Arbeitsrecht

Verfahren nach § 7a SGB IV sowie Betriebsprüfungen nach §§ 28p und 28q SGB IV

Aktenzeichen  S 4 BA 9/20

Datum:
13.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12848
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2020 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.04.2021 und vom 10.11.2021 wird aufgehoben, soweit noch Beiträge für den Beigeladenen in Höhe von 2.570,26 Euro geltend gemacht werden.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwenigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 11.935,99 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn die Beklagte hat zu Unrecht Beiträge zur Gesamtsozialversicherung für den Beigeladenen erhoben.
I.
1.) Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2020 sowie die im Klageverfahren ergangenen Änderungsbescheide vom 21.04.2021 und vom 10.11.2021. Letztere sind nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Aufgrund der erlassenen Änderungsbescheide ist zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Urteils nur noch über die Beiträge für den Beigeladenen zur Gesamtsozialversicherung in Höhe von insgesamt 2.570,26 Euro zu befinden.
2.) Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 SBG IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Sie erlassen gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 SBG IV im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie – bei Unterschreitung der Versicherungspflichtgrenze – in der Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI -, § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III -, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V – und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI -) der Versicherungspflicht (und Beitragspflicht.
Ausgangspunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG Urteil vom 30.10.2013, B 12 KR 17/11 R, Rn. 23 juris, m.w.N.). Ob eine wertende Zuordnung zum Typus der Beschäftigung gerechtfertigt ist, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist (vgl. BSG SozR 4-2400, § 7 Nr. 21 Rn. 14; SozR 4-2400, § 7 Nr.17, Rn. 16 m.w.N.)
Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 15 Rn 25 ff.).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder es sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4; SozR 3-4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vergleiche hierzu insgesamt BSG, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 Rdnr. 17, 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R; 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R).
Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sprechen nach Überzeugung der erkennenden Kammer die weit überwiegenden Umstände dafür, dass der Beigeladene seine Tätigkeit als Physiotherapeut im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.11.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen, dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübte, sondern dass die am Vertragsverhältnis Beteiligten zu Recht von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind.
Rechtliche Grundlage für die Tätigkeit des Beigeladenen war der mit dem Kläger am 27.05.2011 geschlossene Dienstleistungsvertrag. Danach vergibt der Beigeladene die Behandlungstermine für die von ihm übernommenen Patienten selbst. Diese Regelung stand auch in Übereinstimmung mit den tatsächlich gelebten Verhältnissen. So führte der Beigeladene im Rahmen des durchgeführten Erörterungstermines und im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, dass er die Termine mit seinen Patienten selbstständig vereinbart und im Falle krankheitsbedingten Ausfalles wieder selbstständig abgesagt habe. Auf Personal der Praxis wurde nicht zurückgegriffen.
Der Vertrag sagt zudem zwar zunächst nichts darüber aus, wie der Erstkontakt und die Patientenakquise zustande gekommen ist. Nach den übereinstimmenden und für die Kammer durchweg überzeugenden und vom jeweiligen Beklagtenvertreter im Rahmen der beiden durchgeführten Verhandlungen nicht bestrittenen Angaben der Beteiligten hat der Beigeladene die Erstterminierung (neben der Terminierung von Folgebehandlungen) selbst vorgenommen. Eine Patientenakquise über den Kläger erfolgte ebenso wenig wie eine Vergabe eines Ersttermins. Der Erstkontakt zu den Patienten fand damit ausschließlich über den Beigeladenen statt. Seinen Patientenstamm hat der Beigeladene – wie er im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert hat – selbst über seine Tätigkeit durch Mund-zu-Mund-Werbung akquiriert. Insbesondere zeigte er die doch recht hohe Nachfrage bei Behandlungen von Patienten in Altenheimen und die daraus folgende Patientenakquise deutlich auf. Ihm ging es – wie der Beigeladene schlüssig erläuterte – nur darum, eine Abrechnung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen vornehmen zu können. Der Beigeladene benötigte den Kläger ausschließlich als „Abrechnungsorgan“ (dazu siehe unten).
Der Beigeladene führte darüber hinaus einen eigenen Terminkalender und akquirierte seine Patienten selbst. Er hatte keine festen Arbeitszeiten und ihm stand es entsprechend der vertraglichen Regelung frei, wann er welche Patienten behandelt. Behandlungen in den Praxisräumen des Klägers fanden ebenfalls nicht statt, so dass sich auch hieraus keine räumliche oder zeitliche Eingliederung in den Praxisbetrieb des Klägers ableiten ließe.
