Aktenzeichen 3 Sa 450/20
Leitsatz
1. Wird durch die Ordenskongregation des Vatikans eine apostolische Kommissarin zur Leitung und Verwaltung eines Klosters eingesetzt und durch Dekret bei der Umsetzung jeglicher Entscheidung in wirtschaftlichen Angelegenheiten an die Zustimmung der Ordenskongregation gebunden, hat sie vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einer Beschäftigten des Klosters vorab diese Zustimmung einzuholen. (Rn. 36)
2. Bestimmt das Dekret, dass andernfalls die Maßnahme nichtig ist, ist für eine Analogie zum deutschen GmbH-Recht kein Raum eingelegt. (Rn. 41)
Verfahrensgang
2 Ca 10614/19 2020-02-06 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 06.02.2020 – 2 Ca 10614/19 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unzulässig. Das Arbeitsgericht hat zu Recht geurteilt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag besteht, der nicht durch die Kündigung vom 24.09.2019 aufgelöst worden ist.
1. Die Parteien haben rechtswirksam einen Arbeitsvertrag geschlossen, § 611 a Abs. 1 BGB.
a) Mit dem Arbeitsvertrag vom 09.08.2018 haben die Klägerin und die Beklagte, vertreten durch den seitens des Erzbischofs von D-Stadt und D-Stadt durch Dekret vom 18.01.2018 eingesetzten Verwalter ein Arbeitsverhältnis begründet. Die nach § 2 des Arbeitsvertrags i. V .m. § 3 ABD erforderliche kirchenrechtliche Genehmigung des Erzbischofs von D-Stadt und D-Stadt liegt vor.
Durch Dekret vom 18.01.2018, Ziffer 1 Absatz 4 Satz 2 wurde bestimmt, dass die schriftliche Genehmigung durch die Erzbischöfliche Finanzkammer an die Stelle der nach Kapitel 1, Abschnitt IV, Nr. 13 a der Konstitutionen (= Bl. 165 d. A.) geforderten Erlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariats tritt. Aus der Regelung des Dekrets, Ziffer 1, Absatz 1 Satz 2 und 3 ergibt sich, dass zu der Verwaltung des Klosters gemäß Kapitel 1, Abschnitt IV, Nr. 13 a der Konstitutionen auch der „Abschluss und die Beendigung von Verträgen jedweder Art, insbesondere von …Verträgen zur Regelung der Tätigkeit Dritter für das Kloster, die Aufgaben als Dienstvorgesetzter der Beschäftigten …“ gehören. Zu Recht hat das Arbeitsgericht deshalb erkannt, dass schriftliche Genehmigung der Bischöflichen Finanzkammer durch die „Kirchenaufsichtliche Genehmigung zum Arbeitsvertrag vom 09.08.2018 zwischen den Franziskanerinnen … und /der Klägerin“ (Bl. 14 d. A.) erteilt worden ist. Insoweit fehlt es an einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung der Beklagten mit den Urteilsgründen.
b) Der Arbeitsvertrag ist nicht gemäß § 138 BGB nichtig.
aa) Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen eines anderen für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht ein wucherähnliches Geschäft im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB angenommen, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinanderstehen und weitere sittenwidrige Umstände wie z.B. eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten hinzutreten (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2014 – 5 AZR 663/13 – Rn. 17). Diese verwerfliche Gesinnung ist nicht nur dann zu bejahen, wenn der begünstigte Vertragsteil als der wirtschaftlich und intellektuell Überlegene die schwächere Lage des anderen Teils zu seinem Vorteil bewusst ausnützt, sondern auch dann, wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der andere nur wegen seiner schwächeren Lage oder unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2009 – 5 AZR 436/08 – Rn. 27).
bb) Die Beklagte hat zu der subjektiven Seite des behaupteten wucherähnlichen Rechtsgeschäfts durch den Arbeitsvertrag vom 09.08.2018 nichts vorgetragen. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, die Klägerin habe sich leichtfertig der Einsicht verschlossen, die Beklagte hätte sich unter Zwang der Verhältnisse auf den Arbeitsvertrag eingelassen. Der Arbeitsvertrag wurde für die Beklagte durch einen als Verwalter eingesetzten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geschlossen und zudem durch die Bischöfliche Finanzkammer, vertreten durch den stellvertretenden Erzbischöflichen Finanzdirektor und den Hauptabteilungsleiter Stiftungsaufsicht genehmigt. Diese Personen dürften aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung und Erfahrung gegenüber der Klägerin als ausgebildete Landwirtschaftsmeisterin höhere Kompetenzen in Wirtschaftsfragen haben.
c) Der Arbeitsvertrag ist nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig.
