Aktenzeichen W 5 M 16.896
VwGO VwGO § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsatz
1 Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags im Rechtsmittelverfahren – nicht zwingend auch nach außen – tätig geworden ist und dabei über die in § 19 Abs. 1 S. 2 RVG genannte Neben- und Abwicklungstätigkeit, die noch zum ersten Rechtszug gehört, hinausgeht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine bloße Neben- und Abwicklungstätigkeit liegt nicht mehr vor, wenn der Rechtsanwalt den begründeten Rechtsmittelschriftsatz entgegennimmt, diesen mit seinem Mandanten bespricht oder intern prüft, ob ein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll (Anschluss an OVG Bln-Bbg BeckRS 2015, 48608). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Anwaltliche Tätigkeiten in Bezug auf einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, solange die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung noch nicht vorliegt, mangels der Möglichkeit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem eingelegten Rechtsmittel bloße Neben- und Abwicklungstätigkeiten iSv § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ist schon anerkannt, dass die Prüfung des fristgerechten Eingangs des gegnerischen Rechtsmittels noch als Annex zur Vorinstanz gehört, muss dies erst recht für den routinemäßigen, auf keiner näheren Prüfung beruhenden Satz, dass vor einer Begründung des Rechtsmittels nichts veranlasst ist, gelten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. August 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Der Streitwert für das Erinnerungsverfahren wird auf 754,22 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wandte sich mit der dem vorliegenden Verfahren vorausgegangenen Klage (W 5 K 14.605) gegen einen Bescheid der Stadt W. vom 21. November 2013, mit dem der Beigeladenen eine Baugenehmigung erteilt worden war.
Auf die gegen den Bescheid erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Würzburg die Baugenehmigung vom 21. November 2013 mit Urteil vom 3. März 2016, dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 14. März 2016, auf. Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 13. April 2016, eingegangen beim Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg am gleichen Tag, die Zulassung der Berufung gegen das vg. Urteil. Das Schriftstück enthält neben dem Antrag lediglich den Satz, dass eine Begründung in einem besonderen Schriftsatz erfolge.
Mit Schreiben des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 22. April 2016 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin der in Anlage beigefügte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 3. März 2016 zugestellt und in richterlichem Auftrag gebeten, einstweilige Kenntnis zu nehmen und alle Schriftsätze 6-fach einzureichen. Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, nahm der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag auf Zulassung der Berufung zurück. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2016 (9 ZB 16.780) wurde das Verfahren eingestellt und der Beigeladenen die Kosten des Zulassungsverfahrens auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016 (eingegangen beim Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg am 20. Juni 2016) stellte der Bevollmächtigte der Klägerin unter den Aktenzeichen W 5 K 14.605 und 9 ZB 16.780 einen Antrag auf Kostenfestsetzung und machte Kosten in Höhe von 754,22 EUR geltend; im Wesentlichen eine 1,1 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV, § 13 RVG in Höhe von 613,80 EUR zzgl. 19% Umsatzsteuer.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. August 2016 lehnte der Urkundsbeamte des Bayer. Verwaltungsgerichts Würzburg die Festsetzung der außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin für das Berufungszulassungsverfahren zulasten der unterlegenen Partei ab.
Zur Begründung wurde ausgeführt: Dem Bevollmächtigten der Klägerin sei in dem Berufungszulassungsverfahren lediglich die Rechtsmittelschrift mit der Bitte um Kenntnisnahme sowie der Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2016 zugestellt bzw. übersandt worden. Die Empfangnahme diese Schriftstücke gehöre gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG noch zum Rechtszug des vorhergehenden Klageverfahrens. Diese Tätigkeit sei folglich mit der Vergütung dieses Verfahrens abgegolten. Die Festsetzung einer gesonderten Vergütung für das Berufungszulassungsverfahren sei daher abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 19. August 2016, eingegangen beim Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg am 26. August 2016, beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. August 2016 die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Nach Zustellung des Antrags auf Zulassung der Berufung mit Schreiben des Gerichts vom 22. April 2016 habe die Klägerin ihm den Auftrag erteilt, sie in dem Verfahren auf Zulassung der Berufung und in der Berufung anwaltlich zu vertreten. Zunächst habe er zu diesem Zwecke prüfen sollen, ob und wann es erforderlich sei, sich gegen die Zulassungsbeschwerde zu wenden. Auftragsgemäß habe er geprüft, ob die Einreichung eines Schriftsatzes zur Abwehr der Nichtzulassungsbeschwerde erforderlich sei und die Beschwerdegegnerin hierzu beraten. Hierdurch sei die zur Festsetzung beantragte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV ausgelöst worden, die auch erstattungsfähig sei. Insoweit werde auf mehrere Entscheidungen verwiesen, so auf das Urteil des OLG Naumburg vom 18. Februar 2012 (10 W 67/11 KFB), auf den Beschluss des VG Karlsruhe vom 23. Juli 2015 (7 K 2180/15) sowie auf den Beschluss des KG vom 21. Januar 2009 (2 W 57/08).
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht zur Entscheidung vor.
II.
Die Erinnerung, über die das Gericht in der Besetzung entscheidet, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde – nämlich durch den Einzelrichter (BayVGH, B. v. 19.1.2007 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2008, 417) -, ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig, jedoch unbegründet.
