Aktenzeichen 213 C 27099/15
Leitsatz
1 Eine Stornobestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer ärztlichen Wahlleistungsvereinbarung verstößt gegen § 309 Nr. 5a, § 307 Nr. 7a BGB, wenn im Falle einer Terminsabsage durch den Patienten innerhalb von 48 Stunden vor einem Eingriff nicht nur 100% der Bruttovergütung zu zahlen sind, sondern darüber hinaus noch eine Verwaltungsgebühr. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Stornobestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer ärztlichen Wahlleistungsvereinbarung verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn sie durch finanzielle Nachteile die freie Willensentschließung des Patienten beeinträchtigt, den Vertrag jederzeit gem. § 621 Nr. 5, § 627 BGB fristlos zu kündigen, und auf einen gesetzlich nicht vorgesehenen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch hinausläuft. (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei patientenseitiger Absage eines Operationstermins sind von der ärztlichen Vergütung ersparte Aufwendungen wie Material, Strom- und Reinigungskosten abzuziehen; auf die Vereinnahmung von Stornogebühren als Schadensersatz ist keine Umsatzsteuer abzuführen (vgl. BFH BeckRS 1961, 21005265). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.494,00 € festgesetzt.
Gründe
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht schon aus Rechtsgründen weder ein vertraglicher noch ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung von „Stornogebühren“ noch ein sonstiger Zahlungsanspruch zu. Ob tatsächlich eine entsprechende Forderung an die Klägerin abgetreten wurde, kann daher dahinstehen.
1. Ein vertraglicher Anspruch auf Zahlung von „Stornogebühren“ gem. der Wahlleistungsvereinbarung vom 19.06.2015 besteht nicht. Unzweifelhaft handelt es sich bei den Stornobestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Zedentin, die den Regelungen der §§ 305 ff. BGB nicht standhalten.
a. Die Stornoklausel verstößt bereits gegen § 309 Nr. 5 a BGB. Die Klägerin macht pauschalierten Schadensersatz geltend, so dass diese Bestimmung anwendbar ist; ein Verstoß würde sich jedoch gleichfalls aus § 308 Nr. 7 a BGB ergeben, so dass die genaue Abgrenzung letztlich offen bleiben kann. Die von der Zedentin in der Klausel angesetzte Stornogebühr übersteigt nämlich den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden und stellt demgemäß zugleich einen unangemessen hohen Ersatz von Aufwendungen dar.
aa. Dies ergibt sich zum einen offensichtlich bereits daraus, dass der Patient für den Fall einer Absage innerhalb von 48 Stunden vor dem Eingriff nicht nur 100% des Bruttobetrages zu vergüten sondern darüber hinaus noch eine Verwaltungsgebühr von 60,00 € zu tragen hat. Die Ansicht der Klägerin, die Verwaltungsgebühr betreffe nur Absagen oder Verschiebungen eines Eingriffstermins mit einer Frist von mehr als 14 Tagen vor dem Eingriff, ist nicht nachvollziehbar. Der Wortlaut der Vereinbarung spricht insofern deutlich davon, dass diese Verwaltungsgebühr „stets“ bzw. die Stornogebühr „darüber hinaus“ erhoben wird. Zumindest nach kundenfeindlichster Auslegung der Klausel ist somit davon auszugehen, dass diese Gebühr auch neben der Stornogebühr erhoben wird. Der Patient muss demnach bei kurzfristiger Absage des Eingriffs mehr bezahlen als er bei Durchführung des Eingriffs zu leisten hätte. Ein derart hoher Schaden ist völlig realitätsfern und offenkundig einseitig zugunsten des Verwenders festgelegt und hat mit einer Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen nichts mehr zu tun. Es ist nicht ansatzweise dargetan oder sonst nachvollziehbar, weshalb der Zedentin bei der Absage des Eingriffs ein höherer Aufwand entstehen sollte als bei dessen Durchführung.
bb. Zudem übersteigt der Ansatz von 100% der Vergütung bei kurzfristiger Absage auch ohne Berücksichtigung der Verwaltungsgebühr bereits den für gewöhnlich zu erwartenden Schaden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2007 – I-24 U 110/07, 24 U 110/07 – juris, Rn. 19 für „Verkaufsförderungstrainingsvertrag“). Die Regelung berücksichtigt nämlich nicht, dass die Zedentin bei Absage eines Operationstermins für gewöhnlich ersparte Aufwendungen hat, die zugunsten des Patienten abzuziehen sind. So erspart sich die Zedentin zumindest den Einsatz von Material (Magenballon, Medikamente, sonstige Verbrauchsmaterialien), Strom- und Reinigungskosten. Dass derartige Aufwendungen von Vornherein ausgeschlossen oder bereits vergeblich entstanden sind, etwa durch die „Maßanfertigung“ eines Ballons o.ä., hat die insofern darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei nicht dargetan.
cc. Die Stornogebühren sind zudem auch deshalb übersetzt, weil die Zedentin diese anhand des Bruttobetrags ermittelt. Die Vereinnahmung von Stornogebühren als Schadensersatz stellt mangels Leistungsaustausch keine steuerbare Leistung dar, so dass die Zedentin überhaupt keine Umsatzsteuer abzuführen hätte (vgl. schon BFH, Urteil vom 27. April 1961 – V 263/58 U -, BFHE 73, 90). Zwar kann eine Schadenspauschale grundsätzlich anhand des vereinbarten Bruttopreises bestimmt werden (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 27. Juni 2012 – VIII ZR 165/11 – Rn. 10 f., juris), dies kann jedoch nur insoweit gelten, als der damit vereinnahmte Betrag nicht den vereinbarten Nettopreis übersteigt. Die Zedentin wäre sonst nämlich zumindest für den Fall der Berechnung der vollen Gebühren im Fall der kurzfristigen Absage wiederum erheblich besser gestellt als bei Durchführung der Operation, was ebenfalls nicht nachzuvollziehen ist.
