Arbeitsrecht

Streitigkeit über tarifliche Eingruppierung eines medizinisch-technischen Assistenten

Aktenzeichen  6 Ca 3981/18

Datum:
11.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56164
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVöD-VKA § 12

 

Leitsatz

1. Bei einer Eingruppierungsfeststellungsklage eines Arbeitnehmers auf Feststellung, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ihn nach einer höheren Entgeltgruppe zu vergüten als ihm nach Auffassung des Arbeitgebers zusteht, weil er der Auffassung ist, dass seine Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals einer höheren Entgeltgruppe erfüllt, muss der Arbeitnehmer die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür darlegen (vgl. BAG v. 11.07.2018 – 4 AZR 488/17). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen der rechtliche Schluss möglich ist, dass er die für sich beanspruchten tariflichen Tätigkeitsmerkmale unter Einschluss der darin vorgesehenen Qualifizierungen im geforderten zeitlichen Umfang erfüllt (vgl. BAG v. 21.03.2012 – 4 AZR 292/10). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 01.01.2017 nach Entgeltgruppe 9b der Entgeltordnung zum TVöD-VKA, Besonderer Teil Nr. 10 „medizinisch-technische Assistentinnen und Assistenten“ zu vergüten.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.319,92 €.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet.
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Nürnberg ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12, 17 ZPO, da die Beklagte ihren Sitz in Nürnberg hat.
Das für die Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. In seinem konkreten Wortlaut ist der Antrag zwar unzulässig, unter Berücksichtigung des klägerischen Sachvortrags ist er aber auslegungsfähig (vgl. Hamacher, Antragslexikon Arbeitsrecht, Eingruppierung S. 120 m.w.N.).
Im Übrigen bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.
II.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9b TVöD-VKA seit 01.01.2017.
Die Tätigkeit des Klägers erfüllt die Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe 9b für Medizinischtechnische Assistentinnen und Assistenten.
Die Eingruppierung des Klägers richtet sich unstreitig nach den Bestimmungen des TVöD-VKA. Dieser verweist für die Eingruppierung in § 12 auf die Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1 – Entgeltordnung VKA. Maßgebend sind dabei unstreitig die speziellen Tätigkeitsmerkmale, die im Teil B unter Ziffer XI Nr. 10 für Medizinischtechnische Assistenten geregelt sind.
Bei einer Eingruppierungsfeststellungsklage, mit der der klagende Arbeitnehmer feststellen lassen will, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ihn nach einer höheren Entgeltgruppe zu vergüten als ihm nach Auffassung des Arbeitgebers zusteht, weil er der Auffassung ist, dass seine Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals einer höheren Entgeltgruppe erfüllt, obliegt es ihm, die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür darzulegen (vgl. BAG vom 11.07.2018 – 4 AZR 488/17). Der Arbeitnehmer hat diejenigen Tatsachen vorzutragen und im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen der rechtliche Schluss möglich ist, dass er die für sich beanspruchten tariflichen Tätigkeitsmerkmale unter Einschluss der darin vorgesehenen Qualifizierungen im geforderten zeitlichen Umfang erfüllt (vgl. BAG vom 21.03.2012 – 4 AZR 292/10).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und Würdigung des Parteivorbringens ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger mindestens zur Hälfte seiner Arbeitszeit die von der tarifvertraglichen Regelung geforderten Aufgaben ausübt, denn er führt zu mindestens der Hälfte seiner Arbeitszeit Coombs-Tests durch:
