Aktenzeichen 083 O 4080/15
VV-RVG Nr. 2300
Leitsatz
1. Der Risikoausschluss für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen greift nicht, wenn der Anstellungsvertrag zwischen den Zeiträumen vor und nach der beabsichtigten Berufung zum GmbH Geschäftsführer differenziert und der den Rechtsschutzfall auslösende Pflichtenverstoß des Arbeitgebers in die Zeit vor der beabsichtigten Berufung fällt. (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten … München, von der Erstattung der noch offenen Rechtsanwaltsgebühren gemäß Kostenrechnung vom 16.10.2015 in Höhe von 11.371,05 € freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 22 % und die Beklagte 78 % zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 14.655,45 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
A. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergibt sich aus § 1 ZPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 23 ZPO und § 215 VVG.
B. Die Klage ist teilweise begründet.
I.
Es besteht ein Anspruch des Klägers auf Freistellung gegenüber den Rechtsanwälten … gemäß Kostenrechnung vom 16.10.2015 in Höhe von 11.371,05 € gem. § 257 S. 1 BGB i.V.m. dem Versicherungsvertrag und § 126 Abs. 2 S. 2 VVG. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1. Gem. § 26 Abs. 3 c ARB 1975/2001 umfasst der Versicherungsvertrag die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen.
2. Der zeitlich und örtlich gedeckte Rechtsschutzfall trat gem. § 14 Abs. 3 ARB 1975/2001 mit dem behaupteten Verstoß gegen Rechtspflichten, demnach dem Zeitpunkt in dem die Arbeitgeberin des Beklagten dessen Aufgabenkreis veränderte und die Kündigung androhte, ein.
3. Ein Ausschluss des Versicherungsschutzes gem. § 4 Abs. 1 d) ARB 1975/2001 besteht nicht, da der Kläger keine Interessen aus einem Anstellungsverhältnis gesetzlicher Vertreter juristischer Personen wahrnahm. Bei dem im Zeitpunkt des Eintretens des Rechtsschutzfalls zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin bestehenden Dienstvertrag handelt es sich nicht um ein Anstellungsverhältnis als Geschäftsführer.
a. Die Formulierungen im Vertrag vom 29.04.2014, der mit „Dienstvertrag“ überschrieben und in der Präambel als „Geschäftsführerdienstanstellungsvertrag“ bezeichnet wird und der den Kläger als „Arbeitnehmer“ benennt, können lediglich indizielle Wirkung entfalten. Maßgeblich, ist die durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermittelnde, tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses im Zeitpunkt des Eintritts des Rechtsschutzfalls.
b. Der Vertrag vom 29.04.2014 differenziert zwischen dem Zeitraum vor der ausweislich der Präambel beabsichtigten Berufung des Klägers in die Geschäftsführung der Arbeitgeberin und der folgenden Zeit. Insbesondere in § 1 Abs. 5-7, § 8 Abs. 1 und 2, § 9 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 des Vertrags ergeben sich Pflichten des Klägers, die erst mit der Berufung in die Geschäftsführung der Arbeitgeberin entstehen sollten. Aus der in § 7 Abs. 1 des Vertrags enthaltenen, „derzeit“ geltenden Verweisung hinsichtlich der Vertretungsbefugnis auf den ursprünglich Dienstvertrag vom 09.05.2013 ergibt sich, dass die Parteien die vertragliche Beziehung bis zur Berufung trotz der dem Kläger beispielsweise in § 1 Abs. 1 des Vertrags übertragenen Kompetenzen bis zur Berufung in die Geschäftsführung als Arbeitsverhältnis fortführen wollten. Dass die Parteien hinsichtlich der Höhe der Vergütung keine gestufte Regelung trafen und einen – für den Zeitraum der Durchführung als Arbeitsverhältnis unwirksamen – Kündigungsausschluss aufnahmen (§ 14 Abs. 2 des Vertrags) vermag diese klare zeitliche Differenzierung nicht zu erschüttern.
c. Der Vertrag vom 29.04.2014 wurde im Zeitpunkt des Rechtsschutzfalls auch noch als Arbeitsverhältnis durchgeführt. Die hinsichtlich des Greifens von Ausschlussgründen beweisbelastete Beklagte stellte die bestrittene Berufung des Beklagten zum Geschäftsführer der Arbeitgeberin nicht unter Beweis.
d. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Celle vom 22.05.2008, 8 U 7/08 (r+s 2009, 436). Richtig ist insoweit, dass zwischen der organschaftlichen Stellung und dem Geschäftsführeranstellungsvertrag zu differenzieren ist. Das Urteil des OLG Celle betraf jedoch einen Fall, in dem ein Geschäftsführeranstellungsvertrag trotz der organschaftlichen Abberufung des Geschäftsführers fortbestand. Im vorliegenden Fall bestand zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin im Zeitpunkt des Rechtschutzfalls jedoch weder ein Geschäftsführeranstellungsvertrag noch wurde die organschaftliche Bestellung des Klägers durch die beweisbelastete Beklagte unter Beweis gestellt.
4. Gem. § 2 Abs. 1 a) ARB 1975/2001 i.V.m. § 257 BGB ist der Kläger von der Beklagten hinsichtlich der gesetzlichen Vergütung eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts freizustellen.
a. Keine Bedenken bestehen hinsichtlich des Ansatzes eines Gegenstandswerts in Höhe von 559.800 € bezüglich der Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG:
•Beendigung des Arbeitsverhältnisses (3 Bruttomonatsgehälter): 139.950 €
•Zeugnis (1 Bruttomonatsgehalt): 46.650 €
•Freistellung (1 Bruttomonatsgehalt): 46.650 €
•Sprachregelung (1 Bruttomonatsgehalt): 46.650 € und
•Wettbewerbsverbot: (1/2 Bruttojahresgehalt): 279.900 €.
b. Allerdings ist entgegen der klägerischen Berechnung hinsichtlich der Vergleichsgebühr gem. Nr. 1000 VV RVG lediglich ein Gegenstandswert in Höhe von 139.950 € anzusetzen. (Beendigung des Arbeitsverhältnisses). In den Wert eines Vergleichs sind die Werte aller Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Werden in einem Vergleich Leistungspflichten einer Partei festgelegt, kann eine Bewertung daher nur erfolgen, wenn hiermit ein Streit oder eine Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden soll. (LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.03.2009, 17 Ta (Kost) 6011/09, JurBüro 2009, 431). Für die Beseitigung des Streits oder der Ungewissheit ist der Kläger beweisbelastet. Ein Beweisangebot erfolgte nicht. Soweit dies durch die Beklagte bestritten wurde (Zeugnis, Sprachregelung, Freistellung und Wettbewerbsverbot), kommt daher der Ansatz der Gegenstandswerte nicht in Betracht.
c. Unter Zugrundelegung einer unstreitig mit 2,0 anzusetzenden Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG aus einem Gegenstandswert von 559.800 € (7.026 €), einer mit 1,5 Einigungsgebühr aus einem Gegenstandswert von 139.950 € (2.509,50 €) sowie der Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG (20 €) ergibt sich ein brutto Honoraranspruch in Höhe von 11.371,05 €.
d. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.