Aktenzeichen M 10 K 16.800
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz
1. Wegen Art. 20 Abs. 3 GG sind an das öffentlich-rechtliche Hausverbot strenge Anforderungen zu stellen. Es sind einerseits die Grundsätze des jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetzes zu beachten und andererseits ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Ausübung des gewohnheitsrechtlichen Hausrechts nicht um eine gebundene, gesetzlich verbindlich vorgegebene Entscheidung handelt, sondern dass die Verhängung eines Hausverbots im pflichtgemäßen Ermessen der Behördenleitung steht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gegenüber dem eigenen Beamten ist ein Hausverbot nicht die erste Maßnahme, sondern höchstens als ultima ratio bei gegebenem Anlass zu erteilen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. In einem Fall „innerbetrieblicher“ Probleme ist ein Hausverbot nicht die geeignete Maßnahme. Der Beamte hat ein Recht darauf, dass der Dienstherr vorrangig zu Maßnahmen des Beamten- oder Disziplinarrechts greift. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das mit Bescheid vom 28. Januar 2016 ausgesprochene Hausverbot rechtswidrig gewesen ist.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist.
1. Die Klage ist auch nach Erledigung des Hausverbots als Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig.
Insbesondere hat der Kläger ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch bei erledigten Verwaltungsakten dem Kläger in bestimmten Fallkonstellationen gestattet, sein Rechtsschutzinteresse im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage zu verfolgen (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2011, 405). Zu den anerkannten Fallgruppen gehören neben der hier nicht angestrebten Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses die Wiederholungsgefahr und das Rehabilitationsinteresse.
Unabhängig von der Frage des Rehabilitationsinteresses, das der Kläger wegen seines Rufs innerhalb des Kollegenkreises vorbringt, besteht jedenfalls eine Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat trotz der Erledigung des Hausverbots ein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung.
Die Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen bzw. eine gleichartige behördliche Entscheidung getroffen wird (Posser/ Wolff, in: BeckOK VwGO, 41. Edition, Stand: 1.4.2017, § 113 Rn. 87.2). Das erfordert zum einen die (konkrete) Möglichkeit, dass sich ein vergleichbarer Sachverhalt wieder ereignen, und zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, NVwZ-RR 2011, 405). Notwendig ist also eine vergleichbare, nicht jedoch eine identische Situation (BayVGH, B.v. 14.7.2008 – 4 ZB 07.2735 – juris).
Diese konkrete Wiederholungsgefahr besteht im vorliegenden Fall. Denn der Kläger hat, vom Beklagten unwidersprochen, angegeben, er habe zwar seine Personalratstätigkeit beendet, werde aber weiterhin von Kollegen gebeten, sie zu Terminen beim Ärztlichen Dienst zu begleiten. Die dem Hausverbot zu Grunde liegende Konfliktsituation kann sich somit wiederholen. Denn das Hausverbot stützte sich nicht auf eine einmalige oder durch eine Sondersituation bedingte Eskalationslage, sondern die Anwesenheit des Klägers bei den Untersuchungsgesprächen führte insgesamt zu den Unstimmigkeiten, die die Beklagte zum Anlass für ein Hausverbot nahm. Auslöser des Konflikts waren die unterschiedlichen Ansichten der Beteiligten über das Anwesenheitsrecht des Klägers. Dieser Konflikt ist nicht behoben. Die Wiederholungsgefahr zeigt sich auch in der Vielzahl der Vorfälle, auf die sich der Beklagte in seinem Hausverbot stützt. Auch arbeitet nur eine überschaubare Anzahl an Ärzten beim Ärztlichen Dienst, so dass ein Aufeinandertreffen derselben Ansichten und Persönlichkeiten eine ähnliche Konfliktlage nahelegt, auf die der Beklagte mit einem erneuten Hausverbot reagieren könnte.
Die Wiederholungsgefahr kann auch nicht bereits auf Grund des Beschlusses des Gerichts im Eilrechtsschutzverfahren vom 24. Februar 2016 ausgeschlossen werden. Denn auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Beklagte vom Gericht vorgenommene rechtliche Bewertungen auch dann in Zukunft zur Grundlage erneuter Entscheidungen machen wird, wenn sie im Rahmen eines Eilbeschlusses angestellt wurden, erging dieser Beschluss auf Grund einer Interessenabwägung und traf keine Aussage über die Rechtmäßigkeit des Hausverbots.
Es besteht die konkrete Gefahr, dass diese Konfliktlage sich bei einer künftigen Begleitung wiederum zu einem Hausverbot zuspitzen wird.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Der Bescheid vom 28. Januar 2016 ist rechtswidrig gewesen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
Das vom Beklagten gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Hausverbot findet seine Ermächtigungsgrundlage in der Ausübung des gewohnheitsrechtlichen Hausrechts.
Das Hausrecht umfasst die Befugnis, Ordnungsmaßnahmen zu treffen, um die Verwirklichung des Widmungszwecks zu gewährleisten, Störungen des Dienstbetriebes abzuwenden und dabei insbesondere auch über den Aufenthalt von Personen in den Räumen des öffentlichen Gebäudes zu bestimmen.
Wegen Art. 20 Abs. 3 GG sind darüber hinaus an das öffentlich-rechtliche Hausverbot strenge Anforderungen zu stellen. Es sind daher einerseits die Grundsätze des jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetzes (hier: BayVwVfG) zu beachten und andererseits ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Ausübung des gewohnheitsrechtlichen Hausrechts nicht um eine gebundene, gesetzlich verbindlich vorgegebene Entscheidung handelt, sondern dass die Verhängung eines Hausverbotes im pflichtgemäßen Ermessen der Behördenleitung steht.
Da ein Hausverbot eine grundrechtseinschränkende Maßnahme darstellt, die präventiven Charakter hat, indem sie darauf abzielt, zukünftige Störungen des Betriebsablaufs in der Behörde zu vermeiden, bedarf es entsprechend Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zunächst der vorherigen (mündlichen oder schriftlichen) Anhörung des Betroffenen. Ergeht ein Hausverbot nicht unmittelbar auf eine im betroffenen Gebäude eskalierende Konfliktsituation, ist dem Betroffenen grundsätzlich auch schriftlich der dem beabsichtigten Hausverbot zugrundeliegende Sachverhalt zu schildern, die Verhängung des Verbots anzukündigen und ihm Gelegenheit zu geben, sich vor dem Erlass des Hausverbotes zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Es sind – spätestens in der Hausverbotsverfügung – die Tatsachen zu benennen, die in vorangegangener Zeit den Hausfrieden gestört haben. Weiter ist auszuführen, dass und warum in Zukunft wieder mit Störungen zu rechnen und das Hausverbot daher erforderlich ist, um erneute Vorfälle zu verhindern.
Da eine Behörde aber auch mit aus ihrer Sicht schwierigen Besuchern zurechtkommen muss, ist ihr die Möglichkeit der Verhängung eines Hausverbotes erst dann eröffnet, wenn es durch das Verhalten des Adressaten zu einer beachtlichen, das heißt mehr als nur leichten und/oder vorübergehenden Beeinträchtigung der öffentlichen Tätigkeit innerhalb der Behörde gekommen ist und darüber hinaus zu besorgen ist, dass auch zukünftig mit solchen gravierenden Beeinträchtigungen zu rechnen ist, die nicht anderweitig verhindert werden können.
Dies ist anzunehmen, wenn der Dienstablauf nachhaltig gestört worden ist, weil beispielsweise Bedienstete beleidigt werden oder der Adressat in nicht hinnehmbarer Weise aggressiv reagiert und mit einer Wiederholung derartiger Vorfälle zu rechnen ist. Als Verwaltungsakt muss das Hausverbot hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), insbesondere der Adressat, der Geltungsbereich sowie die Art und die Dauer des Verbots müssen genau bezeichnet werden.