Der Beigeladene war zudem bei der Ausübung seiner Tätigkeit – wie in Ziff. 1 des Vertrags vereinbart und auch tatsächlich so ausgeführt – nicht weisungsgebunden und unterlag nicht den allgemeinen Praxisregelungen. Es bestand kein Weisungsrecht von Seiten des Klägers sowohl fachlicher Natur als auch bezüglich Zeitpunkt, Lage und Dauer der Tätigkeit. Denn der Beigeladene konnte seine Behandlungstermine selbst bestimmen. Eine wechselseitige Vertretung im Krankheitsfall oder bei Urlaub war weder vertraglich vereinbart noch fand diese auch tatsächlich statt. Zudem verfügte der Beigeladene über kleinere eigene Arbeitsmittel, die er zu den Hausbesuchen bzw. in die Altenheime mitnahm.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beigeladene wegen der Regelungen des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mit den Kostenträgern direkt abrechnen konnte. Nach § 124 Abs. 1 SGB V dürfen Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden, insbesondere unter anderem Leistungen der Physiotherapie an Versicherte der GKV nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Der für das Recht der Leistungserbringung in den GKV zuständige Fachsenat des BSG hat dazu für die ab 1989 geltende Rechtslage entschieden, dass diese Bestimmungen sowie die weiteren Regelungen des Leistungserbringerrechts des SGB V (§§ 155 ff. SGB V) einer Heilmittelabgabe durch freie Mitarbeiter des zugelassenen Leistungserbringers nicht entgegenstehen (BSG, SozR 3-2400 § 124 Nr. 1 S. 4 ff.). Durch die Änderungen des SGB V hat sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Auch gilt es zu beachten, dass die Regelungen ausschließlich das Verhältnis zwischen Krankenkasse und zugelassenem Leistungserbringer betreffen. Der Regelung des Leistungserbringerrechts in § 124 Abs. 1 SGB V fehlt demgegenüber eine über das Leistungs- und Leistungserbringerrecht der GKV hinausgehende „übergeordnete“ Wirkung auch bezogen auf die sozialversicherungsrechtliche und beitragsrechtliche Rechtslage betreffend die im jeweiligen Einzelfall konkret zu beurteilende Tätigkeit, vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, Az. B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 28. Es kann daher entgegen der in den Bescheiden zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung der Beklagten nicht der Schluss gezogen werden, dass aufgrund der Vorgaben des gesetzlichen Leistungserbringungsrechtes per se dem jeweiligen Auftraggeber, hier also dem Kläger, eine entscheidende Weisungsbefugnis zukäme mit der Folge entsprechender Eingliederung. Insoweit wird außer Acht gelassen, dass die Vorgaben des Leistungserbringungsrechtes zunächst nur das Verhältnis zwischen Krankenkasse und der Praxis betreffen. Daneben bedarf es einer gesonderten Beurteilung des jeweiligen zu würdigenden Einzelfalles des Vertragsverhältnisses zwischen dem betroffenen Physiotherapeuten – hier dem Beigeladenen – und der Praxis. Auch ist nach Auffassung der erkennenden Kammer die Abrechnung des Klägers gegenüber der Abrechnungsstelle nur ein zu gewichtendes Merkmal (dazu siehe später), welches für die abhängige Beschäftigung spricht. Würde man allein hieraus eine Eingliederung ableiten, so würde man die weiteren vertraglichen Vereinbarungen und die tatsächlichen Verhältnisse weitgehend außen vor lassen bzw. unzureichend im Rahmen der Gesamtabwägung gewichten. Warum die Beklagte aus dem Urteil des BSG vom 24.03.2016, aaO, etwas anderes ableiten will, erschließt sich der Kammer nicht. Insoweit hat dieses ausgeführt, vgl. BSG, aaO, Rn. 26: „es kann nicht angenommen werden, dass der Klägerin hierdurch auch eine entscheidende Weisungs- und Entscheidungsbefugnis zugekommen und die Beigeladene zu 1. deshalb in die von der Klägerin vorgegebene Arbeitsorganisation notwendig eingegliedert gewesen sei.“
Vor diesem Hintergrund gilt es nach Auffassung der erkennenden Kammer in den sog. „Physiotherapeutenfällen“ genau die Einzelfallumstände zu betrachten. Wenn daher – wie hier – der jeweilige Praxisinhaber nur als „Abrechnungsstelle“ gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen fungiert, ansonsten aber keinerlei Merkmale für eine weitere Eingliederung vorhanden sind (z.B. Erstkontakt über die Praxis, Behandlung in den Räumen der Praxis) kann nicht allein aufgrund der fehlenden Abrechnungsbefugnis eine abhängige Beschäftigung angenommen werden.
