Arbeitsrecht

Wiedereinstellungsanspruch aufgrund eines vereinbarten Rückkehrrechts – Anspruch auf Abgabe einer Angebotserklärung mit Rückwirkung – AGB-Kontrolle

Aktenzeichen  7 AZR 738/10

Datum:
13.6.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 305 Abs 1 S 1 BGB
§ 307 Abs 1 S 1 BGB
§ 894 S 1 ZPO
§ 1 Abs 2 KSchG
§ 145 BGB
§ 145ff BGB
Spruchkörper:
7. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 26. Januar 2010, Az: 54 Ca 11606/09, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 18. August 2010, Az: 23 Sa 840/10, Urteil

Tenor

I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. August 2010 – 23 Sa 840/10 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Januar 2010 – 54 Ca 11606/09 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Vertragsangebot als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ab dem 1. August 2009 mit der Entgeltgruppe T2 des Entgeltrahmentarifvertrags der Deutschen Telekom zu unterbreiten.
II. Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Wiedereinstellungsanspruch des Klägers und über Annahmeverzugsentgelt.
2
Der Kläger war seit dem 1. September 1997 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Im Zuge von Restrukturierungsmaßnahmen gliederte die Beklagte im Jahr 1999 ihr Breitbandkabelgeschäft aus und verkaufte es an die K GmbH (G). Hiervon war der Bereich Technik/Netze betroffen, in dem der Kläger tätig war. Wie andere Arbeitnehmer auch wurde er von der Beklagten für eine Tätigkeit bei der G beurlaubt, mit der er gemäß Vertrag vom 12. September/15. November 1999 ein Arbeitsverhältnis ab dem 1. Oktober 2000 begründete. Nach einer am 12. Mai/15. Juni 2000 vereinbarten Änderung seiner Aufgaben wechselte er im Jahr 2003 von der G zur K Vertrieb & Service GmbH & Co. KG (K), die zum K Konzern gehört. Mit der K vereinbarte der Kläger nach einem Änderungsvertrag vom 26. April/5. Mai 2004 eine Beschäftigung als Techniker; zuletzt war er als Servicetechniker im Außendienst eingesetzt.
3
Der Kläger schloss mit der Beklagten am 1. September 2003 einen Auflösungsvertrag zum 31. Dezember 2003, der Regelungen über ein Rückkehrrecht enthält. In dem Vertrag heißt es ua.:
        
„§ 2 Regelungen zum Rückkehrrecht
        
1.    
Der Arbeitnehmer erhält in Zusammenhang mit dem bei der K Niedersachsen/Bremen GmbH & Co. KG bzw. deren Rechtsnachfolger bestehenden Arbeitsverhältnis ein zeitlich begrenztes Rückkehrrecht zur Deutschen Telekom AG, dessen Modalitäten sich abschließend aus der diesem Vertrag beigefügten Anlage 1, die Bestandteil dieses Vertrages ist, ergeben.
        
…       
        
        
Anlage 1 zum Auflösungsvertrag
        
‚Regelungen zum Rückkehrrecht – Stand 1.7.2003 -’
        
…       
        
1.    
Die Deutsche Telekom AG räumt den Arbeitnehmern ein Rückkehrrecht zur Deutschen Telekom AG ein
        
        
a.    
innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten (berechnet ab dem 1. Januar 2004) ohne das Vorliegen besonderer Gründe (allgemeines Rückkehrrecht),
        
        
b.    
nach Ablauf des allgemeinen Rückkehrrechts für weitere 18 Monate ein Rückkehrrecht unter besonderen Bedingungen (besonderes Rückkehrrecht).
        
2.    
Besondere Bedingungen (im Sinne des Absatzes 1.b) liegen vor, wenn
        
        
a.    
das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 ff KSchG aus dringenden betrieblichen Gründen wirksam gekündigt wird
        
        
        
oder   
        
        
…“    
        
4
Die Beklagte, mehrere Kabelgesellschaften – ua. die K – und die Gewerkschaft ver.di trafen am 8. April 2005 eine sog. Schuldrechtliche Vereinbarung (SV). Sie lautet auszugsweise:
        
„1.     
Die Deutsche Telekom AG räumt den Arbeitnehmern einzelvertraglich ein Rückkehrrecht zur Deutschen Telekom AG ein
        
        
a.    
innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten (berechnet ab dem 1. Januar 2004) ohne das Vorliegen besonderer Gründe (allgemeines Rückkehrrecht),
        
        
b.    
nach Ablauf des allgemeinen Rückkehrrechts für weitere 36 Monate ein Rückkehrrecht unter besonderen Bedingungen (besonderes Rückkehrrecht).
        
