Arbeitsrecht

Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzung in einem Arbeitsgerichtsprozess

Aktenzeichen  4 O 22723/15

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157311
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 280 Abs. 1
KSchG § 4 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ist unklar welche von mehreren Gesellschaften passiv legitimiert ist, begeht der klägerische Anwalt eine Pflichtverletzung, wenn er nicht dem Gebot des sichersten Weges folgend, alle die als Gegner denkbaren Gesellschaften verklagt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ersatzpflichtige hat den Zustand herzustellen, der ohne seine Pflichtverletzung bestünde. Deshalb ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtmäßigem Verhalten des Rechtsanwalts genommen hätten, insbesondere wie die Vermögenslage des Mandanten dann wäre. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Frage, wie der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen, beantwortet sich nach § 287 ZPO, weil es sich um ein Element der haftungsausfüllenden Kausalität handelt. Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre. Bei § 287 ZPO reicht für die richterliche Überzeugungsbildung eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 800.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten, da er nicht nachweisen konnte, dass der Arbeitsgerichtsprozess für ihn erfolgreich verlaufen wäre. Zumindest die dort streitgegenständliche, außerordentliche Kündigung vom 27.04.2010 ist wirksam gewesen. Auf die Hilfswiderklage kam es daher nicht mehr an.
I. Eine Pflichtverletzung des Beklagten lag allerdings vor: dem Gebot des sichersten Weges folgend hätte er zumindest gegen beide als Gegner denkbare Gesellschaften … und die … vorgehen müssen. Nach den glaubhaften Ausführungen des Zeugen … der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2017 war die tatsächliche Arbeitgeberin die … sodass der Kläger von Anfang an die richtige Beklagte gewählt hatte und der hiesige Beklagte dann durch den Schriftsatz vom 17.06.2010 und durch die Antragstellung in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht eine Ursache für die Auffassung des Landesarbeitsgericht München gesetzt hatte.
Vorsorglich wäre aber auch ein Vorgehen gegen die … angezeigt gewesen. Zwar wäre keine Heilung eingetreten, weil die Kündigungsschutzklage gegen den wahren Arbeitgeber nicht mehr innerhalb der Drei-Wochen-Frist gem. § 4 S. 1 KSchG erhoben worden wäre. Der Arbeitnehmer kann aber bei verwirrendem Auftreten des Arbeitgebers nach § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 KSchG die nachträgliche Zulassung der Klage verlangen (MüKoBGB/Hergenröder KSchG § 4 Rn. 40).
II. Das Gericht konnte aber gemäß § 287 ZPO nicht zugrunde legen, dass der inzidente Arbeitsgerichtsprozess Aussicht auf Erfolg hatte.
Der Ersatzpflichtige hat den Zustand herzustellen, der ohne seine Pflichtverletzung bestünde. Deshalb ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtmäßigem Verhalten des Rechtsanwalts genommen hätten, insbesondere wie seine Vermögenslage dann wäre.
Die Frage, wie der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen, beantwortet sich nach § 287 ZPO, weil es sich um ein Element der haftungsausfüllenden Kausalität handelt. Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre (BGH NJW 2005, 3071).
Bei § 287 ZPO reicht für die richterliche Überzeugungsbildung eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus. Das wirkt sich auch auf die Darlegupgslast des Geschädigten aus. Es genügt, dass er Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichende greifbare Anhaltspunkte bieten. An die Darlegung eines hypothetischen Geschehens dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (BGH, Urt. v. 19.01.2006, Az.: IX ZR 232/01).
Das Arbeitsgericht München hat in seinem Urteil vom 17.02.2011 die der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen als wahr unterstellt und kam hierbei zu der Auffassung, dass die Kündigungen unwirksam sind. Es würde die Tatsache fehlen, dass der Kläger nicht begonnen hatte, die schriftliche Unterlagen aus den Räumen der Kanzlei tatsächlich zu entfernen. Beweis wurde dort nicht erhoben, die Parteien auch nicht angehört. Für die arbeitsrechtliche Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung kommt es jedoch ganz maßgeblich darauf an, wie sich die den Kündigung zugrunde liegenden Umstände in der Beweissituation konkret dargestellt hätten. Das hiesige Gericht hat insofern die Beweise erhoben und den Zeugen … Invernommen und den Kläger informatorisch angehört.
