Aktenzeichen 7 Sa 256/18
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz
Auslegung eines Tarifsozialplans bzw. ergänzender Abmachungen. Gehen einzelne Bereiche eines Unternehmens im Wege des Betriebsübergangs auf verschiedene Werke über, dürfen die Tarifparteien die in einem Tarifsozialplan vorgesehenen Leistungen danach differenzieren, welche wirtschaftlichen Nachteile beim jeweiligen Erwerber drohen könnten. Hierzu gehört auch, ob und ggf. an welchen Tarifvertrag der Erwerber gebunden ist. (Rn. 47 – 74)
Verfahrensgang
2 Ca 1220/17 2018-05-08 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 08.05.2018 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und Absatz 2 b) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 Satz 1 und 2 ArbGG.
Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, mangelt es an einer Anspruchsgrundlage.
Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Tarifsozialplan vom 01.06.2016.
So bestimmt bereits der einführende Satz in C. 5 des Tarifsozialplans, dass eine Abfindung der erhält, dessen Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag oder sonst arbeitgeberseitig veranlasst endet. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete nicht, sondern wurde, wenn auch mit einem neuen Arbeitgeber, der F. GmbH, fortgesetzt.
Auch aus C. 5.4.3. des Tarifsozialplans ergibt sich nichts Anderes.
Die B. hat dem Kläger die Stelle, die er bei der F. GmbH innehat, nicht in maßgeblicher Weise vermittelt. Gemäß C.5.4.3. a. des Tarifsozialplans würde dies voraussetzen, dass die Stelle entweder dem Kläger von B. angetragen wurde oder sie nachweislich auf Hinweis von B. an andere Arbeitgeber dem Kläger von diesen angeboten wurde.
Weder das eine noch das andere ist der Fall. Dem Kläger ist die Stelle bei der Firma F. GmbH von niemandem angeboten worden. Vielmehr ist das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes (§ 613 a Absatz 1 BGB) von der Beklagten auf die F. GmbH übergegangen.
Allerdings stünde dem Kläger über Ziffer 9 der „Authentischen Interpretation“ vom 05.08.2016 eine Abfindung zu. Ziffer 9 verweist bezüglich der Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis durch einen Betriebsübergang oder Teilbetriebsübergang auf einen Erwerber außerhalb von B. übergehen, auf die Anwendung der Regelung in C.5.4.3. des Tarifsozialplans.
Diese Regelung ist indes durch die Protokollnotiz vom 30.09.2016 modifiziert worden. In deren Ziffer 2 ist ausdrücklich geregelt, dass C.5.4.3. des Tarifsozialplans (nur) für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis als Folge von Maßnahmen im Rahmen von WCP auf einen Erwerber außerhalb von B. übergehen.
Die Protokollnotiz ist rechtswirksam.
Sie leidet nicht unter einem formalen Mangel. Dabei kann dahinstehen, ob Herr D., der die Protokollnotiz unterschrieben hat, hierzu bevollmächtigt war, ob es eines Beschlusses der Tarifkommission bedurft hätte und ob und wie sich ein fehlender Beschluss der Tarifkommission rechtlich auswirkt. Wie bereits das Erstgericht ausgeführt hat, ist ein etwaiger Mangel jedenfalls geheilt worden. Die Parteien des Tarifsozialplans haben dessen Laufzeit mitsamt der Protokollnotiz vom 30.09.2016 aufgrund entsprechender Beschlussfassung der Tarifkommission bis 31.07.2019 verlängert. Dies ergibt sich aus dem Sachvortrag der Beklagten, den der Kläger nicht bestreitet und der deshalb als zugestanden anzusehen ist, § 138 Absatz 3 ZPO.
Die Protokollnotiz ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
Die Beschränkung des Anspruchs auf eine Abfindung auf Arbeitnehmer des Bereichs WCP ist nicht rechtswidrig, weil, wie der Kläger geltend macht, die Entscheidung, ob eine Maßnahme Teil des globalen WCP – Programmes sei, im Ermessen der Beklagten stehe. Der Kläger ist offensichtlich der Ansicht, es sei Sache der Beklagten zu entscheiden, ob Arbeitnehmer dem Bereich WCP zuzuordnen seien oder nicht. Dies ist nicht der Fall. So bestreitet die Beklagte insbesondere nicht die Definition des Klägers, wonach der Begriff WCP White-Collar-Produktivity bedeute und die in einem Produktionsbetrieb beschäftigten Büro-, Handels-, Dienstleistung- und ähnliche Berufe bezeichne. Dies im Gegensatz zu den Blue -Collar-Worker, wie die Industriearbeiter und Handwerker genannt würden. Die Beklagte bestimmt lediglich, ob bestimmte Maßnahmen im Sinne des Rahmeninteressenausgleichs durchgeführt werden. Insbesondere ist es letztlich Sache der Gerichte, festzustellen, ob ein Arbeitnehmer dem Bereich WCP angehört oder nicht.
