Aktenzeichen 34 Ca 7847/15
Leitsatz
1. Bei einer sogenannten Altersabstandsklausel, die zum Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung eines mehr als 15 Jahre jüngeren Ehegatten führt, kann eine mittelbare Diskriminierung des Arbeitnehmers gegeben sein, da mit steigendem Alter, der Lebenserfahrung nach, die Möglichkeit steigt, von der Ausschlussformel betroffen zu sein (Bestätigung BAG 27.06.2006 – BeckRS 2006, 44194). (Rn. 24) (red. LS Thomas Ritter)
2. Eine in einer Betriebsrentenvereinbarung getroffene Regelung, die einen Altersabstand von mehr als 10 Jahren mit einer Abschmelzung um je 5% pro vollendetem Lebensalter verknüpft, ist ein zur Erreichung des zu akzeptierenden Ziels Risikobegrenzung angemessenes und erforderliches Mittel. Die getroffene Regelung bewirkt, dass die zu gewährende Hinterbliebenenversorgung teilweise linear abgeschmolzen wird und erst bei einem Altersunterschied von 30 Jahren ganz wegfällt. (Rn. 26) (red. LS Thomas Ritter)
3. Die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses ist kein angemessener Anknüpfungspunkt für Leistungen der Hinterbliebenenversorgung, weil diese Leistung eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit, nicht für die Ehedauer ist. (Rn. 26) (red. LS Thomas Ritter)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 13.578,30 festgesetzt.
Gründe
A. I.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben gem. § 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 a ArbGG, da es sich um eine Rechtsstreitigkeit zwischen einem Hinterbliebenen eines Arbeitnehmers und dem Arbeitgeber über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem Zusammenhang stehen, handelt. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Feststellungsantrag im Klageantrag Nr. 2 zulässig nach §§ 256, 258 ZPO. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Berechnung ihrer Hinterbliebenenrente in der Zukunft.
II.
Die Zahlungsklage sowie die Feststellungsklage sind jedoch unbegründet, da die Beklagten die der Klägerin zustehende Hinterbliebenenrente zutreffend gem. § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung vom 06.08.1974 berechnet und ausgezahlt haben. Die Regelung in § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung ist wirksam und darüber hinaus besteht keine eigenständige Verpflichtung der Zahlung der Beklagten gegenüber der Klägerin aus dem Schreiben vom 12.08.2014 in Höhe von € 1.318,45 Hinterbliebenenrente. Für die Zahlung im Dezember 2014 hat sich die Klägerin nicht wirksam auf ein Aufrechnungsverbot berufen.
1. Die Klägerin kann sich nicht auf das Schreiben der Beklagten vom 12.08.2014 zur Begründung einer Zahlungsverpflichtung in der geltend gemachten Höhe berufen, da hierin weder ein abstraktes Schuldversprechen nach § 780 BGB, noch ein selbständig verpflichtendes Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB, noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis liegt. Ein selbständiges abstraktes Schuldversprechen i.S.v. § 780 BGB bzw. ein selbständig verpflichtendes Schuldanerkenntnis i.S.v. § 781 BGB setzt voraus, dass sich im Wege der Auslegung der Wille der Beklagten entnehmen lässt, eine selbständige, von den zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen, d.h. der Betriebsrentenvereinbarung vom 06.08.1974 losgelöste Verpflichtung zur Zahlung einer Witwenrente an die Klägerin zu übernehmen. (vgl. BAG vom 04.08.2015 – 3 AZR 137/13, Rn 35). Für ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist Voraussetzung, dass die Auslegung ergebe, dass die Parteien das Versorgungsverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit entziehen und es endgültig festlegen wollen (vgl. BAG vom 04.08.2015, Rn 35 siehe oben mit weiteren Verweisen). In beiden Fällen ist ein Rechtsbindungswille der Beklagten erforderlich. Daran fehlt es, soweit der Schuldner lediglich eine Mitteilung machen möchte. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 06.08.2014 den Beklagten zu 1) zur Berechnung der ihr zustehenden Witwenrente aufgefordert hat und dieser daraufhin mit Schreiben vom 12.08.2014 über die Höhe der Versorgungsbezüge ab August 2014 Auskunft erteilt hat, ist dieses Schreiben lediglich als eine Mitteilung über die Berechnung der aufgrund der Betriebsrentenvereinbarung vom 06.08.1974 bestehenden Ansprüche zu verstehen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte aus denen die Auslegung ergeben könnte, dass die Beklagten oder der Beklagte zu 1) allein sich über die Betriebsrentenvereinbarung hinaus rechtlich verpflichtend binden wollten. Ansprüche aus dem Schreiben vom 12.08.2014 bestehen daher nicht.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente in Höhe des geltend gemachten Anspruchs ab August 2014 in Höhe von € 1.318,45 sowie ab dem 01.03.2015 mit einer 2.1%igen Erhöhung aus der Betriebsrentenvereinbarung vom 06.08.1974, da die Beklagten zutreffend die ausgezahlte Hinterbliebenenrente nach § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung berechnet haben. Nach § 10 Nr. 2 der Betriebsrentenvereinbarung beträgt die Witwenrente 60% der Bemessungsgrundlage gemäß Ziffer 1. § 10 Nr. 3 regelt, dass wenn die Ehefrau mehr als 10 Jahre jünger ist als der verstorbene Ehemann, die Witwenrente für jedes volle über 10 Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschiedes um 5% des nach Ziffer 2 errechneten Betrages gekürzt wird. Die Klägerin ist am 29.10.1945 geboren, ihr verstorbener Ehemann am 04.11.1930, so dass ein Altersunterschied von über 14 Jahren besteht. Gemäß der Regelung in § 10 Nr. 3 sind die Beklagten, wie von ihnen durchgeführt, zu einer Kürzung in Höhe von 20% berechtigt.