Der Zeuge … gab in seiner Vernehmung vom 26.01.2017 an, dass er seit 2005 Patentanwalt ist und er zur Zeit der Beschäftigung des Klägers noch nicht die Fünfjahresfrist erreicht hatte, um selbst ausbilden zu dürfen. Der nominale Ausbilder war der verstorbene Herr …. Er schilderte zunächst Vorfälle, die letztlich sehr unkonkret blieben, wie die Information durch Mitarbeiter der Patentanwaltskanzlei, dass sich der Kläger gegenüber Frauen oder auch ausländischen Mandanten bzw. Kurden geringschätzig verhalten hätte, sowie der Verdacht der damaligen Partner, dass der Kläger bei Bearbeitung einer Patentanwaltsprüfungsklausur die Lösung im Internet besorgte und als eigene präsentierte. Diese Ausführungen blieben so vage, dass sie eine Kündigung nicht rechtfertigen konnte. Konkreter konnte der Zeuge aber die Abläufe ab dem 22.03.2010 schildern. Aus dem in der Verhandlung übergebenen Aktenvermerk des … vom 22.03.2010 (Anlage I zum Protokoll) lassen sich für den Tag des 22.03.2010 ebenso nicht ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB erkennen.
Die Umstände der Bedrohung und Beschimpfung am Vormittag des 26.04.2010 werden nur durch die Anlage III zum Protokoll, ein weiterer Aktenvermerk des verstorbenen Wolfgang Grosse, belegt. Der Zeuge … war hier nicht anwesend, ihm wurde das Geschehene nur von Herrn … geschildert. Mangels Einvernahme des verstorbenen Zeugen kann sich das Gericht hierüber keinen ausreichenden Eindruck verschaffen. Der Kläger hat den Vorfall am Vormittag dahingehend beschrieben, dass er das Wort „Türkenhasser“ nicht geäußert habe. Der Partner … hätte den Kläger vielmehr darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keinen Kündigungsschutz gebe, womöglich vielleicht ja in der Türkei, dies habe er mit einem ironischen Unterton besagt, woraufhin der Kläger äußerte, er soll die Türkei nicht beleidigen. Der Kläger bestritt, dass er mit einer Strafanzeige gedroht habe, er habe vielmehr nur darauf hingewiesen, dass Änderungen im Ausbildungsverhältnis der Patentanwaltskammer angezeigt werden müssen. Er habe aber darauf hingewiesen, dass er einen Anspruch auf Schadensersatz hätte, wenn er nicht weiter ausgebildet werde. „Rentner“ habe er nicht zu ihm gesagt. Der Hinweis auf etwaige Schadensersatzansprüche im Kontext einer aufgeladenen Gesprächssituation kann für das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht ausreichend sein.
Die Geschehnisse am Nachmittag des 26.04.2010 rechtfertigen aber eine außerordentliche Kündigung. Der Zeuge … gab an, dass es der Vorschlag der arbeitsrechtlichen Beraterin der Kanzlei war, dass der Kläger die Kanzlei noch am gleichen Tag verlassen und man aufpassen solle, dass keine Unterlagen wegen der Verschwiegenheitspflicht mit genommen würden. Hierauf hätte der Zeuge dann den Kläger im Büro aufgesucht und dort sei ihm ein Einkaufswagen aus Stoff aufgefallen, der etwas größer als ein Reisegepäckhandkoffer gewesen sei und in dem sich verschiedene Unterlagen, Bücher und Papier befunden hätte. Nach Aufforderung durch den Zeugen konnte er sich den Inhalt anschauen und stellte fest, dass es sich um Korrespondenz der Kanzlei mit Mandanten und Patentämtern handelte. Er habe einen Stapel in die Hand genommen und dem Kläger gesagt, dass er das nicht mitnehmen dürfe. Er wollte dann zusammen mit dem Kläger den gesamten Inhalt durchgehen. Aus einem Wutanfall hätte der Kläger dann den Stapel zerrissen. Es habe sich eine Diskussion entspannt, was man mitnehmen dürfe und was nicht, da sich auch Lehrbücher und private Korrespondenz in dem Stapel befunden habe. Ein Stapel Papiere habe er dann sichergestellt und in ein anderes Büro gebracht. Diesen Stapel hatte der Zeuge aufbewahrt und konnte ihn in der Verhandlung vom 26.01.2017 vorzeigen.
