Arbeitsrecht

Unfallversicherungsschutz von Gemeinschaftsveranstaltungen

Aktenzeichen  L 2 U 308/16

Datum:
18.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 S. 1
SGG SGG § 143, § 144, § 151, § 160 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 193

 

Leitsatz

Bei der Prüfung, ob die Teilnahme an der von einem Unternehmen veranstalteten Gemeinschaftsveranstaltung dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt, kommt es hinsichtlich des Kriteriums, dass die Veranstaltung der gesamten Belegschaft bzw. einzelnen Organisationseinheiten der Belegschaft offenstehen muss, nicht auf ein vom Unternehmen angebotenes Gesamtprogramm an, bei dem die Beschäftigten unter mehreren angebotenen Veranstaltungen auswählen können, sondern auf die konkrete Einzelveranstaltung. (Rn. 24)

Verfahrensgang

S 15 U 80/16 2016-07-06 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 06.07.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die auf Verpflichtung zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft und zulässig. Die Klage ist jedoch nicht begründet, weil der Unfall des Klägers vom 13.03.2015 kein Arbeitsunfall ist.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Unfall des Klägers ist nicht infolge einer versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Skifahrt, bei der der Kläger verunglückte, könnte nur insoweit als versicherte Tätigkeit anzusehen sein, als sie der beruflichen Tätigkeit des Klägers bei der R. zuzuordnen wäre, für die der Kläger als Beschäftigter gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert war.
Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen können auf richterrechtlicher Grundlage in den unfallversicherungsrechtlichen Versicherungsschutz einbezogen sein. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall, dass der Unternehmer alle Betriebsangehörigen (bzw. bei einer Veranstaltung für eine organisatorisch abgegrenzte Abteilung oder Einheit des Betriebs alle Angehörigen dieser Abteilung oder Einheit) einladen oder einladen lassen und den Wunsch deutlich machen muss, dass sich möglichst alle Eingeladenen zur Teilnahme entschließen. Die Teilnahme muss daher vorab erkennbar grundsätzlich allen Beschäftigten des Unternehmens oder der betroffenen Abteilung offenstehen und objektiv möglich sein. Es reicht nicht aus, dass nur den Beschäftigten einer ausgewählten Gruppe die Teilnahme angeboten wird oder zugänglich ist (ständige Rechtsprechung, vergleiche BSG, Urteil vom 15.11.2016 – Az. B 2 U 12/15 R – Rdnr. 20). Nach der Planung der Zusammenkunft darf nicht von vornherein ersichtlich sein, dass ein nennenswerter Teil der Belegschaft wegen der konkreten Art der Veranstaltung an dieser nicht teilnehmen kann oder will, zum Beispiel wegen der Gefahren oder wegen fehlender Kenntnisse beim Skifahren oder weil die Teilnahme an einem Skiwochenende von vornherein nur einem kleinen Kreis der Beschäftigten offensteht oder weil nur der fußballbegeisterte Teil der Belegschaft angesprochen wird (Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 05/15, § 8 SGB VII Rdnr. 105 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). In Betrieben, bei denen wegen der Größe der Belegschaft aus organisatorisch-technischen Gründen eine gemeinsame Betriebsveranstaltung nicht möglich ist und deshalb eine entsprechende Veranstaltung innerhalb einer einzelnen Abteilung oder anderen betrieblichen Einheit stattfindet, genügt es, dass die Teilnahme allen Beschäftigten der Abteilung bzw. sonstigen Einheit offensteht (BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az. B 2 U 16/04 R).
Nach diesen Grundsätzen können die im Programm der R. für das Jahr 2015 angebotenen Betriebsausflüge in Form von Wochenend- bzw. Tagesfahrten von vornherein nicht als versicherte Gemeinschaftsveranstaltungen angesehen werden. Durch die Aufspaltung auf eine Vielzahl von Veranstaltungen wurde jeweils nur ein kleinerer Teil der Belegschaft angesprochen, ohne dass sich die Aufteilung der Veranstaltungen an betrieblichen Organisationseinheiten orientierte. D.h., dass jedem Beschäftigten aus dem Unternehmen mit ca. 3.300 Versicherten freistand, an welcher der insgesamt zehn angebotenen Veranstaltungen er oder sie teilnehmen wollte. Die Teilnehmerzahl war von vornherein begrenzt, worauf auch in dem Programm hingewiesen wurde. So betrug die Teilnehmerzahl an der Skifahrt nach K., bei welcher der Kläger verunglückte, nur 123 Personen. Bei einem solchen Programm kann von vornherein auch nicht annähernd davon gesprochen werden, dass es der gesamten Belegschaft bzw. einzelnen Organisationseinheiten der Belegschaft offen stand und grundsätzlich die Teilnahme der gesamten Belegschaft möglich war. Vielmehr war jede einzelne der Veranstaltungen so ausgelegt, dass ein nennenswerter Teil der Belegschaft schon allein wegen der Kapazität der Veranstaltung von vornherein nicht teilnehmen konnte. Ob insgesamt alle angebotenen Veranstaltungen ausgereicht hätten, um für einen Großteil der Belegschaft Plätze anzubieten, ist insoweit ohne Belang, da es nur auf die konkrete Einzelveranstaltung ankommt und nicht darauf, ob der Arbeitgeber ein Gesamtprogramm anbietet, bei dem ein Veranstaltungsplatz für jeden Beschäftigten zur Verfügung steht. Auch wenn das BSG eine feste Mindestbeteiligungsquote abgelehnt hat, hat es doch betont, dass eine niedrige Beteiligung eher gegen eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen spricht, weil damit nur ein Teil der Belegschaft erreicht und der Zweck der Stärkung der Verbundenheit infrage gestellt wird (zu einem Fußballturnier siehe BSG, Urteil vom 07.12.2004, Az. B 2 U 47/03 R).
Auch unter dem Aspekt des Betriebssports konnte die Veranstaltung nicht versichert sein, da hierfür, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, von der Rechtsprechung die Eignung zum Ausgleich der durch die betriebliche Tätigkeit bedingten körperlichen Belastung und eine gewisse Regelmäßigkeit der Übungen gefordert wird (zusammenfassend BSG, Urteil vom 13.12.2005, Az. B 2 U 29/04 R), wobei Übungszeit und Übungsdauer im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen und der Sport unternehmensbezogen organisiert sein muss. Ein mehrtägiger Skiausflug fällt hierunter nicht, schon wegen des völligen Fehlens eines zeitlichen und örtlichen Bezugs zu der regulären versicherten Tätigkeit (BSG, a.a.O., Rdnr. 18).
Europarecht ist nicht betroffen, wenn für die Beschäftigten eines international tätigen Unternehmens mit Beschäftigungsort in Österreich die österreichischen Vorschriften zur gesetzlichen Unfallversicherung gelten, für die in Deutschland Beschäftigten desselben Unternehmens dagegen die deutschen Vorschriften (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV – eine Entsendung lag nicht vor). Das Europarecht sieht auch keine Harmonisierung der Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung hinsichtlich der Frage vor, welche Gemeinschaftsveranstaltungen dem Versicherungsschutz unterfallen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen