Aktenzeichen M 5 K 16.4266
ZPO § 802d Abs. 1
Leitsatz
1 Die Übernahme der Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn wegen eines tätlichen Angriffs gegen den Beamten im Dienst (Art. 97 Abs. 1 BayBG) setzt keine durch eine ärztliche Behandlung festzustellende “Mindestschwere” der Verletzung voraus. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für den Nachweises der fehlgeschlagenen Vollstreckungsversuche (Art. 97 Abs. 3 BayBG) ist es ausreichend, wenn sich bereits aus dem den Schmerzensgeldanspruch feststellende Strafurteil die Vermögenslosigkeit des Schädigers ergibt und Vollstreckungsversuche eines ebenfalls geschädigten Kollegen erfolglos blieben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Liegt eine unbillige Härte vor, weil die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 Euro erfolglos geblieben ist (Art. 97 Abs. 2 S. 1 BayBG), ist das Ermessen des Dienstherren in der Regel dahin vorgegeben, den Schmerzensgeldanspruch zu übernehmen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom … August 2016 verpflichtet, die Erfüllung des mit Urteil des Amtsgerichts F… vom … Januar 2016 rechtskräftig festgestellten Anspruchs des Klägers auf Schmerzensgeld gegen Herrn … in Höhe von 500,00 Euro zu übernehmen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters des Beklagten verhandelt und entschieden werden, da dieser sich für den Termin zur mündlichen Verhandlung entschuldigt und mit einer Durchführung des Termins einverstanden erklärt hat (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage ist begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Erfüllungsübernahme durch den Beklagten hat. Die Ablehnung des Antrags ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO)
1. Nach Art. 97 Abs. 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach § 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
2. Die Voraussetzungen zur Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG liegen vor.
a) Der Kläger hat bei der Festnahme des Schädigers durch die beiden Tritte in den Genitalbereich in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erlitten. Die vom Beklagten vorgetragene Einschränkung, ein solcher erfordere eine Mindestschwere, welche nur bei Durchführung einer ärztlichen Untersuchung gegeben sei, lässt sich weder dem Gesetz noch der Begründung zum Gesetzesentwurf (vgl. LT-Drs. 17/2871) entnehmen. Soweit dies in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg erwähnt wird (U.v. 20.7.2016 – RO 1 K 16.690 – juris Rn. 40), lag dem Fall ein abweichender Sachverhalt zu Grunde. Im Übrigen ist der – im Rahmen eines obiter dictums erfolgten – Einschränkung nicht zu folgen, da die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „tätlicher Angriff“ keinen Raum für Ermessenserwägungen eröffnet, welche allenfalls auf Rechtsfolgenseite möglich sind. Wenn in diesem Zusammenhang eine gewisse Mindestschwere erforderlich sein soll, ist eine Beschränkung im Rahmen der unbilligen Härte vorzunehmen, wobei durch den Wortlaut der Norm bereits eine Ermessenslenkung erfolgt (s.u.). Die Verurteilung des Schädigers wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Klägers unterstreicht eindrücklich, dass ein tätlicher rechtswidriger Angriff vorgelegen hat.
Eine solche Beurteilung ist vorliegend insbesondere durch den Aspekt gerechtfertigt, dass eine ärztliche Behandlung sehr wahrscheinlich nicht zu weitergehenden Maßnahmen geführt hätte, als der Kläger letztlich selbst ergriffen hat und ergreifen konnte. Denn eine derartige Verletzung kann wohl lediglich durch Kühlung und Schmerzmitteleinnahme behandelt werden. Zudem stand der Beamte kurz vor Schichtende und hatte anschließend dienstfrei. Es hätte einen nicht unerheblichen Aufwand bedeutet, sich zur Zeit des Angriffs gegen vier Uhr morgens in ärztliche Behandlung zu begeben, also die Notaufnahme in einem Krankenhaus aufzusuchen. Es mutet befremdlich an, dass dem Beamten sein loyales Dienstverhalten mit dem Versuch, Kosten und Krankheitstage möglichst gering zu halten bzw. zu vermeiden, nun zur Last gelegt werden soll.
b) Aufgrund des rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts Fürth vom 7. Januar 2016, welches dem Kläger im Wege des Adhäsionsverfahrens ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro zugesprochen hat, verfügt der Kläger über einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten, seinen Schädiger J.S.
