Aktenzeichen M 5 K 17.975
BayJAPO § 70 S. 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsatz
1 Auch wenn in der Vorschrift des Art. 103 Abs. 5 BayBeamtVG ausdrücklich nur die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG genannt ist, so muss nach der gesetzgeberischen Intention und dem Sinn und Zweck der Regelung auch die Berechnung des Entfallens des Versorgungsabschlags nach Art. 26 Abs. 3 BayBeamtVG von der Regelung mit erfasst werden. (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zeiten der einstufigen Juristenausbildung stellen normativ vorgegebene Mindestzeiten für die Ausbildung dar, die im Rahmen des Art. 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BayBeamtVG maßgeblich sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird verpflichtet, die Versorgungsbezüge des Klägers ohne einen Versorgungsabschlag von 2,7% des erdienten Ruhegehalts neu festzusetzen und den Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 22. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Verwaltungsstreitsache kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da sich die Beteiligten überstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Festsetzung seiner Versorgungsbezüge ohne Berücksichtigung eines Versorgungsabschlags. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 20. Oktober 2015 ist aufzuheben, soweit er dem entgegen steht, ebenso der Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2017, da sie insoweit rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Festsetzung seiner Versorgungsbezüge ohne Berechnung eines Versorgungsabschlags.
a) Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBeamtVG vermindert sich das Ruhegehalt um 3,6% für jedes Jahr, um das der Beamte vor Ablauf des Monats, in dem die maßgebliche Altersgrenze erreicht wird, nach Art. 64 Nr. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBeamtG) in den Ruhestand versetzt wird. Für den Kläger hat das Landesamt für Finanzen aufgrund des Umstand, dass der Kläger mit Ablauf des … Dezember 2015 auf Antrag in den Ruhestand versetzt wurde, einen Versorgungsabschlag in Höhe von 2,70% festgesetzt. Denn der Kläger ist mit Wirkung zum … Januar 2016 und damit neun Monate vor Erreichen der Regelaltersgrenze für die Ruhestandsversetzung – … September 2016 – in den Ruhestand getreten. Jedoch entfällt nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG ein Versorgungsabschlag, wenn der Beamte oder die Beamtin zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung das 64. Lebensjahr vollendet und eine Dienstzeit von 45 Jahren erreicht wird. Das ist vorliegend gegeben.
b) Bei der Berechnung der Dienstzeit im Sinn des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG ist der Art. 103 Abs. 5 BayBeamtVG zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift werden u.a. für die Beamten, deren Dienstverhältnis bereits am … Dezember 1991 bestanden hat, bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG die Zeiten einer Fachschul- oder Hochschulausbildung nach Art. 20 Abs. 1 BayBeamtVG im Umfang der tatsächlichen Studiendauer, höchstens jedoch bis zur Regelstudienzeit einschließlich Prüfungszeit berücksichtigt (Art. 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BayBeamtVG), soweit dies für den Beamten günstiger ist.
Auch wenn in der Vorschrift ausdrücklich nur die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG genannt ist, so muss nach der gesetzgeberischen Intention und dem Sinn und Zweck der Regelung auch die Berechnung des Entfallens des Versorgungsabschlags nach Art. 26 Abs. 3 BayBeamtVG von der Regelung mit erfasst werden. Die mit Wirkung zum 1. April 2012 eingeführte Vorschrift des Art. 103 BayBeamtVG soll eine Besitzstandswahrung vor einer Schlechterstellung gewährleisten (BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 3 BV 15.1452 – BayVBl 2018, 314, juris Rn. 20). Der Gesetzgeber hat die Norm aus folgenden Erwägungen eingeführt:
„Die eingeschränkte Berücksichtigung von Ausbildungszeiten im Sinn des Art. 20 Abs. 1 BayBeamtVG für am …12.1991 vorhandene Beamte im Umfang von höchstens drei Jahren als ruhegehaltfähige Dienstzeit erfolgte vor allem aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung. Die kann in Einzelfällen zu einer übermäßigen Kürzung der berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten führen, was durch Rückkehr zur Rechtslage vor dem *.1.2011 vermieden wird.“
Der Sinn und Zweck der Norm – die Vermeidung einer übermäßigen Kürzung durch Anwendung der Rechtslage vor dem 1. Januar 2011 im Sinn einer Besitzstandswahrung – kann aber nur erreicht werden, wenn bei der Bemessung des Ruhegehaltssatzes nicht nur die Berechnung isoliert auf den sich ergebenden Ruhegehaltssatz nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG beschränkt wird, sondern auch auf die Vermeidung einer Kürzung dieses Satzes durch einen Versorgungsabschlag bei einem vorzeitigen Ruhestandseintritt. Anders ausgedrückt könnte die beabsichtigte Vermeidung einer übermäßigen Kürzung der berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten durch eine Beschränkung der Regelung auf den ersten Schritt – die Berechnung des sich nach den ruhegehaltfähigen Dienstzeiten ergebenden Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG – nicht erreicht werden, wenn der zweite Schritt – Prüfung eines Versorgungsabschlags – zur letztlich maßgeblichen Berechnung des Ruhegehaltssatzes nicht nach derselben Rechtslage durchgeführt würde. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Besitzstandswahrung bliebe damit unvollkommen.
