Arbeitsrecht

Teilerfolg der Klage gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen der Zahlung von Arbeitsentgelt

Aktenzeichen  L 10 AL 112/16

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 626 Abs. 2
StPO StPO § 153 Abs. 1
SGB III SGB III § 157 Abs. 3 S. 1, § 158 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Ergibt sich nachträglich aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich, dass der Arbeitnehmer über einen weiteren Zeitraum Anspruch auf Arbeitsentgelt und zudem einen Anspruch auf eine Abfindung hat, ist Arbeitslosengeld im Wege einer sogenannten “Gleichwohlgewährung” zu leisten, sofern der Arbeitnehmer zuvor weder das Arbeitsentgelt noch die Abfindung tatsächlich erhalten hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 7 AL 85/14 2016-02-03 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.02.2016 abgeändert und die Bescheide vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 insoweit aufgehoben, als die Beklagte damit die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 18.10.2012 bis 17.03.2013 aufgehoben bzw. abgelehnt hat. Im Übrigen wird die Berufung in Bezug auf die geforderte Erstattung in Höhe von 5.588,51 EUR im Bescheid vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/5 ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nur teilweise begründet. Das SG hat die Klage im Hinblick auf die Forderung der Erstattung von 5.588,51 EUR zu Recht abgewiesen. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Soweit mit den Bescheiden vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 auch eine Aufhebung der Bewilligung von Alg bzw. Ablehnung für die Zeit vom 18.10.2012 bis 17.03.2013 erfolgt ist, sind die Bescheide rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Diesbezüglich hat das SG die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Streitgegenstand ist vorliegend die Aufhebung der zunächst mit Bescheid vom 29.11.2012 erfolgten Bewilligung von Alg für die Zeit vom 18.10.2012 bis 17.03.2013. Diese hat die Beklagte mit Bescheid vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 verfügt und dementsprechend mit dem Änderungsbescheid vom 05.02.2014 für diesen Zeitraum kein Alg bewilligt sowie mit weiteren (Ablehnungs-)Bescheid vom 05.02.2014 die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.11.2012 bis 17.03.2012 abgelehnt. Da der Änderungsbescheid vom 05.02.2014 und der „Ablehnungsbescheid“ vom 05.02.2014 mit dem Aufhebungsbescheid vom 05.02.2014 eine Einheit bilden – sie setzen das festgestellte Ruhen des Anspruchs auf Alg leistungsrechtlich um -, sind auch diese Gegenstand des Verfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 05.08.1999 – B 7 AL 14/99 R – BSGE 84, 225; Urteil vom 12.05.2012 – B 11 AL 6/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 23; Urteil des Senats vom 22.04.2015 – L 10 AL 168/14). Ebenfalls Gegenstand des Verfahrens ist die geforderte Erstattung von 5.588,51 EUR, die im Rahmen des Bescheides vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 gefordert wird. Soweit der Berufungsantrag der Klägerin „nur“ von dem Bescheid vom 05.02.2014 und dem Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 war nach dem Inhalt der Berufungsbegründung und obigen Ausführungen zum Streitgegenstand eine entsprechende Auslegung vorzunehmen.
Das am 03.02.2016 verkündete und der Klägerin am 09.05.2016 zugestellte Urteil des SG ist nicht verfahrensfehlerhaft. Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 SGG soll das Urteil vor Ablauf eines Monats, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übermittelt werden. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine Sollvorschrift und stellt keine zwingende Vorschrift dar, so dass der Verstoß dagegen – das genaue Datum der Übergabe des vollständig abgefassten Urteils des SG an die Geschäftsstelle ist in den Akten nicht vermerkt, erfolgte aber spätestens am 03.05.2016, dem vermerkten Auslaufdatum – grundsätzlich unschädlich ist (vgl. dazu im Einzelnen: BSG, Urteil vom 29.08.2012 – B 10 EG 20/11 R – SozR 4-7837 § 4 Nr. 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 134 Rn. 4). Rechtlich bedeutsam ist erst eine Übergabe nach Ablauf einer Frist von fünf Monaten (dazu bereits: GemS, Beschluss vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1/02 – juris; Keller a. a. O.). Fallbezogene Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend infolge der „verzögerten“ Abfassung der Urteilsgründe die zuverlässige Wiedergabe des Beratungsergebnisses und der für die Entscheidungsfindung maßgebenden Erwägungen nicht mehr gewährleistet gewesen sein könnten (dazu Keller a. a. O.), vermag der Senat nicht zu erkennen. Entsprechendes wurde von der Klägerin auch nicht konkret vorgetragen.
