Arbeitsrecht

Überzahlte Rentenleistungen infolge Hinzuverdienst

Aktenzeichen  L 13 R 1025/13

Datum:
20.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 115307
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 48 Abs. 1 S. 2
SGB VI § 34 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Kommen bisherig rentenunschädliche Einmalzahlungen des Arbeitgebers aus Vereinfachungsgründen nunmehr gezwölftelt, gleichbleibend monatlich zur Auszahlung, können dadurch die rentenrechtlichen Hinzuverdienstgrenzen überschritten werden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein von der Regel abweichender Fall für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes vorliegt, welcher ein Verwaltungsermessen eröffnet, ist für jeden Einzelfall zu prüfen und unterliegt der vollständigen gerichtlichen Überprüfung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 30 R 1214/09 2013-06-25 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte war aufgrund der vom Kläger erzielten Einkünfte verpflichtet, den Rentenbescheid vom 10.10.2003 nach § 48 Abs. 1 Satz 2, 3, 4 SGB X i.V.m. § 34 SGB VI mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben und den überzahlten Betrag in Höhe von 14.577,55 EUR zurückzufordern.
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 23.10.2008 ist formell rechtmäßig ergangen, insbesondere ist die gemäß § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung erfolgt. Zwar hat die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 28.07.2008 zunächst nur auf die Fallgruppe des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und damit die Erzielung des rentenschädlichen Einkommens abgestellt. Im Bescheid vom 23.10.2008 ist aber auch auf das Vorliegen der Tatbestände der § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X hingewiesen worden, so dass der Kläger im Widerspruchsverfahren auch hierzu Stellung nehmen konnte und die Anhörung auch insoweit als nachgeholt anzusehen ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Die Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung sind gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt. Die Rückforderung beruht rechtmäßig bereits darauf, dass der Kläger seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist vorliegend mit der Anhebung des monatlich gezahlten Arbeitseinkommens auf 396,67 EUR ab Januar 2005 eingetreten. Insoweit kommt es ausschließlich auf die Höhe der monatlichen Zahlung an und nicht darauf, inwieweit diese Zahlung nach der zugrundeliegenden Vereinbarung als laufendes bzw. anteiliges einmaliges Entgelt ausbezahlt wird.
§ 34 SGB VI lautete zwischen 01.08.2004 und 31.12.2007 auszugsweise:
(1) …
(2) Anspruch auf eine Rente wegen Alters besteht vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 3 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 3 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Die in Satz 2 genannten Einkünfte werden zusammengerechnet …
(3) Die Hinzuverdienstgrenze beträgt
1. bei einer Rente wegen Alters als Vollrente ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße,
2. bei einer Rente wegen Alters als Teilrente von
a) einem Drittel der Vollrente das 23,3fache,
b) der Hälfte der Vollrente das 17,5fache,
c) zwei Dritteln der Vollrente das 11,7fache
des aktuellen Rentenwerts (§ 68), vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) der letzten drei Kalenderjahre vor Beginn der ersten Rente wegen Alters, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten.
Gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI betrug die Hinzuverdienstgrenze im maßgeblichen Zeitraum ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße, d.h. vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 monatlich 345 EUR und vom 01.01.2006 bis 31.03.2006 monatlich 350 EUR. Erst zum 01.01.2008 wurde die Grenzen in Anlehnung an die sog. Minjobs auf 400 EUR angehoben.
Nach § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bleibt ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze im Laufe eines Kalenderjahres außer Betracht. Diese Regelung ist aber von vornherein nur auf solche Versicherte anwendbar, die über schwankende monatliche Einkünfte verfügen, so dass bei unverändertem Hinzuverdienst von der Möglichkeit des zweimaligen Überschreitens kein Gebrauch gemacht werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 06.02.2007 – B 8 KN 3/06 R, SozR 4-2600 § 96a Nr. 9; BSGE 94, 286, 290; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 34, Rn. 21f SGB VI). Sinn und Zweck der Möglichkeit des zweimaligen Überschreitens ist es, bei zweimal jährlichen, kurzfristigen Änderungen des Arbeitsentgelts die eigentlich erforderlichen Rentenminderungen zu vermeiden (vgl. BSG v. 06.02.2007, a.a.O.). Daher entspricht auch die Betrachtungsweise des Klägerbevollmächtigten, die Gesamtsumme der überschreitenden Beträge dem nach Satz 2 ausnahmsweise erlaubten Höchstbetrag gegenüberzustellen, nicht der Systematik des Gesetzes. Verfassungsmäßige Bedenken bestehen insoweit nicht (BSG, Urteil vom 09.12.2010 – B 13 R 10/10 R -, SozR 4-2600 § 96a Nr. 13).
