Arbeitsrecht

Wirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitnehmerkündigung wegen hartnäckiger Arbeitsverweigerung

Aktenzeichen  2 Sa 502/15

Datum:
11.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AuR – 2016, 378
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 623, § 626
KSchG § 9, § 12, § 13, § 23

 

Leitsatz

1. Erhebt der Arbeitnehmer eines Kleinbetriebes mit nicht mehr als 10 Mitarbeitern Kündigungsschutzklage wegen fehlender Unterschrift des Arbeitgebers, kann hierin die antizipierte Zustimmung zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls dann liegen, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig ausdrücklich seine Arbeitskraft anbietet. Erklärt der Arbeitgeber in der Güteverhandlung, es liege keine Kündigung vor, kann darin die Annahme das Angebotes auf ungekündigte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses liegen (Abgrenzung zu BAG 19.08.1982 – 2 AZR 230/80), so dass der Arbeitnehmer wieder zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. (amtlicher Leitsatz)
2. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer sodann einen Arbeitsplatz zu und erscheint der Arbeitnehmer ohne Grund nicht zur Arbeit, so kann dies jedenfalls nach Abmahnung eine außerordentliche Kündigung wegen hartnäckiger Arbeitsverweigerung rechtfertigen. (amtlicher Leitsatz)
3 Für die Bejahung eines unverschuldeten Rechtsirrtums reicht es nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann (Bestätigung BAG NZA 2016, 417). (red. LS Thomas Ritter)