Zudem spricht im vorliegenden hier zur Entscheidung stehenden Fall auch der relativ geringe Kapitaleinsatz nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit. Das Unternehmerrisiko ist dadurch gekennzeichnet, dass Kapital und Arbeitskraft eingesetzt werden, einerseits um größere Verdienstchancen zu haben, andererseits jedoch mit dem Risiko eines Verlusts des eingesetzten Kapitals oder ohne Vergütung aufgewandter Mittel. Zutreffend ist zwar, dass der Beigeladene kein ins Gewicht fallendes Kapital einzusetzen hatte. Dies wird jedoch wiederum relativiert durch die Art der Tätigkeit. Gerade im Bereich von Dienstleistungen, die vorwiegend durch die eigene Arbeitskraft geprägt sind, ist es aufgrund der Art der Tätigkeit üblich, dass kein nennenswerter Kapitaleinsatz erforderlich ist, z.B. bei Physiotherapeuten, Dolmetschern. Der Kläger hat zudem das Risiko zu tragen, dass Patienten nicht zur Behandlung erscheinen und er deshalb den Behandlungstermin nutzlos verstreichen lassen muss und nicht abrechnen kann. Insoweit hebt sich der Kläger auch von angestellte Physiotherapeuten ab. Denn diese werden auch für die Stunden bezahlt, in denen sie ihre Arbeitskraft vorhalten, die Patienten jedoch nicht erscheinen. Es besteht ein Entlohnungsanspruch von Arbeitnehmern bereits dann, wenn sie ihre Arbeitskraft anbieten und nicht erst dann, wenn der Arbeitgeber dies auch annimmt Der Arbeitgeber käme anderenfalls in Annahmeverzug mit der Folge, dass der Entlohnungsanspruch fortbesteht.
Für eine abhängige Beschäftigung spricht allein der Umstand, dass ausschließlich der Kläger aufgrund der entsprechenden Zulassung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen durfte. Nur insoweit war der Beigeladene in den Betrieb des Klägers eingegliedert. Der Beigeladene selbst hatte keine Zulassung als Leistungserbringer, sondern allein der Kläger. Dieser ist Leistungserbringer auf der Grundlage der zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer abgeschlossenen Rahmenempfehlungen gemäß § 125 Abs. 1 SGB V und den dazugehörigen Leistungsbeschreibungen. Nur der Kläger ist bzw. war im streitbefangenen Zeitraum befugt, die erbrachten Leistungen gegenüber den Leistungsträgern abzurechnen und damit zu erbringen. Es sind nach den Rahmenempfehlungen Vorgaben zum Datenschutz, organisatorische und personelle Voraussetzungen festgelegt. Bei Nichteinhaltung droht ein Verlust der Zulassung. Innerhalb dieses Leistungssystems hat der Beigeladene seine Leistungen für den Kläger erbracht. Er war daher für die Ausübung seiner Tätigkeit auf die Betriebsorganisation des Klägers angewiesen. Insoweit ist eine Eingliederung gegeben.
Diese Eingliederung bezieht sich jedoch nur auf die Abrechnung nach außen gegenüber der Abrechnungsstelle, nicht jedoch auf die eigens akquirierten Patienten. Auch schlägt die fehlende Abrechnungsbefugnis des Beigeladenen gegenüber der Abrechnungsstelle vorliegend nicht auf das Vertragsverhältnis dergestalt durch, als dass er dadurch Weisungen zeitlicher oder tatsächlicher Art in der Ausführung seiner Tätigkeit unterworfen ist. Der Kläger erhielt als Gegenleistung für die Durchführung der Abrechnung 30% der Vergütung gegenüber der Abrechnungsstelle. Ansonsten schlägt sich deren Abrechnungsbefugnis nicht weiter auf das beiderseitige Vertragsverhältnis durch.
Wenn und soweit zudem die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.03.2016, aaO, als Merkmal für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wertet, so wird verkannt, dass die jeweils maßgeblichen Einzelfallumstände zu bewerten sind. Das Bundessozialgericht hat gerade nicht entschieden, dass Fallgruppen dergestalt zu bilden sind, als dass Physiotherapeuten generell abhängig beschäftigt sind. Denn zum einen muss es für jede berufliche Tätigkeit grundsätzlich möglich sein, sowohl abhängig beschäftigt, als auch freiberuflich tätig zu sein. Zum anderen führt das BSG, aaO, Rn. 30 aus (Unterstreichungen eingefügt):
„Auch frühere Rechtsprechung des 12. Senats des BSG zwingt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hatte der Senat in seinem Urteil vom 14.9.1989 die Selbstständigkeit einer als „freien Mitarbeiterin“ eingesetzten Krankengymnastin bejaht (…). Maßgebend für die Beurteilung, ob Beschäftigung iS von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV oder Selbstständigkeit vorliegt, sind jedoch – wie bereits oben unter A. 1. b) cc) (4) am Ende beschrieben – stets die konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Umstände des seinerzeitigen Falles unterscheiden sich vom vorliegend zu entscheidenden Fall bereits wesentlich dadurch, dass die dortige Krankengymnastin „selbst Patienten angenommen“ hatte (…). Demgegenüber sprechen im vorliegenden Fall – wie dargelegt – gewichtige Umstände dafür, dass die Beigeladene zu 1. in die betriebliche Organisation der Klägerin derart eingebunden war, dass dies nur die Annahme von Beschäftigung rechtfertigt.“
Hinzu kommt, dass sich die dort zur Entscheidung stehende Fallkonstellation von der hiesigen insoweit unterschied, als dass – anders als hier – der Erstkontakt zu den Patienten ausschließlich über die dortige Klägerin stattfand. Ebenfalls wurde im dort zur Entscheidung stehenden Fall vollumfänglich das Arbeitsmaterial gestellt, wohingegen dies hier nicht der Fall war. Es erfolgten in dem dortigen Verfahren – anders als hier – auch Behandlungsangebote der Praxisinhaberin an die betroffene Physiotherapeutin. Zudem wurden der Physiotherapeutin in jenem Verfahren Fahrtkosten zu den Hausbesuchen durch die Praxisinhaberin gezahlt, was hier wiederum nicht der Fall ist, vgl. BSG, aaO, Rn. 20.