Die Hinzuverdienstgrenze ist vom Kläger mit einem regelmäßigen Verdienst von 396,67 EUR im Aufhebungszeitraum in jedem Monat überschritten worden, was zur Minderung des Rentenanspruchs geführt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Nach § 14 Abs. 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Nach § 23a Abs. 1 Satz 3 SGB IV ist einmalig gezahltes Arbeitsentgelt versicherungspflichtig Beschäftigter grundsätzlich dem Entgeltabrechnungszeitraum zuzuordnen, in dem es gezahlt wird. Abweichende Beurteilungen ergeben sich danach nur für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, das nach Beendigung oder bei Ruhen des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wird. Im Übrigen hat vorliegend der Arbeitgeber des Klägers, indem er auf eine anteilige Zahlung umgestellt hat, zum Ausdruck gebracht hat, dass dem Kläger monatlich ein Anteil von 1/12 dieser Summe zusteht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Arbeitsvertrag des Klägers, der keine Regelungen bzgl. einer Sonderzuwendung enthält.
Das gilt aus den o.g. Gründen ab dem 01.03.2005 auch für jeweils zwölf und nicht nur für jeweils zehn Monate jährlich. Mit dem Erwerb von Arbeitsentgelt, welches die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, haben sich die tatsächlichen Verhältnisse in sämtlichen streitbefangenen Zeiträumen nachträglich wesentlich geändert (BSG, Urteil vom 06.02.2007, a.a.O.). Die Beschränkung der Privilegierung auf schwankende Einkommensverhältnisse wird vom BSG mit dem Wortlaut („außer Betracht bleibt“) und dem Grundkonzept begründet, wonach als „Regelfall“ der Gedanke zu Grunde liegt, dass ein Versicherter eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausübt, mit der er im Wesentlichen einen gleichbleibenden Verdienst erzielt und von dessen Höhe es abhängt, ob er die Rente voll, zu 2/3, zu 1/3 oder gar nicht erhält. Allerdings soll ein schwankender oder höherer Verdienst nicht sofort rentenschädlich sein. Die Prüfung, ob ein sog. privilegiertes Überschreiten i.S. des § 34 Abs. 2 S. 2 Halbsatz 2 SGB VI vorliegt, richtet sich daher grundsätzlich nach der im Vormonat eingehaltenen Hinzuverdienstgrenze (BSG, Urteil vom 26.06.2008 – B 13 R 119/07 R -, juris).
Der Kläger hat die ihm mit den beiden Rentenbescheiden vom 24.03.2013 und 10.10.2003 ausdrücklich zur Kenntnis gebrachte gesetzliche Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt, indem er die Umstellung der Auszahlung auf einen höheren monatlichen Verdienst der Beklagten nicht mitgeteilt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X).
Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärung abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Da ein Hinzuverdienst oberhalb der Hinzuverdienstgrenze für die Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze erheblich ist, bestand die Verpflichtung, den Hinzuverdienst mitzuteilen.
Die Verletzung der Mitteilungspflicht war auch grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen (sog. subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff).
Das Außerachtlassen von gesetzlichen Vorschriften, auf die vom Versicherungsträger gesondert hingewiesen worden ist, ist im Allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und nach seinem Bildungsstand die Vorschrift nicht verstanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.1977 – 8/12 RKg 8/76 -, BSGE 44, 264-274). Die Hinweise in den beiden Rentenbescheiden waren vorliegend klar und eindeutig. Es ist darin ausdrücklich nicht auf ein Jahreseinkommen, sondern auf die monatlich geltende Hinzuverdienstgrenze und das monatlich erzielte Bruttoeinkommen abgestellt worden. Der Kläger, der als Ingenieur über eine qualifizierte Ausbildung verfügt, hat auch selbst angegeben, dass ihm der Inhalt bewusst gewesen sei, er aber gemeint habe, die Umstellung von Sonderzahlungen auf höhere monatliche Zahlungen sei unschädlich.
