Arbeitsrecht

Unionsrechtlicher Anspruch wegen Zuvielarbeit

Aktenzeichen  6 ZB 18.1356

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23421
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2003/88/EG Art. 6 lit. b
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine an Verwaltungsvorschriften orientierte ständige Verwaltungspraxis verpflichtet zur Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle. Sie sind also nicht wie Rechtsnormen, sondern als Willenserklärung der Behörde unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung auszulegen (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 29642). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ansprüche, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, bedürfen einer vorherigen Geltendmachung (Anschluss an BVerwG BeckRS 2018, 15206). Hierzu genügt es, wenn zum Ausdruck gebracht wird, mit der jeweiligen Situation nicht einverstanden zu sein.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 16.3858 2018-05-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 3. Mai 2018 – M 21 K 16.3858 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
1. Der Kläger ist Soldat auf Zeit im Rang eines Oberfeldwebels. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2016 beantragte er die Abgeltung von etwa 339 Überstunden in Höhe von ca. 4.500 Euro für die Jahre 2013 und 2014, was die Beklagte ablehnte. Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, bezüglich weiterer im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 abgeleisteter 348,45 Überstunden einen Zeitausgleich in Freizeit zu gewähren, hilfsweise dem Kläger für diese Stunden einen Betrag in Höhe von 3.582,00 Euro brutto zu erstatten. Mit Urteil vom 3. Mai 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Im Hauptantrag ergebe sich weder aus nationalem Recht noch aus Unionsrecht ein Anspruch des Klägers. Insbesondere ergebe sich auch dann kein Anspruch aus dem Zentralerlass B-1431/1, wenn man von einem gleichmäßigen Vollzug dieser Verwaltungsvorschrift ausgehen würde. Denn die Beklagte habe sich zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Dienste im Sinne des Satzes 1 des Unterpunkts 2 der Nr. 304 Buchst. a des Zentralerlasses B-1431/1 zusätzlich zum Schichtdienstplan geleistet habe. Zudem scheitere die Klage am Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl auf den hier wohl allenfalls subsidiär in Betracht kommenden nationalen dienstrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen (unions-) rechtswidriger (vgl. Art. 6 Buchst. b RL 2003/88/EG) Zuvielarbeit als auch auf den deswegen parallel verlaufenden unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch anwendbar sei. Die Klage könne in der Hauptsache keinen Erfolg haben, weil der Kläger erstmals durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 12. Februar 2016 gegenüber seinem Dienstherrn einen „Überstundenabgeltungsanspruch“ für die Zeit zwischen September 2013 und Oktober 2014 geltend gemacht habe. Er habe zwar nach jeder Schicht einen Antrag auf Überstundenausgleich gestellt. Mit diesen Anträgen habe der Kläger aber nur auf Basis der damaligen Erlasslage und unter Verwendung der dafür vorgesehenen Vordrucke „Überstundenausgleich“ geltend gemacht. Dagegen habe er gerade nicht zum Ausdruck gebracht, die wöchentliche Arbeitszeit für zu hoch festgesetzt zu halten. Im Übrigen wäre ein Anspruch des Klägers auf Ausgleich besonderer zeitlicher Belastungen durch Freistellung vom Dienst für Einzelstunden voll umfänglich wegen Nr. 409 des Zentralerlasses B-1431/1 verfallen. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet.
2. Die Einwände des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Klageabweisung, denen in einem Berufungsverfahren nachzugehen wäre.
a) Ohne Erfolg bleibt die Rüge, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zusätzliche Dienste nach Nr. 304a des Zentralerlasses B-1431/1 geleistet; es sei nicht ersichtlich, inwiefern es einen Unterschied mache, ob neben dem regulären Schichtplan zusätzlich an einem normalen Wochentag oder an einem Wochentag, der ein Feiertag sei, gearbeitet werde.
Bei dem Zentralerlass B-1431/1, auf den der Kläger seinen Anspruch stützen will, handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, nicht um Rechtnormen. Außenwirkung gegenüber dem einzelnen Soldaten erlangen Verwaltungsvorschriften nur mittelbar über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat. Eine an Verwaltungsvorschriften orientierte ständige Verwaltungspraxis verpflichtet zur Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle. Ein Soldat kann insoweit nur (und nicht mehr als) eine Behandlung entsprechend der gleichmäßig vollzogenen Verwaltungsvorschriften beanspruchen (BVerwG, U.v. 25.9.2014 – 1 WB 17.27 – juris Rn. 19). Sie sind also nicht wie Rechtsnormen, sondern als Willenserklärung der Behörde unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung auszulegen (BVerwG, U.v. 2.2.1995 – 2 C 19.94 – juris Rn. 18).
Vor diesem Hintergrund ist nichts ersichtlich, was den behaupteten Anspruch auf Zeitausgleich stützen könnte. Der Kläger legt bereits nicht dar, dass sein Rechtsverständnis des Zentralerlasses B-1431/1 der maßgeblichen tatsächlichen Handhabung durch die Beklagte entspricht. Es bestehen auch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte den Zentralerlass B-1431/1 in dem vom Kläger verstandenen Sinn im maßgeblichen Zeitraum angewandt hat, zumal alle beteiligten Dienststellen einen entsprechenden Anspruch des Klägers abgelehnt haben.
b) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Einwand, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seine Ansprüche aus einem nationalen dienstrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit als auch aus dem unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch zeitnah geltend gemacht, in dem er nach jeder Schicht einen Antrag auf Überstundenausgleich gestellt habe.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 2 C 40.17 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.) bedürfen Ansprüche, deren Festsetzung und gegebenenfalls Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, einer vorherigen Geltendmachung; denn hier ist eine vorgängige behördliche Entscheidung über Grund und Umfang des Anspruchs erforderlich. Auszugleichen ist die rechtswidrige Zuvielarbeit, die ab dem auf die erstmalige Geltendmachung folgenden Monat geleistet worden ist. Durch das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung wird der Beamte oder Soldat in seinem Verhältnis zum Dienstherrn nicht übermäßig belastet. Zum einen werden von ihm keinerlei Rechtskenntnisse über das Bestehen oder Nichtbestehen etwaiger Ansprüche erwartet. Es genügt, dass er zum Ausdruck bringt, mit der jeweiligen Situation nicht einverstanden zu sein. Ziel der Geltendmachung ist es insoweit allein, den Dienstherrn zu einer Überprüfung der beamtenrechtlichen oder soldatischen Pflichten und gegebenenfalls zum Ausgleich bei festgestellter Rechtsverletzung zu veranlassen.
Die Anträge des Klägers auf Freistellung vom Dienst, die die Beklagte für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegt hat, nehmen – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – Bezug auf die in seinem Verband geübte Praxis, Freistellungen vom Dienst nach Nr. 504 des Zentralerlasses zu gewähren. Einen darüber hinausgehenden Anspruch hat der Kläger nach Aktenlage während der Jahre 2013 und 2014 weder ausdrücklich noch konkludent geltend gemacht. Er hat mit den Anträgen auf Freistellung nicht zum Ausdruck gebracht, dass er seine Arbeitszeiten für zu hoch festgesetzt gehalten hat. Die Beklagte durfte daher davon ausgehen, dass sie mit der Gewährung der konkret beantragten Freistellungen das Begehren des Klägers vollumfänglich erfüllt hat.
c) Der weitere Einwand, der Anspruch auf Freistellung vom Dienst sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht wegen Nr. 409 des Zentralerlasses verfallen, ist nach den Ausführungen unter a) nicht mehr entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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