Aktenzeichen 5 Sa 162/21
Leitsatz
Die Anrechnung von Dienstzeiten nach § 15 des Tarifvertrags für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) in der Fassung vom 01.10.2019 setzt nicht voraus, dass die Dienstzeiten bei einem tarifgebundenen Konzert- und Theaterorchester zurückgelegt wurden.
Verfahrensgang
12 Ca 619/20 2020-12-18 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 18.12.2020, Aktenzeichen: 12 Ca 619/20, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das Erstgericht hat zutreffend der Klage stattgegeben. Es kann insoweit vollumfänglich auf die zutreffenden und ausführlichen Ausführungen im Ersturteil verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind nur noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme und beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Musiker in Theater- und Konzertorchestern vom 01.10.2019 (TVK) Anwendung. Nach § 15 Abs. 1 TVK umfasst die Dienstzeit, die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und auch die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten. Die von der Klägerin bei der B… Philharmoniker GmbH und dem T… Sinfonieorchester I… als Musikerin zurückgelegten Zeiten sind als erworbene Dienstzeiten der Klägerin nach § 15 Abs. 1 TVK anzurechnen.
a. Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages (BAG vom 09.04.2008 – 4 AZR 164/07, vom 05.10.1999 – 4 AZR 578/98 und vom 28.05.1998 – 6 AZR 349/96) hat das Arbeitsgericht die Auslegungsgrundsätze zutreffend und umfassend wiedergegeben. Insoweit kann auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts Würzburg unter III. 3 a) verwiesen werden.
b. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK umfasst die Dienstzeit unter anderem die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten Zeiten. Ein Verweis auf andere Tarifvorschriften befindet sich mit Ausnahme auf die Absätze 2 und 3 nicht. Auch eine Definition bezüglich der Begrifflichkeit der Konzert- und Theaterorchester ist entgegen der Vorgängervorschrift im Tarifwerk nicht mehr enthalten, Diese hatte noch in § 1 Abs. 2 eine Begriffsdefinition zum dort verwendeten Begriff des „Kulturorchesters“ vorgesehen. Nach dem Wörterbuch Duden handelt es sich bei einem Orchester um ein größeres Ensemble aus Instrumentalisten, in dem bestimmte Instrumente mehrfach besetzt sind und das unter der Leitung eines Dirigenten spielt. Nach weiterer Maßgabe des § 15 Abs. 1 muss das Orchester Konzert- oder Theaterauftritte wahrnehmen. Diese Voraussetzungen sind sowohl bei den B… Philharmonikern als auch dem T… Sinfonieorchester unstreitig gegeben. Der reine Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK spricht damit klar für das Auslegungsverständnis der Klägerin.
c. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 15 Abs. 1 und Abs. 2 TVK unterstützen dieses Auslegungsverständnis. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass Sinn und Zweck der Vorschrift die größere Erfahrung eines Musikers ist, die er eben auch an anderer Stelle erworben haben kann, wie insbesondere § 15 Satz 2 TVK zeigt, entsprechend zu honorieren. Konsequent wird demnach auch in der Vergütungsordnung die Verdiensthöhe unter Berücksichtigung der Dienstzeit errechnet. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Dienstleistung eines Musikers mit steigender Dienstzeit aufgrund der in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen für den Arbeitgeber wertvoller wird und damit eine längere Dienstzeit regelmäßig auch eine höhere Vergütung rechtfertigt. Dabei wird ein Musiker, der bereits in anderen Theater- und Konzertorchestern Erfahrung gesammelt hat, nicht so lange und nicht so intensiv eingearbeitet werden müssen und kann beim neuen Dienstherrn schon auf einem höheren Niveau beginnen. Entsprechende vergleichbare tarifvertragliche Regelungen finden sich unter anderem auch im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes (dort § 16 TV-L oder § 16 TVöD). Die Auffassung der Beklagtenpartei die nach § 15 Abs. 1 TVK dem Zweck diene, die Treue zu verbandsangehörigen Theatern- und Konzertorchestern zu sichern, teilt die erkennende Kammer nicht, da insoweit auch ein Widerspruch zu § 15 Abs. 2 TVK besteht. Es handelt sich zwar bei § 15 Abs. 2 TVK um eine Kann-Vorschrift, dies allerdings deshalb, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben um zu überprüfen, ob die anderweitige musikalische Tätigkeit es rechtfertigt, einen Erfahrungsgewinn für die Tätigkeit in Konzert- und Theaterorchestern darzustellen. Im Übrigen ließe sich die Auffassung der Beklagten auch nicht mit dem Grundsatz der Lohngerechtigkeit vereinbaren, wenn mit der Lohnvergütung insoweit lediglich die Verbandstreue honoriert wird.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass mit der vorgenommenen Auslegung kein Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006, Aktenzeichen: 6 AZR 422/05, verbunden ist. Insoweit kann auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils auf Seite 9 und 10 verwiesen werden.
d. Aber auch die Systematik des Tarifvertrages spricht für das gefundene Auslegungsergebnis. In § 1 des TVK wird nunmehr lediglich noch der Anwendungsbereich des Tarifvertrages geregelt. Eine Klärung von materiell-rechtlichen Fragen im Bereich des tariflichen Geltungsbereichs ist zwar damit nicht ausgeschlossen, jedoch in den Tarifwerken allgemein unüblich.
Die Auslegung der tarifvertraglichen Vorschrift ist nach Auffassung der erkennenden Kammer aufgrund dieser Überlegungen eindeutig zu Gunsten der von der Klägerin vertretenen Auffassung vorzunehmen.
2. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht aufgrund der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 TVK verfallen. Zum einen räumt die Beklagte selbst ein, dass die Klägerin schon bei der Einstellung zumindest die Zeiten bei der B… Philharmoniker GmbH angegeben hat und zum anderen ist die Vorschrift des § 15 Abs. 4 TVK dahingehend zu verstehen, dass die Ausschlussfrist erst zu laufen anfängt, wenn der Mitarbeiter eine anrechnungsfähige Dienstzeit geltend macht und der Arbeitgeber daraufhin einen Nachweis verlangt. Dies ergibt sich alleine schon aufgrund des Wortlauts des § 15 Abs. 4 TVK, demnach erst nach Geltendmachung von Dienstzeiten eine Überprüfung veranlasst ist und als Folge ein Nachweis hierfür verlangt werden kann. Dies ist auch gerechtfertigt, da solange der Arbeitnehmer Vordienstzeiten nicht geltend macht, für den Arbeitgeber auch keine materiellen Folgen damit verbunden sind. Macht der Arbeitnehmer Vordienstzeiten erst später geltend, so ergeben sich für den Arbeitgeber für die Vergangenheit auch keine negativen Folgen, da eine nachträgliche Anrechnungsverpflichtung nicht besteht und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht wird. Im Übrigen wären etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin auch nach § 61 TVK verfallen, falls diese von Verdienstzeiten abhängig sind, die aber von der Klägerin nicht als anrechenbar gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden.
Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.
III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 72 Abs. 2 ArbGG.