Im Hinblick auf die Aufhebung und Ablehnung der Bewilligung von Alg für die Zeit vom 18.10.2012 bis 17.03.2013 erweisen sich die Bescheide vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 und der Änderungsbescheid vom 05.02.2014 als rechtswidrig. Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 29.11.2012 für diesen Zeitraum richtigerweise Alg bewilligt. Ein Anspruch auf Alg setzt nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin für die Zeit ab dem 18.10.2012 dem Grunde nach unstrittig erfüllt. Wie sich aus dem Vergleich vor dem C. vom 28.03.2013 () nachträglich ergibt, hatte sie allerdings einen Anspruch auf Arbeitsentgelt bis einschließlich 31.10.2012 und einen Anspruch auf eine Abfindung. Da sie aber zuvor weder das Arbeitsentgelt noch die Abfindung tatsächlich erhalten hat, war Alg im Wege einer sog Gleichwohlgewährung auch für die Zeit vom 18.10.2012 bis 17.03.2013 zu leisten (§ 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 158 Abs. 4 Satz 1 SGB III), obwohl der Anspruch auf Alg nach § 157 Abs. 1 SGB III wegen des Anspruchs auf Arbeitsentgelt bzw. nach § 158 Abs. 1 SGB III wegen des Erhalts der Abfindung geruht hat. S. hat nach dem Vergleich das Arbeitsentgelt und die Abfindung für diesen Zeitraum an die Klägerin trotz des zuvor erfolgten Anspruchsübergangs iSv § 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit für ihn befreiender Wirkung nachgezahlt (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 16.10.1991 – 11 RAr 137/90 – SozR 3-4100 § 117 Nr. 7). Der nachträglichen Genehmigung durch die Beklagte vom 06.05.2014 kommt diesbezüglich eine Wirkung ex tunc nach §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 BGB zu (vgl. Düe in Brand, SGB III, 7. Auflage, § 157 Rn. 43). Damit ist aber die Gleichwohlgewährung nicht ex post fehlerhaft geworden, da die Voraussetzungen des § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III bzw. § 158 Abs. 4 Satz 1 SGB III vorlagen (vgl. auch Düe in Brand, SGB III, 7. Auflage, § 157 Rn. 38). Eine Aufhebung und Ablehnung der Bewilligung war damit weder notwendig noch rechtmäßig. Der Anspruch auf Alg (in Form der Gleichwohlgewährung) bestand. Die Bescheide vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 sind daher aufzuheben.
Unabhängig davon ist aber die Erstattung des für die Zeit vom 18.10.2012 bis 31.10.2012 gezahlten Alg – dies ist anteilig ein Betrag von 518,14 EUR und ergibt sich aus dem täglichen Leistungsbetrag von 37,01 EUR x 14 Tage – von der Beklagten im Bescheid vom 05.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 zu Recht verlangt worden. Zwar folgt die Rechtsgrundlage hierfür nicht aus § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), da eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht erfolgen konnte. Die Erstattungsforderung kann sich aber auf § 157 Abs. 3 Satz 2 SGB III stützen, da der Arbeitgeber trotz des Rechtsübergangs des Anspruchs auf Arbeitsentgelt auf die Beklagte – nach Genehmigung durch die Beklagte – mit befreiender Wirkung an die Klägerin gezahlt hat. Ein Austausch der Rechtgrundlagen ist insofern unbedenklich, da es sich bei keiner der beiden Vorschriften um eine Ermessensnorm handelt und die Zielrichtung, nämlich die Erstattung von Alg, in jedem Fall die gleiche ist. Zweifel am objektiven Vorliegen einer Gleichwohlgewährung im Hinblick auf das – zunächst – nicht gezahlte Arbeitsentgelt für die Zeit vom 18.10.2012 bis 31.10.2012 bestehen beim Senat nicht. Dazu wurde auch von der Klägerin nichts vorgetragen.
Auch im Hinblick auf das für die Zeit vom 01.11.2012 bis 17.03.2013 gezahlte Alg konnte die Beklagte eine Erstattung von 5.070,37 EUR (137 Tage x 37,01 EUR) verlangen. Dies ergibt sich aus § 158 Abs. 4 Satz 2 SGB III, auf den sich die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 stützt. Der Arbeitgeber hat trotz des Rechtsübergangs des Anspruchs wegen der Abfindung auf die Beklagte – nach Genehmigung durch die Beklagte – mit befreiender Wirkung an die Klägerin gezahlt.
Für die Zeit vom 01.11.2012 bis 17.03.2013 lagen die Voraussetzungen einer Gleichwohlgewährung auch vor, denn in diesem Zeitraum hat der Anspruch auf Alg, der dem Grunde nach bestand, geruht. Ein Anspruch auf Alg ruht, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist, von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III).