        
…       
        
        
2.    
Besondere Bedingungen (im Sinne des Absatzes 1.b) liegen vor, wenn
        
        
a.    
das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 ff KSchG aus dringenden betrieblichen Gründen wirksam gekündigt wird
        
        
        
oder   
        
        
…       
        
        
3.    
Der Arbeitnehmer kann von seinem Rückkehrrecht nach der Ziffer 1 frühestens 6 Monate nach Beginn des Rückkehrzeitraums für das allgemeine Rückkehrrecht Gebrauch machen. Es ist bei dem Rückkehrrecht nach Ziffern 1 a. und b. eine Ankündigungsfrist von 3 Monaten einzuhalten. Im Falle des besonderen Rückkehrrechts nach Ziffer 1 b. i.V.m. 2 a. findet eine Rückkehr jedoch erst nach Ablauf der für den Arbeitgeber (Kabelgesellschaft bzw. Rechtsnachfolger) geltenden jeweiligen individuellen Kündigungsfrist statt, soweit diese länger ist als die dreimonatige Ankündigungsfrist.
        
        
…       
        
4.    
Im Falle der Rückkehr finden ab diesem Zeitpunkt die Bestimmungen der jeweils geltenden Rationalisierungsschutz-Tarifverträge der Deutschen Telekom AG Anwendung. Der Arbeitnehmer wird hinsichtlich der zu vereinbarenden Arbeitsvertragsbedingungen und anzuwendenden tarifvertraglichen Regelungen so gestellt, als wäre er ohne Unterbrechung bei der Deutschen Telekom AG weiter beschäftigt worden.
        
        
…     
        
5.    
Das Rückkehrrecht besteht nicht, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung bzw. eines Aufhebungsvertrags beendet wird und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund verhaltensbedingter Gründe des Arbeitnehmers oder aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen erfolgt und ein eventueller Rechtsstreit nicht zu Gunsten des Arbeitnehmers entschieden hat.
        
        
…     
        
6.    
Derzeit noch von der Deutschen Telekom AG zu einer Kabelgesellschaft beurlaubte Arbeitnehmer erhalten ein Angebot zur Annahme dieser schuldrechtlichen Vereinbarung bei gleichzeitiger Beendigung der Beurlaubung sowie Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Deutschen Telekom AG.“
5
§ 5 Abs. 1 bis Abs. 3 des Tarifvertrags Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di idF vom 15. März 2004 lautet auszugsweise:
        
„(1)   
Der nach den §§ 3 und 4 ausgewählte Arbeitnehmer erhält ein Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags. Inhalt dieses Vertrags ist die Bereitschaft, eine Tätigkeit im Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb Vivento der Deutschen Telekom AG zu den in Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 (nebst Anlagen) genannten Bedingungen aufzunehmen. Im Übrigen bleibt das Arbeitsverhältnis unverändert. Für die Annahme des Änderungsvertrags wird dem Arbeitnehmer eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Nach Abschluss des Änderungsvertrags wird der Arbeitnehmer in Vivento versetzt.
        
        
…     
        
(2)     
Als Alternative zum Abschluss eines Änderungsvertrags kann der Arbeitnehmer einen Auflösungsvertrag mit Abfindungsregelung wählen. …
        
(3)     
Lehnt der Arbeitnehmer die Angebote nach Absatz 1 und Absatz 2 ab, so erfolgt eine Kündigung unter Aufrechterhaltung des Vertragsangebots zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen nach Absatz 1. …“
6
Der Kläger und die Beklagte schlossen am 30. April 2005 einen „Vertrag zur Abänderung des Auflösungsvertrages in Zusammenhang mit der Schuldrechtlichen Vereinbarung vom 08.08.2002“. Dem Vertrag war als Anlage 1 die SV beigefügt. In ihm ist ua. geregelt:
        
„§ 1 Regelungen zum Rückkehrrecht
        
Die Parteien sind sich darüber einig, dass für das zeitlich begrenzte Rückkehrrecht zur Deutschen Telekom AG gemäß § 2 Abs. 1 des Auflösungsvertrages in Zusammenhang mit der Schuldrechtlichen Vereinbarung vom 08.08.2002 ab dem 01. Juni 2005 die in der Anlage 1 (Schuldrechtliche Vereinbarung vom 08. April 2005), die Bestandteil dieses Vertrages ist, festgelegten Regelungen gelten. Die bisherigen Regelungen werden ohne Nachwirkung mit Ablauf des 31. Mai 2005 aufgehoben.
        
Darüber hinaus bleiben alle weiteren Regelungen des Auflösungsvertrages unverändert bestehen.
        
§ 2 Einverständniserklärung zur Personaldatenweitergabe
        
Herr B ist damit einverstanden, dass im Falle der Inanspruchnahme des Rückkehrrechtes die K Vertrieb & Service GmbH & Co. KG, Region Niedersachsen/Bremen bzw. deren Rechtsnachfolger der Deutschen Telekom AG die Daten mit Bezug auf sein Arbeitsverhältnis offen legt sowie die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung stellt, aus denen sich die Voraussetzungen für das und die Folgen aus dem geltend gemachten Rückkehrrecht ergeben. Im Falle der Rückkehr auf Grund Ziffer 2a der schuldrechtlichen Vereinbarung erfasst dies auch die soziale Rechtfertigung, Wirksamkeit und Zulässigkeit der Kündigung.
        
Die Deutsche Telekom AG gewährleistet bezüglich der ihr von der K Vertrieb & Service GmbH & Co. KG, Region Niedersachsen/Bremen bzw. deren Rechtsnachfolger übermittelten personenbezogenen Daten die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der personenbezogenen Daten.“
7
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2008 kündigte die K das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen wegen Wegfalls seines Arbeitsplatzes außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 31. Juli 2009.
8
Eine gegen die K erhobene Kündigungsschutzklage nahm der Kläger am 16. Juni 2009 zurück. Seinen der Beklagten am 16. Dezember 2008 zugegangenen Antrag auf Rückkehr lehnte diese mit Schreiben selben Datums ab.
9
Mit der am 23. Juni 2009 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat der Kläger sein Rückkehrrecht gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Wiedereinstellung aus dem Vertrag vom 30. April 2005 iVm. der SV. Die materiellen Voraussetzungen des vereinbarten Rückkehrrechts lägen vor. Die aus dringenden betrieblichen Gründen ausgesprochene Kündigung der K sei wirksam. Er habe keine Obliegenheit, gegenüber der K eine Kündigungsschutzklage durchzuführen. Er sei gegenüber der Beklagten auch nicht darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Kündigung wirksam sei. Deren Wirksamkeit werde nach § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. §§ 4, 7 KSchG fingiert. Auch habe er das Rückkehrrecht fristgerecht – bis zum 31. Dezember 2008 – geltend gemacht.
10
Mit mehreren Klageerweiterungen hat der Kläger außerdem die Zahlung von Vergütung für die Zeit von August 2009 bis Januar 2010 (monatlich 3.455,00 Euro brutto zzgl. 91,00 Euro brutto Funktionszulage) nebst Verzugszinsen geltend gemacht. Er hat hierzu behauptet, nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Entgeltrahmentarifvertrag Deutsche Telekom AG (ERTV) sei er in der Entgeltgruppe T5 (Stufe 4) der Anlage 1 (Entgeltgruppenverzeichnis) zum ERTV eingruppiert. Die Beklagte sei wegen des bestehenden Arbeitsverhältnisses aus Annahmeverzug zu der Zahlung verpflichtet.
11
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Vertragsangebot als vollbeschäftigter Arbeitnehmer ab dem 1. August 2009 mit der Entgeltgruppe T5 des Entgeltrahmentarifvertrags Deutsche Telekom zu unterbreiten;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.276,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.546,00 Euro brutto seit dem 17. September 2009, dem 17. Oktober 2009, dem 17. November 2009, dem 17. Dezember 2009, dem 17. Januar 2010 sowie dem 17. Februar 2010 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Zulässigkeit des Klageantrags zu 1. beanstandet und im Übrigen die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe kein Rückkehrrecht zu. Er habe nicht bis 31. Dezember 2008 tatsächlich zu ihr zurückkehren können, weil er durch die Auslauffrist noch bis 31. Juli 2009 an das Arbeitsverhältnis mit der K gebunden gewesen sei. Jedenfalls sei das Erfordernis einer wirksamen Kündigung, die aus dringenden betrieblichen Gründen ausgesprochen worden sei, dh. die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 ff. KSchG erfülle, nicht gewahrt. Die durch die Rücknahme der Kündigungsschutzklage gegen die K eingetretene Fiktion nach § 7 Halbs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG beschränke sich auf die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Die Kündigungsgründe würden demgegenüber nicht fingiert. Es bestehe außerdem der Verdacht eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Kläger und der K. Der Kläger könne jedenfalls nur verlangen, eine Beschäftigung im Betrieb Vivento angeboten zu bekommen, weil es seine frühere Tätigkeit bei der Beklagten nicht mehr gebe. Bestünde ein Rückkehrrecht, könne der Kläger bei richtiger Einordnung in das Tarifgefüge der Beklagten nur Vergütung nach Maßgabe der Entgeltgruppe T2 der Anlage 1 zum ERTV verlangen.
13
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen

Krankschreibung – was darf ich?

Winterzeit heißt Grippezeit. Sie liegen krank im Bett und fragen sich, was Sie während ihrer Krankschreibung tun dürfen und was nicht? Abends ein Konzert besuchen? Schnell ein paar Lebensmittel einkaufen? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Regeln.
Mehr lesen