Arbeitsrecht

Ruhestandsversetzung wegen dauernder Dienstunfähigkeit infolge einer schizoiden Persönlichkeitsstörung

Aktenzeichen  M 5 K 14.642

Datum:
21.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG BayBG Art. 18 Abs. 2, Art. 65 Abs. 1, Art. 71 Abs. 1 S. 1
BeamtStG BeamtStG § 26 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 28 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinn, nicht das von ihm wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten). (redaktioneller Leitsatz)
Reicht die Leistungsfähikgeit des Beamten für einen Teil der amtsangemessenen Dienstposten aus, sind diese aber besetzt, so hängt die Dienstunfähigkeit von den personellen und organisatorischen Gegebenheiten der Beschäftigungsbehörde ab (zur Suchpflicht vgl. BVerwG BeckRS 2009, 34133). (redaktioneller Leitsatz)
Die bei einer anderweitigen Verwendung eintretenden Störungen des Betriebsablaufs dürfen nicht über das Maß hinausgehen, das mit den Änderungen vorübergehend zwangsläufig verbunden ist. (redaktioneller Leitsatz)
Dauernde Dienstunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2013 (bei der Datumsangabe 27. Juli 2013 im Antrag in der Klageschrift handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2014, der die Ruhestandsversetzung des Klägers verfügt, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Nach § 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) sind Beamte und Beamtinnen auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands und aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Von der Versetzung in den Ruhestand soll abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist. Die landesrechtlich bestimmte Frist, innerhalb derer keine Aussicht auf Wiederherstellung der Dienstfähigkeit besteht, wird durch Art. 65 Abs. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) auf sechs Monate festgesetzt.
Für die Feststellung der Dienstunfähigkeit reicht nicht aus, dass der Beamte die Aufgaben des von ihm wahrgenommenen Amtes im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) nicht mehr erfüllen kann. Denn Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist. Reicht die Leistungsfähigkeit des Beamten für einen Teil der amtsangemessenen Dienstposten aus, sind diese aber besetzt, so hängt die Dienstunfähigkeit von den personellen und organisatorischen Gegebenheiten bei der Beschäftigungsbehörde ab. Der Beamte ist weiter dienstfähig, wenn ein geeigneter Dienstposten entweder für ihn freigemacht oder durch organisatorische Änderungen eingerichtet werden kann. Daran fehlt es, wenn derartige Maßnahmen die sachgemäße und reibungslose Erfüllung der dienstlichen Aufgaben beeinträchtigen würden. Störungen des Betriebsablaufs dürfen nicht über das Maß hinausgehen, das mit Änderungen vorübergehend zwangsläufig verbunden ist (BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 73/08 – BVerwGE 133, 297/310 sowie juris Rn. 14 f.; VG München, U.v. 11.11.2015 – M 5 K 14.5530).
2. Die Ruhestandsversetzungsverfügung ist formell rechtmäßig. Sie wurde von der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd als die nach Art. 71 Abs. 1 Satz 1, Art. 18 Abs. 2 BayBG i. V. m. § 1 Abs. 5, § 20 Abs. 2 Nr. 5 der Satzung der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd zuständige Stelle für Ernennungen verfügt.
Die nach Art. 28 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) erforderliche Anhörung des Klägers erfolgte durch das Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2013. Nach dieser Bestimmung ist den Beteiligten an einem Verwaltungsverfahren vor Erlass eines in dessen Rechte eingreifenden Verwaltungsaktes Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Der Kläger hat von dieser Möglichkeit mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 6. Juni 2013 Gebrauch gemacht.
Der Personalrat wurde auf den Antrag des Klägers hin gemäß Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Satz 3 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes (BayPVG) am Verfahren beteiligt. Mit Schreiben vom 2. Juli 2013 teilte dieser mit, dass gegen die beabsichtigte Ruhestandsversetzung keine Einwände erhoben werden.
3. Die Ruhestandsversetzungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig.
a) Die Beurteilung der Frage durch die Behörde, ob ein Beamter zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, unterliegt keinem gerichtsfreien Beurteilungsspielraum. Es handelt sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris; OVG NW, B.v. 3.2.2012 – 1 B 1490/11 – juris, IÖD 2012, 50; U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris; VG München, U.v. 10.12.2014 – M 5 K 14.2534 – juris Rn. 24).