3. Die Regelung in § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung ist nicht unwirksam aufgrund einer Altersdiskriminierung des verstorbenen Ehemannes gem. § 7 Abs. 2 AGG i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 1 oder 2 und § 10 AGG.
a. Das AGG ist auf die Regelung in § 10 der Betriebsrentenvereinbarung anwendbar. Dem steht nicht die Verweisung in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG auf das Betriebsrentengesetz entgegen, da das Betriebsrentengesetz keine vorrangige Sonderregelung zur Altersdiskriminierung enthält.
Das AGG ist in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Voraussetzung hierfür ist, dass seit dem Inkrafttreten des AGG am 18.08.2006 ein Rechtsverhältnis zwischen dem Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner besteht. Dabei ist auf den Beschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG) und nicht auf den Hinterbliebenen abzustellen (vgl. BAG vom 04.08.2015, s.o., Rn 39). Nicht erforderlich ist, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt noch ein Arbeitsverhältnis bestand. Vielmehr ist ausreichend, dass der ehemalige Arbeitnehmer Versorgungsempfänger ist und das damit begründete Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG noch bestand (vgl. BAG vom 15.10.2013 – 3 AZR 653/11, Rn 31). Ein versorgungsrechtliches Dauerschuldverhältnis ist für die Anwendbarkeit des AGG ein erforderliches Rechtsverhältnis. Dies war beim am 18.07.2014 verstorbenen Ehemann der Klägerin der Fall.
b. Es liegt keine unmittelbare Diskriminierung des verstorbenen Arbeitnehmers gem. § 7 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 AGG vor. Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe, u.a. wegen des Alters, benachteiligt werden. Abzustellen ist hierbei bei der Prüfung der Regelung in der Betriebsvereinbarung auf ein Diskriminierungsmerkmal, das beim verstorbenen Arbeitnehmer der Beklagten gegeben sein muss, da dieser Vertragspartner war und die klagende Ehefrau lediglich durch den zwischen dem verstorbenen Ehemann und den Beklagten bestehenden Rechtsverhältnis Begünstigte ist. Insoweit besteht ein Vertrag zu Gunsten Dritter.
Eine unmittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung knüpft nicht direkt an das Alter des verstorbenen Arbeitnehmers an. Damit liegt keine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG vor.
c. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 AGG führt ebenso zu einer Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG und somit zur Unwirksamkeit nach § 7 Abs. 2 AGG. In seiner Entscheidung vom 27.06.2006 – 3 AZR 352/05 hat das BAG den Rechtsgedanken entwickelt, dass bei einer sogenannten Altersabstandsklausel, die zum Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung eines mehr als 15 Jahre jüngeren Ehegatten führt, eine mittelbare Diskriminierung des Arbeitnehmers gegeben sein kann, da mit steigendem Alter, der Lebenserfahrung nach, die Möglichkeit steigt, von der Ausschlussformel betroffen zu sein (vgl. BAG, s.o., Rn 45). Die Entscheidung, ob im vorliegenden Fall bei § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung tatsächlich eine mittelbare Diskriminierung des verstorbenen Ehemannes vorliegt, kann letztendlich offenbleiben, da eine solche mittelbare Diskriminierung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG angemessen und erforderlich wären.
aa. Eine an das Alter mittelbar anknüpfende Ungleichbehandlung wäre zwar nicht nach § 10 Satz 1 AGG zulässig, nach dem eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters möglich ist, wenn sie objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Es liegt kein der in § 10 Satz 3 AGG abschließend aufgezählten Ausnahmetatbestände vor, da die in § 10 Satz 3 Nr. 4 genannten Voraussetzungen für Altersgrenzen bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit nicht für Witwenrenten gelten (vgl. im Einzelnen: BAG vom 04.08.2015, Rn 43 bis 50).