Gemeinsam mit den Parteivertretern und dem Kläger wurde der Stapel in Augenschein genommen. Tatsächlich handelte es sich um geschäftliche Schreiben aus der Patentanwaltskanzlei und Entwürfe, die der Kläger als Sachbearbeiter gefertigt hatte. Es war immer das Kürzel „ON“ enthalten. Teils waren handschriftliche Anmerkungen der Ausbilder darauf. Die Unterlagen beinhalteten aber mandatsbezogene Angaben.
Der Zeuge gab weiter an, dass er von dem Kläger gehindert wurde, das Buchhaltungsbüro zu verlassen. Er habe ihn dann zur Seite geschoben.
Der Kläger gab zu diesem Nachmittag an, dass er die fristlose Kündigung erhalten habe und dann von dem Zeugen … sein Büro geführt wurde, er wäre dabei geschubst worden, damit er schneller gehe. Der Einkaufswagen hätte er von zu Hause mitgebracht, da er private Sachen mitnehmen wollten. Er hatte ja am Freitag zuvor die ordentliche Kündigung erhalten. Im Einkaufswagen wären seine Unterlagen enthalten gewesen. Es könne sein, dass der Stapel in der mündlichen Verhandlung derselbe Stapel vom 26.04.2010 sei. Er betonte, dass das Kürzel „ON“ auf den Unterlagen gestanden hätte, das wären seine Unterlagen, er wäre Urheber der Schriftstücke. Auf die Frage des Gerichts, ob er beabsichtigte, diese Unterlagen mit nach Hause zu nehmen, wich er aus und antwortete, er wolle nur die Bücher, welche ihm gehörten, mitnehmen. Er wollte ein bisschen aufräumen, wiederum betonte er aber, dass es sich um seine Unterlagen handelte. Bei dem Hinweis des Zeugen … darauf, dass die Unterlagen der Kanzlei verbleiben sollen, hätte er sich in seinen Persönlichkeitsrecht verletzt gefühlt. Er hätte nicht gewollt, dass der Zeuge seine Unterlagen sieht, wer wolle das schon, deswegen habe er sie zerrissen. Er sei dem Zeugen dann nachgelaufen, als dieser den Stapel in ein anderes Büro brachte. Der Kläger habe den Zeugen aufgefordert, seine Unterlagen zurückzugeben, der Zeuge habe ihn dann weggestoßen, er habe nicht den Durchgang versperrt.
Der Zeuge war glaubwürdig, er schilderte die Vorgänge ruhig und ohne erkennbaren Belastungseifer. Es wurde auch berücksichtigt, dass sich der Zeuge vom Kläger bedroht fühlte und dies dem Gericht auch kurz vor der Zeugenvernehmung anzeigte. Er gab insoweit an, dass der Kläger im Jahr 2010 nachts vor der Kanzlei gestanden habe. In den letzten Jahren hätte man allerdings keinen Kontakt mehr gehabt.
III. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – Aktenzeichen 2 AZR 541/09, BeckRS 2010, 70178).
Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann sogar einen wichtigen Grund i.S.d.. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat. Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG, Urteil vom 21.06.2012 – Aktenzeichen 2 AZR 153/11, BeckRS 2012, 70502).
Das Verstauen von geschäftlichen Unterlagen im Rollkoffer und das anschließende Zerreißen nach Konfrontation durch den Zeugen … am 26.04.2010 stellt einen besonderen Vertrauensbruch dar.
1. In dem unstreitigen Verstauen kann bereits ein vollendeter Diebstahl zu sehen sein, da der Kläger bereits den Gewahrsam an den geschäftlichen Unterlagen gebrochen hatte und eine Zueignungsabsicht zu erkennen ist.
