Aktenzeichen 7 AZR 211/09
§ 3 Abs 1 S 1 AGG
§ 7 Abs 1 AGG
§ 7 Abs 2 AGG
§ 8 Abs 1 AGG
§ 10 S 1 AGG
§ 10 S 2 AGG
Art 1 EGRL 78/2000
Art 2 Abs 2 Buchst a EGRL 78/2000
Art 2 Abs 5 EGRL 78/2000
Art 4 Abs 1 EGRL 78/2000
Art 6 Abs 1 UAbs 1 EGRL 78/2000
§ 17 S 1 TzBfG
§ 17 S 2 TzBfG
§ 7 Halbs 1 KSchG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Münster, 3. Juni 2008, Az: 9 Ca 15892/07, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München, 18. Februar 2009, Az: 11 Sa 650/08, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. Februar 2009 – 11 Sa 650/08 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juni 2008 – 9 Ca 15892/07 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung in § 19 Abs. 1 des Manteltarifvertrags Nr. 1 für das Cockpitpersonal der Condor und Condor Berlin vom 1. Januar 2005 mit dem 31. Oktober 2007 endete.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer tariflichen Altersgrenze mit dem Ende des Monats endete, in dem der Kläger das 60. Lebensjahr vollendete.
2
Der am 11. Oktober 1947 geborene Kläger stand seit 1. Januar 1990 in einem Arbeitsverhältnis als Flugkapitän mit der S GmbH, das später auf die Beklagte überging. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft arbeitsvertraglicher Verweisung der Manteltarifvertrag Nr. 1 für das Cockpitpersonal der Condor und Condor Berlin vom 1. Januar 2005 (MTV Nr. 1) anzuwenden. § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 lautet:
„Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 60. Lebensjahr vollendet.“
3
Die fachlichen Voraussetzungen und Prüfungen für den Erwerb von Lizenzen richten sich nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung(LuftVZO) idF der Verordnung zur Änderung luftrechtlicher Vorschriften über Anforderungen an Flugbesatzungen vom 10. Februar 2003 (BGBl. I S. 182). Der Umfang der Lizenzen bestimmt sich nach der Verordnung über Luftfahrtpersonal. Für Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer galt zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger die tarifliche Altersgrenze am 31. Oktober 2007 erreichte, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger bekannt gemachte Fassung der Bestimmungen über die Lizenzierung von Piloten von Flugzeugen (JAR-FCL 1 deutsch) vom 15. April 2003 (Bundesanzeiger Nr. 80a vom 29. April 2003; jetzt: JAR-FCL 1 deutsch idF vom 17. November 2008, Bundesanzeiger Nr. 13a vom 27. Januar 2009). Bei den Bestimmungen der JAR-FCL handelt es sich um ein unter deutscher Beteiligung erarbeitetes Regelwerk einer internationalen Institution, der Joint-Aviation-Authorities (JAA). JAR-FCL 1.060 idF vom 15. April 2003 lautet (in Buchst. a wortgleich mit der Fassung vom
17. November 2008):
„Beschränkungen für Lizenzinhaber nach Vollendung des 60. Lebensjahres
(a)
60 – 64 Jahre:
Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden, es sei denn:
(1)
er ist Mitglied einer Flugbesatzung, die aus mehreren Piloten besteht, und
(2)
die anderen Piloten haben das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet.
(b)
65 Jahre
Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden.“
4
§ 4 der Ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal (1. DV LuftPersV) vom 15. April 2003 (Bundesanzeiger Nr. 82b vom 3. Mai 2003) bestimmt:
„Der Inhaber einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Berufs- oder Verkehrspilotenlizenz oder der Inhaber einer Lizenz gemäß § 46 Abs. 5 LuftPersV darf nach Vollendung des 60. Lebensjahres bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Rechte seiner Lizenz auch in Luftfahrzeugen mit einer Mindestbesatzung von einem Piloten bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht, beschränkt auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, ausüben.
Der Inhaber einer Pilotenlizenz darf nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr als Flugzeugführer bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht eingesetzt werden.“
5
Der Kläger hat sich gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses durch die tarifliche Altersgrenze gewandt und die Auffassung vertreten, die Altersgrenze diskriminiere ihn wegen seines Alters. Sie verstoße gegen das AGG, die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16, Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) und das dem primären Unionsrecht angehörende allgemeine Verbot der Altersdiskriminierung.
6
Der Kläger hat beantragt
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten nicht zum 31. Oktober 2007 beendet ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
2.
die Beklagte im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Flugkapitän am Stützpunkt M weiterzubeschäftigen.
7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die tarifliche Altersgrenze für wirksam gehalten.
8
Die Klage vom 21. November 2007 ist urschriftlich am 26. November 2007 beim Arbeitsgericht eingegangen. Sie besteht aus insgesamt 39 Seiten, von denen zwölf Seiten auf die eigentliche Klageschrift und der übrige Text auf Anlagen entfallen. Auf der Klageschrift ist „vorab per Telefax“ vermerkt. Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auf Hinweis des Arbeitsgerichts vom 7. Mai 2008 mit Schriftsatz vom 14. Mai 2008 und ergänzend in der Kammerverhandlung vom 20. Mai 2008 vorgebracht, er habe die Klage selbst mit der Anlage K 6 – der Beendigungsmitteilung der Beklagten vom 25. April 2007 – vorab per Telefax am 21. November 2007 an das Arbeitsgericht versandt. Die Beklagte ist diesem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten. Der vom ehemaligen Klägervertreter vorgelegte Sendebericht weist für den 21. November 2007 in der Zeit von 10:24 Uhr bis 10:28 Uhr eine Telefaxsendung von 13 Seiten an das Arbeitsgericht mit dem Vermerk „OK“ aus. Der Sendebericht lässt das Wort „Klage“ und den Namen des Klägers erkennen. Das dreizehnseitige Telefax befindet sich nicht bei den Gerichtsakten. Am 21. November 2007, 10:32 Uhr, ist nach dem Empfangsbericht des Arbeitsgerichts jedoch ein Telefax der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers, das 13 Seiten umfasst, beim Arbeitsgericht eingegangen.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.