Aktenzeichen 9 AZR 36/10
§ 823 Abs 2 S 1 BGB
§ 254 Abs 1 BGB
§ 280 BGB
§ 311 Abs 3 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 13 Abs 2 GmbHG
§ 7d Abs 1 SGB 4 vom 24.07.2003
§ 263 Abs 1 StGB
§ 25 StGB
§ 559 Abs 2 ZPO
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Potsdam, 7. Oktober 2008, Az: 2 Ca 1085/08, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 6. Oktober 2009, Az: 16 Sa 530/09, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Oktober 2009 – 16 Sa 530/09 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die persönliche Haftung der Beklagten für ein nicht insolvenzgesichertes Wertguthaben aus einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis.
2
Den am 16. Dezember 1949 geborenen Kläger und die N AG verband seit dem 1. Oktober 1982 ein Arbeitsverhältnis, das Anfang November 1997 im Wege des Betriebsübergangs auf die SI GmbH (SI) überging. Alleinige Anteilseignerin der SI war zu diesem Zeitpunkt die S GmbH & Co. oHG, eine 100-prozentige Tochter der S AG.
3
Anlässlich des Betriebsübergangs vereinbarte die Unternehmensführung der N AG mit dem zuständigen Gesamtbetriebsrat „Bedingungen für die Beschäftigung der Mitarbeiter des Tarifkreises im Bereich Produktservice des Geschäftsgebietes Information Technology Service der N AG … durch die SI GmbH“ (Vereinbarung 1997). Diese sehen ua. Folgendes vor:
„Für die Beschäftigung der Mitarbeiter im Tarifkreis, die am 01.11.1997 zur SI übertreten, gelten folgende sozial- und personalpolitischen Grundsätze:
1.
Tarifvertrag
Die bisher für Sie geltenden Tarifverträge der Metallindustrie gelten in der jeweils gültigen Fassung weiter. Ab dem 01.05.1998 werden Ihre Beschäftigungsbedingungen durch einen neuen Tarifvertrag geregelt. Sollten sich die Tarifvertragsparteien bis zum 30.04.1998 nicht auf einen neuen Tarifvertrag einigen, gelten die Regelungen des bisherigen Tarifvertrags einzelvertraglich in der jeweils gültigen Fassung weiter.“
4
Der zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e. V. und der DAG geschlossene „Tarifvertrag zur Altersteilzeit für Arbeiter und Angestellte der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet I“ vom 20. Februar 1998 (TV ATZ), der rückwirkend zum 1. November 1997 in Kraft trat, sieht ua. folgende Regelung vor:
„16
Insolvenzsicherung
Der Arbeitgeber berät geeignete Maßnahmen mit dem Betriebsrat und stellt sicher, dass im Falle der vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch Insolvenz des Arbeitgebers alle bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche einschließlich der darauf entfallenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung gesichert sind. …
Der Arbeitgeber hat gegenüber dem Betriebsrat bzw., soweit keine Betriebsvereinbarung besteht, gegenüber dem/der Beschäftigten jährlich die ausreichende Sicherung nachzuweisen.
Die Art der Sicherung kann betrieblich festgelegt werden.“
5
Der Beklagte zu 1. wurde am 13. Dezember 1999, der Beklagte zu 2. am 11. März 2004 als Geschäftsführer der SI im Handelsregister eingetragen.
6
Die SI, ua. vertreten durch den Beklagten zu 1., vereinbarte mit dem Kläger unter dem 16./18. Dezember 2003, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2007 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen.
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Um die Wertguthaben der bei der SI tätigen Altersteilzeitarbeitnehmer zu sichern, verpfändete die S AG einen Kontensaldo unter der Bedingung, dass die SI nicht aus dem Konzernverbund der S AG ausscheidet.
8
Aufgrund notariellen Vertrags vom 3. März 2005 veräußerte die S GmbH & Co. oHG ihre Anteile an der SI im Wege des sog. Share Deals mit Wirkung zum 1. April 2005 an die S GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 3. war.
9
Am 9. März 2005 beantworteten die Beklagten zu 1. bis 3. im Rahmen einer Informationsveranstaltung, bei der auch der Beklagte zu 4. anwesend war, Fragen der Belegschaft zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen des Share Deals.