Vorliegend besteht kein Streit darüber, dass der Kläger diesem Bereich nicht angehört, er vielmehr in der Produktion tätig ist.
Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass durch die Protokollnotiz Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse infolge eines Betriebsübergangs oder eines Teilbetriebsübergangs auf einen anderen Arbeitgeber übergehen, hinsichtlich der Zahlung einer Abfindung unterschiedlich behandelt werden je nachdem, ob sie dem Bereich WCP zuzuordnen sind oder nicht.
Die Regelung verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser findet vorliegend keine Anwendung.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein Gebot der Verteilungsgerechtigkeit, das verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist zugleich Anspruchsgrundlage und Schranke der Rechtsausübung. Wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers greift der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk bzw. eine eigene Ordnung schafft, nicht hingegen bei bloßem – auch vermeintlichem – Normenvollzug (Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 21.12.2017 – 6 AZR 790/16; juris).
Vorliegend geht es um den Vollzug einer Norm, nämlich eines Tarifvertrags. Der Tarifsozialplan ist seiner Rechtsnatur nach ein Firmentarifvertrag. Als solcher unterliegt er nicht dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Allerdings haben Tarifvertragsparteien das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 3 Absatz 1 GG zu beachten.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Absatz 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis dagegen vorenthalten wird. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reicht er vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte aber dazu, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, die Art. 3 GG verletzt. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Absatz 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Bei generalisierenden Regelungen lassen sich Grenzfälle nicht vermeiden (Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 29.06.2017 – 6 AZR 364/16 mwN; juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 GG nicht vor.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt, ist auf den Zweck einer Abfindung abzustellen. Wie sich bereits aus § 112 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 Satz 2 Ziffer 2 BetrVG ergibt, soll eine Abfindung wirtschaftliche Nachteil ausgleichen oder mildern, die durch eine Betriebsänderung entstehen. Wirtschaftliche Nachteile können im Verlust des Arbeitsplatzes mit dem bereits erarbeiteten Bestandsschutz und/oder sonstigen Anwartschaften liegen. Auch wenn der Arbeitsplatz nicht ganz verloren geht, können Entgelteinbußen drohen. Insbesondere hat eine Abfindung auch den Zweck, etwaige Zeiten ohne Arbeitsplatz zu überbrücken.
Die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse, wie insbesondere auch beim Kläger, infolge des Teilbetriebsüberganges bei der F. GmbH unverändert weitergeführt werden, haben jedenfalls derzeit keine wirtschaftlichen Nachteile zu gewärtigen.
Infolge des Umstandes, dass die F. GmbH entsprechend ihrer Vereinbarung mit der Beklagten in den Verband der bayerischen Metall- und Elektroindustrie eingetreten ist, bleibt die Tarifbindung wie bisher bestehen, d.h., der Kläger wird insbesondere auch an künftigen Tariflohnerhöhungen teilnehmen.
Für den Fall, dass es bei der F. GmbH zu einer Betriebsänderung kommt, hat diese auf das Privileg aus § 112 a Absatz 2 BetrVG verzichtet, so dass dem Abschluss eines Sozialplans nichts entgegensteht.
Darüber hinaus hat der Kläger, sollte es in einem bestimmten Zeitraum zu einer betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen, gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Abfindung. Dies ergibt sich aus der Protokollnotiz.
Demgegenüber haben die Mitarbeiter aus dem Bereich im Fall eines Betriebsübergangs auf ein Dienstleistungsunternehmen mit großer Wahrscheinlichkeit wirtschaftliche Nachteile zu befürchten. Dies liegt vor allem daran, dass, wie auch der Kläger nicht bestreitet, der Anwendungsbereich der Tarifverträge für die bayerische Metall- und Elektroindustrie nicht mehr eröffnet sein wird. Dies bedeutet nicht nur, dass die betroffenen Mitarbeiter nicht an Tariflohnerhöhungen teilnehmen werden, sondern auch, da der Bestandsschutz des § 613 a Absatz 1 Satz 2 BGB nicht auf Dauer, sondern nur für ein Jahr garantiert ist, dass eine Verschlechterung der finanziellen Bedingungen eintreten kann.
Diese Umstände rechtfertigen es ohne Zweifel, die Mitarbeiter aus dem Bereich WCP im Hinblick auf die Zahlung einer Abfindung besser zu behandeln als die Mitarbeiter, die sowohl ihre bisherigen Anwartschaften mitgenommen haben als auch gewährleistet ist, dass die sonstigen Arbeitsbedingungen sich an den bisherigen Tarifverträgen ausrichten.
Angesichts der ungleichen Situation der Mitarbeiter aus den verschiedenen Bereichen würde es sich im Gegenteil als Verstoß gegen das Gleichbehandlungsverbot darstellen, würden Mitarbeiter wie der Kläger derzeit eine Abfindung erhalten, ohne dass ein konkreter wirtschaftlicher Nachteil ersichtlich ist.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.
Die Zulassung der Revision erfolgte gemäß § 72 Absatz 2 Ziffer 1 ArbGG.