Verfahrensgang

6 Ca 1410/14 2015-07-27 TeU ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 27.07.2015, Az. 6 Ca 1410/14, abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen, soweit die Feststellung beantragt ist, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.12.2014 nicht aufgelöst worden ist.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Kündigung vom 23.12.2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung beendet. Der Kläger war ab 16.12.2014 wieder zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet und hat die Arbeit trotz mehrfacher Abmahnungen ohne Grund nicht aufgenommen. Darin sieht das erkennende Gericht im Gegensatz zum Erstgericht einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB für die außerordentliche Kündigung.
A. Die Berufung ist zulässig.
I. Die Berufung ist vom Beklagtenvertreter form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ZPO).
II. Das Verfahren war – auch wenn der Kläger wegen des im November 2015 erlittenen Schlaganfalles prozessunfähig sein sollte, nicht nach § 241 ZPO unterbrochen, da er anwaltlich vertreten ist (§ 246 Abs. 1 1. HS ZPO).
III. Das Verfahren war auch nicht nach § 246 Abs. 1 2.HS ZPO auszusetzen. Zwar hatte der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 10.02.2016 dies beantragt, diesen Antrag jedoch im Hinblick auf die angeordnete Betreuung mit Schriftsatz vom 25.02.2016 ausdrücklich nicht aufrechterhalten.
B. Die Berufung ist begründet. Die Kündigung vom 23.12.2014 hat das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Der wichtige Grund liegt in der hartnäckigen Arbeitsverweigerung des Klägers nach dem 15.12.2014 trotz mehrmaliger Abmahnungen. Die Interessenabwägung geht zulasten des Klägers aus.
I. Die im Wege der Klageerweiterung (§§ 260, 263 ZPO) erhobene Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung vom 23.12.2014 ist zulässig. Das notwendige Feststellungsinteresse folgt schon aus der möglichen Präklusionswirkung der §§ 4, 7, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
II. Die Kündigungsschutzklage ist jedoch nicht begründet. Die außerordentliche Kündigung vom 23.12.2014 hat das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst.
1. Die Kündigung vom 23.12.2014 erfolgte in der dafür notwendigen Schriftform (§ 623 BGB). Der Kläger hat dies auch nicht bestritten.
2. Die Kündigung gilt allerdings nicht von Anfang an als rechtswirksam. Denn der Kläger hat durch die Klageerweiterung vom 09.01.2015 innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben (§§ 4, 7, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Der Kläger kann damit die Unwirksamkeit der Kündigung unter jedem rechtlichen Aspekt geltend machen.
3. Die Beklagte kann sich auf einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB stützen. Das Arbeitsverhältnis bestand aufgrund übereinstimmender Erklärungen seit 15.12.2014 ungekündigt fort. Jedenfalls seit 17.12.2014, 07:00 Uhr war der Kläger zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet. Gegen diese Pflicht hat er beharrlich und ohne rechtfertigenden Grund trotz mehrfacher Abmahnungen verstoßen. Auch die Interessenabwägung fällt zulasten des Klägers aus.
a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 20 m. w. N.).
b. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte. Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 22 m. w. N.). Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (BAG a. a. O. Rn. 23 m. w. N.).
aa. Seit der Güteverhandlung vom 15.12.2014 bestand das Arbeitsverhältnis übereinstimmend ungekündigt fort. Dies ergibt die Auslegung der wechselseitigen Erklärungen.
(1) Allerdings befand sich das Arbeitsverhältnis zunächst in gekündigtem Zustand. Die Auffassung der Beklagten, dass am 30.10.2014 überhaupt keine Kündigung erfolgt sei, ist unzutreffend. Der Kläger hat behauptet, dass der Geschäftsführer der Beklagten ihm die Kündigung vom 30.10.2014 an diesem Tag ausgehändigt habe, nachdem der Kläger einen Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben habe. Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz behauptet, dass die Kündigung nicht übergeben worden sei. Es steht aber fest, dass sie in die Hände des Klägers gelangt ist. Die Beklagte hätte sich angesichts des konkreten Vortrag des Klägers substantiiert dazu einlassen müssen, wie die Kündigung in die Hände des Klägers kam, insbesondere, ob die Beklagte eine Kündigung überhaupt nicht erklären und dem Kläger zugänglich machen wollte. Dies hat sie nicht getan. Der Vortrag des Klägers zum Zugang der Kündigung vom 30.10.2014 gilt daher nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Die Beklagte wollte aus der Kündigung, auch wenn sie von Anfang an formunwirksam war, zunächst auch Rechte herleiten. So ist die Lohnbuchhaltung der Beklagten – wie das Arbeitsgericht zutreffend feststellt – ausweislich der Lohnabrechnung vom 21.11.2014 für November 2014 von einem Austritt des Klägers zum 30.11.2014 ausgegangen (Blatt 26 der Akten). Auch das Berufungsgericht geht daher davon aus, dass die Beklagte am 30.10.2014 eine – wenn auch unwirksame – Kündigung zum 30.11.2014 ausgesprochen hat. Damit hat die Beklagte dem Kläger ab 01.12.2014 einen Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung gestellt. Aus Sicht des Klägers sollte das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.10.2014 zum 30.11.2014 beendet sein. Ein Fortsetzungswille von Seiten der Beklagten war zunächst nicht ersichtlich.
(2) Mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage und dem darin ausdrücklich enthaltenen Angebot der Arbeitsleistung hat der Kläger im vorliegenden Fall allerdings zu erkennen gegeben, dass er mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einverstanden ist und damit antizipiert ein künftiges Angebot der Beklagten auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angenommen.
(a) Allerdings ist richtig, dass nach der Rechtsprechung in der Erhebung der Kündigungsschutzklage allein regelmäßig nicht die antizipierte Zustimmung des Arbeitnehmers zur Rücknahme der Kündigung liegt (BAG 19.08.1982 – 2 AZR 230/80).
(b) Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch nicht allein Kündigungsschutzklage erhoben, sondern ausdrücklich auch seine Arbeitsleistung angeboten, obwohl ein solches Angebot nach der ständigen Rechtsprechung des BAG im Falle der Kündigung nicht Voraussetzung für den Annahmeverzug des Arbeitgebers ist. Bereits das ausdrückliche Angebot der Arbeitsleistung ist daher ein Indiz für das antizipierte Einverständnis mit der unveränderten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
(c) Entscheidend ist jedoch folgendes: Das BAG hat in der o.g. Entscheidung wesentlich darauf abgestellt, dass ein Arbeitnehmer bei der Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht daran denke, das Arbeitsverhältnis im Falle der „Rücknahme“ der Kündigung durch den Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in jedem Falle fortzusetzen und sich in der Ausübung seiner Rechte aus §§ 9 und 12 KSchG einengen zu lassen. Diese Prämisse trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Der Kläger ist in einem Kleinbetrieb mit nicht mehr als 10 Arbeitnehmern beschäftigt. Deshalb gelten nach § 23 Abs. 1 Sätze 2 – 4 KSchG aus dem ersten Abschnitt des KSchG für den Kläger lediglich die §§ 4 – 7 und 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG. In § 13 KSchG ist der Auflösungsantrag für den Arbeitnehmer jedoch in Abs. 1 Sätze 3 und 4 und die entsprechende Anwendung der §§ 10 – 12 KSchG in Satz 5 geregelt. Der Kläger konnte somit von vorneherein weder einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG stellen noch das Sonderkündigungsrecht des § 12 KSchG in Anspruch nehmen. Dass die Beklagte einen Kleinbetrieb betreibt, hat sich auch nicht etwa erst im Laufe des Prozesses herausgestellt. Vielmehr hat der Kläger selbst in der Klage vom 18.11.2014 angegeben, dass die Beklagte regelmäßig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Auch hat der Kläger jedenfalls bis zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 23.12.2014 nie einen anderen Unwirksamkeitsgrund als die fehlende Schriftform der Kündigung vom 30.10.2014 geltend gemacht.
Hinzukommt, dass bis 31.12.2003 Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG sowohl bei einer ordentlichen als auch bei einer außerordentlichen Kündigung nur dann zu erheben war, wenn im Betrieb die Mindestanzahl an Beschäftigten nach dem jeweils geltenden § 23 Abs. 1 KSchG erreicht und die fehlende soziale Rechtfertigung bzw. der fehlende wichtige Grund gerügt war. Die Entscheidung des BAG betrifft somit von vorneherein nur diese Fälle und nicht den Kleinbetrieb. Erst seit 01.01.2004 ist Kündigungsschutzklage bei jeder Kündigung und für jeden Kündigungsgrund zu erheben.
(d) Vor diesem Hintergrund hat der Kläger aus Sicht der Beklagten im vorliegenden besonderen Fall mit der Kündigungsschutzklage bereits sein vorweggenommenes Einverständnis mit der „Rücknahme“ der Kündigung und der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erklärt.