Auch wenn in Art. 103 Abs. 5 BayBeamtVG mit der grammatikalischen Nennung nur der Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG als Sonderregelung grundsätzlich eng auszulegen ist, bedingt doch der dargestellte Sinn und Zweck der Regelung, der durch die gesetzgeberische Intention unterstrichen wird, die dargestellte Auslegung der Norm. Daher steht auch die strenge Gesetzesbindung der Besoldung und Versorgung ebenfalls nicht entgegen. Zwar ist die nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG maßgebliche Dienstzeit nicht mit der ruhegehaltfähigen Dienstzeit vergleichbar, die für die Berechnung des Ruhegehaltssatzes ermittelt wird (BayVGH, B.v. 14.4.2016 – 3 ZB 14.2874 – juris Rn. 7 zu Art. 103 Abs. 4 BayBeamtVG). Dieser Einwand wird vorliegend jedoch durch den ausdrücklichen Zweck der Besitzstandswahrung, dem Art. 103 Abs. 5 BayBeamtVG zugrunde liegt, überlagert. Die Intention der Norm bliebe unerreicht, wenn nur – isoliert – für die Berechnung des Ruhegehaltssatzes die frühere günstigere Rechtslage Berücksichtigung fände, hinsichtlich der Berechnung der Vermeidung des Versorgungsabschlags jedoch nicht. In Art. 26 Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG ist auch zur Ermittlung der Dienstzeit ausdrücklich u.a. auf die Zeiten nach Art. 20 BayBeamtVG verwiesen. Dass bei der Gewährung einer Besitzstandswahrung diese Regelung für die Zeiten nach Art. 20 BayBeamtVG im Rahmen der Berechnung zur Vermeidung eines Versorgungsabschlags nicht zur Anwendung kommen sollten, wäre andererseits inkonsequent. Hinzu kommt, dass zur Vermeidung des Versorgungsabschlags nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG das Erreichen einer Dienstzeit von 45 Jahren vorgeschrieben ist. Das Erreichen dieser strengeren Voraussetzung – gegenüber dem Erreichen des Höchstsatzes des Ruhegehalts nach 40 Jahren – von der Anwendung der Besitzstandswahrung auszunehmen, würde zu einer zusätzlichen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Erschwernis führen.
Die vorliegende weite Auslegung entspricht auch dem gesetzgeberischen Ziel der Vermeidung von ungerechtfertigten Härten. In der Form der Ausbildung im einstufigen Modell, das der Kläger absolviert hat, wurden nur 315 Tage im Beamtenverhältnis auf Widerruf absolviert. Wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 17. Mai 2018 dargestellt hat, wurde der Ausbildungsablauf mit Wirkung zum 1. Oktober 1977 umgestellt, sodass eine frühere Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgte mit der Folge, dass diese Zeiten versorgungsrechtlich zu berücksichtigen sind. Das geschah, um eine Gleichstellung mit Rechtsreferendaren der herkömmlichen („zweistufigen“) Ausbildung zu erreichen.