Bei kleinen, leicht zu verbergenden Sachen wird auch in einem fremden Herrschaftsbereich mit dem Einstecken in die Kleidung oder in ein mitgeführtes, leicht zu transportierendes Behältnis (Tasche, Koffer) bereits neuer Gewahrsam begründet, sodass der Diebstahl vollendet ist. In diesen Fällen wird der Gegenstand so eng in die „höchstpersönliche Sphäre“ und damit in einen „Tabubereich“ gebracht, dass selbst in einer fremden Gewahrsamssphäre neuer Gewahrsam begründet ist. Es wird eine „Gewahrsamsenklave“ geschaffen (BeckOK StGB/Wittig StGB § 242 Rn. 25.1).
Auch eine Zueignungsabsicht war angegeben. Der Kläger hat zwar mittelbar bestritten, dass er die Absicht hatte, die Unterlagen mit zu sich nach Hause zu nehmen. Indem er aber gleichzeitig zweifach betonte, dass es ja seine Unterlagen seien, da er Urheber dieser war und dass er sich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt gefühlt hatte, besteht für das Gericht kein Zweifel, dass er die Unterlagen mit nach Hause nehmen wollte, da er der Meinung war, dass sie ihm gehören. Dies wird auch dadurch gestützt, dass der Kläger die Unterlagen vom Zeugen von H. wieder heraus verlangte, als dieser sie in ein anderes Büro verbringen wollte. Wenn man ein Büro aufräumen wollte, braucht man dafür kein Gepäckstück.
Insofern handelte es sich noch nicht einmal um eine Verdachtskündigung, bei welcher dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist (BAG NZA 2008, 809).
2. Insbesondere ist hier aber auch maßgeblich, dass es sich nicht um fiktive Ausbildungsunterlagen handelte, sondern um Unterlagen aus bestehende Mandatsverhältnissen.
Dem Arbeitnehmer ist es auf Grund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gem. § 17 II Nr. 1 Buchst. b UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zu Gunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 I BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (BAG, Urteil vom 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, NJW 2015, 109).
Der Patentanwalt ist gem. § 39 a II PAO zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Der Kläger hatte nicht angegeben, dass er die Unterlagen nur zur Rechtsverteidigung oder nur für weitere Ausbildungszwecke mitnehmen wollte. Eine Motivation für das Verstauen konnte der Kläger letztlich nicht plausibel machen. Bei den besonders aus Wettbewerbsgesichtspunkten sensiblen Daten einer Patentanwaltskanzlei drohen ganz erhebliche nachteilige Folgen, wenn der Kläger die Unterlagen aus der Kanzlei geschafft hätte.
3. In dem Hinzutreten des Zerreißens nach Aufdeckung des Verstauens der geschäftlichen Unterlagen liegt schließlich für sich allein schon ein ausreichender Vertrauensbruch. Hierbei wurde auch berücksichtigt, dass sich der Kläger in einer emotionalen Ausnahmesituation war. Das Zerreißen von geschäftlichen Unterlagen stellt ein nicht hinzunehmendes Dominanzverhalten gegenüber dem anwesenden Vorgesetzten dar. Hierbei wird die Autorität des Vorgesetzten irreparabel erschüttert.
4. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und nach Vornahme der Interessenabwägung war es der GGH nicht zumutbar, den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu beschäftigen. Der Kläger war nur von November 2008 – April 2010 betriebszugehörig. Unterhaltsverpflichtungen hat er keine, verheiratet ist er nicht. Im Jahr 2010 befand er sich in seinem 40. Lebensjahr. Er hat ein abgeschlossenes Physikstudium und ist dort auch promoviert. Seine Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind daher grundsätzlich als günstig einzuschätzen. Die außerörtliche Kündigung während der Patentanwaltsausbildung wurde insoweit berücksichtigt, als dass sie im Lebenslauf für weitere Bewerbungen als Patentanwaltsauszubildender problematisch sein dürfte.
Auch aus der Anlage VIII zum Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt sich über § 242 BGB keine Unwirksamkeit der Kündigung nur aus dem Umstand heraus, dass sich die Partner von einer Arbeitsrechtlerin haben beraten lassen und womöglich nach Tatsachen für einen Kündigungsgrund suchten. Den Vorfall am Nachmittag des 26.4.2010 hat der Kläger initiiert und nicht die GGH.
