Aktenzeichen 4 Ta 136/18
RVG § 13 Abs. 1, § 23
Leitsatz
Eine erstinstanzliche Streitwertfestsetzung kann in einem beim Landesarbeitsgericht anhängigen Streitwertbeschwerdeverfahren auch dann von Amts wegen abgeändert und ggf. herabgesetzt werden, wenn die Streitwertbeschwerde wegen Nichterreichens des Beschwerdewertes unzulässig ist (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG). (Rn. 16)
Verfahrensgang
14 Ca 5652/17 2018-09-13 Bes ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg
Tenor
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.09.2018, Az.: 14 Ca 5652/17,
in der Fassung der Teilabhilfeentscheidung vom 30.10.2018 abgeändert.
Der Streitwert für die Gebührenberechnung wird auf EUR 22.859,32 festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger war im Betrieb der Beklagten seit 1.1.2017 als Bezirksverkaufsleiter mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 3.800,00 Euro beschäftigt.
Mit seiner zum Arbeitsgericht Nürnberg erhobenen Klage begehrte er zuletzt:
1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.09.2017 zum 31.10.2017 aufgelöst wird,
2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern fortbesteht,
3.die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, dass sich auf Art und Dauer sowie auf Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.
Hilfsweise für den Fall, dass dem Feststellungsantrag zu 1. nicht entsprochen wird,
4.die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Schlusszeugnis zu erteilen, dass sich auf Art und Dauer sowie auf Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.
5.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch eine Kündigung der Beklagten vom 09.08.2017 zum 30.09.2017 aufgelöst worden ist.
6.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.719,00 € brutto abzüglich auf das Jobcenter übergegangene Ansprüche in Höhe von 1.801,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
7.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Urlaubsentgelt in Höhe von 2.638,52 € brutto zuzüglich Urlaubsgeld in Höhe von 220,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
8.die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über den zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft N…, geschlossenen Haustarifvertrag/Entgelttarifvertrag durch Übermittlung einer entsprechenden Kopie zu erteilen,
9.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.573,00 € brutto abzüglich auf das Jobcenter übergegangener Ansprüche in Höhe von 900,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Zwischen den Parteien ist durch Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlages des Gerichts am 13.9.2018 ein gerichtlicher Vergleich mit folgendem Inhalt zustande gekommen:
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 22.09.2017 zum 31.10.2017 sein Ende gefunden hat.
2. Die Beklagte zahlt an den Kläger Vergütung für den Monat Oktober 2017 in Höhe von € 3.573,00 brutto, vorbehaltlich Dritte übergegangener Ansprüche.
3. Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von € 3.500,00 brutto.
4. Die Beklagte erteilt dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis mit guter Führungs- und Leistungsbeurteilung und der üblichen dreigeteilten Schlussformel (Dank, Bedauern, Wunsch). Dem Kläger wird insofern das Recht eingeräumt, Änderungswünsche einzubringen, von denen die Beklagte nur aus wichtigem Grund abweichen darf.
5. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der dem Kläger zustehende Urlaub in natura gewährt worden ist und darüberhinausgehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche nicht bestehen.
6. Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.
7. Damit ist der Rechtsstreit 14 Ca 5652/17 erledigt.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 13.09.2018 den Streitwert auf 15.200,00 Euro festgesetzt.
Gegen den ihnen am 13.09.2018 formlos zugeleiteten Beschluss wenden sich die Klägervertreter mit ihrer Beschwerde vom 04.10.2018 und begehren eine Berücksichtigung der Klageanträge wie folgt:
„Klageantrag zu 5) – 2facher Wert: 7.600,00 Euro, Klageantrag zu 6) – bezifferter Wert: 8.917,50 Euro, Klageantrag zu 7) – bezifferter Wert: 2.417,72 Euro, Klageanträge zu 5) bis 7) insgesamt: 18.935,22 Euro.“
Zuzüglich Streitwert Klageanträge 1) bis 4): 15.200,00 Euro;
damit insgesamt 34.135,22 Euro.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30.10.2018 der Beschwerde teilweise abgeholfen, den Streitwert auf 33.449,07 EURO festgesetzt und die Beschwerde im Übrigen dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig.
Sie ist zwar statthaft, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren gem. § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist.
Die Beschwerde ist auch innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt jedoch nach erfolgter Teilabhilfe nicht mehr EUR 200,-, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, denn zwischen dem vom Erstgericht angehobenen und dem mit der Beschwerde begehrten Wert liegt kein Gebührensprung mehr gem. Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG.
Bei Ermittlung des Beschwerdewertes ist nach erfolgter teilweiser Abhilfe der Beschwerde auf den Betrag abzustellen, durch den der Beschwerdeführer noch immer beschwert ist (vgl. LAG Nürnberg v. 19.12.2005 – 9 Ta 224/05; OVG NRW v. 02.08.2011 – 1 E 684/11; Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 A Rdz 668; jeweils m.w.N.).
2. Die Beschwerde ist nur zum Teil sachlich begründet.
Der in der Ausgangsentscheidung vom 13.09.2018 festgesetzte Wert von 15.200,- EURO ist anzuheben auf einen Betrag von 22.859,32 EURO, da auch die Klageanträge 4 – 9 zusätzlich zu bewerten sind.
Soweit des Erstgericht in der Teilabhilfeentscheidung vom 30.10.2018 einen Gesamtwert von 33.449,07 EURO ermittelt hat, ist diese Entscheidung gem. § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen abzuändern und der zutreffende Wert festzusetzen.
