Arbeitsrecht

Ruhen des Arbeitslosengeldes wegen Entlassungsentschädigung

Aktenzeichen  L 10 AL 265/15

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III SGB III § 158 Abs. 1

 

Leitsatz

Für das Ruhen des Arbeitslosengeldanspriches wegen Entlassungsentschädigung bleibt es ohne Belang, ob die Abfindung in ursächlichem Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht oder ob die Abfindung auch bei Beendigung durch ordentliche Kündigung gezahlt worden wäre. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 AL 171/15 2015-10-06 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 06.10.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist vorliegend die Zahlung von Alg für die Zeit vom 01.05.2015 bis 14.07.2015, die die Beklagte mit Bescheid vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 abgelehnt hat. Da der „Bewilligungsbescheid“ vom 07.05.2015, mit dem die Beklagte für diesen Zeitraum kein Alg bewilligt hat, mit dem „Ruhensbescheid“ vom 07.05.2015 eine Einheit bildet – er setzt das festgestellte Ruhen des Anspruchs auf Alg leistungsrechtlich um -, ist auch dieser Gegenstand des Verfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 05.08.1999 – B 7 AL 14/99 R – BSGE 84, 225; Urteil vom 12.05.2012 – B 11 AL 6/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 23; Urteil des Senats vom 22.04.2015 – L 10 AL 168/14).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Alg für die Zeit vom 01.05.2015 bis 14.07.2015. Ein Anspruch auf Alg setzt nach § 137 Abs. 1 SGB III Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin für die Zeit ab dem 01.05.2015 dem Grunde nach unbestrittenermaßen erfüllt. Insofern hat die Beklagte auch Alg im Hinblick auf das am 01.05.2015 entstandene Stammrecht ab 15.07.2015 bewilligt.
Für die Zeit vom 01.05.2015 bis 14.07.2015 hat der Anspruch auf Alg geruht. Ein Anspruch auf Alg ruht, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist, von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Nach § 158 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB III beginnt die Frist mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde vorzeitig im Sinne des § 158 Abs. 1 SGB III unabhängig davon beendet, ob eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres (§ 626 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) oder – wie von der Klägerin vorgetragen – eine Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB) galt. In jedem Fall hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.04.2015 (§ 1 der Aufhebungsvereinbarung) ausgehend von der Aufhebungsvereinbarung am 05.02.2015 keinesfalls die gesetzliche Kündigungsfrist gewahrt. Eine Frist von nur vier Wochen, wie im Widerspruch behauptet, galt nicht. Insbesondere handelte es sich bei dem nach Annahme der Änderungskündigung nicht um ein neues Arbeitsverhältnis, für das die bisherige Beschäftigungsdauer für die Berechnung der Kündigungsfrist nach § 622 BGB irrelevant wäre, da sich aus der Änderungskündigung vom 23.12.2013 eindeutig ergibt, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis lediglich an einem neuen Arbeitsort fortgesetzt werden sollte. Selbst bei Annahme, es würde sich nach Änderung des Beschäftigungsortes um ein neues Beschäftigungsverhältnis bei K. handeln, wären die Beschäftigungszeiten aus einem früheren Beschäftigungsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, da zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang bestanden hat (vgl. dazu BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR 330/02; Urteil vom 23.10.2008 – 2 AZR 131/07; Preis in Staudinger, BGB, Stand 2016, § 622 Rn. 25b).
Wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin auch eine Entlassungsentschädigung iHv 20.011 EUR brutto nach § 4 der Aufhebungsvereinbarung erhalten. Die Vorschrift des § 158 SGB III geht bezüglich des Abfindungsbetrages typisierend von der Annahme aus, dieser enthalte Arbeitsentgeltanteile, wenn im Hinblick auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Kündigungsfristen nicht gewahrt werden. Dabei spielt es keine Rolle, wenn der Abfindungsbetrag aufgrund eines Sozialplans gezahlt wird. Im Gegensatz zur Änderungskündigung vom 23.12.2013, die im Hinblick auf ihre Wirkung zum 31.07.2014 die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten hätte, war dies im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung gerade nicht mehr der Fall. Diese stellte keine Regelung der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses nach einer Kündigung dar, unabhängig wie ein solcher Falle rechtlich zu bewerten wäre. Es bestand vielmehr nach wie vor ein wirksames Arbeitsverhältnis, das erst durch die Aufhebungsvereinbarung mit Ablauf des 30.04.2015 beendet worden ist. Im Ergebnis stellt auch der Fall, in