c) Für die einstufige Juristenausbildung war nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen in der für die Ausbildung des Klägers maßgeblichen Fassung (JAPO a.F., BayRS 2038-3-3-11-J) – im Gegensatz zur herkömmlichen zweistufigen Ausbildung in § 11 Abs. 2 JAPO a.F. – keine Regelstudienzeit festgesetzt. Denn die einstufige Juristenausbildung zeichnete sich durch eine genau geregelte, straffe Abfolge von Studienzeiten und (frühzeitig einsetzenden) Praktikumszeiten aus. Das ist in § 70 Satz 2 JAPO a.F. mit zehn Ausbildungsabschnitten genau vorgegeben. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit war nicht vorgesehen. Daher stellen diese Zeiten normativ vorgegebene Mindestzeiten für die Ausbildung dar, die im Rahmen des Art. 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BayBeamtVG maßgeblich sind (BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 3 BV 15.1452 – BayVBl 2018, 314, juris Rn. 19 ff.). Das Bayerische Staatsministerium für Finanzen, Landesentwicklung und Heimat hat mit Schreiben vom 21. Januar 2015 klargestellt, dass zur Hochschulausbildung nach Art. 20 Abs. 1 BayBeamtVG auch das Integrativstudium I und II sowie das Spezialstudium gehören. Ebenso seien Studienzeiten, die im Beamtenverhältnis auf Widerruf abgeleistet wurden, als Beamtendienstzeit anzurechnen. Daneben abgeleistete Praktika seien zusätzlich zum Studium als Zeiten der praktischen Ausbildung im vorgeschriebenen Umfang berücksichtigungsfähig.
Das Landesamt hat bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG die bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 20. Oktober 2015 geltende Rechtslage zugrunde gelegt. Danach wurden der Grundwehrdienst von 18 Monaten, die vorgeschriebene Hochschulausbildung sowie die vorgeschriebene praktische Ausbildung im Umfang von drei Jahren berücksichtigt (im Ergebnis zutreffend, allerdings etwas unklar, da der Wehrdienst formal bis …12.1971 andauerte und als zwingend zu berücksichtigende Zeit vor der Ausbildungszeit anzurechnen ist). Ob eine Berücksichtigung der im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung über drei Jahre hinausgehenden Zeiten vorzunehmen wäre – so die Übergangsvorschrift des Art. 103 Abs. 5 BayBeamtVG -, war für die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach Art. 26 Abs. 1 BayBeamtVG irrelevant, da der Kläger 40 Dienstjahre und damit den Höchstruhegehaltssatz erreicht hatte.
Für die Berechnung des Ausschlusstatbestands des Versorgungsabschlags – Erreichen von 45 Dienstjahren nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BayBeamtVG – ist das jedoch maßgeblich. Die insoweit nach Art. 103 Abs. 5 Satz 2, 20 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG zu berücksichtigende zwingend nach § 70 Satz 2 JAPO a.F. vorgeschriebene Mindestzeit der Ausbildung (Hochschulzeit und praktische Ausbildung) ist in den im Bescheid vom 20. Oktober 2015 aufgeführten Zeiten zu berücksichtigen, auch wenn sie eine Gesamtdauer von drei Jahren (berechnet bis 31.12.1975) übersteigen und nicht als berücksichtigungsfähig anerkannt sind. Durch die Zeiten vom … Januar 1976 bis … Dezember 1976 (ein Jahr) und vom … August 1977 bis … Oktober 1977 (45 Tage) werden in der Summe mindestens 45 Dienstjahre (45 Jahre, 12 Tage) erreicht.
2. Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.
Es sind keine Gründe vorgetragen oder ersichtlich, die eine Zulassung der Berufung als geboten erscheinen ließen. Das gilt insbesondere für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Beschluss:
I. Der Streitwertbeschluss vom 30. Januar 2018 wird aufgehoben.
II. Der Streitwert wird auf EUR 3.154,80 festgesetzt.
Gründe:
1. Der Streitwertbeschluss vom 30. Januar 2018 war aufzuheben, da er durch den Berichterstatter ergangen ist. Die Festsetzung des Streitwerts durch den Berichterstatter nach § 87a Abs. 1 Nr. 4 VwGO ist aber nur bei Entscheidungen nach § 87a Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO zulässig (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 87a Rn. 11).
2. Der Streitwert ist nach § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes/GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 10.4) zu bestimmen. Maßgeblich ist damit der 24-fache Betrag des Versorgungsabschlags von 131,45 EUR.