1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 12. August 2016, mit dem die Festsetzung der außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin für das Berufungszulassungsverfahren zulasten der unterlegenen Partei abgelehnt wurde, ist nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Gericht zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Urkundsbeamten im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. August 2016 Bezug, folgt diesen und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
2. Darüber hinaus ist Folgendes anzumerken: Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags im Rechtsmittelverfahren – nicht zwingend auch nach außen – tätig geworden ist und dabei über die in § 19 Abs. 1 Satz 2 RVG genannte Neben- und Abwicklungstätigkeit, die noch zum 1. Rechtszug gehört, hinausgeht. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 RVG gehören zu dem Rechtszug oder dem Verfahren auch alle Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten und solche Verfahren, die mit dem Rechtszug oder dem Verfahren zusammenhängen, wenn die Tätigkeit nicht nach § 18 RVG eine besondere Angelegenheit ist. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG gehören hierzu insbesondere die Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber, usw..
Eine bloße Neben- und Abwicklungstätigkeit im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG liegt nicht mehr vor, wenn der Rechtsanwalt den begründeten Rechtsmittelschriftsatz entgegennimmt, diesen mit seinem Mandanten bespricht oder intern prüft, ob ein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.7.2015 – OVG 3 K 56.15 – juris, unter Bezugnahme auf BGH, B.v. 25.10.2012 – IX ZB 62/10 – juris).
Darin fehlt es hier. Der Bevollmächtigte der Klägerin bringt zwar vor, dass er von dieser den Auftrag erhalten habe, sie im Berufungszulassungsverfahren zu vertreten, wobei er zunächst habe prüfen sollen, ob und wann es erforderlich sei, sich gegen die Zulassungsbeschwerde zu wehren. Auftragsgemäß habe er geprüft, ob die Einreichung eines Schriftsatzes zur Abwehr der Nichtzulassungsbeschwerde erforderlich sei und seine Mandantin hierzu beraten. Da jedoch zu diesem Zeitpunkt eine Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung noch nicht vorlag, kann es sich nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eingelegten Rechtsmittel gehandelt haben. Damit gehört die vom Bevollmächtigten der Klägerin durchgeführte Tätigkeit aber noch zum ersten Rechtszug, es handelt sich um eine Neben- und Abwicklungstätigkeit i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.7.2015 – OVG 3 K 56.15 – juris).
So gehören für den Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz einige auf das Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren bezogene Tätigkeiten zu den Neben- und Abwicklungstätigkeiten der Vorinstanz i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG. Dazu zählt bei einem zu begründenden, aber noch nicht begründeten Rechtsmittel die Prüfung, ob etwas veranlasst ist (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 19 Rn. 85 ff.). Hierbei liegt die Konstellation zugrunde, dass dem Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz der Schriftsatz, mit dem der Gegner ein Rechtsmittel einlegt, das zu seiner Zulässigkeit einer Begründung bedarf, die aber noch nicht erfolgt ist, zugestellt wird. Diese Konstellation ist hier gegeben, denn dem Bevollmächtigten der Klägerin im Verfahren W 5 K 14.605 vor dem Verwaltungsgericht Würzburg wurde der Schriftsatz des Bevollmächtigten der Beigeladenen vom 13. April 2016, mit dem diese die Zulassung der Berufung beantragt hat, diese aber noch nicht begründet hat, sie aber sehr wohl zu begründen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), am 26. April 2016 zugestellt. In diesem Fall wird der Rechtsanwalt auf einen Blick erkennen, dass derzeit nichts weiteres veranlasst ist, eine Kopie kommentarlos oder begleitet mit dem schlichten Satz, dass solange eine Begründung fehlt, nichts veranlasst ist, seinem Mandanten zuleiten (Gerold/Schmidt, RVG, § 19 Rn. 85). Derartige Tätigkeiten lösen (im Regelfall) keine Verfahrensgebühr gemäß RVG VV 3200 ff. aus, sie gehören noch zur Vorinstanz und sind in Bezug auf die sich daraus ergebende Verantwortlichkeit des Rechtsanwalts nicht so hoch anzusetzen, dass ein besonderes Entgelt für sie geboten wäre. Wenn nämlich schon anerkannt ist, dass die Prüfung des fristgerechten Eingangs des gegnerischen Rechtsmittels noch als Annex zur Vorinstanz gehört, so muss das erst recht für den routinemäßigen, auf keiner näheren Prüfung beruhenden Satz, dass vor einer Begründung des Rechtsmittels nichts veranlasst ist, gelten (Gerold/Schmidt, RVG, § 19 Rn. 85 f.).
Dass der Bevollmächtigte der Klägerin – wie er vorträgt – bereits von seiner Mandantin mit der Vertretung im Berufungszulassungsverfahren wie auch im Berufungsverfahren beauftragt worden war, kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die Bestimmung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG betrifft Maßnahmen, die am Ende eines Rechtszuges erfolgen und zugeordnet sind und dies auch bleiben, selbst wenn der Rechtsanwalt schon für die Rechtsmittelinstanz einen Auftrag hat. Denn dies ist gerade der Fall, den das Gesetz im Auge hat. Denn wenn der Rechtsanwalt keinen Auftrag für die nächste Instanz hat, bedarf es des § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG nicht. Die Frage, welcher Instanz eine Tätigkeit zuzuordnen ist, stellt sich dann überhaupt nicht, da von vornherein ein Vergütungsanspruch für die nächste Instanz ausscheiden würde (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, § 19 Rn. 79).
Die Vergütung des Bevollmächtigten der Klägerin ist daher mit den erstinstanzlichen Gebühren bereits abgegolten, so dass eine gesonderte Geltendmachung einer Gebühr für das Berufungszulassungsverfahren nicht in Betracht kommt.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Urteil des OLG Naumburg vom 18. Februar 2012 (10 W 67/11 KFB – ADAJUR Dok. Nr. 97754) zur Bestätigung seiner Fallkonstellation dem Berufungsgegner bereits die Berufung und die Berufungsbegründung zugestellt worden waren.
3. Als Unterlegene hat die Klägerin die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Erinnerungsverfahren beruht auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 GKG.