Die Klägerin hat aufgrund des Vergleiches mit S. vor dem ArbG vom 28.03.2013 eine Abfindung für den Verlust ihres Arbeitsplatzes iHv 30.000 EUR brutto und damit eine Entlassungsentschädigung erhalten. Mit dem Vergleich wurde das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2012 beendet. Ausgehend von der Kündigung am 17.10.2012 hätte die Kündigungsfrist nach dem 14-jährigen Arbeitsverhältnis der Klägerin bei S. fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats betragen (§ 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BGB). Eine (ordentliche) Kündigung wäre daher seinerzeit nur zum 31.03.2013 möglich gewesen. Mit der Beendigung zum 31.10.2012 war die Kündigungsfrist nicht gewahrt.
Nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III beginnt der Ruhenszeitraum mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, mithin dem 01.11.2012. Nach § 158 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III ruht der Alg-Anspruch nicht über den Tag hinaus, bis zu dem der Arbeitslose bei Weiterzahlung des während der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich verdienten Arbeitsentgelts einen Betrag in Höhe von 60% der nach Abs. 1 zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung als Arbeitsentgelt verdient hätte. Da die Klägerin vorliegend vom 01.10.1998 bis 31.10.2012, mithin 14 Jahre lang bei seinem Arbeitgeber beschäftigt und im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 43 Jahre alt gewesen ist, reduziert sich die Anrechnung der Abfindung nach § 158 Abs. 2 Satz 3 SGB III auf lediglich 45% (§ 158 Abs. 2 Satz 3 1.HS SGB III). Es ergibt sich ein Ruhenszeitraum von insgesamt 137 Kalendertagen (45% von 30.000 EUR geteilt durch das kalendertägliche Entgelt von 98,49 EUR). Somit ruht der Anspruch der Klägerin bis 17.03.2013.
Eine kürzere Ruhensfrist ergibt sich nicht aus § 158 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III. Danach ruht der Anspruch auf Alg nicht über den Tag hinaus, an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Arbeitgeber die fristlose Kündigung tatsächlich ausgesprochen hat. Maßgeblich ist alleine, dass der wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers materiell-rechtlich vorliegt, ohne dass es auf formelle Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Kündigung ankommt. Ebenso ist es unbeachtlich, wenn das Arbeitsverhältnis nach erfolgter außerordentlicher Kündigung durch Vergleich beendet wird (vgl. dazu insgesamt Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 06/2016, § 158 Rn. 131 ff m. w. N.).
S. wäre am 17.10.2012 nicht berechtigt gewesen, der Klägerin ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Danach können nicht bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalls stets als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung anerkannt werden, da es im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe gibt (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.1984 – 2 AZR 613/83 – juris; LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2010 – 25 Sa 1080/10 – juris). Es bedarf vielmehr zunächst eines arbeitsvertraglichen Pflichtenverstoßes bzw. eines Kündigungssachverhalts, der unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung abzugeben. Dazu muss es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar sein, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen (vgl. dazu die Rspr des BAG, z. B.: Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04 – BAGE 115, 195; Urteil vom 14.09.1994 – 2 AZR 164/94 – BAGE 78, 18).
Danach ist der Senat schon nicht davon überzeugt, dass ein arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bzw. Kündigungssachverhalt vorliegt, der einen wichtigen Grund im oben genannten Sinne darstellt. Die Klägerin trägt vor, sie habe durch die Mitnahme und Verteilung von zurückgekommenen Weihnachtsartikeln und sonstigem Material gegen Nr. 38 der Arbeitsordnung verstoßen. Diesbezüglich ist zunächst anzumerken, dass von der Klägerin im Kündigungsschutzprozess vor dem ArbG mit Schriftsatz vom 02.01.2013 vorgebracht worden ist, sie habe mit ihrem Verhalten nicht gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen verstoßen und es habe seinerzeit keinerlei Anweisungen des Arbeitgebers gegeben, welche ihre Handlungsweise in irgendeiner Weise eingeschränkt hätte. Im Erörterungstermin vor dem LSG am 26.07.2016 hat die Klägerin – uneingeschränkt und nicht alleine auf die dem Kündigungsrechtsstreit gegenständlichen Kundenwaren – ausgeführt, dass das Verteilen der Waren in keinster Weise heimlich erfolgt sei. Vielmehr hätten ihre Vorgesetzten dies gesehen und Kenntnis davon gehabt. Für sie sei es ganz normal gewesen. Auch habe ihr unmittelbarer Vorgesetzter nicht gesagt, dass sie das nicht dürfe oder gegen den Arbeitsvertrag verstoße. Damit hat die Klägerin folglich nicht ohne Wissen ihrer Vorgesetzten gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Sie hat in Kenntnis ihrer Vorgesetzten gehandelt, so dass diese „unverzüglich benachrichtigt“ im Sinne von Nr. 38 der Arbeitsordnung waren.
