Aktenzeichen S 46 SF 327/18 E
SGG § 73a
ZPO § 120a
ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 3
Leitsatz
1. Vermögen, das aus Schmerzensgeld stammt, ist für Prozesskostenhilfe nicht einzusetzen.
2. Ein Aufhebungsbeschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann nicht in einen Änderungsbeschluss nach § 120a ZPO umgedeutet werden.
Tenor
Auf die Erinnerung wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 6. Juni 2018 aufgehoben.
Gründe
I.
Der Kläger und Erinnerungsführer wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die in Hinblick auf Vermögen aus Schmerzensgeldzahlungen erfolgte.
Dem Kläger wurde im Rahmen einer Klage wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II mit Beschluss vom 22.04.2016 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt.
Nachdem er Anfang 2018 aufgefordert wurde, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen, teilte der Kläger mit, dass er aufgrund eines Verkehrsunfalls ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,- Euro erhalten habe und daneben über ein Guthaben in Höhe von 6.190,- Euro auf seinem Girokonto verfüge. Aus den beigefügten Unterlagen ergibt sich, dass das Schmerzensgeld Ende 2017 an den Kläger überwiesen und auf einem getrennten Konto verwahrt wurde und dass das Guthaben auf dem Girokonto aus Erwerbstätigkeit in den Jahren 2017 und 2018 stammt.
Mit Beschluss vom 06.06.2018 hob die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nach Anhörung die ursprüngliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) auf. Das Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,- Euro übersteige das Schonvermögen von 5.000,- Euro bei weitem. Der Beschluss enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung:zur Erinnerung und wurde dem Kläger am 14.06.2018 zugestellt.
Der Kläger erhob am 10.07.2018 „Beschwerde“ gegen den Aufhebungsbeschluss zum Sozialgericht München. Schmerzensgeld sei kein anrechenbares Vermögen. Der Beschluss vom 06.06.2018 sei deshalb aufzuheben.
II.
Die „Beschwerde“ ist als Erinnerung nach § 73a Abs. 8 SGG auszulegen. Dies ist gemäß § 73a Abs. 8 SGG der einzige statthafte Rechtsbehelf bei einer Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 4 oder 5 SGG.
Die Erinnerung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Erinnerung ist auch begründet, weil Schmerzensgeld für Prozesskostenhilfe kein anrechenbares Vermögen darstellt. Außerdem ist der Vermögenszuwachs erst nach der ursprünglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt, so dass kein Tatbestand von § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorliegt.
1. Ein Anspruch Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO unter anderem voraus, dass der Beteiligte die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Gemäß § 115 Abs. 1 und 2 ZPO hat der Betroffene sein Einkommen einzusetzen, nach § 115 Abs. 3 ZPO hat der Betroffene sein Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist und im Rahmen des § 90 SGB XII. Der Vermögensfreibetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Nr. 1 Barbetragsverordnung (BGBl I 2017, S. 519) beträgt für Alleinstehende 5.000,- Euro.
In der Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass Schmerzensgeld grundsätzlich kein einzusetzendes Vermögen nach § 90 SGB XII ist. Wohl überwiegend wird hiervon keine Ausnahme gemacht (BVerwG, Beschluss vom 26.05.2011, 5 B 26/11, mit weiteren Hinweisen auf Rechtsprechung; OLG Thüringen, Beschluss vom 17.07.2013, 4 W 312/13). Der Einsatz wäre eine Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII, so dass dieser nicht gefordert werden dürfe. Schmerzensgeld stünde sonst nicht mehr für dessen eigentlichen Zweck, einen Ausgleich erlittener oder andauernder Beeinträchtigungen zu schaffen, zur Verfügung. Dies entspreche auch der Einkommensfreistellung in der Sozialhilfe nach § 83 Abs. 2 SGB XII.
Teilweise wird vertreten, dass Schmerzensgeld ausnahmsweise einzusetzen sei, wenn von einem hohen Schmerzensgeld verhältnismäßig geringe Prozesskosten zu bezahlen seien (Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 115 Rn. 61; OLG Jena, Beschluss vom 29.02.2000, 4 W 81/00). Weil die diesbezügliche Rechtsprechung aus der Zeit vor dem o.g. Beschluss des BVerwG stammt, schwierige Abgrenzungsprobleme verursacht (Wann ist ein Schmerzendgeld hoch? Welcher Anteil an Prozesskosten ist hinnehmbar?) und den Widerspruch zu § 83 Abs. 2 SGB XII nicht löst, lehnt das erkennende Gericht diese Auffassung ab. Vermögen, das aufgrund gesonderter Verwahrung wie hier erkennbar aus Schmerzensgeld stammt, ist im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht als Vermögen einzusetzen.
2. Der Beschluss ist im Übrigen auch deswegen aufzuheben, weil eine Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur möglich ist, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe bereits bei deren ursprünglichen Bewilligung nicht vorgelegen haben. Ein späterer Wegfall dieser Voraussetzungen durch später hinzugekommenes Vermögen oder Einkommen, fällt nicht unter diese Vorschrift, sondern unter § 120a ZPO. Hier erfolgte die ursprüngliche Bewilligung am 22.04.2016, der Zufluss des Schmerzensgeldes aber erst Ende 2017.
Eine Umdeutung des Aufhebungsbeschlusses nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in einen Beschluss nach § 120a ZPO kommt – etwa in Hinblick auf das sonstige Vermögen auf dem Girokonto in Höhe von 6.190,- Euro – schon deswegen nicht in Betracht, weil § 120a ZPO eine Aufhebung einer Prozesskostenhilfe-Bewilligung gar nicht gestattet. Nach § 120a ZPO können lediglich Zahlungen, z.B. Raten aus Einkommen oder Einmalzahlung aus Vermögen, festgelegt werden, nicht aber die Bewilligung als solche aufgehoben werden (vgl. Zöller, a.a.O., § 120a Rn. 14 und 23).
3. Der Beschluss ergeht kostenfrei und ist gemäß § 73a Abs. 8 SGG unanfechtbar.