Arbeitsrecht

Werkstudententätigkeit an einer Tankstelle ist versicherungsfrei

Aktenzeichen  L 10 AL 285/15

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 137 Abs. 1 Nr. 3, § 142 Abs. 1 S. 1, § 143 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Tätigkeit an einer Tankstelle neben einem Studium ist versicherungsfrei, wenn und solange sie neben dem Studium ausgeübt wird und diesem nach Zweck und Dauer untergeordnet ist (Anschluss an BSG BeckRS 1998, 30038517). Das gilt auch für sog. Werkstudenten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die erforderliche Abgrenzung ist auf die zeitliche Inanspruchnahme abzustellen. Werden 20 Wochenstunden nicht überschritten, bleibt das Studium prägend und die andere Tätigkeit typische versicherungsfreie Nebentätigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Tätigkeitsbeginn vor der Immatrikulation bedeutet nicht automatisch die Fortsetzung eines ausgeübten Berufs neben dem Studium. Das gilt insbesondere, wenn durch das Studium das Anstreben einer höherwertigen Tätigkeit erkennbar wird und ferner, wenn die Tätigkeit an der Tankstelle inhaltlich in keinem Zusammenhang weder mit dem erlernten noch mit dem durch das Studium angestrebten Beruf steht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 AL 143/15 2015-10-15 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.10.2015 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 04.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2015 abgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG) und begründet. Das Urteil des SG vom 15.10.2015 ist aufzuheben. Der Bescheid vom 04.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Alg.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 04.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2015, mit dem die Beklagte die Zahlung von Alg ab dem 01.04.2015 abgelehnt hat.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg ab dem 01.04.2015. Ein solcher Anspruch setzt nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Die Klägerin hat die für einen Anspruch auf Alg ab 01.04.2015 notwendige Anwartschaftszeit iSv § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht erfüllt.
Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 SGB III zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Die Klägerin hat sich zum 01.04.2015 arbeitslos gemeldet, sich den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestellt und die Zahlung von Alg beantragt. Damit ergibt sich hieraus eine Rahmenfrist vom 01.04.2013 bis 31.03.2015. In diesem Zeitraum hat die Klägerin nicht mindestens zwölf Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden.
Zwar sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Allerdings bestimmt § 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III, dass in Ausnahme hierzu Personen versicherungsfrei sind, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin (jedenfalls) ab dem 01.10.2013 nicht mehr in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.
Die Klägerin war ab dem 16.09.2013 an der Universität A-Stadt immatrikuliert und damit ordentliche Studierende an einer Hochschule. Der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass – hierfür liegt die Feststellungslast bei der Klägerin, die sich auf eine Ausnahme von der Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III beruft – die während des Studiums ausgeübte Beschäftigung an den beiden Tankstellen so umfassend gewesen ist, dass sie gegenüber dem Studium den Schwerpunkt gebildet und ihnen damit eine prägende Bedeutung zugekommen wären (vgl dazu BSG, Urteil vom 22.02.1980 – 12 RK 34/79 – SozR 2200 § 172 Nr. 14; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, Stand: 07/2013, § 27 Rn 63), die eine Ausnahme zu § 27 Abs. 4 SGB III rechtfertigen könnte. Die Beschäftigung von Studenten ist versicherungsfrei, wenn und solange sie „neben“ dem Studium ausgeübt wird und ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet ist (BSG, Urteil vom 10.12.1998 – B 12 KR 22/97 R – SozR 3-2500 § 6 Nr. 16). Auch Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch ihre Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen (sog. Werkstudenten), sind versicherungsfrei, wenn das Studium den Schwerpunkt der Tätigkeit ausmacht (BayLSG, Urteil vom 16.04.2014 – L 16 R 698/13).
Für die Abgrenzung ist dabei insbesondere auf die zeitliche Inanspruchnahme durch die Beschäftigung abzustellen. Wird diese in einem Umfang von regelmäßig nicht mehr als 20 Wochenstunden ausgeübt, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Student durch sein Studium überwiegend in Anspruch genommen wird, dieses mithin prägend ist. Dies gilt auch bei höheren Arbeitszeitanteilen, wenn diese an das Studium angepasst sind (vgl dazu insgesamt: BSG, Urteil vom 22.02.1980 – 12 RK 34/79 – SozR 2200 § 172 Nr. 14; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, Stand: 07/2013, § 27 Rn 63). Allein das Erreichen oder Überschreiten dieser Stundenzahl begründet aber keine Versicherungspflicht (BSG, Urteil vom 10.12.1998 – B 12 KR 22/97 R – SozR 3-2500 § 6 Nr. 16). Verneint wird beispielsweise eine Versicherungspflicht bei Arbeitnehmern, die ein Studium aufgenommen haben, ihren Beruf aber weiterhin in vollem Umfang ausüben, beim Abendstudium an einer Bauschule, wenn daneben mehr als eine Halbtagsbeschäftigung ausgeübt wird, oder bei einer Ganztagsbeschäftigung, wenn nur tageweise studiert wird. In diesen Fällen wird während des Studiums die früher verrichtete Beschäftigung weiter ausgeübt oder das Beschäftigungsverhältnis dauert jedenfalls fort und das Erscheinungsbild eines Beschäftigten besteht weiterhin (zum Ganzen und mit weiteren Nachweisen: BSG, Urteil vom 10.12.1998 – B 12 KR 22/97 R – SozR 3-2500 § 6 Nr. 16).