dd. Die Klausel ist demnach insgesamt unwirksam. Aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion ist es entgegen der Ansicht der Klägerin auch unerheblich, dass im vorliegenden Fall die Verwaltungsgebühr nicht berechnet und „nur“ 60% des vereinbarten Betrages verlangt werden.
b. Die Stornoklausel verstößt zudem gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sie benachteiligt den Patienten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, da sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
aa. Bei dem gegenständlichen Vertrag handelt es sich um einen Behandlungsvertrag gem. §§ 630 a ff. BGB, der unzweifelhaft die Erbringung von Diensten höherer Art zum Gegenstand hat. Da die Inanspruchnahme einer Heilbehandlung ein gesteigertes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Behandler und Patient voraussetzt, ist allgemein anerkannt, dass Letzterer den Behandlungsvertrag jederzeit gemäß §§ 621 Nr. 5, 627 BGB fristlos kündigen kann, ohne hierfür sachliche (oder gar wichtige) Gründe angeben zu müssen (BGH, Urteil vom 29. März 2011 – VI ZR 133/10 -, Rn. 8, juris). In diesem Fall begründet die Kündigung grundsätzlich auch keine Schadensersatzpflicht des Patienten (Lafontaine in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 630 a BGB, Rn. 32 m. w. N.). Insbesondere scheiden Schadensersatzansprüche gem. § 628 Abs. 2 BGB aus, wenn eine Berechtigung besteht, sich gem. § 627 Abs. 1 BGB vom Vertrag zu lösen (OLG Düsseldorf, a. a. O., Rn. 11, juris). Dies ergibt sich auch und gerade für den Fall des Behandlungsvertrages – insbesondere bei medizinisch nicht indizierten Behandlungen wie hier – aus der Regelung des § 630 d Abs. 3 BGB. Der Patient muss jederzeit die Möglichkeit haben, frei darüber zu entscheiden, ob er einen Eingriff in den Körper oder seine Gesundheit zulassen will. Gerade unmittelbar vor der Durchführung eines körperlichen Eingriffs wird sich der Patient erfahrungsgemäß nochmals eindringlich mit den Auswirkungen und Folgen einer Operation auseinandersetzen. Er muss demnach nicht nur jederzeit (und im Übrigen formfrei) kündigen können sondern die Lösung vom Vertrag darf nicht durch finanzielle Nachteile erschwert werden, die den Patienten in seiner freien Willensentscheidung beeinträchtigen können (AG München, Urteil v. 04.08.2011, Az. 274 C 4869/11). Soweit in der Literatur zum Teil anerkannt wird, dass „eine maßvolle Einschränkung“ des Kündigungsrechts des Patienten nach § 627 bei kurzfristigen Absagen zulässig sein soll, da auch ein Arzt ein schützenswertes Interesse habe, seine Arbeitszeit wirtschaftlich auszugestalten (MüKoBGB/Wurmnest BGB § 307 Rn. 129, beck-online m. w. N.), kann dem nicht gefolgt werden. Das Gesetz sieht – wie ausgeführt – eine solche Einschränkung gerade nicht vor. Insbesondere sind auch Schadensersatzansprüche des Dienstberechtigten wegen einer etwaigen Kündigung zur Unzeit gem. § 627 Abs. 2 BGB schlicht nicht vorgesehen. Das wirtschaftliche Interesse des Behandlers muss gegenüber dem schützenswerteren Interesse des Patienten auf körperliche Unversehrtheit zurücktreten.
bb. Vor diesem Hintergrund normiert die Formularklausel, auf die die Klägerin sich beruft, einen verschuldenunabhängigen vertraglichen Schadensersatzanspruch, der gesetzlich nicht vorgesehen ist. Eine Schadensersatzpauschale setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass überhaupt ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestehen kann. Zu den wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts gehört, dass Schadensersatz auf vertraglicher Grundlage nur verlangt werden kann, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 BGB). Diese Einschränkung ist der Klausel nicht zu entnehmen. Vielmehr werden von ihrem Wortlaut auch Vertragsbeendigungen nach § 627 BGB erfasst. Liegen dessen Voraussetzungen aber – wie auch hier – vor, so steht es dem Dienstberechtigten frei, sich jederzeit vom Vertrag zu lösen. Er zieht in rechtlich zulässiger Weise die Konsequenz aus einem – aus welchen Gründen auch immer – eingetretenen Vertrauensverlust. Ein solches Verhalten darf nicht mit einer Schadensersatzpflicht sanktioniert werden (OLG Düsseldorf, a. a. O. -, Rn. 22, juris).
2. Aufgrund der Unwirksamkeit der Stornoklausel kommen Ansprüche der Klägerin nur auf gesetzlicher Grundlage in Betracht, die jedoch vorliegend ausgeschlossen sind. Die Beklagte hat – wie ausgeführt – den Behandlungsvertrag wirksam gem. § 627 Abs. 1 BGB vor Erbringung der Dienstleistungen gekündigt. In diesem Fall ist weder eine Vergütung für nicht erbrachte Dienste gem. § 628 Abs. 1 BGB noch eine Schadensersatzpflicht gem. § 628 Abs. 2 BGB vorgesehen.
Aufgrund der wirksamen Kündigung konnte die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug geraten, so dass entgegen der Auffassung der Klägerin auch kein Anspruch aus § 615 BGB in Betracht kommt.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 711 ZPO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 S. 1 GKG.