Aktenzeichen 7 Sa 422/17
RL 2011/7/EU Art. 2
Leitsatz
Orientierungshilfe: § 288 Absatz 5 BGB bedarf einer teleologischen Reduktion dahingehend, dass die Bestimmung lediglich auf Geschäftsverkehr im Sinne des Artikel 2 der Richtlinie 2011/7/EU anzuwenden ist, weil der deutsche Gesetzgeber lediglich die Richtlinie umsetzen wollte. Eine Anwendung des § 288 Absatz 5 BGB auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis scheidet somit aus. (Rn. 25 ff.)
Verfahrensgang
3 Ca 5024/16 2017-11-06 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg
Tenor
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 06.11.2017 wird wie folgt abgeändert:
Ziffer 1 des Urteils lautet:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.205,77 € brutto abzüglich 866,00 € netto sowie weiterer 36,01 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2016 zu zahlen und hierüber eine Abrechnung zu erteilen.
Ziffer 2 des Endurteils wird aufgehoben. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Bezüglich der Abweisung der Klage in Höhe von 40,00 € (Pauschale gemäß § 288 Absatz 5 BGB) wird die Revision zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 2 b) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG.
Der Zulässigkeit der Berufung steht auch § 520 Absatz 3 Satz Nr. 2 ZPO nicht entgegen. Die Beklagte hat sich in ausreichendem Maße mit dem Ersturteil auseinandergesetzt, indem sie geltend gemacht hat, das Erstgericht sei rechtsirrig davon ausgegangen, der Kläger habe noch Anspruch auf Resturlaub.
Die Berufung ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geforderte Verzugskostenpauschale in Höhe von 40,00 €, § 288 Absatz 5 BGB.
Allerdings stünde dem Kläger nach dem Wortlaut des § 288 Absatz 5 BGB die Verzugskostenpauschale zu. Insbesondere schließt die Norm Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht aus. § 288 BGB ist vielmehr eine Bestimmung des allgemeinen Schuldrechts, das auch auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden ist.
§ 288 Absatz 5 BGB bedarf indes einer teleologischen Reduktion.
Die teleologische Reduktion gehört zu den von Verfassung wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schreibt die Verfassung eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation nicht vor. Der Wortlaut des Gesetzes zieht im Regelfall keine starre Auslegungsgrenze. Zu den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gehört auch die teleologische Reduktion. Sie ist dann vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (Bundesverfassungsgericht – Beschluss vom 31.10.2016 – 1 BvR 871/13; 1 BvR 1833/13; juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die Verzugskostenpauschale nicht bei Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis an.
Die Aufnahme der Verzugskostenpauschale in § 288 Absatz 5 BGB dient nach dem gesetzgeberischen Willen ausschließlich der Umsetzung der Artikel 1 bis 8 und 10 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (i.F.: Richtlinie). Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/1309).
Die Gesetzesbegründung stellt ihrerseits auf den mit der Richtlinie verfolgten Zweck ab. Danach verfolgt die Richtlinie das Ziel, ein „rechtliches und wirtschaftliches Umfeld für mehr Zahlungsdisziplin im Geschäftsleben“ zu schaffen, um die Liquidität, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen zu verbessern. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollen von der Last des mit langen Zahlungsfristen und Zahlungsverzug verbundenen „Gläubigerkredits“ befreit und gerade öffentliche Auftraggeber als Schuldner von Entgeltforderungen durch die Folgen des Zahlungsverzugs abgeschreckt werden (BT-Drucksache 18/1309).
Dies entspricht Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie („Diese Richtlinie dient der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und insbesondere von KMU zu fördern“).
