Aktenzeichen 9 C 17.760
ZPO ZPO § 114
Leitsatz
Ausnahmsweise kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe noch nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens in Betracht, wenn die antragstellende Partei bereits vorher alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan hat, also unter Vorlage der vorgeschriebenen und sonst erforderlichen Unterlagen einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt hat und sich neben den hinreichenden Erfolgsaussichten auch ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse damit zweifelsfrei – ohne ergänzende Erklärungen – beurteilen lassen (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 54502). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 4 K 16.1078 2017-04-03 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine am 14. Juli 2016 erhobene Klage gegen den Bescheid des Landratsamts D… vom 8. Juni 2016.
Auf Wunsch des Klägers unterbreitete das Verwaltungsgericht den Parteien zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits einen Vergleichsvorschlag, der vom Beklagten mit Schreiben vom 27. März 2017 und vom Kläger mit Schreiben vom 29. März 2017 per Telefax angenommen wurde. Wenige Minuten vorher war für den Kläger von seinem Prozessbevollmächtigten per Telefax Prozesskostenhilfe beantragt und eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 28. März 2017 auf dem amtlichen Vordruck eingereicht worden. Nach dieser Erklärung bezieht der Kläger Einnahmen in Höhe von 7 Euro Krankengeld pro Tag; Essen erhält er von seinen Kindern als Sachleistung. Bei der Frage nach Unterhaltsansprüchen gegenüber anderen Personen ist die Antwort „nein“ angekreuzt; nach seinen weiteren Angaben hat der Kläger auch weder Bankguthaben, noch Grundeigentum, Bargeld, Wertgegenstände, Lebens- oder Rentenversicherungen oder sonstige Vermögenswerte. Weiterhin ist vermerkt, dass der Kläger seiner Ehefrau, die mit ihm im Wohnwagen lebt und keinerlei Einnahmen bezieht, Bar- oder Naturalunterhalt gewährt und über zwei Kraftfahrzeuge als Zugmaschinen verfügt.
Mit Beschluss vom 3. April 2017 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Wesentlichen mit der Begründung ab, er sei nicht zeitgerecht gestellt worden.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten als Rechtsanwalt weiter.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers und die Beiordnung des Bevollmächtigten als Rechtsanwalt im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigten Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe wird damit regelmäßig nur für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung gewährt. Ist das Hauptsacheverfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits durch Vergleich, Klagerücknahme oder beiderseitige Erledigungserklärungen beendet, scheidet die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich aus, da diese voraussetzt, dass die fragliche Rechtsverfolgung noch „beabsichtigt“ ist (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 166 Rdnr. 14; BayVGH, B.v.13.7.2010 – 11 C 10.1212). Ausnahmsweise kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe allerdings auch noch nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens in Betracht, wenn die antragstellende Partei bereits vorher alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan hat, also unter Vorlage der vorgeschriebenen und sonst erforderlichen Unterlagen einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt hat und sich neben den hinreichenden Erfolgsaussichten auch ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse damit zweifelsfrei – ohne ergänzende Erklärungen – beurteilen lassen (BayVGH, B.v. 7.7.2014 – 7 C 14.1020; B.v. 13.7.2010 – 11 C 10.1212; B.v. 8.1.2007 – 9 C 05.532; B.v. 12.12.2006 – 9 C 06.2407 – juris Rn. 13).
Nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss steht zwar der Umstand, dass der Kläger seinen Prozesskostenhilfeantrag erst kurz vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens gestellt hat, einer rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in jedem Fall entgegen. Der Prozesskostenhilfeantrag war aber dennoch abzulehnen, weil der Kläger vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens nicht alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan hat, sodass zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs noch berechtigte Zweifel über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bestanden und der Antrag damit noch nicht bewilligungsfähig war. Die Angaben des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse boten nämlich Anlass für weitere Erhebungen und hätten Nachfragen gerechtfertigt (vgl. OLG Koblenz, B.v. 17.5.2016 – 5 W 234/16 m.w.N.).
Zum einen erscheint es widersprüchlich, dass bei der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Frage nach Angehörigen, „die dem Kläger gegenüber gesetzlich zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sind (auch wenn tatsächlich keine Leistungen erfolgen)“ verneint wurde, aber andererseits im Rahmen der Frage nach anderen Einnahmen angegeben wurde, dass der Kläger Kinder habe, die ihn mit Essen versorgen. Zum anderen boten die Angaben des Klägers Anlass für Erkundigungen nach der Finanzierung seiner alltäglichen Lebenskosten und damit zur Aufforderung, die Finanzierung des Lebensunterhalts zu präzisieren und ggf. näher zu belegen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, wie aus den vom Kläger angegebenen einzigen Einnahmen in Höhe von täglich 7 Euro Krankengeld auch der Bar- oder Naturalunterhalt der Ehefrau des Klägers sowie die laufenden Kosten von zwei Fahrzeugen (Pkw und Lkw) des Klägers und etwaige Tierhaltungskosten finanziert werden können. Zudem ist unklar, welche rechtlichen Beziehungen zwischen dem Kläger und dem Zirkus A* … bzw. K* … bestehen, weil die Angaben zur beruflichen Tätigkeit des Klägers in Berichten über ihn und den Zirkus sowie in Bescheiden und Schriftsätzen von „selbständig“ über „Zirkusdirektor“ zu „Besitzer“ eines Zirkusbetriebs variieren und die in den Akten befindlichen Erlaubnisse, Tiere zu halten und gewerbsmäßig zur Schau zu stellen, ausschließlich für den Kläger selbst ausgestellt wurden.
Es bestehen daher Zweifel, ob der vom Kläger vor Beendigung des Verfahrens eingereichte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß ausgefüllt ist und seine wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig darstellt. Diese Zweifel wurden vom Kläger auch durch das Schreiben vom 20. Juni 2017 nach einem Hinweis des Gerichts nicht ausgeräumt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen im Fall der Zurückweisung der Beschwerde kostenpflichtig (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 9 C 16.96 – juris Rn. 8). Kosten werden nicht erstattet (§ 166 Satz 1 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO).
Eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ist nicht erforderlich, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).