Aktenzeichen 10 AZR 512/18
Anl 46 SokaSiG 2
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 551 Abs 3 S 1 Nr 2 ZPO
§ 64 Abs 6 S 1 ArbGG
§ 1 TVG
Art 9 Abs 3 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Wiesbaden, 1. Februar 2018, Az: 1 Ca 452/17, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 31. August 2018, Az: 10 Sa 443/18 SK, Urteil
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 31. August 2018 – 10 Sa 443/18 SK – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Beiträge zu dem Sozialkassenverfahren des Gerüstbaugewerbes.
2
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Gerüstbaugewerbe in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu der Sozialkasse im Gerüstbaugewerbe verpflichtet. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbauerhandwerk vom 20. Januar 1994 idF vom 11. Juni 2002 (VTV-Gerüstbau) begehrt er von der Beklagten Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2011. Der Kläger legt seiner Berechnung zugrunde, dass die Beklagte mindestens 21 gewerbliche Arbeitnehmer und 23 technische bzw. kaufmännische Angestellte beschäftigte.
3
Die Beklagte plant, erstellt und errichtet mobile Open-Air-Bühnen, die meist von international bekannten Künstlern auf Veranstaltungen und Tourneen genutzt werden. Sie müssen zu diesem Zweck mehrmals auf- und abgebaut werden. In der Regel wird zunächst eine Unterkonstruktion erstellt, auf der die Bühne, teilweise mit Türmen oder anderen Aufbauten, errichtet wird. Die Unterkonstruktion besteht aus standardisierten Bauelementen. Zum Einsatz kommt ua. ein Modulsystem des Herstellers Layher. Auf dem Sockel aufbauend werden Sonderanfertigungen je nach Wunsch der Künstler erstellt. Die Bühnen bestehen aus Stahlbaukonstruktionen, Holz- und Aluminiumelementen. Die Beklagte beschäftigt keine Gerüstbauergesellen oder -meister.
4
Der VTV-Gerüstbau enthält ua. folgende Regelungen des Geltungsbereichs:
„§ 1
Geltungsbereich
…
(2)
Betrieblicher Geltungsbereich:
Abschnitt I
a)
Betriebe des Gerüstbauerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste erstellen. Erfasst werden auch Betriebe, die gewerblich Gerüstmaterial bereitstellen. Als Gerüste gelten alle Arten von Arbeits-, Schutz- und Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik.“
5
Der VTV-Gerüstbau ist am 29. Oktober 2002 mit Wirkung zum 1. Juni 2002 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit für allgemeinverbindlich erklärt worden (AVE VTV-Gerüstbau 2002).
6
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, am Sozialkassenverfahren teilzunehmen. Die im Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer seien arbeitszeitlich überwiegend mit Arbeiten beschäftigt gewesen, die in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV-Gerüstbau fielen. Mobile Bühnen seien Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. I Buchst. a VTV-Gerüstbau. Etwaige Zweifel an der Wirksamkeit der AVE VTV-Gerüstbau 2002 seien durch das Gesetz zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren (Zweites Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG2) ausgeräumt. Das SokaSiG2 sei nicht verfassungswidrig.
7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.684,72 Euro zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und gemeint, der betriebliche Geltungsbereich des VTV-Gerüstbau sei nicht eröffnet. Nach der Musterbauordnung vom 1. November 2002 – zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 27. September 2019 (Musterbauordnung) – seien mobile Bühnen keine Gerüste, sondern sogenannte Fliegende Bauten. Fliegende Bauten unterlägen anderen DIN-Normen als Baugerüste. Der im VTV-Gerüstbau verwendete Begriff der „Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik“ sei eng auszulegen. Das SokaSiG2 sei verfassungswidrig.
9
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
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