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber Regelungen treffen wollte, die über das Ziel der Richtlinie hinausgehen. Vielmehr heißt es unter A. II. der Begründung des Gesetzentwurfs:
Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der gegenüber der Richtlinie 2000/35/EG neuen Regelungen der Richtlinie 2011/7/EU in deutsches Recht. Nur diese Regelungen sind vom Umsetzungsauftrag der Richtlinie 2011/7/EU erfasst (…). Die Umsetzung soll durch eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) … erfolgen. … Aus dem sich daraus ergebenden Umstand, dass § 288 Absatz 5 BGB nicht über die Richtlinie hinausgehen sollte, ist zu folgern, dass für § 288 Absatz 5 BGB der in der Richtlinie genannte Anwendungsbereich gilt.
Nach Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie ist sie auf alle Zahlungen anzuwenden, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind. Der Begriff des Geschäftsverkehrs ist in Artikel 2 der Richtlinie definiert. Danach bezeichnet „Geschäftsverkehr“ Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen.
Arbeitsverhältnisse sind von dieser Definition nicht erfasst, so dass Arbeitnehmern in dieser Eigenschaft die Verzugskostenpauschale nicht zusteht.
Dies entspricht im Ergebnis der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. September 2018 – 8 AZR 26/18 (Pressemitteilung vom selben Tag).
Das Ersturteil war entsprechend zu ändern.
Das Ersturteil war auch insoweit abzuändern, als zusätzlich zum Auszahlungsbetrag von 866,00 € ein weiterer Betrag in Höhe von 36,01 € abzuziehen ist. Die Erklärung des Klägers in der Sitzung am 21.08.2018, er lasse sich diesen Betrag anrechnen, ist als teilweise Rücknahme der Klage anzusehen.
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Dem Kläger steht, wie das Erstgericht zu Recht entschieden hat, Urlaubsabgeltung in der geltend gemachten Höhe zu.
Das erkennende Gericht folgt zunächst den umfassenden und zutreffenden Gründen des Erstgerichts, § 69 Absatz 2 ArbGG.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass eine andere Beurteilung des Sachverhalts veranlasst ist. So sieht sich die Beklagte nach eigenem Sachvortrag nicht in der Lage, darzustellen, wann dem Kläger Urlaub bewilligt worden oder dass und wann zwischen den Parteien eine Einigung erzielt worden ist, dass etwaige Zeiten unentschuldigten Fehlens als Urlaubsnahme behandelt werden sollten. Dementsprechend hat die Beklagte auch keinen geeigneten Beweis für ihre Behauptung angeboten. Die von ihr benannte Zeugin A. kann sich nach dem Vorbringen der Beklagten nicht mehr an die Details erinnern, insbesondere nicht daran, an welchem Tag welche Gespräche geführt wurden.
Auch wenn der Kläger an bestimmten Tagen unentschuldigt gefehlt hätte, ist die Beklagte nicht berechtigt, diese Zeiten einseitig als Urlaub zu qualifizieren.
Dazu kommt, dass der Sachvortrag zum geltend gemachten unentschuldigten Fehlen unsubstantiiert ist, worauf bereits das Erstgericht hingewiesen hat. Aus den vorgelegten Abmahnungen ergeben sich allenfalls drei Tage unentschuldigten Fehlens, nämlich am 01., 02. und 06.06.2016.
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung führt nicht zum Erlöschen des Anspruchs des Klägers, §§ 387, 388, 389, 394 BGB.
Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte wegen etwaiger Fehlzeiten Lohnüberzahlungen geleistet und ob diese entsprechend der vertraglichen Verfallfrist erloschen sind.
Einer Aufrechnung steht teilweise das Verbot des § 394 BGB entgegen. Nach der Tabelle zu § 850c ZPO ist ein Betrag in Höhe von 1.139,99 € monatlich unpfändbar.
Darüber hinaus hat die Beklagte weder erklärt, mit welchem Betrag sie aufrechnet, noch ist schlüssig vorgetragen, in welcher Höhe überhaupt eine Überzahlung vorliegt.
Die Berufung war daher insoweit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den § 92 Absatz 2 ZPO.
Die Zulassung der Revision hinsichtlich der Entscheidung zur Verzugskostenpauschale erfolgte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.