Aktenzeichen S 1 R 5070/15
Leitsatz
1 Allein der Umstand, dass ein Mitarbeiter ein Gewerbe angemeldet hat (das einen anderen Gewerbezweig betraf) und Rechnungen schreiben darf, macht ihn nicht zum Selbstständigen. Ein angeblich selbständiger Mitarbeiter, der im Grunde unter denselben Bedingungen wie die angestellten Mitarbeiter des Unternehmens arbeitet und nach außen auch nicht als Selbstständiger erkennbar ist und insbesondere als einziges Kapital seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, sowie die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen hat, ist nicht selbständig tätig. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass bei Aufnahme der Tätigkeit ein Existenzgründungszuschuss des Arbeitsamtes gewährt worden ist, ist für die zu beurteilende Tätigkeit im Hinblick auf Scheinselbständigkeit ohne Belang. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III.
Der Streitwert wird auf 15.513,21 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide vom 10.06.2013 und 12.09.2014, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beitragsforderung der Beklagten besteht zu Recht.
Nach § 28 p Abs.1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern u. a., ob diese ihre Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere prüfen sie die Richtigkeit der Beitragszahlungen.
Gem. § 28 p Abs.1 Satz V SGB IV erlassen die genannten Träger im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.
Ob gegen Entgelt tätige Personen versicherungspflichtig in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung sind, richtet sich zunächst nach § 7 Abs.1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs.1 Satz 1 und 2 SGB IV).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.
Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R m. w. N.).
In Anwendung dieser Grundsätze kommt die Kammer wie die Beklagte zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt war. Der Beigeladene zu 1) war, soweit er einen Auftrag annahm, in die Arbeitsorganisation des Klägers eingegliedert. Er benutzte die Maschinen des Klägers, arbeitete mit angestellten Betonglättern des Klägers zusammen, er fuhr sogar gemeinsam mit Beschäftigten des Klägers auf die jeweilige Baustelle. Allein der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) ein Gewerbe angemeldet hatte (das nicht das Betonglätten betraf) und Rechnungen schreiben durfte, macht ihn nicht zum Selbstständigen. Im Grunde machte der Beigeladene zu 1) nichts anderes als die angestellten Betonglätter des Klägers und war nach außen auch nicht als Selbstständiger erkennbar. Er trat nicht am Markt als Betonglätter auf und hatte kein Unternehmerrisiko. Sein einziges Kapital war seine Arbeitskraft, die er dem Kläger, wie ein normaler Arbeitnehmer, zur Verfügung stellte. Der Beigeladene zu 1) war verpflichtet, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Dass der Beigeladene zu 1) bei Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit einen Existenzgründerzuschuss des Arbeitsamtes erhielt, ist für die hier zu beurteilende Tätigkeit ohne Belang. Der Beigeladene zu 1) hatte kein Gewerbe als selbstständiger Betonglätter angemeldet, sondern einen „Hausmeisterservice und Dienstleistungen“. Die Ausübung der Tätigkeit als Betonflügelglätter bewegte sich somit nicht im Rahmen der Gewerbeanmeldung.
Im Übrigen hält es die Kammer für durchaus ungewöhnlich, dass einem sogenannten Selbstständigen nach Erledigung des Auftrags vom Auftraggeber vorgegeben wird, in welcher Höhe er eine Rechnung schreiben kann. Die für einen Selbstständigen typische unternehmerische Freiheit bestand hier offenbar allein darin, dass der Beigeladene zu 1) einen Auftrag entweder annehmen oder ablehnen konnte, wobei er im Fall der Ablehnung eines Auftrags befürchten musste, künftig von der Firma A. nicht mehr herangezogen zu werden.
Im Ergebnis ist die Kammer der Auffassung, dass hier ein ganz klarer Fall von „Scheinselbstständigkeit“ vorlag. Dass der Beigeladene zu 1) seit 01.07.2012 als Arbeitnehmer beim Kläger beschäftigt ist, wertet die Kammer als Indiz dafür, dass die Beteiligten das sozialversicherungsrechtliche (und strafrechtliche) Risiko ihres Tuns nicht länger in Kauf nahmen wollten.
Damit sprechen die ganz überwiegenden Merkmale für eine abhängige Beschäftigung und für eine Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) im streitigen Zeitraum.
Die Beklagte hat zutreffend die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge festgesetzt. Gegen die Höhe der Beiträge wurden vom Kläger auch keine Einwände erhoben. Dass der Kläger den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein zu tragen hat, ergibt sich aus § 28 e i. V. m. § 28 g SGB IV. Die Beiträge sind auch fällig und nicht verjährt. Die Erhebung von Säumniszuschlägen gem. § 24 Abs.1 und 3 SGB IV ab dem Zeitpunkt der positiven Kenntnis des Klägers von seiner Zahlungspflicht ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Erhebung von Säumniszuschlägen für die Vergangenheit hat die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 12.09.2014 korrigiert.
Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs.1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs.1 VwGO. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Der Beigeladene zu 1) hat Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 197 Abs.2 Satz 3 i. V. m. § 191 SGG.
Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 197 a Abs.1 SGG i. V. m. § 52 Abs.1, 3 Gerichtskostengesetz.