Aktenzeichen 3 Sa 52/18
Leitsatz
Ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil kann nicht als unzulässig verworfen werden, wenn er durch einen Bevollmächtigten eingelegt worden ist, der die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt. Es bedarf vorab eines konstitutiven Zurückweisungsbeschlusses i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 und 2 ArbGG. (Rn. 17)
Verfahrensgang
6 Ca 268/17 2017-12-19 Urt ARBGREGENSBURG ArbG Regensburg
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 19.12.2017 – 6 Ca 268/17 – aufgehoben. Die Sache wird an das Arbeitsgericht Regensburg zurückverwiesen.
2. Die Kostenentscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – bleibt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vorbehalten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
II.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg war aufzuheben und das Verfahren an das Arbeitsgericht Regensburg zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
1. Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs nur zurückverweisen, wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
2. Das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 19.12.2017 – 6 Ca 268/17 – hat zu Unrecht den Einspruch des Klägers vom 20.11.2017 als unzulässig verworfen. Herr N. war mangels Zurückweisungsbeschluss im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG befugt, am 20.11.2017 den Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 08.11.2017 – 6 Ca 268/17 – einzulegen. Der Einspruch ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden.
a) Eine Partei kann sich vor den Arbeitsgerichten durch einen Rechtsanwalt, § 11 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, oder andere Bevollmächtigte im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vertreten lassen. Hierzu gehören nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ArbGG insbesondere volljährige Familienangehörige (§ 15 AO, § 11 LebenspartnerschaftsG), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht. Der Katalog des § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist abschließend (vgl. GK-ArbGG/Bader, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 62; LAG Hamm, Beschluss vom 08.08.2011 – 1 Ta 374/11 – unter II. 1. der Gründe m.w.N.).
Allerdings ist ein Bevollmächtigter, der die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt, nach der seit 01.07.2008 geltenden Rechtslage nicht schon kraft Gesetzes ausgeschlossen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG bedarf es hierfür – nach Anhörung der betroffenen Partei – eines (unanfechtbaren) Beschlusses, mit dem die Bevollmächtigten zurückgewiesen werden (vgl. Germelmann/Künzl in Germelmann/Matthes/Prütting, 9. Aufl. 2017, § 11 Rn. 108; ErfK/Koch, 18. Aufl. 2018, § 11 Rn. 11; Ostrowicz/Künzl/Scholz, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2014, Rn. 146; LAG Hamm, a.a.O., unter II. 2. der Gründe). Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten bleiben nach der ausdrücklichen Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbGG bis zu seiner Zurückweisung wirksam (vgl. Germelmann/Künzl, a.a.O., Rn. 110; ErfK/Koch, a.a.O.; GK-ArbGG/Bader, a.a.O., Rn. 112). Erst mit dem Beschluss im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG verliert der Bevollmächtigte deshalb seine Befugnis, für die Partei tätig zu werden (deutlich: Germelmann/Künzl, a.a.O., Rn. 110).
b) Danach war Herr N. bei Einlegung des Einspruchs zur Vertretung des Klägers befugt.
aa) Unstreitig gehört Herr N. nicht zu den in § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG abschließend aufgeführten Bevollmächtigten, die zur Prozessvertretung befugt sind. Er ist insbesondere kein Familienmitglied im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ArbGG, sondern nach Angaben des Klägers sein neuer Arbeitgeber.
bb) Das Arbeitsgericht Regensburg hat die Bevollmächtigung des Herrn N. vor Einlegung des Einspruchs am 20.11.2017 nicht durch einen Beschluss im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG zurückgewiesen.
Der Beschluss vom 30.11.2017 diente lediglich der Anhörung des Klägers. Dies folgt aus seinem Eingangssatz („Der Kläger wird darauf hingewiesen, …“) und aus dem letzten Satz, dem Kläger werde bis zum 14.12.2017 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Im Übrigen würde der Beschluss vom 30.11.2017 Herrn N. die Bevollmächtigung erst mit seiner Zustellung für die Zukunft entziehen. § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbGG bestimmt ausdrücklich, dass ein Zurückweisungsbeschluss Wirkung erst ab seinem Erlass entfaltet: Die bis dahin vorgenommenen Prozesshandlungen eines Bevollmächtigten „sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam“.
cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist Herr N. auch Vertreter des Klägers gewesen. Der Kläger hat mit dem Hinweis, dass es ihm nicht möglich sei, zeitlich und fristgerecht den Einspruch zu erbringen, im Schreiben vom 27.11.2017 nach §§ 133, 157 BGB konkludent zum Ausdruck gebracht, dass Herr N. sein Vertreter für die Einlegung des Einspruchs gewesen sei. Ausweislich des Inhalts des Beschlusses vom 30.11.2017 hat das Arbeitsgericht Regensburg dies auch entsprechend verstanden.
c) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der am 20.11.2017 eingelegte Einspruch die einwöchige Einspruchsfrist, die mit Zustellung des Versäumnisurteils vom 08.11.2017 am 13.11.2017 begann und am 20.11.2017 ablief, gewahrt hat, §§ 59 Satz 2, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.
d) Der Einspruch ist auch formgerecht im Sinne des § 59 Satz 2 ArbGG, § 340 Abs. 1 ZPO eingelegt worden.
3. Mit dem Hilfsantrag liegt ein Antrag auf Zurückverweisung im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. 2018, § 538 Rn. 56).
4. Das Verfahren war an das Arbeitsgericht Regensburg zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung führt im vorliegenden Fall nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits. Es bedarf noch eine Beweisaufnahme über die Behauptung des Beklagten, er habe dem Kläger 1.200,00 € in bar in Erfüllung seiner (Netto-)Vergütungsansprüche gezahlt. Im Übrigen ist unter konkreter Auflagenerteilung zu klären, welche Ansprüche seitens des nunmehr anwaltlich vertretenen Beklagten bestritten werden. Eine Stellungnahme des Beklagten auf die Schriftsätze des Klägers vom 28.07.2017 und 11.08.2017 ist bislang nicht erfolgt. Der Beklagte ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass es für die Erfüllung einer Bruttovergütungsklage nicht genügt, zu behaupten und unter Beweis zu stellen, dass dem Arbeitnehmer ein bestimmter Nettobetrag in bar ausgezahlt worden ist. Dabei wird das Interesse des Klägers, in angemessener Zeit einen Titel zu erlangen, nicht beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger durch seine Säumnis im Termin vom 08.11.2017 die Verzögerung im Rechtsstreit verursacht hat.
III.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, weil mit der Zurückverweisung das erstinstanzliche Verfahren fortgesetzt wird, §§ 35, 37 GKG (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 58).
IV.
Es bestand kein Grund, die Revision zum Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.