In diesem Fall konnte vom Kläger erwartet werden, dass er der Beklagten die Änderung mitteilt bzw. seine Rechtsauffassung zur Überprüfung stellt. Ein Rechtsirrtum – sei er auch nachvollziehbar – entlastet den Kläger wegen einfacher Nachfragemöglichkeit nicht, zumal für eine Nachfrage bei der Beklagten keine hohen Hürden bestehen. Soweit sich der Kläger stattdessen auf seine Auffassung und die Handhabung durch den Arbeitgeber verlassen hat, teilt der Senat die Auffassung des 14. Senats des Bayer. Landessozialgerichts im Urteil vom 11.03.2010 (L 14 R 190/09, – juris), dass derjenige grob fahrlässig handelt, der sich in der komplizierten Materie des Sozialrechts auf Vermutungen verlässt, statt den klaren und unmissverständlichen Hinweisen der Beklagten zu folgen und eine schlichte Meldung an den Rentenversicherungsträger zu erstatten. Auch etwaiges Verschulden des Arbeitgebers wäre nicht der Beklagten, sondern dem Kläger anzulasten. Der Einwand, von der Beklagten nicht aufgrund einer Meldung der KBS gewarnt worden zu sein, ist insofern nicht weiterführend, als diese die Meldung erstmals im Jahr 2008 erhalten hat.
Aufgrund dieses Sachverhalts ist – ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt – auch davon auszugehen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 10.10.2003 jedenfalls grob fährlässig nicht gekannt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).
Ein atypischer Fall, der die Beklagte zur Ausübung von Ermessen ermächtigen würde, ist nicht gegeben.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X „soll“ ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn einer der Regeltatbestände der Nummern 1-4 gegeben ist. Die Rechtsfolge ist demnach gesetzlich verpflichtend vorgegeben; von einer Aufhebung darf die Behörde nur dann ganz oder teilweise absehen, wenn ein sogenannter atypischer Fall bejaht wird. Ein solcher liegt vor, wenn der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach Abs. 1 Satz 2, die die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 48 Rz. 37). Die Frage, ob ein von der Regel abweichender Fall vorliegt, der ein Ermessen eröffnet, muss für den jeweiligen Einzelfall geprüft werden und kann von den Gerichten in vollem Umfang überprüft werden. Sie ist nicht Teil der Ermessensprüfung. Maßgeblich sind hier die Umstände des Einzelfalles sowie der Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Dabei ist auch einzubeziehen, ob die mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbundene Pflicht zur Erstattung von erbrachten Leistungen für den Leistungsbezieher eine stärkere Belastung bedeutet als für einen im Normalfall hierdurch Betroffenen. Die mit einer Rückforderung üblicherweise immer verbundene Belastung allein ist jedoch nicht ausreichend (Brandenburg in jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 130). Bei der Prüfung, ob eine vom typischen Fall abweichende Situation vorliegt, ist ggf. auch das Verhalten des Leistungsträgers einzubeziehen. So kann etwa ein mitwirkendes Fehlverhalten, d.h. eine Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung, dazu führen, dass ein Sachverhalt als atypischer Fall zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 77/09 R -, juris). Dabei gilt der Grundsatz, dass bei grober Pflichtwidrigkeit auch eine schlechte Einkommens- und Vermögenslage nicht die Annahme eines atypischen Falls rechtfertigt, es sei denn, das Einkommen würde durch die Aufhebung im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken (vgl. Urteile des BSG vom 26.08.1994 – 13 RJ 29/93, und vom 01.07.2010, sowie Steinwedel, jeweils a.a.O.).
