Aktenzeichen M 5 K 16.162
BGB § 839 Abs. 3
Leitsatz
1 Ein Beamter kann von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch die Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Beamten auf Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und er es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (BVerwG BeckRS 2015, 47566). (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht ein, wenn der Verletzte mögliche Rechtsbehelfe gegen die beanstandete Entscheidung ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat. Von einem Beamten kann erwartet werden, dass er ein Absageschreiben auf seine Bewerbung, mit dem er über den Ausgang des Auswahlverfahren und die wesentlichen Gründe in Kenntnis gesetzt wird, zum Anlass nimmt, gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist auch zumutbar, dass der Beamte, zumal wenn er langjähriges Mitglied des Personalrates war, die Rechtmäßigkeit der Laufbahnnachzeichnung und damit auch der Zusammensetzung der nach dem früher praktizierten Verfahren maßgeblichen Vergleichsgruppe in einem gerichtlichen Verfahren klären lässt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als wäre er zum 1. Januar 2013, hilfsweise zum 1. Oktober 2013, nach A 13 befördert worden.
1. Ein Beamter kann von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch die Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) folgenden Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 12/14 – BVerwGE 151, 333; U.v. 30.10.2013 – 2 C 23.12 – BVerwGE 148, 217; U.v. 17.8.2005 – 2 C 37.04 – BVerwGE 124, 99).
a) Soweit der Kläger in vier Fällen gerichtlichen Eilrechtsschutz im Stellenbesetzungsverfahren in Anspruch genommen hat, wurde durch das Verwaltungsgericht wie auch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs verneint (vgl. die im Tatbestand genannten Beschlüsse). Das gilt auch für das erfolglose Widerspruchsverfahren in einem Fall, in dem der Kläger den entsprechenden Widerspruchsbescheid vom … Juni 2013 bestandskräftig werden ließ.
b) Im Übrigen scheitert der Schadensersatzanspruch bereits daran, dass es der Kläger unterlassen hat, zumutbaren Primärrechtsschutz zur Abwendung des Schadens in Anspruch zu nehmen. Auf die weiteren Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruches kommt es daher nicht weiter an.
Nach dem auch im Beamtenrecht geltenden Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) tritt die Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht ein, wenn der Verletzte mögliche Rechtsbehelfe unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung, insbesondere gerichtlichen Rechtsschutz nach Durchführung des Vorverfahrens, ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat (BVerwG, U.v. 1.4.2004 – 2 C 26/03 – NVwZ 2004, 1257 m. w. N., juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 17.1.2014 – 3 ZB 11.2522 – juris Rn. 14). Ob es der Beamte schuldhaft unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen, hängt davon ab, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen des Verkehrskreises verlangt werden muss, dem der Verletzte angehört (BVerwG, U.v. 1.4.2004, a. a. O., Rn. 13).
c) Dem Kläger wurden die Absagen jeweils vor der Bestellung bzw. Ernennung der ausgewählten Beamten auf den Dienstposten erteilt. Der Kläger hatte durch diese Mitteilungen („Negativmitteilung“) hinreichend Gelegenheit, sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung oder einem Rechtsbehelf in der Hauptsache effektiv gegen die Auswahlentscheidung zu wenden.
Aus der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Anspruchs eines Beförderungsbewerbers ergeben sich bereits Vorwirkungen auf das Verwaltungsverfahren. Das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren darf nicht so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert. Weiter folgt daraus auch eine Verpflichtung, vor Aushändigung der Urkunde an den ausgewählten Beamten einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten, um dem erfolglos gebliebenen Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, Eilantrag, Beschwerde oder gar Verfassungsbeschwerde zu erheben, weil nur so die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht (grundlegend: BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – NVwZ 2007, 1178; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – BVerwGE 138, 102).