1. Der Kläger hat anhand von zwei beispielhaften Zeiträumen ausreichend detailliert dargelegt, mit welchen Zeitanteilen er welche Arbeitsaufgaben durchführt. Demnach führt der Kläger in mehr als der Hälfte seiner Arbeitszeit Coombs-Tests durch. Diesen Vortrag hat die Beklagte lediglich pauschal bestritten. Dieses pauschale Bestreiten ist nicht ausreichend, sodass der Vortrag des Klägers als zugestanden gilt. Die Beklagte will überhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers stellen. Dies ist abzulehnen. Der Kläger genügt mit seinen Ausführungen (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 28.11.2018, Bl. 35 ff. d. A. und vom 18.04.2019, Bl. 67 ff. d. A. verwiesen) seiner primären Darlegungslast. Im Rahmen einer gestuften Darlegungslast hätte die Beklagte hierauf substantiiert erwidern müssen. Der Beklagten sind Ausführungen zu den Tätigkeiten des Klägers und deren Zeitanteilen auch möglich, denn sie weist dem Kläger per Direktionsrecht die Arbeitsaufgaben zu. Erst wenn es der Beklagten gelänge, die Angaben des Klägers substantiiert anzuzweifeln, wären vom Kläger gegebenenfalls detailliertere Ausführungen, z.B. durch Vorlage von Laborbuchaufzeichnungen zu einzelnen Arbeitstagen über einen längeren Zeitraum, zu verlangen.
2. In einem Parallelverfahren hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Nürnberg mit Urteil vom 10.04.2019, Az. 5 Ca 5290/18, zutreffend ausgeführt, dass alle Coombs-Tests zwangsläufig „schwierige Antikörperbestimmungen“ im Sinne der Entgeltgruppe 9b sind. Dem ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zuzustimmen:
In der Anlage 1 – Entgeltordnung VKA ist geregelt, dass Beschäftigte der Entgeltgruppe 7, die mindestens zur Hälfte eine oder mehrere der genannten Aufgaben erfüllen nach der Entgeltgruppe 9b zu vergüten sind. Zu den relevanten Aufgaben gehören unter anderem „schwierige Antikörperbestimmungen (z.B. Coombs-Test)“.
Diesbezüglich ist zwischen den Parteien streitig, ob sämtliche Arten von Coombs-Tests schwierige Antikörperbestimmungen im Sinne der tariflichen Regelung darstellen. Dabei bestreitet der Kläger nicht, dass es unterschiedliche Arten von Coombs-Testen, wie etwa einen indirekten und einen direkten, gibt und, dass diese, im Verhältnis zueinander, unterschiedliche Schwierigkeitsgrade haben. Die nach der Ansicht der Beklagten notwendige Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Coombs-Teste ist jedoch nach der tariflichen Regelung nicht erforderlich.
Soweit die Beklagte meint, dass nicht alle Coombs-Tests zwangsläufig „schwierige Antikörperbestimmungen“ im Sinne der Entgeltgruppe 9b sind, ist dem nicht zu folgen. Zwar ist zutreffend, dass eine schwierige Antikörperbestimmung zum Beispiel ein Coombs-Test sein kann und, dass nach dem Wortlaut auch andere Testverfahren als schwierige Antikörperbestimmungen in Betracht kommen. Eine Differenzierung bezüglich der verschiedenen Arten von Coombs-Testen lässt sich der Regelung jedoch nicht entnehmen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG vom 22.04.2010 – 6 AZR 962/08).
Hier ist der Wortlaut der tariflichen Regelung eindeutig. Die Tarifvertragsparteien haben festgelegt, dass Medizinischtechnische Assistenten dann nach der Entgeltgruppe 9b zu vergüten sind, wenn sie mindestens zur Hälfte schwierige Antikörperbestimmungen durchführen. Welche Verfahren „schwierige Antikörperbestimmungen“ darstellen haben die Tarifvertragsparteien nicht abschließend geregelt. Sie haben jedoch als Beispiel den Coombs-Test genannt. Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien im Rahmen der Verhandlungen davon ausgegangen wären, dass es nur eine einzige Art und nur eine einzige Durchführungsvariante eines Coombs-Tests gibt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist aus Sicht des Gerichts davon auszugehen, dass den Tarifvertragsparteien bekannt ist, dass es unterschiedliche Varianten dieses Testverfahrens gibt. Soweit lediglich die Ausführung von indirekten Coombs-Tests oder lediglich die manuelle Durchführung des Tests eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9b zur Folge hätte haben sollen, hätte dies entsprechend geregelt werden können. Das genannte Beispiel müsste hierfür die entsprechende Einschränkung enthalten.
Aus der uneingeschränkten und nicht weitergehend definierten Nennung des Coombs-Tests im Tarifvertrags ergibt sich damit, dass jede Art von Coombs-Test eine schwierige Antikörperbestimmung im Sinne der tariflichen Regelung ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ff. ZPO festzusetzen. Das Gericht hat gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 GKG den dreijährigen Unterschiedsbetrag zur begehrten Vergütung festgesetzt.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 a) ArbGG in den Tenor aufzunehmen. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässig. Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG liegen nicht vor.

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