bb. Soweit man dem Rechtsgedanken des BAG aus dem Vorlagebeschluss vom 27.06.2006 (siehe oben) folgend eine mittelbare Diskriminierung annimmt, ist diese jedoch nach § 3 Abs. 2 AGG durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt. Die Beklagten haben sich diesbezüglich auf eine Risikobegrenzung bei ihrer Entscheidung der Gewährung der Hinterbliebenenversorgung in der Betriebsrentenvereinbarung berufen. Grundsätzlich sind die Beklagten in ihrer Entscheidung, ob und in welchem Umfang sie eine Hinterbliebenenversorgung gewähren wollen, frei. Soweit sie das Risiko des zeitlichen Umfangs einer zu gewährenden Hinterbliebenenversorgung durch die Einführung einer Altersabstandsklausel beschränken wollen, ist dies als rechtmäßiges Ziel in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BAG vom 19.12.2000 – 3 AZR 186/2000; LAG Niedersachsen vom 23.06.2011 – 4 Sa 381/11). Die in § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung getroffene Regelung, hierfür einen Altersabstand von mehr als 10 Jahren verknüpft mit einer Abschmelzung um je 5% pro vollendetem Lebensalter zu wählen, hält das Gericht für ein zur Erreichung des zu akzeptierenden Ziels Risikobegrenzung angemessenes und erforderliches Mittel. Die getroffene Regelung bewirkt, dass die zu gewährende Hinterbliebenenversorgung teilweise linear abgeschmolzen wird und erst bei einem Altersunterschied von 30 Jahren ganz wegfällt. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist dabei, entgegen dem Sachvortrag der Klägerin, nicht zu berücksichtigen, dass ihre Eheschließung bereits vor Begründung des Arbeitsverhältnisses des verstorbenen Ehemannes mit dem Beklagten zu 1) lag und die Ehe während des ganzen Arbeitsverhältnisses bestand. Die etwaige „Fürsorge“ des Ehegatten für sich betrachtet, steht in keinem rechtlich relevanten Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis des Versorgungsberechtigten anlässlich dessen, die Hinterbliebenenversorgung zugesagt wurde, sondern betrifft die private Lebensgestaltung (vgl. BAG vom 04.08.2015 – 3 AZR 137/13, Rn. 74). Die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses ist daher kein angemessener Anknüpfungspunkt für Leistungen der Hinterbliebenenversorgung, weil diese Leistung eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit, nicht für die Ehedauer ist. Eine Unwirksamkeit aufgrund mittelbarer Diskriminierung ist daher nicht gegeben.
cc. Die offensichtliche, objektiv unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes durch Ausschluss von Ehemännern in § 6 der Betriebsrentenvereinbarung sowie die daran anknüpfende Geschlechtsdiskriminierung in der Formulierung „Ehefrau“ in § 10 Nr. 3 wirkt sich im vorliegenden Rechtsstreit nicht aus, da der verstorbene Ehemann hierdurch nicht benachteiligt ist.
dd. Die Klägerin kann sich nicht auf § 16 der Betriebsrentenvereinbarung berufen, da dieser nur die prozentuale Rentenanpassung wie bei Beamten des Freistaates Bayern vorsieht. Eine Versorgung dem Grunde nach, wie für Beamte bewirkt dies nicht. Die von der Klägerin in Bezug genommenen beamtenrechtlichen Regelungen könnten allenfalls gemäß § 19 der Betriebsrentenvereinbarung herangezogen werden, der jedoch eine rechtsunwirksame Bestimmung voraussetzt. Eine solche ist nicht gegeben.
Die in § 10 Nr. 3 der Betriebsrentenvereinbarung geschlossene Regelung ist daher wirksam.
d. Für einen Verstoß gegen das Aufrechnungsverbot aus § 394 BGB i.V.m. § 850 c ZPO, bezogen auf die Auszahlung der Hinterbliebenenversorgung für Dezember 2014 in Höhe von einbehaltenen viermal € 263.69, ist die Klägerin darlegungsverpflichtet. Dabei sind ihre Rentenbezüge insgesamt zusammenzurechnen (vgl. BAG vom 14.08.1990 – 3 AZR 285/89). Die Klägerin hat unstreitig über die betriebliche Altersversorgung hinaus eine gesetzliche Rente bezogen. Zu deren Höhe hat die Klägerin auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung konkret nicht vorgetragen. Ein Verstoß gegen das Aufrechnungsverbot innerhalb der Pfändungsfreigrenzen ist daher von der Klägerin nicht dargelegt.
Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, da sie unterlegen ist (§ 91 ZPO). Der Streitwert ist in Höhe der eingeklagten Beträge (€ 5.345,82), sowie für Klageantrag Nr. II in Höhe des 36-fachen Monatsbetrages (36 x € 285,89), reduziert um 20%, aufgrund der Feststellungsklage und somit insgesamt für Klageantrag Nr. II auf € 8.232,48 sowie für die Klage insgesamt auf € 13.578,30 festzusetzen.
Die Klägerin kann gegen diese Entscheidung Berufung zum Landesarbeitsgericht München nach der beiliegenden Rechtsmittelbelehrungeinlegen. Den Beklagten steht kein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung zu.