dem ein Arbeitnehmer anlässlich einer Betriebsstilllegung zur Abwendung einer Arbeitgeberkündigung zunächst ein Versetzungsangebot annimmt, später aber aus dem Arbeitsverhältnis an dem neuen Beschäftigungsort innerhalb der vom Sozialplan vorgesehenen Erprobungszeit ausscheidet, um die Sozialplanabfindung im Zusammenhang mit der früheren Betriebsänderung ungekürzt zu erhalten, eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar (so auch: Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 06/2016, § 158 Rn. 52 mit Verweis auf LSG Niedersachsen, Urteil vom 17.06.1997 – L 7/8 Ar 124/96). Im Übrigen wäre fraglich, ob die Abfindung überhaupt noch aufgrund des Sozialplans zu leisten gewesen wäre, da in dessen Nr. 6 der Abfindungsanspruch bei einer Schnupperversetzung auf einen Zeitraum von sechs Monaten ab deren Beginn befristet war. Unabhängig vom Vollzug der Schnupperversetzung nach A-Stadt ab 01.08.2014 (so die Änderungskündigung) oder ab 01.10.2014 (so der Vortrag im Rahmen der Berufung) wäre der Anspruch nur für eine Beendigung bis spätestens 31.03.2015 gegeben gewesen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete aber erst mit Ablauf des 30.04.2015.
Ohne rechtlichen Belang für die Anwendung des § 158 SGB III sind die Gründe, die die Klägerin zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung veranlasst haben. Selbst eine ihr zustehende Kündigungsmöglichkeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist wäre insofern unerheblich (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.2000 – B 7 AL 48/99 R – SozR 3-4100 § 117 Nr. 20). Dass dem Arbeitgeber nach Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses am Standort A-Stadt im Zeitpunkt der Aufhebungsvereinbarung ein Recht zur fristlosen Kündigung zugestanden hätte, ist weder ersichtlich noch vorgebracht worden.
Eine einschränkende Auslegung des § 158 SGB III für die Fälle, in denen am Ende der Kündigungsfrist eine Entschädigung in gleicher Höhe zu zahlen wäre, ist nicht angezeigt. Es ist ohne Bedeutung, ob die Abfindung auch bei Beendigung durch ordentliche Kündigung gezahlt worden wäre (vgl. Bender in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2016, § 158 Rn. 28a). Voraussetzung ist allein, dass zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang besteht, nicht aber ob die Abfindung in ursächlichem Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht (vgl. BSG, Urteil vom 21.09.1995 – 11 RAr 41/95 – SozR 3-4100 § 117 Nr. 12). Soweit entgegen der Rechtsprechung des BSG (z. B. Urteil vom 21.09.1995 – 11 RAr 41/95 – SozR3-4100 § 117 Nr. 12) die Ansicht vertreten wird, Fallgestaltungen, bei denen kein Zweifel daran aufkommen kann, dass die Entlassungsentschädigung in jedem Fall am Ende der ordentlichen Kündigungsfrist in gleicher Höhe zu zahlen ist, weil etwa ein Sozialplan für alle ausscheidenden Arbeitnehmer eine Entlassungsentschädigung vorsieht und der Arbeitnehmer z. B. wegen besonderer Umstände vorzeitig fristlos kündigt (so Bender a. a. O. Rn. 41 f. m. w. N.), überzeugt dies im Hinblick auf die vom Gesetzgeber bewusst gewollte Typisierung nicht. Zudem hat die Klägerin durch ihr Verhalten, nämlich den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung, eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingenommen. Maßgeblich für die Anwendung des § 158 SGB III ist alleine die objektive Rechtslage, mithin wie das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet worden ist, nicht wie es hätte enden können oder sollen (vgl. dazu BSG a. a. O. m. w. N.). Ohne Belang ist letztlich, wie die Klägerin ihre Abfindung tatsächlich verwendet hat.
Damit begann die Ruhensfrist bezüglich der Zahlung des Alg nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III am 01.05.2015. Die Frist läuft grundsätzlich bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der Kündigungsfrist geendet hätte. Da aber im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin (23 Jahre) und ihr Lebensalter (48 Jahre) nur 30 Prozent der Entlassungsentschädigung zu berücksichtigen waren (§ 158 Abs. 2 Satz 3 SGB III) und ein kalendertäglich verdientes Arbeitsentgelt iHv 79,17 EUR zugrunde zu legen ist, errechnet sich nach § 158 Abs. 2 Satz 2 SGB III nur eine Dauer der Ruhensfrist von 75 Kalendertagen (30% von 20.011 EUR /79,17 EUR). Dieser Zeitraum ist in jedem Fall kürzer als sechs Monate, so dass es auf die Frage einer sechsmonatigen oder siebenmonatigen Kündigungsfrist nicht ankommt.
Die Beklagte hat damit zu Recht das Ruhen des Anspruchs auf Alg für die Zeit vom 01.05.2015 bis 14.07.2015 festgestellt. In dieser Zeit kann die Klägerin kein Alg beanspruchen.
Die Berufung war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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