Durch die Formulierung in den Absageschreiben – beispielhaft das Schreiben vom 9. November 2012 – wurde der Kläger in den Grundzügen über die wesentlichen Kriterien der getroffenen Auswahlentscheidung in Kenntnis gesetzt. Er war damit hinlänglich darüber informiert, aufgrund welcher Erwägungen die Stellen besetzt werden sollen und warum er nicht zum Zuge kommen soll (OVG NRW, B.v. 29.7.2010 – 6 B 774/10 – juris Rn. 4; Schnellenbach, Konkurrenzen im Öffentlichen Dienst, 1. Auflage 2015, Anhang 6 Rn. 7 f.). Dabei ist es genügend, wenn im Absageschreiben bzw. der Negativmitteilung an den unterlegenen Bewerber die für die Entscheidung wesentlichen Auswahlerwägungen in knapper Form im Sinn einer „Anstoßwirkung“ enthalten sind. Will der Beamte die Auswahlentscheidung genauer prüfen, so kann er dann Einsicht in die schriftlich zu fixierenden Auswahlerwägungen nehmen. Diese müssen – dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes folgend – schriftlich niedergelegt und hinreichend ausführlich sein und können danach nur ergänzt, aber insbesondere im gerichtlichen Eilverfahren nicht nachgeholt werden (BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – NVwZ 2007, 1178; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – BVerwGE 138, 102). Insoweit unterscheiden sich Absage bzw. Negativmitteilung und der Auswahlvermerk (Schnellenbach, a. a. O., Rn. 8).
Die Formulierung, dass die Auswahl nach dem Prinzip der Bestenauslese erfolgt sei, welcher Beamte daher ausgewählt werde und dass für den Kläger ein Vergleichsbeamter nicht vorhanden sei, genügt der dargestellten „Anstoßwirkung“. Denn durch diese Formulierung wurde der in der Auswahl unterlegene Kläger über die wesentlichen Gründe informiert. Es lag an ihm, darauf nähere Informationen einzuholen, insbesondere durch Einsicht in den Auswahlvermerk, um zu überlegen, evtl. einen Rechtsbehelf zu ergreifen. Im Übrigen wurde dem Kläger im Schreiben vom 3. Dezember 2012 das Verfahren der fiktiven Laufbahnnachzeichnung durch Heranziehung eines Beamten aus einer Vergleichsgruppe allgemein durch Verweis auf das Ministerialschreiben vom 6. August 2012 sowie konkret bezogen auf seine Situation und die in die Vergleichsgruppe einbezogenen Beamten erläutert.
d) Der Kläger kann gegen den Vorhalt, schuldhaft keinen Primärrechtsschutz in Anspruch genommen zu haben, nicht einwenden, dass ihm die zur einer erfolgversprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Informationen erst anlässlich der vier im Jahr 2015/16 durchgeführten Eilverfahren bekannt geworden seien. Er habe seinerzeit bei den Besetzungsentscheidungen darauf vertraut, dass die vom Dienstherrn gegebenen Informationen zuträfen, ein Rechtsschutzverfahren „ins Blaue hinein“ sei dem Beamten nicht zumutbar gewesen.
Denn das Verfahren im Allgemeinen wie auch die konkrete Bildung der Vergleichsgruppe für den Kläger war ihm bereits mit dem Schreiben vom 3. Dezember 2012 bekannt. Das wurde durch den Widerspruchsbescheid vom … Juni 2013 vertiefend begründet. Die zahlreichen Absagen vor dem mit der Klage erstrebten Beförderungstermin 1. Januar 2013 bzw. 1. Oktober 2013 hätte der Kläger zum Anlass nehmen müssen, die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Denn insoweit kann er nicht von der Pflicht entbunden werden, sich die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe näher erläutern zu lassen. Das gilt auch für die konkreten Beurteilungsergebnisse. Das bedingt nicht, dass ein Rechtsschutzverfahren „ins Blaue hinein“ hätte angestrengt werden müssen.