Zudem war auch die Fallkonstellation in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichtes – BayLSG – vom 30.09.2020, L 6 BA 76/18, anders gelagert. So nutze der dortige Kläger – anders als hier – die Praxisräume. Zudem wurden vertretungsweise Patienten des Praxisinhabers behandelt und der Praxisinhaber rechnete sogar mit Privatpatienten ab, vgl. BayLSG, aaO, Rn. 18.
Nachdem im hiesigen Verfahren die Einzelfallkonstellation anders gelagert ist, als in den beiden o.a. Verfahren kann sich die Beklagte pauschal nicht auf diese – für die dortige Fallkonstellation zutreffende – Rechtsprechung stützen. Insoweit ist eine Einzelfallbetrachtung nebst aller Umstände vorzunehmen.
Schließlich ist ergänzend auszuführen, dass sich auch aus dem seitens des BSG entschiedene „Honorararzt-Fall“, vgl. Urteil vom 04.06.2019, Az. B 12 R 11/18, keine andere Beurteilung ergibt. Der Entscheidung lag ein Vertrag zugrunde. Die Ärztin verpflichtete sich, die im Krankenhaus zur Anwendung kommenden organisatorischen Regelungen einzuhalten und sich hierbei an die Anweisungen und Vorgaben der Chefärzte zu halten. Zudem behandelte die dort Betroffene – anders hier – keine eigenen Patienten, sondern die des Krankenhauses. Sie war im Dienstplan der Kliniken eingetragen und arbeitete arbeitsteilig mit anderen Mitarbeitern zusammen. Dies ist hier ebenfalls nicht der Fall.
Zusammenfassend überwiegen daher zur Überzeugung der Kammer folgende Gesichtspunkte, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, wobei ersten beiden besonderes Gewicht zukommt.
> Eigene Patientenakquise
> Selbstständige Terminvergabe
> Eigener Terminkalender
> Keine Weisungen in Bezug auf Art und Zeit der Ausführung; unterliegt nicht den Praxisregeln und dortigen Arbeitsabläufen
> Eigenes Arbeitsmaterial in geringem Umfang Für eine abhängige Beschäftigung spricht hingegen:
> Abrechnung der Kassenpatienten über den Kläger und insoweit Eingliederung in die Organisationsstrukturen Nach alledem überwiegen zur Überzeugung der Kammer die typusbildenden Merkmale, die für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit sprechen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Abschließend weißt die Kammer vor dem Hintergrund weiterer „Physiotherapeutenfälle“ die Beteiligten darauf hin, dass die Frage des Bestehens der Versicherungspflicht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen ist. Im hiesigen Einzelfall konnte sich die Kammer aufgrund der vorstehend dargelegte Gründe nicht vom Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und damit der Versicherungspflicht überzeugen. Anders hätte die Gewichtung zum Beispiel dann ausfallen können, hätte Beigeladene auch Patienten der des Klägers und nicht nur eigene behandelt oder wenn z.B. der Erstkontakt über den Kläger zustande gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, soweit noch über die Beiträge für den Beigeladenen zu befinden war. Denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nachdem im Verwaltungsverfahren nicht vollumfänglich im Hinblick auf etwaigen Vertrauensschutz vor dem Hintergrund der Regelung des § 2 SGB VI trotz entsprechender Hinweise (vgl. dazu auch Bl. I 63 Verwaltungsakte) betreffend der ursprünglich weiteren Beigeladenen S. und H. ermittelt wurde, war eine vollumfängliche Kostentragung auszusprechen.
III.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht dem Nennwert der bei Klageerhebung streitigen Forderung.

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