Die Beklagte hat auch im Berufungsverfahren keinen Anfechtungsgrund i. S. d. § 123 BGB vorgetragen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Frist einer Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung vom 24.09.2019 noch lief, § 124 Abs. 1 BGB. Zur Anfechtung nach § 119 BGB fehlt es ebenfalls am Vortrag der Beklagten zu einem Anfechtungsgrund und der Einhaltung der Anfechtungsfrist.
d) Das Arbeitsverhältnis hat auch nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage geendet. Die Beklagte kann sich nicht auf das Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Kündigungsrecht lex specialis zu dieser Regelung und verdrängt es (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.2016 – 2 AZR 609/15 – Rn. 19).
e) Der Arbeitsvertrag ist schließlich nicht durch Widerruf (rückwirkend) beendet wor den. Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass die Möglichkeit zum Widerruf des Arbeitsvertrags neben den kündigungsrechtlichen Bestimmungen überhaupt bestehen könnte und dass ein Widerrufsgrund vorliegt.
2. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die Kündigung vom 24.09.2019 aufgelöst wor den. Die Kündigung ist gemäß Dekret vom 18.10.2018 nichtig, weil die erforderliche vorherige Zustimmung der Ordenskongregation nicht dargelegt worden ist.
a) Die Auslegung des Dekrets der Ordenskongregation vom 18.10.2018 richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung. Bei dem Dekret handelt es sich um einen Akt des päpstlichen Jurisdiktionsprimats (vgl. can. 331 CIC), weshalb es wie bei der Gesetzesauslegung darum geht festzustellen, wie der Norm Unterworfene und das Gericht seinen Inhalt zu verstehen haben. Entsprechend der Gesetzesauslegung ist das Dekret deshalb objektiv auszulegen. Auszugehen ist danach zunächst vom Wortlaut und dem von ihm vermittelten Wortsinn. Über den reinen Wortsinn hinaus ist der wirkliche Wille des Dekretgebers zu berücksichtigen, soweit er im Dekret seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (vgl. Bleckmann, Zu den Methoden der Gesetzesauslegung in der Rechtsprechung des BVerfG, JuS 2002, 942 m. zahlr. Nachw.).
b) Danach ergibt die Auslegung des Dekrets vom 18.10.2018, dass vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung durch die Apostolische Kommissarin eine Zustimmung der Ordenskongregation hätte eingeholt werden müssen.
Nach dem Wortlaut des Dekrets vom 18.10.2018 wird die Apostolische Kommissarin „vor der Umsetzung jeglicher Entscheidung in wirtschaftlichen Angelegenheiten um Zustimmung bitten, andernfalls ist die Maßnahme selbst nichtig.“ Diese klare Regelung findet ihren Sinn und Zweck darin, dass der Apostolischen Kommissarin durch das Dekret vom 18.10.2018 die Befugnisse der Oberin des Klosters erteilt wurden, die gemäß Kapitel 1, Abschnitt IV, Nr. 13 a der Konstitutionen ihrerseits bei bestimmten Rechtsgeschäften an die Erlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariates gebunden ist. Nach dem Dekret vom 18.10.2018 tritt die erforderliche Zustimmung der Ordenskongregation an die Stelle der sonst erforderlichen Erlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariates. Die Apostolische Kommissarin wird wie die Oberin des Klosters in ihrem Handeln gebunden.
Bei der streitgegenständlichen Kündigung handelt es sich zudem um eine Entscheidung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Mit der seitens der Beklagten angestrebten Einstellung der Eigenbewirtschaftung unter Entlassung der Klägerin und ihres Ehemannes aus den Arbeitsverhältnissen liegt eine wirtschaftliche Angelegenheit vor. Zudem hat die Beklagte die entsprechende Behauptung der Klägerin nicht bestritten.
c) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Apostolische Kommissarin vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung die Zustimmung der Ordenskongregation eingeholt hat. Das Schreiben der Ordenskongregation vom 20.08.2020 bestätigt lediglich, dass sie in die Entscheidungen, die Kündigungen auszusprechen, „mit eingebunden war“. Es bleibt damit offen, ob die Ordenskongregation zugestimmt und ob die Zustimmung vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vorgelegen hat. Da die Ordenskongregation selbst das Zustimmungserfordernis aufgestellt hat und nunmehr lediglich ein Eingebundensein ausdrückt, spricht Vieles für die Annahme, dass ihre Zustimmung nicht vorliegt.
Soweit die Apostolische Kommissarin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München am 22.10.2020 behauptete, sie sei vor Ausspruch der Kündigung in Rom gewesen und hätte dort mit den zuständigen Stellen alles abgesprochen und diese Stellen seien damit einverstanden gewesen, ist dieser Vortrag bereits nicht hinreichend konkret. Es werden weder Daten noch Personen benannt. Zudem wäre der Vortrag verspätet und würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen. Die Klägerin hat bereits mit Schriftsatz vom 17.07.2020 bestritten, dass die erforderliche Zustimmung der Ordenskongregation vor Ausspruch der Kündigung erteilt worden war.
d) Aufgrund der nicht vorgetragenen vorherigen Zustimmung der Ordenskongregation vor Ausspruch der Kündigung ist die Kündigung selbst nichtig. Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des Dekrets vom 18.10.2018 in dem es heißt:
„Andernfalls ist die Maßnahme selbst nichtig.“
Im Hinblick auf diese Regelung ist für eine Analogie zum deutschen GmbH-Recht kein Raum. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
III.
Die Beklagten haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.