Ferner bedarf es einer Begründung unter Darlegung des Sachverhalts und der wesentlichen Entscheidungsgründe (Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG). Dies ist bei einer – wie hier – zu treffenden Ermessensentscheidung deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich zum einen nur so feststellen lässt, ob die Behördenleitung das ihr zustehende Ermessen erkannt und von diesem in sachgemäßer Weise Gebrauch gemacht hat.
Die Verhängung des Hausverbots unterliegt darüber hinaus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Hausverbot muss auch die geeignete Maßnahme sein, die verursachte Störung zu beenden und/oder für die Zukunft den ordnungsgemäßen Ablauf der Geschäfte innerhalb des Gerichtsgebäudes sicherzustellen, es muss das mildeste in Betracht kommende Mittel sein und es muss hinsichtlich des Bezugsbereiches, für den es verhängt wird, sowie bezüglich seiner Dauer angemessen sein, so dass grundsätzlich mit der Verhängung des Hausverbotes eine Befristung auszusprechen ist.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass durch das Hausverbot nicht die Inanspruchnahme von gesetzlich zu erbringenden Leistungen der Behörde vollkommen unmöglich gemacht wird (zum Ganzen: VG Stade, U.v. 26.6.2013 – 4 A 1442/12 – juris; VG Osnabrück, B.v. 19.2.2014 – 6 B 4/14 – juris; VG München, U.v. 13.12.2012 – M 17 K 11.5544 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Verfügung vom 28. Januar 2016 als unverhältnismäßig. Das gilt unabhängig von der mit dem vorliegenden Urteil nicht zu beantwortenden Frage, ob der Kläger bei den entsprechenden Untersuchungsgesprächen anwesend sein durfte (vgl. bereits den Hinweis des BayVGH im Eilverfahren auf die geltende Rechtsprechung a.a.O. Rn. 12).
Der Kläger hat den Dienstbetrieb des Beklagten aufgehalten, indem durch seine Anwesenheit und sein Verhalten die Begutachtung von Beamten nicht stattfand. Dennoch hat der Beklagte mit dem Hausverbot die falsche Maßnahme gewählt, um gegen diese Störung vorzugehen.
a. Das Hausverbot war bereits nicht das richtige Mittel, die vom Kläger ausgehenden Störungen des Betriebs zu beseitigen. Zulässiges Ziel eines Hausverbots ist es, den Widmungszweck einer öffentlichen Einrichtung zu verwirklichen, indem (erhebliche) Störungen des Betriebs unterbunden werden. Verfassungsrechtliche und grundrechtliche Anforderungen beschränken diese effektive Möglichkeit, jegliche Störungen durch Hausverbote zu unterbinden.
Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit vor, dass der Kläger als Lebenszeitbeamter auch beim Beklagten beschäftigt ist. Zwischen den Parteien bestehen somit vielfältige rechtliche Beziehungen, die zwischen einer Behörde und einem außenstehenden „Kunden“ oder Besucher nicht bestehen und auf Dauer angelegt sind. Auf Seiten des Klägers sind seine besonderen Rechte als Personalrat und Beamter zu berücksichtigen, auf Seiten des Beklagten die zusätzlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Disziplinar- und Beamtenrechts.
Auf diese Einwirkungsmöglichkeiten muss der Beklagte sich vorrangig verweisen lassen. Gegenüber dem eigenen Beamten ist ein Hausverbot nicht die erste Maßnahme, sondern höchstens als ultima ratio bei gegebenem Anlass zu erteilen. Die genannten Sonderbeziehungen zwischen den Beteiligten erhöhen die Anforderungen an ein verhältnismäßiges Hausverbot. Diese Beschränkung ist bereits notwendig, um (in anderen Fällen) ein Missbrauch des Hausverbots zu verhindern. Ohne die erhöhten Verhältnismäßigkeitsanforderungen wäre das Hausverbot ansonsten ein Mittel, um missliebige Beamte unter dem Vorwand der „Störung des Betriebsablaufs“ auszuschalten, wenn sie beispielsweise bei der Personalverwaltung oder fremden Abteilungen die Arbeitsabläufe durch Widersetzen oder Diskussionen verzögern.