(3) Dieses antizipierte Angebot des Klägers hat die Beklagte in der Güteverhandlung vom 15.12.2014 angenommen.
Die Beklagte hat behauptet, bereits in der Güteverhandlung erklärt zu haben, dass eine Kündigung nicht ausgesprochen worden sei. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten, so dass diese Behauptung als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Dass eine Kündigung nicht ausgesprochen worden sei, ist zwar – wie das Arbeitsgericht richtig ausführt – unzutreffend. In dieser vor Gericht getätigten Aussage liegt aber zugleich die Erklärung, dass das Arbeitsverhältnis nach Auffassung der Beklagten ungekündigt fortbesteht und sie damit aus der Kündigung auch keine Rechte herleiten will. Jede andere Interpretation hält das erkennende Gericht für lebensfremd und musste daher nicht gesondert ausdrücklich erklärt werden. Dem entspricht auch, dass das Erstgericht in der Güteverhandlung vorschlug sich auf Basis einer betrieblich veranlassten Kündigung zum 31.01.2015 zu einigen – also unter Einhaltung der ab diesem Zeitpunkt einzuhaltenden vollen ordentlichen Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
bb. Der Kläger war jedenfalls ab 17.12.2014 07:00 Uhr wieder zur Arbeitsleistung verpflichtet.
Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 15.12.2014, dem Klägervertreter nach dessen nicht bestrittener Behauptung per Fax am gleichen Tage um 17:00 Uhr zugegangen zur Arbeitsaufnahme am 16.12.2014, 09:00 Uhr auf (Blatt 62 der Akten) und erneut am 16.12.2014 für den 17.12.2014 um 07:00 Uhr (Blatt 63 der Akten). Richtig ist, dass die Beklagte nicht damit rechnen konnte, dass das an den Klägervertreter gerichtete Fax den Kläger so rechtzeitig erreicht, dass dieser am nächsten Morgen die Arbeit antreten kann. Aber mit dem zweiten unmittelbar an den Kläger gerichteten Schreiben stellte die Beklagte dem Kläger einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Der Kläger war nunmehr grundsätzlich wieder zur Erbringung der Arbeitsleistung aufgrund des ungekündigt fortbestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet uns wusste, dass die Beklagte hierauf Wert legt.
cc. Der Kläger hat keine Gründe vorgetragen, wonach er nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.
Insbesondere war der Kläger im Dezember 2014 nicht arbeitsunfähig erkrankt. Die in der Güteverhandlung vom 15.12.2014 für den 17.12.2014 angekündigte Operation hat nicht stattgefunden. Die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 bzw. Abs. 3 BGB liegen daher nicht vor.
Ein Zurückbehaltungsrecht wegen eigener Forderungen gegen die Beklagte nach § 273 BGB hat der Kläger nicht geltend gemacht. Auch im Prozess hat er sich hierauf nicht berufen.
dd. Der Kläger hat beharrlich gegen seine Pflicht, die Arbeitsleistung zu erbringen, verstoßen.
(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 16.12.2014 zur Arbeitsaufnahme am 17.12.2014 um 07:00 Uhr aufgefordert. Der Kläger ist nicht erschienen. Mit Schreiben vom 17.12.2014 mahnte ihn die Beklagte daher ab (Blatt 82 der Akten). Auch am 18.12.2014 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Mit Schreiben vom 18.12.2014 mahnte die Beklagte den Kläger daher erneut ab (Blatt 83 der Akten) und forderte ihn auf, am 19.12.2014 um 09:00 Uhr zur Arbeit zur erscheinen. Auch hierauf erschien der Kläger bis zur streitgegenständlichen Kündigung nicht zur Arbeit.
(2) Der Kläger hat sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden.
Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 43 m. w. N.).
Dass der Kläger im Dezember nicht mehr im Besitz von Schlüsseln und Arbeitskleidung war und er deshalb – wie er vorträgt – meinte, nicht mehr zur Arbeit erscheinen zu müssen, entlastet den Kläger nicht. Es liegt auf der Hand, dass ihm beides bei Arbeitsantritt wieder hätte ausgehändigt werden können, insbesondere nachdem er mehrmals zum Arbeitsantritt in den Büroräumen der Beklagten aufgefordert wurde.
Dass er, bzw. sein Prozessbevollmächtigter gemeint haben mag, die Abmahnungen seien unwirksam, da die Beklagte die Kündigung vom 30.10.2014 nicht vorher als unwirksam anerkannt habe, mag auf einem Rechtsirrtum beruhen. Dieser ist allerdings nicht entschuldbar in dem Sinne, dass er einen wichtigen Grund zur Kündigung ausgeschlossen hätte, sondern bewegt sich im normalen Prozessrisiko. Auch dem Klägervertreter war bekannt, dass die Beklagte lediglich einen Kleinbetrieb führte und dem Kläger die Rechte aus §§ 9 und 12 KSchG eben nicht zur Verfügung standen. Nach sorgfältiger Prüfung hätte der vom Kläger herangezogene Klägervertreter erkennen können, dass die ablehnenden Entscheidungen des BAG zur antizipierten Einverständnis mit der „Rücknahme“ der Kündigung eben nicht zum Kleinbetrieb ergangen sind und für die Auslegung der abgegebenen Erklärungen eben nicht einfach übernommen werden können.
c. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt – entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts – das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist von einem Monat zum Schluss eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht zuzumuten.
aa. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 46 m. w. N.).
bb. Zugunsten des Klägers sind sein Alter und damit die schlechten Aussichten, einen neuen Arbeitsplatz als Fahrer zu finden zu würdigen. Dies wird allerdings dadurch relativiert, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der gleichzeitig vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ohnehin zum 31.01.2015 endete.
Möglicherweise mag der Kläger aufgrund der nach seinen Angaben für den 17.12.2014 geplanten Operation gedacht haben, dass die Beklagte ohnehin nicht mit seinem Erscheinen gerechnet habe. Andererseits kann für ihn nach den erfolgten Abmahnungen und der Erkenntnis, dass die Operation nicht stattfand, spätestens seit 17.12.2014 kein Zweifel bestanden haben, dass die Beklagte auf seine Arbeitsleistung Wert legte.
Nicht zugunsten des Klägers spricht, dass die Beklagte den Kläger nicht bereits vor dem 15.12.2014 zur Arbeit aufgefordert hat. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten hat diese erst in der Güteverhandlung vom 15.12.2014 von der Genesung des Klägers Kenntnis erlangt.
Zulasten des Klägers ist seine nur kurze Betriebszugehörigkeit von 3 Jahren zu werten ebenso wie seine fehlenden Unterhaltspflichten.
Auch die Pflichtverletzung des Klägers wiegt schwer. Er hat sich trotz mehrmaliger Abmahnungen ohne jede Entschuldigung nicht zur Arbeit eingefunden. Dabei hat er Beeinträchtigungen im Betriebsablauf bewusst in Kauf genommen. Denn ihm war bekannt, dass er am 19.12.2014 die Tour B-Stadt – Dublin fahren sollte. Dabei musste ihm auch bekannt sein, dass es sich bei der Beklagten um einen Kleinbetrieb handelte, also um einen Betrieb mit dünner Personaldecke. Dass die Beklagte möglicherweise für den Fall des Nichterscheinens, der nach den vorhergehenden Ereignissen nicht ganz unwahrscheinlich war, Vorsorge getroffen hatte, entlastet den Kläger nicht. Ein vorsichtiger Arbeitgeber würde sonst bei Vertragsverletzungen seiner Mitarbeiter schlechter behandelt, als ein Arbeitgeber, der sich auf die Vertragstreue seiner Mitarbeiter verlässt. Angesichts der mehrfachen Abmahnungen, in denen mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfalle gedroht wurde, die der Kläger aber offensichtlich ignoriert hat, ist die Wiederholungsgefahr gegeben.
Dass der Kläger ab 01.01.2015 Altersrente bezogen hat, entlastet ihn ebenfalls nicht. Denn eine Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Bezug der Altersrente endet, haben die Parteien nicht getroffen.
Das Arbeitsverhältnis war auch in der Vergangenheit nicht völlig unbelastet. Immerhin ist gegen die Beklagte eine Strafe von 4200,- € verhängt worden, weil britische Behörden auf dem LKW des Klägers drei illegale Einwanderer entdeckt haben bei einer Fahrt, bei der in den Fahrtpapieren ein sog. Safe-check-Stempel für freiwillige Kontrollen nicht eingetragen war – Kontrollen, die der Kläger nach Ansicht der Beklagten hätte durchführen müssen. U. a. hierüber streiten die Parteien noch vor dem Arbeitsgericht.
Mildere Mittel – etwa eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz – sind nicht ersichtlich. Abmahnungen wurden bereits ausgesprochen. Insgesamt kann sich das erkennende Gericht des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kläger kurz vor seinem Eintritt in die Rente keine rechte Lust mehr verspürte für die Beklagte zu arbeiten.
4. Sonstige Gründe, die die außerordentliche Kündigung als unwirksam erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat auf die beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers mit der Kündigung zu Recht reagieren dürfen. Darin liegt deshalb keine nach § 612a BGB verbotene Maßregelung.
C. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 ZPO. Über die erstinstanzlichen Kosten war nicht zu entscheiden. Dies wird im Rahmen des Schlussurteils des Arbeitsgerichts erfolgen.
Gesetzliche Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben; auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

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