c) Auch steht dem Anspruch auf Erfüllungsübernahme nicht das Erfordernis eines Nachweises der (fehlgeschlagenen) Vollstreckungsversuche aus Art. 97 Abs. 3 BayBG entgegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob mindestens zwei vergebliche Vollstreckungsversuche vorgenommen sein müssen, wie der Wortlaut der Norm aufgrund der Formulierung im Plural nahelegt („Vollstreckungsversuche“; so auch Conrad in Weiss/ Niedermaier/ Summer/ Zängl, Bayerisches Beamtengesetz, Stand Februar 2017, § 97 BayBG Rn. 8), oder ob ein einziger Vollstreckungsversuch ausreicht. Denn unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände ist der Beamte seiner Obliegenheit in ausreichender Weise nachgekommen. Bereits das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 7. Januar 2016 enthält Ausführungen zur Vermögenssituation des Schädigers und stellt fest, dass der Schädiger seit Jahren arbeitslos sei, über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, derzeit inhaftiert sei sowie dass sich seine Verbindlichkeiten aus früheren Strafverfahren auf 6.000 bis 7.000 Euro belaufen, was dafür spricht, dass weder nennenswertes Vermögen vorhanden ist noch in absehbarer Zeit vorhanden sein wird. Zwar liegen dem Gericht keine Unterlagen über Vollstreckungsmaßnahmen vor, die der Kläger selbst gegenüber dem Schädiger eingeleitet hat. Die durch den Klägerbevollmächtigten vorgelegten Unterlagen aus dem Vollstreckungsverfahren des bei dem streitgegenständlichen Vorfall ebenfalls geschädigten Kollegen des Klägers bestätigen jedoch die Darstellung über die Vermögenssituation im Strafurteil. Sowohl die Vermögensauskunft als auch das Vermögensverzeichnis des Schädigers J.S. im Sinne von § 802c Zivilprozessordnung (ZPO) zeigen, dass kein Vermögen vorhanden ist, in welches vollstreckt werden könnte. Die Einleitung von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durch den Kläger wäre daher von vornherein aussichtslos und rein formalistisch. § 802d Abs. 1 ZPO sieht vor, dass ein Schuldner, der innerhalb der letzten zwei Jahre eine Vermögensauskunft nach § 802c ZPO abgegeben hat, nur dann zur erneuten Abgabe einer solchen verpflichtet ist, wenn ein Gläubiger Tatsachen glaubhaft macht, die auf eine wesentliche Veränderung der Vermögensverhältnisse des Schuldners schließen lassen. Andernfalls leitet der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger lediglich einen Ausdruck des letzten abgegebenen Vermögensverzeichnisses zu. Da der Kläger somit allenfalls (zweifach) die Vermögensauskunft vom 27. Juli 2016 hätte erlangen können, bestand hier nicht das Erfordernis, mindestens zwei erfolglose Vollstreckungsversuche nachzuweisen.
Soweit der Kläger dem Beklagten letztlich überhaupt keine Unterlagen betreffend die Zwangsvollstreckung vorgelegt haben sollte – was aus den Akten nicht zweifelsfrei hervorgeht – wäre dies nicht zu beanstanden. Denn aus der schriftlichen Aktennotiz vom 11. August 2016 (Bl. 12 d.A.) ergibt sich, dass der Beklagte hierauf verzichtet hat. Dieser hat dem Kläger mitgeteilt, dass er die entsprechenden Unterlagen nicht mehr einzureichen brauche, da der Antrag ohnehin abgelehnt werden müsse.
3. Dem Beklagten verbleibt auch kein Ermessensspielraum zur Ablehnung des Antrages. Das der Behörde grundsätzlich zustehende Ermessen ist im vorliegenden Fall auf Null reduziert.
Die Norm räumt dem Dienstherrn nach ihrem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, sodass der Dienstherr die Erfüllung übernehmen kann, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich ist. Gleichwohl wird die Ermessensausübung durch Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG dahingehend vorgegeben, dass eine unbillige Härte insbesondere dann vorliegt, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 Euro erfolglos geblieben ist. Hier fließen Erwägungen hinsichtlich der Gewichtigkeit des Angriffs mit ein, die nicht mit der Frage zu verwechseln sind, ob überhaupt ein rechtswidriger tätlicher Angriff vorliegt. Denn weniger gewichtige Angriffe, die gegebenenfalls nicht wesentlich genug sind, um eine ärztliche Untersuchung zu erfordern, führen in der Regel zu einem niedrigeren Schmerzensgeldanspruch und erreichen in der Folge nicht die Bagatellgrenze von 500 Euro. Vor diesem Hintergrund ist auch der im Gesetzgebungsverfahren abgelehnte Änderungsantrag zu verstehen, nach dem die Erfüllungsübernahme auch bei Platzwunden oder einem Spucken ins Gesicht Anwendung finden sollte (Conrad in Weiss/ Niedermaier/ Summer/ Zängl, a.a.O., Rn. 6). Die insofern unter Umständen nicht hinreichend gewichtigen Angriffe sind jedoch aufgrund einer Ermessensausübung auf Rechtsfolgenseite auszuschließen, nicht jedoch (wie durch den Beklagten vorgenommen) auf Tatbestandsebene unter Auslegung des Begriffs des „tätlichen Angriffs“.
Eine unbillige Härte liegt hier vor. Für eine Ermessensausübung verbleibt lediglich insoweit Raum, als er Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern kann, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz – BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG; vgl. LT-Drs. 17/2871). Das hat der Beamte verneint, sodass das Ermessen auf Null reduziert ist.
4. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).