Arbeitsrecht

Vergütung nach dem Lebensalter im BAT – Diskriminierung

Aktenzeichen  6 AZR 481/09

Datum:
10.11.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 21 EUGrdRCh
Art 2 EGRL 78/2000
Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000
Art 9 Abs 3 GG
§ 7 Abs 2 AGG
§ 612 BGB
§ 27 Abschn A BAT
§ 70 BAT
Spruchkörper:
6. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Marburg, 26. September 2008, Az: 2 Ca 183/08, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 22. April 2009, Az: 2 Sa 1689/08, Urteil

Tenor

1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 2009 – 2 Sa 1689/08 – wird zurückgewiesen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, welche Lebensaltersstufe bei der Berechnung der tariflichen Vergütung des Klägers zugrunde zu legen war.
2
Der 1976 geborene, nicht tarifgebundene Kläger war vom 1. August 2005 bis zum 31. Dezember 2008 beim beklagten Land an der Universität M als Angestellter tätig, zuletzt aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2007. In diesem ist ua. vereinbart, dass der Kläger ab dem 1. August 2007 bis zum 31. Dezember 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten weiterbeschäftigt wird, das Arbeitsverhältnis sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den sonstigen einschlägigen Tarifverträgen für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) bestimmt, soweit keine abweichenden Vereinbarungen getroffen sind, und der Kläger in der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a/1 b zum BAT eingruppiert ist.
3
Das beklagte Land ist mit Ablauf des 31. März 2004 aus der TdL ausgetreten, die Tarifvertragspartei des BAT ist. Der BAT und der Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT vom 31. Januar 2003 sind für den Bereich des Bundes mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 und für den Bereich der TdL mit Wirkung vom 1. November 2006 durch andere tarifliche Regelungen ersetzt worden. Mit Wirkung zum 1. Januar 2010 hat das beklagte Land mit verschiedenen Gewerkschaften den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) und den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Landes Hessen in den TV-H und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-H) abgeschlossen.
4
§ 3 TVÜ-H und die Protokollerklärung zu § 3 Abs. 2 Satz 1 TVÜ-H lauten:
        
„§ 3   
Überleitung in den TV-H.
        
(1) Die von § 1 Absatz 1 erfassten Beschäftigten werden am 1. Januar 2010 nach den folgenden Regelungen in den TV-H übergeleitet.
        
(2) Die Überleitung für Beschäftigte aus dem Geltungsbereich des BAT erfolgt entsprechend der nach dem BAT maßgeblichen Lebensaltersstufe unabhängig von der Wirksamkeit dieses Vergütungssystems. Die Überleitungsregelungen regeln nicht die Rechtsfolgen für die Zeit bis zum 31. Dezember 2009.
        
        
        
Protokollerklärung zu § 3 Absatz 2 Satz 1:
        
Durch Absatz 2 Satz 1 wird sichergestellt, dass die Überleitung wie beim TVÜ-L, TVÜ-VKA und TVÜ-Bund entsprechend der nach dem BAT maßgeblichen Lebensaltersstufe, die im Einzelfall erreicht war, erfolgt. Der Schutz dieses bestehenden, auf den bisherigen individuellen Lebensaltersstufen basierenden Besitzstands wird durch die Anknüpfung der Überleitungsregelungen an das nach Maßgabe von § 5 festgelegte Vergleichsentgelt geregelt. Die Tarifvertragsparteien sind sich – unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des LAG Köln, Urteil vom 6. Februar 2009 – 8 Sa 1016/08 – darüber einig, kollektiv eine verbindliche Regelung für das Überleitungs- und Übergangsrecht getroffen zu haben.“
5
Die Bezügestelle des beklagten Landes berechnete die Grundvergütung des Klägers für die Monate August 2007 bis Februar 2008 versehentlich statt nach der aufgrund seines Alters zutreffenden Lebensaltersstufe 31 nach der Lebensaltersstufe 45, der letzten Lebensaltersstufe der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT. Der Kläger erhielt aufgrund dieses Versehens in dem genannten Zeitraum nicht wie im Juli 2007 monatlich 1.317,83 Euro brutto, sondern 1.709,96 Euro brutto. Das beklagte Land forderte den Kläger in einem Schreiben vom 25. Februar 2008 auf, 2.148,46 Euro netto zurückzuzahlen, und behielt den geltend gemachten Betrag im Wege der Verrechnung von der Vergütung des Klägers ein. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner dem beklagten Land am 19. Juni 2008 zugestellten Klage.
6
Der Kläger hat gemeint, die Bemessung der tariflichen Grundvergütung nach Lebensaltersstufen beinhalte eine nicht zulässige Altersdiskriminierung. Das beklagte Land habe deshalb bei der Berechnung der Grundvergütung die Lebensaltersstufe 45 zugrunde zu legen.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm Grundvergütung gemäß Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ für die Monate August 2007 bis Dezember 2008 zu zahlen,
        