Eine erstinstanzliche Streitwertfestsetzung kann in einem beim Landesarbeitsgericht anhängigen Streitwertbeschwerdeverfahren auch dann von Amts wegen abgeändert werden, wenn die Streitwertbeschwerde wegen Nichterreichens des Beschwerdewertes unzulässig ist (so OVG NRW v. 02.08.2011; Tschöpe/Ziemann/Altenburg, aaO).
a) Zutreffend wurde der ursprüngliche Kündigungsschutzantrag, der sich gegen die ordentliche Arbeitgeberkündigung vom 22.09.2017 zum 31.10.2017 richtet, gem. Ziffer I. Nr. 20 des Streitwertkatalogs mit dem Vierteljahresverdienst bewertet,§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.
Der neben dem besonderen Kündigungsschutzantrag gestellte allgemeine Feststellungsantrag führt gem. Ziffer I Nr. 17.2 des Streitwertkatalogs zu keiner zusätzlichen Bewertung, denn es handelt sich – soweit nicht andere Beendigungstatbestände zu anderen Beendigungszeitpunkten betroffen werden – noch immer um den identischen Bestandsstreit, für den die Höchstgrenze des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG gilt.
Der im Wege der Klageerweiterung gestellte weitere Kündigungsschutzantrag, die Kündigung vom 09.08.2017 zum 30.09.2017, führt zu einer zusätzlichen Bewertung, da die angegriffenen Kündigungen zu unterschiedlichen Terminen das Arbeitsverhältnis beenden sollen. Diesbezüglich ergibt sich die zutreffende Bewertung aus Ziffer I Nr. 21.3 des Streitwertkatalogs. Danach ist die zum 30.09.2018 ausgesprochene Kündigung mit dem Vierteljahresverdienst zu bewerten und die zum 31.10.2017 ausgesprochene Kündigung mit einem weiteren Monatsverdienst, wegen des nur einen Monat späteren Beendigungstermins.
b) Der Zeugnisrechtsstreit der Parteien ist mit einem Bruttomonatsverdienst zu bewertet, unabhängig davon, ob lediglich die Erteilung oder auch eine inhaltliche Festlegung begehrt wird (vgl. Ziffer I. Nr. 29.2 und 29.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit).
c) In die Bewertung einzubeziehen sind die bezifferten Zahlungsansprüche, die Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.638,52 EURO und das Urlaubsgeld von 220,80 EURO betreffend. Bei der vom Kläger eingereichten Zahlungsklage handelt sich um einen bürgerlichen Rechtsstreit, bei der sich der Gegenstandswert grundsätzlich nach der Höhe der geltend gemachten Geldforderung richtet,§§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO.
d) Zu Unrecht wird auch der eingeklagte Annahmeverzugslohn für die Monate Oktober 2017 bis Januar 2018 in der Teilabhilfeentscheidung des Erstgerichts bei der Bemessung des Streitwertes neben den Werten der Bestandsschutzanträge berücksichtigt.
Wird in einem Bestandsstreit im Wege der Klagehäufung Annahmeverzugsvergütung geltend gemacht, bei der die Vergütung vom streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, so besteht nach dem Beendigungszeitpunkt eine wirtschaftliche Identität zwischen dem Bestandsstreit und der Zahlungsklage. Insoweit findet nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG keine Wertaddition statt, vielmehr ist der höhere Wert maßgeblich (vgl. LAG Nürnberg v. 16.04.2018 – 4 Ta 40/18; v. 02.02.2011 – 4 Ta 189/10 – JurBüro 2011, 258, v. 12.02.1988 – 6 Ta 22/87 – LAGE Nr. 73 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; v. 21.07.1988 – 1 Ta 6/88 – LAGE Nr. 74 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; vom 02.12.2003 – 9 Ta 190/03 – MDR 2004, 718; Hessisches LAG v. 01.08.2014 – 1 Ta 190/14; LAG Rheinland-Pfalz v. 04.05.2010 – 1 Ta 55/10; beide zitiert in Juris).
Von einer wirtschaftlichen Identität beider Streitgegenstände ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer dann auszugehen, wenn der Erfolg der Entgeltklage von dem der Kündigungsschutzklage unmittelbar abhängt. In diesem Fall verfolgt der Arbeitnehmer mit beiden Klagen dasselbe wirtschaftliche Ziel, die Erhaltung und Durchsetzung seiner Entgeltansprüche nach dem Beendigungstermin der angegriffenen Kündigung. Dies ist im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG zu berücksichtigen. Bei dem vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Entgeltanspruch handelt es sich, ebenso wie bei einem davon abhängigen Beschäftigungsanspruch, nämlich bei genauer Betrachtung um einen uneigentlichen Hilfsantrag i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Hieran knüpft auch die Regelung in Ziffer I Nr. 6 des Streitwertkatalogs an.
Nachdem die beiden Kündigungsschutzanträge bereits im Umfang von vier Bruttomonatsbezügen mit insgesamt 15.200,- EURO bei der Streitwertbemessung berücksichtigt worden sind, kann der eingeklagte Annahmeverzugslohn nicht in Höhe von insgesamt 11.589,75 EURO zusätzlich berücksichtigt werden.
e) Hinsichtlich der begehrten Auskunft wird ein Betrag von 1.000,- EURO als angemessen erachtet. Es kann nur durch Schätzung ermittelt werden, welcher wirtschaftliche Wert dieses Klagebegehren für den Kläger besitzt. In Ermangelung ausreichender konkreter Anhaltspunkte wird hierbei auf den Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zurückgegriffen. In entsprechender Anwendung der Regelung in Ziffer I Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs werden diesbezüglich 20% in Ansatz gebracht.
III.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, vgl. § 78 Satz 3 ArbGG.
Im Hinblick auf die Kostenregelung des § 68 Abs. 3 GKG ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.