Aktenzeichen L 15 SB 42/16 RG
GG GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
Leitsatz
1 Eine Anhörungsrüge muss gem. § 178a Abs. 2 S. 5 SGG die angegriffene Entscheidung bezeichnen und die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise gem. § 178a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG darlegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Von nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten dürfen – auch wegen der zweiwöchigen Darlegungsfrist – die Anforderungen dazu nicht überspannt werden, weil das SGG ansonsten zwingende Begründungsanforderungen nur für Verfahren vor dem BSG aufstellt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch an rechtsunkundige Beteiligte dürfen gewisse Mindestanforderungen gestellt werden; dazu zählen namentlich ein substantiiertes Vorbringen, warum das rechtliche Gehör verletzt wurde oder ein schlüssiges Aufzeigen, woraus sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt sowie ein Dartun, warum ohne den Verstoß eine günstigere Entscheidung nicht auszuschließen ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
L 15 SB 227/15 B PKH 2016-01-21 Bes LSGBAYERN LSG München
Tenor
I.
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 21. Januar 2016, Az.: L 15 SB 227/15 B PKH, wird als unzulässig verworfen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 21.01.2016, Az.: L 15 SB 227/15 B PKH, dem Beschwerdeführer zugestellt am 01.02.2016, wies der Senat eine Beschwerde gegen die durch das Sozialgericht (SG) München erfolgte Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein schwerbehindertenrechtliches Klageverfahren zurück. Der Senat begründete dies damit, dass das SG wegen der bereits eingeholten Gutachten zutreffend die Erfolgsaussichten der Klage verneint habe.
Mit einem am 29.02.2016 an der Pforte des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) abgegebenen undatierten Schreiben hat der Beschwerdeführer unter dem Aktenzeichen L 15 SB 227/15 B PKH zum LSG „Einspruch gegen Ihr Urteil vom 29.01.2016“ erhoben. Er hat auf seine infolge einer Reanimation am 22.05.2010 niedrige Herzleistung von 39%, Knieschmerzen, zu deren Abklärung er den Orthopäden gewechselt habe, sowie seine gesunde Lebensführung hingewiesen und eine „80% Schwerbehinderung wegen chronischen Krankheiten“ beantragt.
II.
Die Anhörungsrüge ist gemäß § 178 a Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen.
1. Auslegung des am 29.02.2016 abgegebenen Schreibens des Beschwerdeführers
Das am 29.02.2016 beim LSG abgegebene Schreiben ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge im Sinn von § 178 a SGG zu dem in Sachen des Beschwerdeführers ergangenen Beschluss des Senats vom 21.01.2016, Az.: L 15 SB 227/15 B PKH, zu sehen.
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, Az.: X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, Az.: B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 30.04.2003, Az.: 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, Az.: 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben kann das Schreiben des Beschwerdeführers nur als Anhörungsrüge im Sinn von § 178 a SGG betrachtet werden.
Wenn sich der Beschwerdeführer mit seinem Schreiben an das LSG „gegen Ihr Urteil vom 29.01.2016“ wendet, kann damit nur der Beschluss des Senats vom 21.01.2016 gemeint sein. Dies ergibt sich zweifelsfrei daraus, dass der Beschwerdeführer im Betreff seines Schreibens das Aktenzeichen L 15 SB 227/15 B PKH angegeben hat, eine andere Entscheidung des Senats als die vom 21.01.2016 in Sachen des Beschwerdeführers unter dem von ihm angegeben Aktenzeichen nicht ergangen ist und es auch kein anderes anhängiges oder erledigtes Verfahren des Beschwerdeführers beim LSG gibt oder gegeben hat.
Der Beschwerdeführer scheint anzunehmen, dass die mit der Anhörungsrüge angegriffene Entscheidung des Senats zur Höhe des Grads der Behinderung (GdB) ergangen ist und der Senat ihm den gewünschten GdB zusprechen könnte. Tatsächlich hat der Senat aber nur über die Beschwerde gegen die durch das SG ausgesprochene Ablehnung der Gewährung von PKH entschieden. Der Beschwerdeführer geht also von völlig falschen Vorstellungen aus, was das Ziel seines Schreibens betrifft. Für die Erfüllung seiner Erwartungen durch den Senat fehlt jegliche Rechtsgrundlage. Um dem Anliegen des Beschwerdeführers, nämlich einem höheren GdB, wenigstens im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten entgegen zu kommen, sieht der Senat das am 29.02.2016 eingegangene Schreiben als Anhörungsrüge zu dem die Ablehnung von PKH bestätigenden Beschluss des Senats an, da irgendein anderer Rechtsbehelf im weitesten Sinn beim LSG nicht eröffnet ist.