hilfsweise das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 2.747,01 Euro brutto zu zahlen.
8
Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Lebensaltersstufenregelung des BAT benachteilige jüngere Angestellte nicht wegen ihres Alters gegenüber älteren Angestellten. Jedenfalls wäre eine Benachteiligung bei der gebotenen typisierenden Betrachtung durch legitime Ziele gemäß § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG gerechtfertigt. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dürfe keine Anpassung „nach oben“ vorgenommen werden. § 7 Abs. 2 AGG ordne als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot die Unwirksamkeit entgegenstehender Vereinbarungen an. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht geregelt, was an Stelle der unwirksamen Regelungen gelten solle. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie bilde die verfassungsrechtliche Grenze der Schließung einer entstandenen Regelungslücke durch die Gerichte für Arbeitssachen. Diese Grenze sei überschritten, wenn eine Norm, die bestimmten Arbeitnehmergruppen eine Leistung gewähren wolle, in eine Regelung umgewandelt werde, die allen Arbeitnehmern diese Leistung zuerkenne. Durch eine Anpassung „nach oben“ entstünde eine massive rückwirkende Belastung des Arbeitgebers, die in die Tarifautonomie eingreife, indem sie die Gesamtbelastung des Arbeitgebers verändere und nicht berücksichtige, dass die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis der Unwirksamkeit des Systems das Gesamtbelastungsvolumen anders verteilt hätten. Aus diesen Gründen sei es richtig, die vom Bundesverfassungsgericht zur Nichtigkeit von Gesetzen entwickelten Grundsätze auch auf Tarifverträge anzuwenden und diskriminierende Bestimmungen eines Tarifvertrags für die Zukunft für unwirksam zu erklären, ohne die Nichtigkeit ex tunc eintreten zu lassen. Damit werde eine nachhaltige Erweiterung des Dotierungsrahmens vermieden und der Bindung des öffentlichen Arbeitgebers an das Haushaltsrecht Rechnung getragen. Eine massive Verschiebung des Dotierungsrahmens widerspräche auch dem Willen der Tarifvertragsparteien. Dies belege der am 1. Januar 2010 in Kraft getretene TV-H. Es treffe nicht zu, dass nur eine Möglichkeit der Korrektur bestehe. So könnten die Tarifvertragsparteien zB für die Vergangenheit die Lebensaltersstufen durch eine Stufung nach Beschäftigungsjahren ersetzen und dabei eine Erhaltung des Besitzstands zugunsten der älteren Angestellten festlegen. Bei Annahme einer nicht gerechtfertigten Vergütung nach Lebensaltersstufen sei von der Gesamtnichtigkeit des Entgeltsystems auszugehen. Dies habe zur Folge, dass kein Angestellter Anspruch auf eine höhere Vergütung habe.
9
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebiete keine Anpassung „nach oben“. Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in Fällen der Geschlechterdiskriminierung eine Anpassung „nach oben“ vorgenommen habe, sei es anders als im Entscheidungsfall jeweils „nur“ um die Benachteiligung einer verhältnismäßig kleinen Gruppe gegangen. Seien Ausnahmebestimmungen aufgrund von Verstößen gegen Diskriminierungsverbote nichtig, liege es nahe, die Regel anzuwenden. Um einen Verstoß einer Ausnahmebestimmung gegen ein Diskriminierungsverbot gehe es bei der Vergütung nach Lebensaltersstufen aber nicht.
10
Unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens, wie er in § 15 Abs. 3 AGG zum Ausdruck komme, müsste allenfalls eine Anpassung „nach unten“ erfolgen. Das Haftungsprivileg dieser Vorschrift greife auch bei der Anwendung des § 27 Abschn. A BAT. Grobe Fahrlässigkeit liege erst dann vor, wenn der Arbeitgeber eine Tarifnorm anwende, die nach gefestigter Rechtsprechung „AGG-widrig“ sei. § 8 Abs. 2 AGG stehe einer Anpassung „nach unten“ nicht entgegen. Für eine Anpassung „nach unten“ spreche, dass die Anfangsgrundvergütung die Regel sei, von der Stufe für Stufe Ausnahmen vorgesehen seien. Seien sämtliche mit Erreichen eines höheren Lebensalters verbundene Steigerungen als gleichheitswidrige Ausnahmen gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, bleibe allein die Anfangsgrundvergütung wirksam.
11
Schließlich würde auch der Vertrauensschutz den Anspruch des Klägers hindern. Die Voraussetzungen einer zulässigen unechten Rückwirkung lägen nicht vor. Bei der letzten Änderung des BAT im Januar 2003 hätte den Tarifvertragsparteien des BAT nicht bewusst sein können, dass sie ein ungeschriebenes primärrechtliches Altersdiskriminierungsverbot beachten müssten. Eine durch das AGG rückwirkend herbeigeführte Unwirksamkeit des § 27 Abschn. A BAT wäre unverhältnismäßig. Die Mehrkosten bei einer Anpassung „nach oben“ beliefen sich ohne Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeitragsanteile auf jährlich ca. 100 Millionen Euro. Dem Vertrauensschutz stehe nicht entgegen, dass die Parteien den letzten befristeten Arbeitsvertrag am 27. Juni 2007 und damit nach Austritt des beklagten Landes aus der TdL abgeschlossen hätten. Eine Möglichkeit, von den Vergütungsregelungen im BAT abzuweichen, habe in der Praxis nicht bestanden. Hinzu komme, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Bildung des Vergleichsentgelts bisher nicht in Frage gestellt habe, dass bei der Ermittlung des Vergleichsentgelts die Grundvergütung mit der altersmäßig zutreffenden Lebensaltersstufe zugrunde zu legen sei.
12
Das Arbeitsgericht hat die Klageänderung, die sich auf den Feststellungsantrag des Klägers zur Bemessung der Grundvergütung nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ bezog, für nicht zulässig gehalten und hat die Klage größtenteils abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage gemäß dem Hauptantrag des Klägers stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger beantragt, die Revision des beklagten Landes zurückzuweisen.

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