Zudem erscheint nach dem Vortrag der Klägerin auch fraglich, welchen tatsächlichen Wert die von ihr an sich genommenen und verteilten Waren hatten. Zwar hat sie im Berufungsverfahren diesbezüglich eine Liste mit Waren vorgelegt, die einen Gesamtwert von 7.717,77 EUR haben sollen. Dabei handelt es sich jedoch um den ursprünglichen Verkaufswert. Hieraus kann aber nicht auf den zuletzt noch tatsächlich bestehenden Verkehrswert geschlossen werden. So ist zu berücksichtigen, dass es sich um die Rückläufer insbesondere des Weihnachtsgeschäftes handelte. Die Klägerin trägt im arbeitsgerichtlichen Verfahren überzeugend vor, dass es sich beispielsweise um nicht mehr verwertbare Jutesäcke ohne jeglichen Wert gehandelt habe, die andernfalls hätten entsorgt werden müssen. Zudem habe es sich um „herrenlose“ Gegenstände gehandelt, wie es auch bei den sog. „Fremddisplays“ gewesen sei. Die überlassenen Weihnachtsartikel seien herrenlos oder wertlos und für die Entsorgung bestimmt gewesen. Im Übrigen sei die Handlungsweise auch im Vorfeld vom Geschäftsführer der Firma CW genehmigt worden. Im Hinblick darauf, dass es aus Sicht der Klägerin ganz normal gewesen ist, die Sachen an Mitarbeiter zu verteilen, die Genehmigung des Kunden sowie – jedenfalls konkludent – der direkten Vorgesetzten vorgelegen hat, und im Hinblick auf die offensichtliche im weiteren Geschäftsverkehr weitgehende Wertlosigkeit der Gegenstände kann davon ausgegangen werden, dass insofern auch die Ausnahmeregelung von Nr. 38 der Arbeitsordnung greift, wonach die Annahme von gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenken im Wert von unter zehn Euro nicht arbeitsvertragswidrig ist. Bei der Wertermittlung wäre zudem nicht nur auf die einzelne Person der Klägerin abzustellen, sondern auf alle bedachten Mitarbeiter.
Darüber hinaus kann der Klägerin nicht plötzlich ihr diesbezügliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn dies zuvor stets von den unmittelbaren Vorgesetzten geduldet worden ist. Sie wäre zunächst darauf hinzuweisen gewesen, dass ein derartiges Vorgehen vom Arbeitgeber nicht gewünscht wird. Auch wäre vorrangig eine Abmahnung auszusprechen gewesen.
Anhaltspunkte, dass sich die weiteren vom Arbeitgeber in der – vom Arbeitsgericht rechtskräftig für unwirksam befundenen – Verdachtskündigung vom 17.03.2011 genannten Vorgänge bezüglich der Arbeitsweise der Klägerin, ihrer Arbeitszeiten, dem Einsatz von Aushilfen und der Durchführung von Massagen durch eine ihrer Angestellten bestätigt hätten oder wichtige Gründe im oben genannten Sinne darstellen würden, gibt es aus Sicht des Senates nicht. Hierzu wird auch von der Klägerin nicht weiter vorgetragen.
Schließlich wäre der Arbeitgeber auch deshalb nicht berechtigt gewesen, der Klägerin fristlos zu kündigen, weil ihm jedenfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Die Klägerin war zuletzt nicht mehr im ursprünglichen Arbeitsbereich tätig, im Rahmen dessen die Möglichkeit zur Inempfangnahme und Weitergabe der Waren bestanden hat. Vielmehr war sie in der Buchhaltung eingesetzt, bei der ein Kundenkontakt nicht mehr erfolgte. Ferner lagen die Vorfälle bei Ausspruch der Kündigung am 17.10.2012 schon zwei Jahre zurück. Zudem hätte auch eine Kündigung unter Einhaltung der Kündigunsfrist bei anderen Arbeitnehmern nicht der Eindruck entstehen lassen, das zu beanstandende Verhalten bliebe ohne Folgen. Schließlich erfolgte im Vergleich vor dem Arbeitsgericht ebenfalls keine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern dieses wurde (erst) zum 31.10.2012 beendet. Damit konnte die Beklagte auch im Hinblick auf das für die Zeit vom 01.11.2012 bis 17.03.2013 gezahlte Alg auch die Erstattung von 5.070,37 EUR verlangen.
Die Berufung war folglich zurückzuweisen, soweit die Beklagte eine Erstattung von 5.588,51 EUR (5.070,37 EUR und 518,14 EUR) fordert. Im Übrigen waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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