Soweit die Klagepartei darauf verweist, dass dem Kläger das aus Datenschutzgründen verweigert worden wäre, ist das eine bloße Annahme. Jedenfalls in einem gerichtlichen Verfahren müssten die einzelnen Ergebnisse für das Gericht und damit für die Beteiligten einsehbar offen gelegt werden. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits seit 1. August 2006 freigestellter Personalrat und daher mit Personalrecht in besonderer Weise befasst ist. Von ihm muss erwartet werden, dass ihm die Tragweite einer Absage oder Negativmitteilung bewusst ist, wenn diese nicht mit einem Rechtsbehelf angegangen wird. Das Erfordernis einer Rechtsbehelfseinlegung zur Wahrung seiner Rechte im Besetzungsverfahren, insbesondere gerichtlichen Eilrechtsschutzes, muss diesem Beamten besonders bewusst sein. Damit ist an den Kläger ein erhöhtes Maß an Umsicht und Sorgfalt zu stellen (vgl. auch VG Saarland U.v. 23.4.2013 – 2 K 1817/11 – juris Rn. 40 zum gesteigerten Maß an Umsicht und Sorgfalt bei Einschaltung des örtlichen Personalrats). Der Beamte hat auch gegenüber dem Ministerium betont, das früher praktizierte Verfahren sehr kritisch zu sehen. Daher hat er sich an das Staatsministerium außerhalb eines Stellenbesetzungsverfahrens gewandt, das ihm das Verfahren mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 näher erläutert hat. Wenn sich der Kläger als freigestellter Personalrat gegen die Vielzahl der Absagen nicht mit einem Rechtsbehelf wendet, ist ihm das entgegen zu halten. Denn von ihm kann erwartet werden, sich mit einem Rechtsbehelf gegen eine für ihn negative Auswahlentscheidung zu wenden, wenn er Zweifel an deren Rechtmäßigkeit hegt.
Der Kläger kann auch nicht einwenden, er habe auf die Rechtmäßigkeit der Auskünfte des Ministeriums hinsichtlich der Zusammensetzung der Vergleichsgruppe vertraut. Denn eine effektive Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Laufbahnnachzeichnung und damit auch der Zusammensetzung der nach dem früher praktizierten Verfahren maßgeblichen Vergleichsgruppe hätte in einem gerichtlichen Verfahren erfolgen können. Die entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung fordert, dass nicht nur die Rechtsansicht des Dienstherrn, sondern auch die tatsächlichen Grundlagen der Besetzungsentscheidung, insbesondere die Grundlagen des Leistungsvergleichs, dargelegt und überprüft werden. Dem Kläger als freistellten Personalrat muss das bekannt sein. Die Rechtsprechung war nach den oben zitierten grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wie des Bundesverwaltungsgerichts bereits im Zeitpunkt der in diesem Verfahren beanstandeten Besetzungsentscheidungen entwickelt und ausdifferenziert. Schließlich sind die Umstände, aus denen der Kläger die Rechtwidrigkeit der früheren Auswahlentscheidungen ableitet – insbesondere die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe -, diesem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Sommer 2015 bekannt geworden. Damit ist der Klagepartei entgegen zu halten, dass sie bei früherer Inanspruchnahme entsprechender Rechtsbehelfe auch entsprechend früher diese Informationen erlangt hätte.
Soweit der Beamte keine Rechtsbehelfe gegen die für ihn negativen Besetzungsentscheidungen in Anspruch genommen hat, da die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts speziell zur Laufbahnnachzeichnung freigestellter Personalratsmitglieder noch nicht entwickelt gewesen sei, bedingt das nichts anderes. Das Argument, aufgrund einer geringen Erfolgsaussicht keine Rechtsbehelfe erhoben zu haben, verfängt nicht. Denn das mit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz verbundene Risiko kann nicht von der Verpflichtung entbinden, diesen einzuleiten. Ansonsten muss der nicht zum Zuge gekommene Beamte die Besetzungsentscheidung gegen sich gelten lassen und kann nicht Schadensersatz beanspruchen, weil die Entscheidung rechtswidrig gewesen sei. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung würde entgegen Sinn und Zweck der Pflicht zur Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz in die sich erst viel später stellende Frage eines eventuellen Schadensersatzanspruchs verlagert.
2. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).