Die Klägerin hat vorliegend ihr Studium betrieben und lediglich nebenbei die Beschäftigungen bei der Tankstelle ausgeübt. Kein hinreichendes Indiz ist dabei die zeitliche Inanspruchnahme der Klägerin durch die Beschäftigung. So ist einerseits in den jeweiligen Arbeitsverträgen mit A und J jeweils eine regelmäßige Arbeitszeit von 20 Wochenstunden vereinbart gewesen. Die Klägerin hat darüber hinaus erklärt, mit Überstunden auf 21 bzw. 22 Stunden die Woche gekommen zu sein. Ebenso ist nicht entscheidend, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt mit dem erzielten Arbeitsentgelt während des Studiums bestritten hat. Dies ist gerade bei der Fallgruppe der „Werkstudenten“ regelmäßig der Fall und auch insgesamt bei Studenten nicht ungewöhnlich. Die bloße Entrichtung von Beiträgen selbst führt ebenfalls nicht zur Bewertung der Tätigkeit als versicherungspflichtig.
Auch wenn die Klägerin vorliegend die Tätigkeit bereits vor ihrer Immatrikulation, nämlich am 01.08.2013, erstmals begonnen hat, handelt es sich nicht um den klassischen Fall, dass ein ausgeübter Beruf neben dem Studium fortgeführt wird. Die Klägerin hat kurz zuvor ihr Abitur nachgeholt und wenige Monate später das Studium begonnen. Wie die Klägerin selbst ausgeführt hat, habe sie nicht mehr in ihrem früheren medizinischen Bereich als Arzthelferin arbeiten wollen und das Abitur gemacht, um anschließend bessere Berufsaussichten zu haben. Für das duale Studien-/Abiturientenprogramm sei sie zu spät dran gewesen, so dass sie Anfang September 2013 beschlossen habe, sich für ein Studium einzuschreiben, um dies einmal auszuprobieren. Im Hinblick auf die daraus erkennbaren Absichten, jedenfalls eine höherwertige Tätigkeit anzustreben, und den Plan, eine Hochschule im Rahmen des dualen Studiums bzw. eines Studiums an der Universität besuchen zu wollen, kann die Aufnahme der Tätigkeit bei der Tankstelle, die zudem nicht in Vollzeit erfolgte, nur als Nebentätigkeit neben einer geplanten weiteren Ausbildung bzw. Studium gesehen werden. Die Tätigkeit bei der Tankstelle steht insofern nicht im Zusammenhang mit dem von ihr erlernten Beruf der medizinischen Fachangestellten. Gegen den Umstand, dass sie das Studium neben der Beschäftigung an der Tankstelle ausgeübt hat – und nicht umgekehrt – spricht zudem, dass sie das Studium der Anglistik/Amerikanistik und Geschichte nicht nach einem Semester abgebrochen hat, sondern vielmehr ein zweites Semester in diesen Studiengängen angeschlossen hat. Auch nach dem zweiten Semester hat sie für sich nicht die Konsequenz gezogen und das Studieren eingestellt, sondern nach dem Aufsuchen der Studienberatung sich wieder immatrikuliert, wenngleich in einem anderen Studiengang. Die Immatrikulation über drei Semester zeigt, dass die Klägerin ihrem Studium nicht lediglich untergeordnete Bedeutung beigemessen hat. Vielmehr hat sie sich vor dem ersten und dem dritten Semester jeweils entsprechend beraten lassen und ist den Empfehlungen der Studienberatung nachgekommen. Was die Teilnahme an Studienveranstaltungen anbelangt, hat die Klägerin selbst eingeräumt, es sei ihr möglich gewesen, den Stundenplan bei ihrem Arbeitgeber vorzulegen, woran sich dann in der Regel auch die Arbeitszeiten orientiert hätten. Damit war die Beschäftigung bei den Tankstellen aber – auch wenn es ausnahmsweise zu Überschneidungen gekommen sein könnte – mit dem Studium abgestimmt. Nicht erkennbar ist schließlich, dass die Tätigkeit bei der Tankstelle grundlegende Kenntnisse für das spätere duale Studium gezielt vermittelt haben sollte. Allein die Aufgabe von Bestellungen und teilweise eigene Entscheidungsbefugnisse, was über den Grundbedarf hinaus bestellt werde, genügt hierfür nicht. Auch hat die Klägerin zum dritten Studiensemester nicht in einem betriebswirtschaftlichen Studiengang gewechselt, sondern in das Fach Komparatistik. Dass die Klägerin durch ihre Tätigkeit bei der Tankstelle mit 20 bis 22 Wochenstunden daran gehindert gewesen wäre, ihr Studium auch ordentlich zu betreiben, ist nicht ersichtlich. Die Teilnahme an Prüfungen ist nicht entscheidende Voraussetzung für ein Studieren, gerade in den ersten Semestern.
Bei der Tätigkeit als Verkäuferin in einer Tankstelle handelt es sich um eine Beschäftigung, die von vielen Studenten ausgeübt wird, um ihren Lebensunterhalt während des Studiums zu sichern. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst bei Annahme, die Klägerin habe das Komparatistik-Studium bereits nach wenigen Wochen wieder abgebrochen, nichts daran ändern würde, dass die notwendigen Anwartschaftszeiten nicht erreicht würden. So wurde eine Beschäftigung nur bis 31.12.2014 ausgeübt, so dass selbst weitere 60 Tage (November und Dezember 2014) nicht ausreichend gewesen wären, zusammen mit den von der Beklagten bereits berücksichtigten 61 Kalendertagen ein Versicherungspflichtverhältnis von insgesamt mindestens 12 Monaten innerhalb der Rahmenfrist nachzuweisen.
Im Ergebnis hat die Klägerin damit keinen Anspruch auf Alg ab dem 01.04.2015. Auf die Berufung war deshalb das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

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