5. Die Schriftform des § 623 BGB wurde eingehalten. Nach § 623 BGB bedarf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Auflösungsvertrag zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das gesetzliche Schriftformerfordernis hat vor allem Klarstellungs- und Beweisfunktion. Es soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die eigenhändige Unterschrift stellt darüber hinaus eine eindeutige Verbindung zwischen der Urkunde und dem Aussteller her (Identitätsfunktion). Die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt (Echtheitsfunktion). Durch die Unterschrift erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Für die Einhaltung der Schriftform ist deshalb erforderlich, dass alle Erklärenden die schriftliche Willenserklärung unterzeichnen. Unterzeichnet für eine Vertragspartei ein Vertreter die Erklärung, muss das Vertretungsverhältnis in der Urkunde deutlich zum Ausdruck kommen. Dies kann insbesondere durch einen entsprechenden Zusatz bei der Unterschrift erfolgen. Unterschreibt für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur ein Gesellschafter und fügt er der Unterschrift keinen Vertretungszusatz hinzu, ist nicht auszuschließen, dass die Unterzeichnung der Urkunde auch durch die anderen Gesellschafter vorgesehen war und deren Unterschrift noch fehlt. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die Urkunde erkennen lässt, dass die Unterschrift des handelnden Gesellschafters auch die Erklärung der nicht unterzeichnenden Gesellschafter decken soll, also auch in deren Namen erfolgt ist. Für die Frage, ob jemand eine Erklärung auch in fremdem Namen abgibt, kommt es auf deren objektiven Erklärungswert an. Maßgeblich ist gem. § 157 BGB, wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte für den Empfänger darstellt. Hierbei sind außer dem Wortlaut der Erklärung alle Umstände zu berücksichtigen, die unter Beachtung der Verkehrssitte Schlüsse auf den Sinn der Erklärung zulassen. Von Bedeutung sind insbesondere die dem Rechtsverhältnis zu Grunde liegenden Lebensverhältnisse, die Interessenlage, der Geschäftsbereich, dem der Erklärungsgegenstand angehört, und verkehrstypische Verhaltensweisen. Die gesetzliche Schriftform (§ 126 BGB) ist nur gewahrt, wenn der so ermittelte rechtsgeschäftliche Vertretungswille in der Urkunde, wenn auch nur unvollkommen, Ausdruck gefunden hat (BAG NZA 2008, 348).
Der Zeuge … hatte nachvollziehbar angegeben, dass die geschäftsführenden Gesellschafter … sowie er selbst gewesen sei. In der Kündigung vom 27.4.2010 unterschrieben diese 3 Personen und im Briefkopf ist für diese 3 Personen aufgeführt, dass sie geschäftsführender Gesellschafter sind. Insofern ist der Vertretungswille in der Urkunde ausreichend zum Ausdruck gekommen.
6. Auf § 22 BBiG kam es wegen der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht an. Im Übrigen folgt das Gericht der Auffassung des LArbG im Urteil vom 20.09.2011, wonach kein Berufsausbildungsverhältnis i.S.d. BBiG vorlag, da die Ausbildung nicht den Zweck hat, die berufliche Handlungsfähigkeit zu vermitteln. Diese bestand vorher schon.
7. Die Bedingung für die Hilfswiderklage ist damit nicht eingetreten.
IV. Die Kosten ergeben sich aus § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. Bei den Kosten war die Teilklagerücknahme der ursprünglich unbedingt erhobenen Widerklage und Änderung in eine Hilfswiderklage nicht streitwerterhöhend berücksichtigen, da wirtschaftlich identische Sachverhalte zur Klage vorliegen. Im Rahmen des Schadensvortrags hätte die Klageseite sowieso nach noch zu erteilendem Hinweis des Gerichts Ausführungen zur Schadensminderungsobliegenheit vornehmen müssen.
V. Der Streitwert war festzulegen auf 800.000 €. Nach der Klageerweiterung erreichte der Leistungsantrag einen Betrag in Höhe von insgesamt 787.801,57 €. Mit rund 13.000 € wurde der Feststellungsantrag im Hinblick auf die zukünftigen Verdienstausfälle angesetzt.
VI. Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 3.2.2017 hat keinen Anlass zur Wiedereröffnung gegeben. Die dort enthaltenen Rechtsausführungen wurden hier berücksichtigt.

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