Ein atypischer Fall ist vorliegend zur Überzeugung des Senats nicht gegeben. Er resultiert insbesondere nicht aus einem Missverhältnis zwischen Mehrverdienst und Höhe der Rückzahlungsverpflichtung. Selbst ein geringes Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze führt zu einer Reduzierung der Rente auf die Höhe einer 2/3 Rente. Die für den Kläger mit der Rückforderung verbundenen Härten hätte dieser vermeiden können, wenn er die Umstellung der Zahlung der Beklagten rechtzeitig angezeigt hätte (BSG, Urteil vom 24.04.1997 – 11 RAr 89/96 -, juris). Die Frage, ob der Kläger im Verhältnis zu seiner Arbeitgeberin Einfluss auf die Umstellung der Zahlung hatte, betrifft ausschließlich die rechtliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und ist nicht geeignet, im Verhältnis zur Beklagten einen atypischen Fall zu begründen. Ein Mitverschulden der Beklagten, die erst im Jahr 2008 von der Überschreitung der monatlichen Verdienstgrenze erfahren hat, liegt offensichtlich nicht vor. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger auch nie Anlass zu der Annahme gegeben, auf die von ihm selbst angestellten Überlegungen vertrauen zu können, sondern in den Bescheiden stets vollständig, umfassend und zutreffend auf die jeweiligen monatlichen Hinzuverdienstgrenzen und die in diesem Zusammenhang bestehenden Mitwirkungspflichten hingewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Nachhinein durch die Aufhebung sozialhilfebedürftig geworden wäre, bestehen nicht. Der Kläger hat auch auf Aufforderung des Sozialgerichts keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht, die eine solche Prüfung ermöglicht hätten (zum Erfordernis einer umfassenden Bedürftigkeitsprüfung, BSG, Urteil vom 30.06.2016 – B 5 RE 1/15 R – juris).
Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist ebenfalls gewahrt. Die Beklagte hat Kenntnis von der Höhe der Arbeitsentgelte erst im Jahr 2008 erlangt. Für eine frühere Kenntnis fehlen jegliche Anhaltspunkte. In aller Regel beginnt die Jahresfrist sogar erst mit der Anhörung des Begünstigten, weil erst dann eine ggf. erforderliche Ermessensentscheidung getroffen werden kann (zum Meinungsstand Steinwedel, a.a.O., Rn. 27). In jedem Fall bedeutet „Kenntnis“ die hinreichende Sicherheit für den Erlass eines Rücknahmebescheides. Ein bloßer Verdacht reicht ebenso wenig aus wie ein „Kennenkönnen“ oder – selbst grob fahrlässiges – „Kennenmüssen“. Dabei ist auf die Kenntnis des für die (Vorbereitung der) Rücknahme zuständigen Sachbearbeiters abzustellen (BSG Beschluss vom 17.11.2008 – B 11 AL 87/08 B; Urteil vom 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 R -, jeweils juris). Auf die Kenntnis der Einzugsstelle kommt es daher nicht an.
Die Beklagte war damit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verpflichtet, den Rentenbescheid hinsichtlich der Rentenhöhe für den streitgegenständlichen Zeitraum aufzuheben. Eine Begrenzung auf die Höhe des die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts kommt allein dann in Betracht, wenn sich der Rückforderungsanspruch der Beklagten nur auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen lässt. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 23. März 1995 (B 13 RJ 39/94, juris) diese Begrenzung zum einen mit dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X begründet („soweit“), zum anderen wäre ein anderes Ergebnis nicht mit dem vom Vertrauensschutz geprägten Grundgedanken des § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zu vereinbaren. Diese Begrenzung gilt jedoch dann nicht, wenn sich die Aufhebung des Verwaltungsakts – wie vorliegend – auch mit den in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X niedergelegten Grundsätzen begründen lässt. In diesen Fallgestaltungen, in denen dem Betroffenen eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung von Mitwirkungspflichten bzw. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem (teilweisen) Wegfall des Rentenanspruchs zur Last zu legen ist, lässt sich eine derartige Begrenzung weder aus dem Wortlaut entnehmen noch erscheint das Ergebnis unbillig. Denn ein Betroffener, dem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit entgegenzuhalten ist, kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Einwendungen gegen die Berechnung des Erstattungsbetrags sind nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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