10
Unter dem 15. März 2005 beantwortete der Beklagte zu 2. eine E-Mail-Anfrage Herrn B, eines Mitglieds des Betriebsrats in der Betriebsstätte H, unter dem Betreff „Altersteilzeitverträge“ ua. wie folgt:
„Die finanziellen Mittel für Pensionsverpflichtungen sind zweckgebunden und fest angelegt. Zusätzlich wird die A/SI beim Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) eine entsprechende Insolvenzsicherung abschließen, was im Übrigen auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein Grund für eine Verunsicherung der Mitarbeiter besteht somit absolut nicht.“
11
Im Laufe des Frühjahrs 2005 beauftragte der Beklagte zu 2. den Prokuristen der SI, Herrn G, Angebote von Versicherungsunternehmen zum Zwecke der Insolvenzsicherung der Altersteilzeitwertguthaben einzuholen.
12
Unter dem 31. März 2005 vereinbarte der Kläger mit der SI, die ua. von dem Beklagten zu 1. vertreten wurde, an die Arbeitsphase des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses vom 1. Mai 2005 bis zum 31. August 2007 solle sich die Freistellungsphase vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2009 anschließen.
13
Am 4. April 2005 bestellte die Gesellschafterversammlung der SI den Beklagten zu 3. zum Geschäftsführer und beschloss die Umfirmierung der SI in A GmbH.
14
Nachfolgend veröffentlichte die A GmbH einen undatierten Newsletter, in dem es ua. heißt:
„Auf die häufigste Frage der Mitarbeiter: ‚Was passiert mit meinen bisher bei S/SI erworbenen Ansprüchen?’, gibt es eine klare und beruhigende Antwort: Es bleibt so, wie es ist. Betriebsrenten und Versicherungen usw., die mit S/SI abgeschlossen worden sind, gelten unverändert fort.
…
Wie hat S den Besitzstand der Mitarbeiter abgesichert?
Die Verträge aller Mitarbeiter bleiben durch den Share Deal unverändert. Liquide Mittel für Abfindungen und Pensionen sind z. B. durch Treuhandkonten und langfristige Fonds abgesichert.“
15
Am 17. Mai 2005 wurde der Beklagte zu 3. als Geschäftsführer der SI in das Handelsregister eingetragen.
16
Unter dem 7. Juni 2005 unterbreitete Frau W, eine Mitarbeiterin der Ge GmbH, der A GmbH den Vorschlag, einen Treuhandvertrag abzuschließen und den Gegenwert sämtlicher Altersteilzeitwertguthaben in einen Fonds einzuzahlen.
17
Am 2. November 2005 erörterte der Personalleiter der A GmbH, Herr K, mit dem Gesamtbetriebsrat die Insolvenzsicherung der Altersteilzeitwertguthaben. In dem Protokoll der Sitzung heißt es auszugsweise wie folgt:
„ATZ-Insolvenzsicherung läuft über Ge (kurz vor Vertragsabschluss). Nach Unterschrift erfolgt generelle Info an GBR.“
18
Unter dem 10. Februar 2006 erklärte der Beklagte zu 2., er lege das Amt des Geschäftsführers nieder. Die Eintragung im Handelsregister erfolgte am 5. April 2006.
19
Mit Wirkung zum 11. Dezember 2006 schieden die Beklagten zu 1. und 3. aus der Geschäftsführung der A GmbH aus. Am selben Tag wurden die Beklagten zu 4. und 5. als Geschäftsführer in das Handelsregister eingetragen.
20
Zu einem Kaufpreis von 1,00 Euro veräußerte die A GmbH sämtliche Vermögensgegenstände im Wege eines sog. Asset Deals mit Wirkung zum 15. Mai 2007 an die T GmbH, die sich im Gegenzug verpflichtete, sämtliche Verbindlichkeiten zu übernehmen.
21
Unter dem 19. Juli 2007 beantragten sowohl die A GmbH als auch die T GmbH, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen.
22
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2007 eröffnete das Amtsgericht Düsseldorf das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH – 503 IN 185/07 – und das Vermögen der T GmbH – 503 IN 186/07 – mit Wirkung zum selben Tag.
23
Der Kläger meldete seine bis zuletzt nicht insolvenzgesicherten Vergütungsansprüche für den Freistellungszeitraum zur Insolvenztabelle an.