2. Zur Prüfung der Anhörungsrüge
Die Anhörungsrüge ist gemäß § 178 a Abs. 4 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, da der Beschwerdeführer dem Darlegungserfordernis nicht gerecht geworden ist.
Gemäß § 178 a Abs. 2 Satz 5 SGG muss die Anhörungsrüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG genannten Voraussetzungen („das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat“) darlegen. Zu erheben ist sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 178 a Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Erfüllung des Darlegungserfordernisses ist wegen § 178 a Abs. 4 Satz 1 SGG Zulässigkeitsvoraussetzung (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 07.04.2005, Az.: B 7a AL 38/05 B; Beschluss des Senats vom 24.07.2012, Az.: L 15 SF 150/12 AB RG, L 15 SF 151/12 AB RG). Eine Anhörungsrüge ist daher nur dann zulässig, wenn sich dem Vorbringen zweierlei entnehmen lässt, nämlich zum einen die Verletzung des Anspruchs des die Rüge erhebenden Beteiligten auf rechtliches Gehör durch das Gericht, zum anderen, dass die Verletzung entscheidungserheblich ist (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 178 a, Rdnr. 6a).
Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten dürfen – auch mit Blick auf die kurze Darlegungsfrist des § 178 a Abs. 2 Satz 1 SGG von zwei Wochen – die Anforderungen nicht überspannt werden, da auch im SGG zwingende Begründungsanforderungen ansonsten nur für Verfahren vor dem BSG mit Vertretungszwang aufgestellt werden. Auch von einem rechtsunkundigen Beteiligten müssen jedoch gewisse Mindestanforderungen erfüllt werden. Dies ist zum einen ein substantiierter Vortrag, aus dem erkennbar ist, warum das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist, oder der schlüssig die Umstände aufzeigt, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt; zum anderen ist darzulegen, weshalb ohne den Verstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Leitherer, a. a. O., § 178 a, Rdnr. 6a; ständige Rspr., vgl. z. B. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 07.08.2013, Az.: L 15 SF 139/13 RG, und vom 19.09.2013, Az.: L 1 SF 283/13 RG).
An einem solchen Vortrag fehlt es hier. Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen orthopädischen und kardiologischen Beschwerden sind bekannt gewesen und in den vom SG eingeholten Gutachten bewertet worden, wobei diese Gutachten wiederum die Grundlage für die Entscheidung des SG zur Ablehnung der Gewährung von PKH und den nachfolgenden, mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss des Senats vom 21.01.2016 gewesen sind. Sie sind im Rahmen des Beschlusses vom 21.01.2016 in die Entscheidung eingeflossen, also berücksichtigt worden. Der mit der Anhörungsrüge vorgetragene Wechsel des behandelnden Orthopäden kann schon per se keine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen, da er als neuer Sachvortrag für die Anhörungsrüge unbeachtlich ist (vgl. Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschuss vom 07.03.2006, Az.: 9 C 06.656). Denn eine Anhörungsrüge kann nicht auf neue, im gerügten Verfahren noch nicht bekannte Tatsachen gestützt werden (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.04.2014, Az.: L 15 SF 53/14, und vom 12.08.2015, Az.: L 15 RF 23/15). Dies begründet sich damit, dass die Anhörungsrüge nicht ein weiteres Rechtsmittel ist, das zu einer erneuten inhaltlichen Überprüfung oder Fortführung der inhaltlichen Überprüfung, wie sie im zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren stattgefunden hat, führt (vgl. Bundesverwaltungsgericht – BVerwG -, Beschluss vom 01.04.2008, Az.: 9 A 12/08, 9 A 12/08 (9 A 27/06)). Vielmehr ist die Anhörungsrüge nur ein Mittel, sich gegen die Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz, §§ 62, 128 Abs. 2 SGG) zur Wehr zu setzen. Es handelt sich also um ein formelles Recht, das nur dann greift, wenn das Gericht ein entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maß zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.11.2011, Az.: 8 C 13/11, 8 C 13/11 (8 C 5/10)). Eine Nachbesserung oder Ergänzung des ursprünglichen Sachvortrags durch neue Angaben ist daher durch eine Anhörungsrüge nicht möglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.03.2010, Az.: 9 B 8/10, 9 B 8/10 (9 B 3/09); Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.06.2015, Az.: V ZR 86/14).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 178 a Abs. 4 Satz 3 SGG).