b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Kläger dauerhaft dienstunfähig. Aufgrund seines Gesundheitszustands ist er nicht mehr im Stande, sein Amt im abstrakt-funktionellen Sinn wahrzunehmen. Das nunmehr allein maßgebliche psychiatrische Gutachten des Arztes PD Dr. med. P., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. November 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung nach der ICD-10-Klassifizierung psychischer Störungen F60.1 leidet. Der Kläger erfülle sämtliche diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung sowie acht anstelle der mindestens notwendigen vier spezifisch diagnostischen Kriterien für das Vorliegen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung (sog. B-Kriterien). Dies hat der als Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2016 vernommene PD Dr. med. P. unter Darlegung der Krankheitsgeschichte des Klägers zur Überzeugung des Gerichts untermauert. Die Schlussfolgerungen sind stimmig und überzeugen. Dabei ist er auch in nachvollziehbarer Weise auf frühere gesundheitliche Einschätzungen anderer Ärzte eingegangen.
Die Persönlichkeitsstörung des Klägers führt ausweislich des nachvollziehbaren, in sich schlüssigen Gutachtens vom 4. November 2015 und dessen Erläuterung in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2016 durch PD Dr. med. P. dazu, dass der Kläger nicht in der Lage ist, seinen Dienst zu verrichten. Die Erkrankung führe beim Kläger zu einer deutlichen Verringerung der sozialen Kompetenz und der psychischen Belastbarkeit, zu einer deutlichen Einschränkung der Emotionalität sowie zu einer massiven Verringerung der Frustrationstoleranz und Veränderungsfähigkeit. Es sei nicht nur ein beruflicher Einsatz mit Publikumsverkehr unmöglich, sondern jeglicher Einsatz mit anderen Menschen, auch mit Kollegen und Vorgesetzten. Jegliche Art der sozialen Interaktion in einem auch nur ansatzweise fordernden beruflichen Umfeld überfordere den Kläger krankheitsbedingt. Eine Lösung werde zudem durch die fast konträre Selbstwahrnehmung des Klägers unmöglich gemacht, nach der er aus seiner Sicht gerade ein soziales Umfeld mit Menschen benötige, um eine befriedigende Arbeit zu erhalten. Dies sei auch daran erkennbar, dass der Kläger einen genehmigten Tele-Arbeitsplatz abgelehnt habe und kein Einzelbüro zugewiesen bekommen möchte, sondern ein Zimmer mit einigen wenigen Arbeitsplätzen. Dies würde jedoch nach Einschätzung von PD Dr. med. P. keine Lösung darstellen. Der Kläger sei durch Reize belastet, und zwar entgegen seiner Ansicht nicht nur durch akustische, sondern auch durch soziale Reize. Mit diesen könne der Kläger nicht umgehen.
Dem Kläger verbleibe nach Einschätzung des Gutachters auch keine Restleistungsfähigkeit. Es sei weder eine Verwendung durch Übertragung eines Amtes derselben oder einer anderen Laufbahn denkbar, noch könne der Kläger bei einer geringerwertigen Tätigkeit eingesetzt werden. Die genannten Einschränkungen seien unzweifelhaft auch zukünftig länger als sechs Monate vorhanden. Es wirke sich prognostisch ungünstig aus, dass der Kläger eigene Anteile weitgehend verleugne, kaum veränderungsbereit sei und in den letzten Jahren mehrfach Psychotherapiemaßnahmen abgebrochen habe. Es sei eindeutig eine Symptomverstärkung festzustellen.
Nach alledem ist die Beklagte daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, so dass die Ruhestandsversetzungsverfügung zu Recht erfolgt ist.
Dass Dipl.-Psych. S. unter gewissen Umständen von einer Restleistungsfähigkeit des Klägers ausgeht, so sei dieser Einschätzung laut PD Dr. med. P. vor dem Hintergrund zweier Aspekte nicht zu folgen. Zum einen sei Dipl.-Psych. S. als Behandler grundsätzlich nicht neutral, zum anderen habe im Zeitpunkt der Einschätzung erst eine sehr kurze Behandlungsdauer vorgelegen. Die Behandlung sei schließlich auch nicht längerfristig fortgesetzt worden.
Soweit Dr. D. des Gesundheitsamtes von einer Restleistungsfähigkeit unter gewissen Umständen ausgeht, vermag dies die Bewertung des Sachverhaltes nicht zu ändern. Denn wie diese Umstände konkret ausgestaltet sein sollten, ist unklar. Angesichts der deutlichen Ausprägungen der Persönlichkeitsstörung des Klägers ist nicht vorstellbar, wie ein Arbeitsplatz gestaltet sein könnte, damit der Kläger restleistungsfähig ist. Dies hat PD Dr. med. P. nachvollziehbar und überzeugend erläutert. Denn die Tendenz zur Externalisierung – das Sehen der Verantwortung bei Anderen – sei beim Kläger besonders stark ausgeprägt. So seien Konflikte unabhängig von der Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes unvermeidlich. Denn aufgrund des Krankheitsverlaufes sei der Kläger bei jedem Einsatz mit anderen Menschen überfordert. Hinzu komme die massive Reduktion der Veränderungsbereitschaft des Beamten.
4. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs.1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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