Ein denkbarer Anlass für ein Hausverbot auch gegenüber dem Kläger als eigenem Bediensteten wäre möglicherweise gewesen, wenn der Kläger bedrohlich oder gewalttätig geworden wäre. Nach der Beweisaufnahme ist das Gericht der Überzeugung, dass dem nicht so war. Zwar haben die Zeugen der Beklagtenseite das Verhalten des Klägers teilweise als aggressiv und übergriffig empfunden. Die Zeugin Dr. K. hat das Auftreten des Klägers als „aggressiv, beleidigend und kontraproduktiv“ beschrieben. An den genauen Wortlaut einer Beleidigung konnte sie sich nicht erinnern, der Kläger habe ihre ärztliche Kompetenz und ihre Kenntnisse von Polizeiarbeit in Frage gestellt. Auch Herr Dr. M. bewertete das Verhalten des Klägers als aggressiv, dieser habe ihn „niedergebrüllt“. Es seien jedoch keine Schimpfworte gefallen. Zudem gaben die Zeugin Frau Dr. R. und der Zeuge Herr Dr. H. an, der Kläger habe die Ärzte des Ärztlichen Dienstes mit Ärzten aus dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Diese Aussagen deuten aber nicht auf eine bedrohliche Lage, in der die Mitarbeiter durch ein Hausverbot vom Beklagten vor dem Kläger geschützt werden mussten und die damit die erhöhten Anforderungen an ein Hausverbot gegenüber eigenen Bediensteten erfüllen könnten. Nach der Beweisaufnahme und auch nach der Begründung des Bescheids vom 28. Januar 2016 war Anlass des Hausverbots, dass der Kläger die Arbeit des Ärztlichen Dienstes gestört hat, nicht dass er deren Mitglieder oder andere Kollegen bedrohte. Die herangezogenen Begutachtungstermine liegen mit einer Ausnahme bereits mehrere Jahre zurück, so dass sie eine akute Gefahr schwerlich nachweisen können.
Die Mitarbeiter des Beklagten haben den Kläger als störend wahrgenommen, nicht als gefährlich. Unabhängig von der nicht entscheidungserheblichen Frage, ob der Beklagte das Verhalten des Klägers hinnehmen muss, rechtfertigt es kein Hausverbot.
In einem solchen Fall „innerbetrieblicher“ Probleme ist ein Hausverbot nicht die geeignete Maßnahme. Der Kläger hat ein Recht darauf, dass der Beklagte vorrangig zu Maßnahmen des Beamten- oder Disziplinarrechts greift. Nur so ist die Einhaltung der dort vorgesehenen besonderen Schutzmechanismen gewährleistet, etwa die gestufte Herangehensweise mit Warnfunktion für den Kläger.
Nach der Beweisaufnahme waren die dem Hausverbot zu Grunde liegenden Konflikte anlassbezogen hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassung, ob der Kläger bei der Begutachtung anwesend sein dürfe. Der Beklagte hätte daher zunächst zu einer Maßnahme greifen müssen, die diese konkrete Streitfrage thematisiert. Nur so hat der Kläger die Möglichkeit, die den Konflikten zu Grunde liegende Frage seiner Anwesenheitsrechte bei Begutachtungen (notfalls gerichtlich) klären zu lassen.
b. Zudem war das Hausverbot auch unangemessen und somit unverhältnismäßig, da es uneingeschränkt galt. Nach dem Wortlaut hätte der Kläger die Räume des Ärztlichen Dienstes also auch dann nicht betreten dürfen, wenn er aus dienstlichen Gründen zur dortigen Anwesenheit verpflichtet gewesen wäre, etwa zu einem Einsatz oder um selbst eine ärztliche Begutachtung wahrzunehmen.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.