24
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagten zu 1. bis 2. seien ihm zum Schadensersatz verpflichtet, da sie bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags persönliches Vertrauen in Anspruch genommenen hätten. Darüber hinaus hafteten sämtliche Beklagten, da sie in wissentlichem Zusammenwirken der Wahrheit zuwider vorgespiegelt hätten, das von ihm in der Arbeitsphase erarbeitete Wertguthaben sei insolvenzgesichert. Auf der Informationsveranstaltung am 9. März 2005 und durch den in der Folgezeit herausgegebenen Newsletter hätten die Beklagten zu 1. bis 4. den unzutreffenden Eindruck vermittelt, die Sicherung der Wertguthaben bestünde ungeachtet des erfolgten Share Deals fort. Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1. habe im Rahmen der Informationsveranstaltung am 9. März 2005 erklärt: „Das Geld kommt … von der Bank zu ihnen. Und es kommt von der A GmbH bzw. S GmbH. Sie ist unumschränkt in alle Verträge eingetreten, die mit entsprechenden Mitarbeitern … geschlossen sind. Das heißt also auch, dass sie in der passiven Phase auch das Geld dafür bekommen.“ Der Beklagte zu 3. habe im Wortlaut geäußert: „Share Deal, da steigen wir ohne Wenn und Aber in alle vertraglichen Vereinbarungen ein.“ Zu keinem Zeitpunkt seien die der Wertsicherung dienenden Verhandlungen der SI/A GmbH mit Dritten derart weit gediehen, dass ein Vertragsabschluss kurz bevorgestanden habe. Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 5. habe Ende 2006/Anfang 2007 dem Gesamtbetriebsratsmitglied Herrn Gl wahrheitswidrig versichert, die Altersteilzeitwertguthaben seien bereits gesichert. Zumindest bis Anfang 2007 habe die SI/A GmbH über ausreichende Liquidität verfügt, um die Wertguthaben gegen Insolvenz der Gesellschaft zu sichern. Durch ihr Verhalten hätten die Beklagten einen Forderungsbetrug begangen und ihn sittenwidrig iSd. § 826 BGB geschädigt. Zudem hafteten sie wegen der Verletzung der sie persönlich treffenden Pflichten aus § 8a Abs. 1 Satz 1 AltTZG idF vom 23. Dezember 2003 (aF).
25
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm denjenigen Schaden zu ersetzen, der durch die fehlende Insolvenzsicherung seines Wertguthabens bei der A GmbH, P, und/oder der T GmbH, P, aufgrund erbrachter Arbeitsleistungen in der Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 31. August 2007 nach dem Altersteilzeitvertrag mit der SI GmbH vom 16./18. Dezember 2003 iVm. der Änderungsvereinbarung vom 31. Mai 2005 entstanden ist und künftig noch entsteht.
26
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
27
Der Beklagte zu 1., der sich auf Verjährung beruft, hat die Rechtsauffassung vertreten, die bloße Unterzeichnung des Altersteilzeitarbeitsvertrags vom 16./18. Dezember 2003 und des Änderungsvertrags vom 31. März 2005 reiche nicht aus, um eine persönliche Haftung wegen der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens zu begründen. Für die während seiner Zeit als Geschäftsführer begründeten Verbindlichkeiten habe die SI als Arbeitgeberin, nicht aber er selbst einzustehen. Das Verhalten der übrigen Beklagten müsse er sich nicht zurechnen lassen.
28
Der Beklagte zu 2. hat gemeint, seine Einlassungen im Rahmen der Informationsveranstaltung am 9. März 2005 seien haftungsrechtlich unbedenklich. Die von der Ge GmbH vorgeschlagenen Vertragskonditionen seien inakzeptabel gewesen. Da er das Amt des Geschäftsführers mit Wirkung zum 10. Februar 2006 niedergelegt habe, sei sein Verhalten für einen etwaigen Schaden des Klägers nicht ursächlich geworden. Im Übrigen sei eine Insolvenz des Unternehmens bis zum 10. Februar 2006 nicht abzusehen gewesen.
29
Die Beklagten zu 3. bis 5. sind der Ansicht, seit Anfang 2007 habe das Unternehmen die Wertguthaben aus anfechtungsrechtlichen Gründen nicht mehr sichern können. Im Übrigen treffe den Kläger ein Mitverschulden, da er es versäumt habe, seine gesetzlichen Ansprüche aus § 8a Abs. 4 Satz 1 AltTZG aF geltend zu machen.
30
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.