. 1 RVG ist dem Beschwerdeführer nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf eine höhere Rechtsanwaltsvergütung. Der ihm zuerkannte Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse beruht auf §§ 45 ff. RVG. Streitig sind die Höhe der Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV) und die Terminsgebühr.
2.1 Die Verfahrensgebühr ist in Höhe von 450,00 EUR angemessen.
Bei Betragsrahmengebühren gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG, um die es hier geht, ist im Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG) jeweils ein Gebührenrahmen vorgesehen. § 14 RVG ist die Rechtsgrundlage für die Bestimmung der konkreten Gebühr im Einzelfall. Die Forderung des Beschwerdeführers, ihm stehe für die Verfahrensgebühr ein höherer Betrag zu, ist nicht berechtigt. Da von Seiten der Staatskasse keine Beschwerde eingelegt worden ist, kann die Kostenfestsetzung übrigens nicht zulasten des Beschwerdeführers abgeändert werden (Verbot der reformatio in peius; vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 56, Rdnr. 29; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller /ders., SGG, 11. Aufl., vor § 143, Rdnr. 17; Beschluss des Senats vom 21.03.2011, Az.: L 15 SF 204/09 B E).
Der Senat verweist hierbei in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Erinnerungsbeschluss und macht sich diese zu eigen; er sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab, § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.
2.2 Eine fiktive Terminsgebühr steht nicht zu.
Dies ergibt sich, anders als der Beschwerdeführer meint, ohne Weiteres sowohl aus dem Wortlaut von Nr. 3106 Ziff. 2 VV RVG als auch aus Sinn und Zweck dieser Gebührenvorschrift.
Der Gebührentatbestand spricht davon, dass „eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Damit ist naheliegenderweise nur der Fall gemeint, dass der Gerichtsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel der Berufung angefochten werden kann, weil der Wert der Beschwer 750,00 EUR nicht übersteigt; dieser Fall liegt hier offensichtlich nicht vor. Würde man den Wortlaut der Gebührenvorschrift anders verstehen, würde es sich bei der Antragsmöglichkeit nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung, sondern um eine überflüssige Beifügung handeln, da eine mündliche Verhandlung vor jedem Erlass eines Gerichtsbescheids ohne Weiteres beantragt werden „kann“, denn Anträge können vor Gericht bekanntlich immer gestellt werden, seien sie auch nur im Sinne einer Anregung zu verstehen oder gar rechtsmissbräuchlich.
Auch sprechen – wie das Gericht dem Beschwerdeführer bereits dargelegt hat – die unmissverständlich festgehaltenen Motive des Gesetzgebers gegen eine andere Auslegung (vgl. auch Sächsisches LSG, a. a. O.). Wie aus den Materialien ohne Weiteres hervorgeht, soll die fiktive Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Rechtsanwalt eine mündliche Verhandlung durch sein Prozessverhalten erzwingen kann bzw. in denen die Berufung gegen den Gerichtsbescheid nicht möglich ist (vgl. BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 148 und 275).
Wie das Sächsische LSG in seinem oben genannten Beschluss zutreffend dargelegt hat, bestehen gegen die Neuregelung von Nr. 3106 VV RVG auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Auch aus dem vom Beschwerdeführer zitierten Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.03.2015 (a. a. O.) ergibt sich im Übrigen nichts anderes.
Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).